Hier im Forum kommt ja immer mal eine Diskussion hoch, wenn es um das ernten seltener oder gar geschützter Arten geht.
Meist aber wenig sachlich oder konstruktiv, sondern eher emotional geprägt.
Grund genug, sich mal ein paar ernsthafte und sachliche Gedanken zu diesem Thema zu machen.
Nun, ich beschäftige mich schon seit Jahrzehnten mit Naturschutz und habe auch schon Kartierungsarbeten durchgeführt, nicht an Pilzen, sondern an Insekten, die in die Erstellung roter Listen eingeflossen sind. Und nun, nach fast 30 Jahren, kann ich mir ein recht gutes Bild über den Sinn und den Einfluß roter Listen und des Artenschutzes machen. Insbesondere, da diese Arbeiten vorwiegend in meiner direkten Umgebung stattfanden und -finden, in der ich mich fast täglich bewege und beobachte. Und so kann ich konstatieren, dass z.B. die Zahl der Tagfalterarten in dem von mir untersuchten Gebiet, trotz 30 Jahren Naturschutzgebiet, um etwa 60% zurückgegangen sind. Die Zahl der Individuen über alle Arten, geschätzt, um ca. 80%.
Doch zunächst einmal zu den Pilzen und ihrer Seltenheit, bzw. Schutzwürdigkeit.
Ich bin selbst viele Jahre darauf verfallen, die Seltenheit bestimmter Pilze nach der Häufigkeit ihres Auffindens zu beurteilen. Zugegebenermaßen mit starkem Fokus auf die üblichen Speisepilze. Das hat sich in den letzten zwei Jahren etwas geändert und damit kamen auch Fragen, Überlegungen und Zweifel zum Thema Seltenheit und Schutz.
Zunächst einmal muss man natürlich geografische und topografische Bedingungen berücksichtigen. Die meisten Pilze haben mehr oder weniger bestimmte Ansprüche an Ihren Standort und nur wenige sind weit und flächendeckend verbreitet, wie z.B. der Hallimasch.
Andere wiederum sind im gesamten Bundesgebiet nur sehr selten zu finden, maximal sehr lokal ortshäufig, wie z.B. der Kaiserling.
Dieses Jahr konnte ich z.B. bei uns den Buchen-Schleimrübling massenhaft beobachten. An sich kein besonders seltener Pilz, aber in meiner Gegend in all den Jahren zuvor nicht zu beobachten. Er ist ja nun sehr auffällig und wäre auch dem ungeübten Auge aufgefallen. Meinem besonders, denn ich finde diesen Pilz sehr schön und interessant.
Hätte ich nun in den Jahren zuvor Kartierungen vorgenommen, so wäre dieser Pilz als sehr selten oder fehlend eingestuft worden.
Das wäre ja nun zunächst einmal kein Nachteil gewesen, aber mir stellt sich da doch die Frage, ob man Pilze generell anhand der Häufigkeit der Funde seriös einordnen kann.
Eben jener Buchen-Schleimrübling fand sich nämlich dieses Jahr an jeder dritten abgestorbenen Buche. Und irgendwie und irgendwoher muss sich ja das Myzel gebildet haben, bevor die Fruchtkörper gebildet wurden.
Könnte es also sein, dass dieser Pilz bei uns gar nicht so selten ist, sondern sogar extrem häufig, dass er aber nur sehr selten einzelne Fruchtkörper ausbildet, und in manchen Jahren, wenn ganz besonders ideale Bedingunge herrschen, eine Massenfruktuation stattfindet?
Unter Bedngungen, die vieleicht nur alle paar Jahrzehnte so perfekt vorliegen?
Gleiches beim etwas häufiger vorkommenden, aber bei uns dennoch recht selten anzutreffenden Gallenröhrling. Dieses Jahr ein echter Massenpilz. Egal in welches Gebiet man ging, er stand überall und in enormen Mengen.
Austernpilze habe ich letztes Jahr erstmalig gefuden. Wie es sich gehört im Spätherbst nach den ersten Frösten. Dann wieder im zeitigen Frühjahr und nun das Ganze Jahr über immer wieder. Teils an Stämmen die ich schon seit Jahren in vergeblicher Hoffnung abgesucht habe.
Vielleicht latschen wir seit Jahren über weiträumig und massenhaft vorkommende Pilzmyzele mancher, als extrem selten angesehener Arten.
Wissen wir nicht, zu versteckt und unsichtbar ist der eigentliche Pilz für uns.
Ergo bleibt uns ja nichts anderes übrig, als den Pilz nach der Häufigkeit seiner Fruchtkörper zu beurteilen, so unsicher das auch sein mag.
Ist das so?
Ich meine Nein. Und zwar entschieden Nein.
Wir treffen hier nämlich auf einen wunden, ja kontraproduktiven Punkt beim Thema rote Liste und Artenschutz.
Denn diese schützen eben nicht den Pilz, sondern dessen Fruchtkörper.
Dabei ist es jedoch das Myzel, welches eigentlichen Schutz benötigt.
Und um das Myzel zu schützen müsste man das Biotop schützen.
Schützen bedeutet keinesfalls, den Menschen auszusperren. Bedeutet nicht, Zugang zu verwehren oder das sammeln zu verbieten. Nein, schützen bedeutet der unsäglichen Art der intensiven Forst- und Landwirtschaft Schranken aufzuzeigen.
Abgesehen von den unsäglichen Fichten-Monokulturen müssten auch Harvester und Fällerbündler aus unseren Wäldern verdammt werden.
Wenn man sich anschaut, was diese Maschinen an gravierenden Schäden am Boden anrichten,dann spricht das jeder Schutzbemühung Hohn. Wenn Eichen- und Buchenwälder zur Gewinnung von Kaminholz dem Kahlschlag anheim fallen und nachher mit Fichten aufgeforstet werden, ist das schlicht ein Verbrechen.
Es ist ähnlich dem Widersinn, Schmetterlinge unter Schutz zu stellen, es aber zuzulassen, dass Hecken und Feldränder - und damit die Futterpflanzen der Raupen - vernichtet werden.
Und in diesem Zusammenhang sehe ich die Gefahr von roten Listen und Artenschutz.
Diese sperren in der Regel nur den erholungssuchenden Menschen aus, verwehren eine sanfte Nutzung natürlicher Ressourcen. Sie geben das Gefühl " etwas getan zu haben". Und sie lenken vom eigentlichen Problem ab, verhindern eben nicht die generelle Vernichtung von Lebensräumen und damit die Ausrottung von Arten.
Und sie lenken auch Diskussionen in die falsche Richtung. Es ist nicht der Pilzsammler, der einen tatsächlich oder vermeintlich seltenen Pilz pflückt.
Nein, es sind diejenigen, die ganze Lebensräume vernichten oder verarmen lassen. Völlig legal und ungestraft, oft sogar noch staatlich subventioniert.
Es reicht auch beileibe nicht, Naturparks oder Naturschutzgebiete auszuweisen, in denen der normale Mensch sich nicht frei bewegen kann.
Das mag zwar einzelne Inseln für viele Arten bieten, entfremdet die Menschen aber auch immer stärker von der Natur.
Da wo er sich frei bewegen darf, gibts bald nur noch rudimentäre Natur, und dort wo man noch lernen und beobachten könnte, wird der Mensch ausgesperrt.
Sollten wir, wenn wir diskutieren, wenn wir vielleicht Gelegenheit haben mit Entscheidungsträgern zu reden, nicht viel stärker auf dieses Kernproblem eingehen? Sollten wir unsere Empörung über den, der einen seltenen Pilz erntet, nicht viel besser auf diejenigen fokussieren, die dafür verantwortlich sind, dass dieser Pilz (vermeintlich oder tatsächlich) selten geworden ist?
Ich fürchte dass, wenn die Gesellschaft nicht viel stärker darüber nachdenkt, wo die eigentlichen Probleme liegen, die roten Listen und die Artenschutzanhänge recht bald immer kürzer werden. Und das nicht, weil sich viele Arten erholen, sondern schlicht und einfach ausgestorben sind.
Ich weiß, es ist ein schwieriges und kontroverses Thema.
Ich hab da auch in Kreisen des Naturschutzes schon ketzerisch argumentiert, dass es keinen Sinn macht, Arten zu schützen wenn man die Lebensräume vernichtet, und das man dann doch besser noch schnell aberntet, was noch wächst. Was macht es schon aus, ob eine Art heute oder morgen ausstirbt, wenn dieses unausweichlich lst.
Es waren sehr interessante Diskussionen.:D
Ja, das wollte ich einfach mal so in den Raum stellen. Vielleicht entwickelt sich ja eine nette und sachliche Diskussion.
Ach so, wie man sich verhalten sollte ?
Nun, ich weiß nur wie ich mich verhalte. Ich sammle gerne Pilze und ich hab meine eigene "rote Liste".
Die sagt, dass wenn eine Art in einem Jahr sehr häufig vorkommt, ich sie gerne und bedenkenlos ernte. In Jahren der Steinpilz- oder Pfifferlingsschwemme z.B. versorge ich sehr gerne die gesamte Familie und den interessierten Bekanntenkreis. Ich nutze das aus, um meinen Sammeltrieb so richtig auszuleben. In Jahren, wo sie weniger häufig vorkommen, bleibts bei einer kleinen Portion als Beilage, oder sie beiben auch mal alle stehen. Ich achte halt darauf, dass immer mehr Pilze im Wald bleiben, als in meinem Korb landen.
Ich habe allerdings auch den Vorteil sehr unwegsamer Gebiete, wo die "Sonntagssammler" sich gar nicht hinverirren, kann es mir leisten, manche Gebiete jahrweise überaupt nicht zu besammeln. Das macht den inneren Schweinehund wesentlich kleiner.:)
Und zum Schluß eine Bitte. Lasst uns gewerbliche Sammler außen vor lassen. Das ist eine ganz spezielle Problematik, die aber nicht zielführend für diese Diskussion ist. Wir wissen alle, was wir davon zu halten haben.