Der Eine oder Andere wird sich vielleicht noch an Frau Krause erinnern.
Das ist die Dame, die bei mir im Dorf wohnt und die ich aus unterschiedlichen Gründen nicht leiden kann.
Dass sie scharf auf Pilze ist, hatte ich in der letzten Geschichte schon erwähnt. Nun, Frau Krause hat sich offenbar weitergebildet.
Bei meinem letzten Ausflug stand ich nun im Tal und versuchte winzige Nectrias auf Kernpilzen zu fotografieren, die auf einem armdicken Buchenast wuchsen. Aus den Augenwinkeln sah ich sie ankommen.
Hellgrauer Fellmantel, enge Jeans, kniehohe schwarze Lederstiefel mit hohen Absätzen. Nein, nicht gewerblich aussehend, eher vergeblich vornehm.
So sieht bei uns nur Frau Krause aus. Mit dabei, man höhre und staune, ihr Hund. Ich nenne ihn mal "Pierre", so sieht er jedenfalls aus.
Es gehört zur Habanerodingsdairgendwiesoähnlichrasse.
Schweineteuer war das Tier, irgendwas um 1500 € hat Frau Krause mir mal stolz erzählt.
OK, viel Geld, aber dafür ist er "Antiallergen" und fusselt nicht.
Sagt Frau Krause.
Leider darf der Hund auch nicht Hund sein. Darf nicht buddeln, keine Mäuse fangen, nicht mit anderen Hunden toben. Nur repräsentieren darf er. Armer Hund, blöde Frau Krause.
OK, einmal hat er doch getobt. Mit meiner Terrortöle selbstverständlich. Im Wald, im Matsch, herrlich. Ungewollt (von Frau Krause), denn die Begegnung fand im Scheitelpunkt einer scharfen Kurve im Waldweg statt. Keiner hatte den anderen kommen sehen. Aber "Pierre" und meiner hatten sich gesehen.
Die Habanerodingsdairgendwiesoähnlichrasse zeichnet sich durch fast zwanzig Zentimeter lange, seidigweiche Haare aus, die - wie schon erwähnt - nicht fusseln und beim Streicheln keine Pickel erzeugen.
Zumindest nicht bei Frau Krause. Ob "Pierre" von Frau Krauses Streicheleien Pickel bekommt, weiß ich nicht.
Jedenfalls fielen sich "Pierre" und meiner sofort um den Hals und kugelten ausgelassen die Böschung runter bis an den Bach. Dort bekam "Pierre" das erste Moorbad seines Lebens. Frau Krause war entsetzt. Ich nicht so sehr.
Aber zurück zur letzten Begegnung.
Frau Krause nahte im Stechschritt und "Pierre" lief, ja er lief auf eigenen Beinen, über den doch leicht matschigen Weg. Wenn das mal keinen Spliss gibt.
Ich beschloß derweil so zu tun, als hätte ich Frau Krause nicht bemerkt. Vielleicht hatte ich ja Glück und sie ignoriert mich.
Nein, kein Glück.
"Guten Tag" flötete es hinter mir. Ich beschloss, der Form halber leicht zusammen zu zucken, und drehte mich um.
"Guten Tag Frau Krause".
" Was fotografieren Sie denn da "?
"Pilze, Frau Krause"
"Wo" , sprach sie und reckte den Hals um die Fotomodelle zu betrachten. "Ich seh aber nichts".
" Ja Frau Krause, die Pilze sind auch sehr klein. Weniger als einen halben Millimeter".
Die Reaktion war drei Sekunden Schweigen. Drei Sekunden, in denen Frau Krause überlegte, ob ich sie veräpple.
Dann kam ein "Aha".
Es war aber kein einfaches "Aha". Es war eher so ein "Aha" wie man es erntet, wenn man jemandem von der gestrigen UFO-Sichtung erzählt. Ein "Bring mal einer schnell die Zwangsjacke-Aha".
Nun, eigentlich erwartete ich jetzt einen irgendwie dümmlichen Kommentar, aber Frau Krause wechselte das Thema und verblüffte mit für Ihre Verhältnisse profunden Pilzkenntnissen.
" Jetzt müssten doch Austernpilze wachsen, oder? "
" Ja Frau Krause, das ist jetzt die richtige Zeit."
"Ich hab noch nie welche gesehen, dabei achte ich immer darauf"
"Aha" ( Kein einfaches "Aha", eher so ein "Du bist auch ein bisschen Blind-Aha")
"Haben Sie denn schon welche gefunden?"
(Vollkommen klar, worauf das hinauslaufen würde)
"Ja"
"Wo denn?"
Wusste ich ´s doch. Die Frau kann mich nicht leiden, die Frau weiß, dass ich sie nicht leiden kann, aber das hindert sie nicht daran mir Wissen abzufordern.
Alles in mir sträubt sich, Ihr Auskunft zu geben. Was mach ich nur?
"Da oben" sage ich, und zeige mit einem Handwischer den Berg hinauf.
"Und wo da?"
Verdammt, die gibt nicht auf. Ich beschließe, dass es wieder an der Zeit ist, Frau Krause zu einem besonderen Erlebnis zu verhelfen.
" Also Frau Krause, wenn sie da den Weg hochgehen und auf halber Höhe, wo der Querweg kreuzt, nach links gehen bis zu der abgebrochenen alten Kiefer, und dort den Berg hoch, dann sehen sie ganz oben den stehenden Stamm einer alten Buche, der beim letzten Sturm die Krone weggebrochen ist. Da wachsen jede Menge Austernpilze dran".
"Oh prima, zum Glück hab ich einen Stoffbeutel dabei. Brauch ich ein Messer?"
"Nein Frau Krause".
"Gut" sprachs und wackelte den von mir angegebenen Weg hoch.
Kein Danke schön für die Auskunft. Nein, das hat Frau Krause nicht nötig.
Gut, ich hätte ihr sagen können, dass der Querweg, auf dem sie auf halber Höhe nach links gehen muss, kürzlich von Holzrückemaschinen in knietiefen Schlamm verwandelt wurde. Aber sie hat ja hohe Stiefel an. "Pierre" leider nicht.
Ob sie sich der Steigung des Berges an der alten Kiefer bewusst ist, und dass es zur Zeit recht seifig ist, und dort hinauf zu klettern ein schweißtreibendes und sicher nicht durchgängig im aufrechten Gang zu bewältigendes Unterfangen ist, da bin ich nicht ganz sicher.
Sicher bin ich mir, dass sie da raufklettern wird. Die Gier dieser Frau ist mächtig.
Sicher bin ich mir auch, dass sie Austernpilze sehen wird und ebenso sicher bin ich, dass sie kein Messer brauchen wird. Denn die Austern hängen in ungefähr 5 Meter Höhe und sind unerreichbar. Aber sie wird welche sehen.
Und "Pierre" wird sein zweites Moorbad nehmen.
Dann fotografiere ich die Nectria.