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  • Watt ?? Bromelen ??


    Jawoll, in Hochdeutsch auch vornehm Brombeeren genannt.


    Bei uns halt Bromelen oder meist " Jottverdahmde Saubromelen".


    Schön und gut, aber was hat das mit Pilzen zu tun?


    Nun, nach jahrelangen Feldstudien, genauesten Beobachtungen und zahlreichen Selbstversuchen bin ich zu dem Schluß gekommen, dass Brombeeren in Symbiose mit Pilzen leben.


    Am Anfang stand für mich die simple Frage, wozu Brombeeren Dornen besitzen. Abwehr von Gnufraß ? Vogelnistschutz ?


    Seltsam auch, dass sie Ihre Früchte selbst nicht schützen. Die hängen meist am Ende der Ranken und können Problemlos gepflückt werden.


    Eine süße Falle ? Eine fruchtige Entschuldigung ?


    Nein, alles Quark.




    Mensch kriecht durch den Wald auf der Jagd nach Pilzen.
    Eine Brombeerranke versperrt den Weg. Genau in Hüfthöhe. Zu niedrig um drunter wegzukriechen, zu hoch um drüberzusteigen. Mit spitzen Fingern wird versucht, das Hindernis auf Seite zu biegen. Gelingt nur ein Stück weit, bleibt dann hängen. Nächster Versuch. Die Ranke wird ebenso vorsichtig nach unten gedrückt. Funktioniert, aber nur bis in Kniehöhe. Kein Zufall, das ist immer so.
    Denn, nun in Kniehöhe befindlich, ist es ein leichtes, den Fuß zu heben um die Ranke mit einem energischen Tritt zu Boden zu bringen.


    Das macht man dann auch.. und im selben Moment zischt von hinten eine zweite Ranke mit der Geschwindigkeit einer zustoßenden Klapperschlange heran, wickelt sich um den Hals und gräbt ihre Dornen tief ins Fleisch. Man erstarrt, hebt den Fuß um Spannung von der Halsranke zu nehmen. Mit dem Erfolg, dass die Fußranke zwischen den Beinen wie eine Stahlfeder nach oben schnellt und ihre Dornen dort plaziert, wo man sie am allerwenigsten haben möchte.


    Die Halsranke verhindert dass man sich beugen kann um die Schrittranke zu entfernen. Die Schrittranke bedroht jede minimale Bewegung der Beine.


    So steht man dann, Kopf und Körper leicht nach hinten gebogen, die Augen ganz nach unten verdreht um die Schrittranke im Blick zu haben. Dann wandern die Augen gaaanz nach links, bis an den Anschlag, um das Pilzmesser im Korb zu finden. Der rechte Arm bewegt sich im Zeitlupentempo zum Korb. Bloß nicht den Kopf bewegen, bloß nicht ins Schwanken kommen. Schließlich, unter grausamen Schmerzen, findet die Hand das Messer und das Messer die Ranken. Man ist gegeißelt, aber frei.


    Brombeeren können aber noch viel mehr.


    Brombeeren beherrschen Mimikry, die hohe Kunst der Tarnung.


    In dichten, jungen Fichtenschonungen zum Bespiel, haben Brommbeerranken genau die Farbe und Wuchsrichtung der abgestorbenen unteren Fichtenreiser. Diese reichen oft bis fast auf den Boden und sind von Baum zu Baum ineinander verschränkt. Wer durch will, muss durchbrechen. Arme hoch und vors Gesicht und den Körper gegen den Verhau gedrückt. Der gibt nach, man kommt durch, fast jedenfalls.


    In genau dem Moment, wo man die widerspenstigen Reiser bezwungen hat, ungefahr eine Viertelsekunde bevor die Reiser hinter einem zurückschnellen, sieht man sie: Die Mimikry-Ranke. Knapp 45 cm vor den noch immer das Gesicht schützend angehobenen Armen, genau in Höhe der empfindlichen Achseln, spannt sie sich von rechts nach links. Jedes Ende ist jeweils mit den Reisern der rechten und linken Jungfichte verbunden. Die überdimensional erscheinenden Dornen scheinen bronzemetallisch zu schimmern, Nadelspitz, hart wie Kruppstahl.
    Ja, das alles kann man in einer Viertelsekunde wahrnehmen.


    Nach Ablauf dieses Wimpernschlags zischen die Fichtenreiser hinter einem in ihre Ausgangslage zurück und die Mimikryranke rast mit einer geschätzten Geschwindigkeit von 486 Stundenkilometern auf die ungeschützten Achseln zu. Nachdem sie sich unwiederstehlich in den Achseln festgekrallt hat, dabei von den Fichtenreisern schön auf Spannung gehalten, steht man da.


    Versucht mal, nur so zum Spass, bei hochgehaltenen, angewinkelten Armen, mit den Fingern an die Achselhölen zu gelangen.


    Geht nicht, nie und nimmer.


    Also ist großes Aua Aua angesagt. Noch vorsichtiger, als sich Igel paaren, dennoch nicht ohne Blutzoll, kann man die Dinger dann entfernen. Und genau dabei verlieren sie ihre Festigkeit, zerbröseln zwischen den Fingern, auf dass jeder einzelne Dorn in Fleisch und Kleidung hängen bleibt. Und nie, niemals, gelingt es, mehr als 80 Prozent der abgebrochenen Dornen aus der Kleidung zu pulen. Den Rest bemerkt man, einen nach dem anderen, auf der weiteren Pilzwanderung durch die Reizung von Nervenzellen, die das eindringen eines Fremdkörpers in die Epidermis melden.


    Und es geht noch weiter.


    Wer in heimischen Wäldern ein Eichhörnchen, einen Specht, oder in den Tropen einen Gecko, an einem Baumstamm beobachtet hat, dem wird aufgefallen sein, dass diese Tiere, sofern sie sich beobachtet fühlen, immer den Stamm zwischen sich und den Beobachter bringen. Egal ob man nach rechts um den Stamm schaut, nach links, drumherum läuft, links antäuscht und rechts rumrennt. Immer ist der Stamm zwischen Tier und Mensch.


    Brombeeren tun das auch.


    Die Böschung ist steil. Die letzten zwei Meter sind noch steiler und seifig. Die Füßen finden keinen sicheren Halt.
    Doch da ist die Rettung. Ein junger Stamm, ein Ast. Stark, elastisch, vertrauenserweckend. Man schaut rechts am Stamm vorbei, links am Stamm vorbei, Nix,alles sauber. Die fehlenden 20 cm Armlänge überwindet man mit einem kurzen Schwung und greift schnell zu, bevor man abrutscht.


    Glückwunsch, man hat eine Geckoranke gefunden. Nun heißt es, mit Tränen in den Augen und zusammengebissenen Zähnen trotzdem hochziehen, oder loslassen und rückwärts-abwärts.


    Ganz besonders heimtückisch sind Tarnranken.


    Tarnranken wachsen auch an steilen Böschungen. Stets 1 bis 1,50 Meter über dem Böschungsgrund. Wie der Name schon sagt, sind sie unsichtbar.
    Sie wachsen immer parallel zum Böschungsverlauf und immer etwa 10cm über Grund.


    Man findet sie, indem man von oben kommend die Böschung abwärts klettert, jedoch relativ leicht und ziemlich sicher.


    Man klettert, halb rutschend, halb stolpernd die Böschung herunter. Man ist stets darauf bedacht, bloß keinen unvorsichtigen Schritt zu machen.
    Schließlich kommt man in den vermeintlich sicheren Bereich. Nur noch 1 Meter bis zur ebenen Erde.
    Es ist uns Menschen irgendwie genetisch eingepflanzt, diesen letzten Meter mit einem großen Schritt zu überwinden. Man konzentriert sich kurz, fixiert die Stelle, auf der der rechte Fuß auftreffen soll, verlagert sein gesamtes Gewicht auf das linke Bein, Kalkuliert ein leichtes nachrutschen des linken Beines sturzvermeidend mit ein. Schließlich lässt man sich fallen. Der rechte Fuß kommt hart, aber sicher auf.


    Bis jetzt ist noch alles in Ordnung.


    Dann jedoch verlangt der eigene Schwung, das linke Bein ( befindet sich jetzt ungefähr im 45 Gard Winkel zur senkrechten Körperachse) nachzuziehen.


    Jetzt findet man die Tarnranke. Die hält ebenso plötzlich wie sicher den linken Fuß fest. In der Folge fliegt zunächst der Pilzkorb durch die Gegend. Wild rudernde Arme sind kein guter Halt für einen Pilzkorb.
    Dann macht versucht das rechte Bein einen Ausfallschritt nach vorne, was aber durch die begrenzte Schrittlänge nur sehr unvollkommen gelingt.
    Es folgt eine halbe Körperdrehung nach rechts oder links ( Zufallsprinzip) und die Schwerkraft beginnt zu wirken.


    Und jetzt, genau im richtigen Moment, reißt die Tarnranke. Haargenau in dem Moment wo man für einen kurzen Moment das Gefühl hat, einen Sturz noch verhindern zu können. Nach einem Millisekunden währenden Gefühl der Schwerelosigkeit prallt man schließlich mit einem exponierten Körperteil auf den Boden auf. Man bleibt erst mal sitzen, spürt wie die Erdnässe den Hosenboden durchweicht, schaut sich nach seinem Korb um, zieht sich an einem jungen Bäumchen hoch (Geckorankenalarm!) und kann sich dann erst mal sortieren.
    Man beginnt die bereits gefundenen Pilze erneut zu suchen, findet einen Teil wieder, mit Glück auch das Pilzmesser, und humpelt von dannen.


    Hach, das ist ja schon eine ganz schön lang rankende Abhandlung geworden. Nun könnte ich noch mehr Beispiele bringen. Zum Beispiel die Bärenfallenranke, die Kniegeißel oder den Handrückenschrammer.


    Vielleicht ein anderes mal.


    Ach so, was ist denn mit der Symbiose mit Pilzen?


    Nun, ich habe kürzlich einen Bericht gesehen, wie wehrhafte Ameisen einen lebenden Baum bewohnen und jeden Feind des Baumes energisch in die Flucht jagen.


    Ich bin überzeugt, Bromelen sind die Wächter der Pilze. Bedingt durch permanente evolutionäre Entwicklung haben sie einen ebenso ausgefeilten wie wirksamen Schutzmechanismus für die Pilze unserer Wälder entwickelt.
    Nun ist es bei einer Symbiose so, dass ja beide Partner voneinander profitieren. Und natürlich habe ich überlegt, wo bei der Sache der Nutzen für die Brombeere ist.


    Nun, auch das ist ganz einfach. Das Leben als Ranke ist im Prinzip totlangweilig. Immer dem Licht hinterherhecheln, immer nur rumranken, von recht nach links, von links nach rechts.
    Ich denke, die Brombeere hat sich im Laufe der Evolution zu einem tief gefrusteten und boshaften Wesen entwickelt. Den Nutzen zieht sie aus der puren Schadenfreude wenn Ihre Fallen zuschnappen.


    Fast schon beängstigend menschlich.

    • Offizieller Beitrag

    Wirklich sehr lustig und anschaulich geschrieben!
    Ich habe mich zwar bisher ganz gut mit den Brombeersträuchern vertragen, aber ich kann gut verstehen, was du meinst ;)
    Von den Brennnesseln könnte man ähnliches Berichten:D

    Gnolmige Gnüße, Gnelmanie die Rote

    "In den Wäldern sind Dinge,
    über die nachzudenken,
    man jahrelang im Moos liegen könnte."

    -Franz Kafka-
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  • Hallo Ralf


    :thumbup:


    Die bildhafte Schilderung der bisweilen komplexen ökologischen Zusammenhänge im Pilzwald ist dir hervorragend gelungen.
    Nicht ganz einverstanden bin ich mit der "Brehmschen" Vermenschlichung der Fauna ;)
    Noch nicht ausreichend geklärt halte ich die Frage ob dieser Schutzmechanismus sich primär gegen 'Homo' oder einen bislang vollkommen unbekannten Fressfeind der Pilze richtet: im ersten Falle würde dies vollkommen neue Erkenntnisse zur Geschwindigkeit evolutionärer Prozesse ermöglichen, im zweiten Fall ist der vermutet 1,75 m große Mykovore noch vollkommen unbekannt.


    In manchen Regionen scheint die gleiche ökologische Nische übrigens von der Hunds-Rose (Rosa canina) besetzt zu sein, bei der ich mich ohnehin frage ob der Name in Zusammenhang mit dem hundsgemeinen Festbeißen
    steht.


    Gruß
    Gerald

  • Gerald, Danke dass Du mir durch Deine Bedenken Gelegenheit gibst, meine These zu untermauern.


    Nun, es gibt zahlreiche Studien die belegen, dass Zimmerpflanzen bei der Berieselung mit Klassischer Musik wesentlich besser wachsen. Ein klares Indiz dafür, dass den Pflanzen im allgemeinen stinklangweilig ist.


    Meine unterschwellige Behauptung, Pflanzen hätten ein Bewusstsein ist sicher gewagt, und ich räume ein, dass es möglicherweise nur biochemische Reaktionen sind.


    Was jedoch die Geschwindigkeit evolutionärer Prozesse angeht, so kann man das nicht verallgemeinern sondern muss das auf jede einzelne Spezies gesondert umlegen. Vor ungefähr 300.000 Jahren kletterte der Mensch von den Bäumen und begann aufrecht zu laufen. Warum? Klar, weil er sein Nahrungsspektrum dadurch erheblich erweiterete.


    Und damals gab es schon Pilze, aber noch keine Brombeeren.


    Die kamen erst nachdem der Mensch, resp. dessen Vorfahren, begannen, der Erdboden nach Pilzen abzusuchen. Zufall ?


    Weiter glaube ich, dass wir es nicht mit vielen einzelnen Brombeersträuchern zu tun haben, sondern mit einem einzigen Mitteleuropäischen "Mutterstrauch". Ahnlich wie die Hallimasch in Kanada, die aus einem einzigen, uralten und viele Quadratkilometer großen Myzel entspringen. Drücke eine Brombeerranke zu Boden und befestige sie dort. Sie schlägt sofort neue Wurzeln und bildet einen eigenen Stock. Das komplette Erbgut der Mutterpflanze wird übernommen, neue Anpassungen kommen hinzu.


    Als der Mensch dann später über noch vorhandene Landbrücke nach Europa einwanderte, brachte er Früchte der Brombeere als Wegzehrung mit und schleppte so diese Art in Europa ein. Sie könnte der erste prähistorische Neophyt gewesen sein.


    Ohne natürlichen Freßfeind ( Die Gnus sind ja nicht mit über die Landbrücke gekommen) konnte sie sich uneingeschränkt vermehren.


    Ursprünglich auf Lichtungen und an Walfrändern angesiedelt, verbreitete sie sich dann recht schnell in den Wald hinein. Dort lief Homo wasweißich durch die Gegend und labte sich an den damals noch massenhaft vorkommenden Pilzen. Und damit blieb der erste Kontakt zwischen menschlichem Vorfahren und Brombeere nicht aus.


    Und so wie die klassische Musik Pflanzen im Wachstum fördert, ließen die Schmerzensschreie des Homo wasweißich die Brombeeren im Bereich ergiebiger Pilzvorkommen halt besonders gut und zahlreich wachsen.
    Und weil die Brombeere sich auch und vornehmlich durch Ableger vermehrt, musste nicht jede Generation mit vermischtem Erbgut zweier " Elternteile" umgehen, sondern bekam immer das volle und gleiche Paket, welches sie um die eigenen Anpassungen erweiterte.


    Der gesuchte Mykovore ist also eindeutig Homo sapiens.



    So, bevor ich jetzt weiterschreibe, hole ich mir noch ein paar von den niedlichen, kleinen Pilzchen mit dem helmartigen Hut und dem dünnen Stiel, die auf meinem (Brombeerfreien) Rasen wachsen. Irgendwie habe ich den Eindruck, die fördern kreative Gedanken.


    :)