Hallo Ritterlingsfreunde,
wie ich schon vor ein paar Tagen erwähnt habe, habe ich ein paar Chemieversuche an Ritterlingen durchgeführt - den ganzen Herbst lang sporadisch, und jetzt, da ich einmal die ganzen strittigen Arten als Hundertschaften auf einem Gebiet von höchstens 10 Hektar zusammen hatte, konzentriert und zielgerichtet. Außerdem habe ich mich in analoger Weise an einer neuen Form des Geruchstestes versucht: dazu werden die Pilze in der Faust stark zerkrümelt, bis sie sich in faserig-bröselige Masse verwandelt haben. Auf diese Art entstehen völlig neue Geruchseindrücke, die möglicherweise für die Bestimmung nutzbar gemacht werden können.
Drei Dinge möchte ich voranschicken:
1) in diesem Pilzgebiet gibt es keine Pappeln, nur Kiefern, vereinzelte Birken und einige Roteichen; ihr werdet noch sehen, welche Bedeutung dies hat.
2) in keiner maßgeblichen Ritterlingsliteratur findet man Angaben über makrochemische Farbreaktionen bei Ritterlingen, nicht einmal in dem neuen Ritterlingsbuch FN4, was mich sehr verwundert, wird doch allerorten betont, wie schwierig Ritterlinge zu bestimmen seien, da ihnen griffige mikroskopische Merkmale fehlen (etwa Zystiden, Sporenornamente usw.); sollten hier tatsächlich Forschungslücken klaffen und wichtige Bestimmungsmerkmale verschenkt werden?
3) Fotos gibt es bisher nicht; vielleicht fahre ich aber kommende Woche noch einmal da hin, um an nachgewachsenem Frischmaterial meine Beobachtungen auf Validität zu überprüfen - da werde ich mich dann auch bemühen, das ganze fotografisch festzuhalten.
Jetzt zu den Beobachtungen:
Die aufgenommenen Pilze wurden zunächst ca. 2 bis 5 Stunden liegengelassen, damit sichergestellt war, dass keine Durchnässungen mehr vorliegen. Anschließend wurden folgende Tests durchgeführt:
1) Guajak auf der unverletzten Stielrinde (analog zu den Täublingen); es erwies sich als zweckmäßig, das Guajak auf der Stielspitze möglichst dicht am Hutansatz aufzutragen - dort unterschieden sich die Reaktionen am eklatantesten
2) 20% KOH auf dem äußersten Hutrand; auch hier gab es die stärksten Reaktionsabweichungen; bei in der Hutmitte aufgetragenem KOH unterschieden sich die Reaktionen weitaus weniger stark voneinander
3) 20 % KOH im Fleisch rings um den Hutansatz; dies habe ich bisher nur bei den "Grünlingsartigen" getestet
Vorläufige Ergebnisse:
Die Guajakreaktion hat eine ähnlich große Variabilität in der Ablaufgeschwindigkeit wie bei den Täublingen, müsste also als Bestimmungsmerkmal ähnlich gut nutzbar sein. Von augenblicklich blaugrün (z. B. bei T. acerbum oder T. focale; analog zu Russula delica) bis hin zu praktisch negativ, auch nach 15 Minuten kein Anflug von blau (z. B. bei T. imbricatum; analog zu Russula pseudointegra).
Das Aggregat T. saponaceum s. l. zeichnet sich durch eine außerordentliche morphologische Variabilität aus, was in älterer Literatur nur in Form bestimmter Varietäten oder Formen abgebildet worden war. In FN 4 wurde erstmals dieses Aggregat aufgebrochen und mit T. boudieri (= T. saponaceum var. lavedanum) und T. rapipes zwei Arten eindeutig abgetrennt. Ich konnte nun feststellen, dass zerkrümelte T. boudieri in der Tat völlig anders riechen (nasser putzmittelgetränkter Aufwischlappen) als ebenfalls zerkrümelte Formen mit hell olivgrünem Hut (nicht unparfümierte, sondern parfümierte Seife). Dagegen haben Formen mit graugrünschwarzem Hut und stark grauschuppigem Stiel zerkrümelt keinen besonders auffälligen Geruch. In der Guajakreaktion unterscheiden sich Ritterlinge, die dem Bild von T. rapipes entsprechen, von denjenigen mit sehr dunklem Hut: T. rapipes mit starker schneller Reaktion, die dunklen mit schwacher und langsamer Reaktion.
Bei den Grünlingen verhielt es sich so: in dem begangenen Waldstück fielen drei verschiedene wahllos durcheinanderwachsende Typen von Grünlingen auf:
Typ 1: tiefverwurzelt mitten im blanken Sand wachsend, im Habitus sehr kräftig, massiver hellgrüner Stiel, gelbgrüne Lamellen, freudig grünlichgelber Hut mit Olivstich (ein sogenanntes "Giftgrün" ähnlich den blassen Formen des Grünen Knollenblätterpilzes), radialstreifig und in keinster Weise schuppig
Typ 2: relativ hoch aus dem Sand herausschauend, Habitus nicht ausgesprochen kräftig, Stiel eher schlank und etwas mehr gelb als hellgrün, Lamellen rein gelb ohne grüne Töne (etwa wie diejenigen von Cortinarius splendens), der Hut orangeockerbräunlich mit sehr feinen bräunlich-schwärzlichen, konzentrisch angeordneten Hutschuppen (also kurz das, was in FN4 T. frondosae genannt wird, aber eben nicht unter Pappel, sondern unter Kiefer!)
Typ 3: eher kompakt gewachsene Pilze mit etwas dunkler olivgrünem Hut als Typ 1, auch völlig ohne Orangetöne; insgesamt dem Typ 1 sehr ähnlich, doch teilweise mit braunen Stielschüppchen (vielleicht gar kein Grünling, sondern T. joachimii?)
Der Geruch frisch aufgenommener intakter Pilze war bei allen drei Typen gleich: angenehm frisch mit einer ganz schwachen Mehlkomponente, die man nur dann roch, wenn man wusste, was man riechen sollte - so wie es in der Literatur eben für den Grünling angegeben ist. Nach dem Zerkrümeln in der Faust dagegen rochen Typ 1 und Typ 2 immer noch ziemlich schwach mehlig, Typ 3 aber erwies sich als ganz krasser "Mehlstinker", sodass naheliegt, dass dies kein Grünling ist, obwohl er optisch fast nicht vom Typ 1 zu trennen ist.
Während die Guajakreaktion bei allen drei Typen gleich verlief (schwach und langsam), gab es bei der KOH-Reaktion deutliche Abweichungen: Typ 1 zeigte am Hutrand eine langsam verlaufende blass rosabräunliche Reaktion (und im Fleisch ein sehr anmutiges hellrosa!), Typ 2 dagegen ein sofort auftretendes kräftiges Dunkelbraun, und Typ 3 ein ziemlich lebhaftes Orange! Es könnte also sein, dass die drei genannten Typen in Wirklichkeit drei Arten sind, und dass man jemanden, der behauptet, der Grünling sei ein tödlich giftiger Pilz, zurückfragen muss, welchen der Grünlinge er denn nun genau meint.
(Fortsetzung folgt)