in der Not

Es gibt 10 Antworten in diesem Thema, welches 2.609 mal aufgerufen wurde. Der letzte Beitrag () ist von Reffy.

  • Die schwarzweiße Landschaft liegt müde unter einem gelblichgrauen Himmel und hält den Atem an. Am Ufer gegenüber in den Wiesen, hunderte Meter weit fort, gehen zwei Menschen, zwei kleine Gestalten. Zwischen ihnen läuft ein Hund.
    Man erkennt nicht, zu wem der gehört. Er läuft über die weiße Fläche, holt auf, biegt ab, verharrt, läuft weiter. Die vordere Gestalt wird bald links in den Park eintauchen und verschwinden. Der Hund läuft zurück zur Zweiten, auch die stapft Richtung Park. Es ist still. Gleich wird es nur noch Landschaft geben ..


    Erebus hat extra das Fahrrad mitgebracht. Eigentlich wollte er damit am Fluss entlang fahren, Auwälder durchstreifen, in den Obstgärten des Tales nach Porlingen suchen, die umliegende Wälder erkunden. Soweit das Programm das zulässt.


    Es ist Wochenende und das Programm lässt zu.
    Jedoch: Erebus verzagt angesichts der Landschaft und des schwefelfarbenen Himmels, der dunkel mit Schnee droht.


    Immerhin hat er in den letzten beiden Tage die nähere Umgebung erkundet. Hat sein Vorhaben also umgesetzt, in kleinem Maßstab, sagen wir mal: ein zu zehn. Er ist mit dem Fahrrad ein wenig den Fluss entlang gefahren, in verschneiten Obstgärten herumgestapft, schwitzend den steilen Hang hinter dem Haus hinaufgekraxelt.


    Er hat mit eiskalten Füßen im Schnee unter Apfelbäumen gestanden. Hat vierzigfach vergrößerte Apfelbaumrinde in Augenschein genommen und ist durch Becherflechtenwälder gewandert.
    "Darf man neugierig sein?" ruft es vom Weg. Nun, da lässt man er sich nicht lumpen und erläutert und die Damen verschwinden flugs und wortlos im stillen Land. Von Schleimpilzen sprach der Mann.


    Erebus steht unterm Apfelbaum und betrachtet Gelbflechte. Er erntet erfreut zwei Apfelmumien, auf denen sich vierzigfach vergrößerte Welten auftun. Pilze! Endlich!
    Früher wären die in den Mülleimer gewandert. Mit spitzen Fingern. Früher.


    Die Wege haben links wie rechts einen mehrere Meter breiten, versicherungstechnisch einwandfreien Streifen. Da stehen auf entstrüpptem Grund: Feldahorne hier, vorhin waren es Platanen, Eichen, Rotbuchen. Beim Anblick der Stämme verschlägt es ihm den Atem. Borkengesichter, Rindengrimassen, Fratzen, Flechtenbärte. Aber dafür ist jetzt keine Zeit, denn das erklärte Ziel sind Pilzfunde.


    Stöckchen solle er sammeln, so riet man ihm, da würde er schon etwas finden.
    Vom Weg aus ist da nichts zu machen. Zähne zusammenbeißen und in den tiefen Schnee. Der liegt jetzt zwanzig Zentimeter hoch, und das genügt, um die ersehnten Früchte seiner Bemühungen zu verbergen: Stöckchen!
    Natürlich gibt es noch die Ästchen, die sich verfroren in die kalte Luft recken. Aber was gibt es da schon? Bucheneckenscheibchen, Zystidenrindenpilze –¦


    In pilztechnischer Hinsicht ist das ein Debakel. Denn es ist und bleibt: keine Pilzsaison im Kurpark.
    Und im Wald, der sich an den Park anschließt, geht das mit den kurverwalteten Schneisen weiter. Mit sinnspendenden und lebensbejahenden Zitaten auf Blechschildern. Von Herrschaften, die Erebus nicht kennt (Spinoza –“ war der nicht Großinquisitor?). Man ist also regelrecht dazu gezwungen, den Weg zu verlassen.


    Und Erebus keucht quer zu Serpentinen den Hang hinauf, um ein wenig Unterholz in die klammen Finger zu bekommen. Bucheneckenscheibchen, Zystidenrindenpilze ... zur Kurzweil deklamiert er lateinische Pilznamen. Durch den keimfreien Streifen und quer den Hang hinauf. Ein Batzen Schnee verlässt seinen Ast, stürzt hinab, trudelt ein wenig und beendet den Fall in Erebus Nacken. Innerhalb des Kragens. Bucheneckenscheibchen, Zystidenrindenpilz, Piptoporus, Schizopora und Spinoza –¦


    Die Ruhe bewahren, vielleicht findet sich ja doch noch etwas. Die Spaziergänger -die gibt es plötzlich reichlich (ist die Messe aus?)- schauen betreten fort. Wer schleicht da schwer bepackt auf Spuckweite vom Weg entfernt durch den wirren Busch und atmet schwer? Man liest ja so mancherlei.


    Dass das der verzweifelte Erebus ist, auf der Suche nach Pilzen, dass weiß ja keiner.
    Und dass der grade wieder einmal ein Ästchen ins tiefgekühlte Gesicht bekam, dass weiß auch keiner. Und auch nicht die Sache mit dem Schnee im Nacken, und von den eiskalten Füßen.


    Erebus ist nach vier Monaten Pilze suchen süchtig bis ins Mark. Es ist beschämend, wie der zum Myko-Junkie mutierte. Auf Entzug. Na ja, fast.
    Bucheneckenscheibchen, Zystidenrindenpilz. Was will man mehr?


    Es ist Winter. Und in der verschluckten Landschaft fotografiert Erebus Flechten auf Apfelbaumästen. Und dämlich glotzende Astknollen.




    [hr]


    LG Uli,


    zur Erläuterung: bin derzeit in einer Diabetesklinik und erfreue mich bester Werte ..


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  • Hallo Uli,


    schon beim Lesen der Überschrift wusste ich, das ist ein Beitrag zum Einsaugen und sicher ein "echter Uli".
    Genau so war es dann auch.
    Und ansonsten ? Alles super gelaufen für dich oder nicht ? - Du hättest ja zur Abwechslung auch mal gebissen werden können.
    Ich war beim Angeln schon sehr oft kurz davor. Beim Pilzesuchen ist das nicht wesentlich besser, musste ich in der Zwischenzeit feststellen.
    Und ansonsten: du solltest mal ein Buch schreiben, lieber Uli. Ich glaube, das könnte ich nicht weg legen, einfach so.
    Gut zu wissen, dass man nicht alleine mit dem Virus ist. Aber es gibt noch Steigerungen. Ich habe Ingo`s Vorstellung in einem anderen Forum gelesen. Von daher zähle ich uns noch zu den "Heilbaren". :D


    Danke für den netten spannenden Beitrag,


    LG, Markus

  • Malone sitzt. Schaut. In elektronische Briefkästen.
    In Tabellen,Terminkalender, Tabs. Öde. Ätzend.
    Doch da - was ist das - ein aufblinkendes Lebenszeichen,
    eine Botschaft.
    Eine Gestalt stapft durch durch den Schnee...
    Der griechische Gott der Finsternis?
    Oder ist es ein britisches Kriegs- oder Forschungsschiff?
    Diesen eh nur kurz aufblitzenden Gedanken verwirft Malone, bevor er ihn zuende gedacht hat.
    Ein antarktischer Vulkan? Auch Schwachfug. Auch so etwas stapft nicht.
    Ein Krater auf dem Mars? Viel zu träge.
    Malone setzt sich auf die Spur der Gestalt, schleppt sich mit ihr die unmöglichsten, verschlungensten Pfade entlang,
    auf der Suche nach .... Stöckchen? Malone stutzt.
    Aber es ist längst zu spät zur Umkehr:
    Malone ist bereits in Bann geschlagen. Bewegungslos verharrt er auf seiner Position, gleichsam bandagiert. Malone kann nicht anders,
    er muss das Desaster mitverfolgen, muss den bitteren Kelch mitleeren
    bis zur Neige.
    Bis die Gestalt...
    ihre Tarnkappe lüftet!


    Ach sooo...
    der Uli!


    Erschöpft lässt sich Malone in die Lehne fallen. Erschöpft, aber lächelnd:
    Malone hat sich amüsiert!







    Danke, Uli!:evil:


    LG
    Malone

    Link zu Pilzlehrwanderungen: Pilzschule Rhein-Main

    Link: Verzehrfreigaben gibt es online nicht

    Galerie: Pilzfotos "zum Anfassen"/Stereobilder

    Der frühe Vogel fängt den Wurm. Soll er doch im Dunkeln tappen...ich fange lieber Pilze. Fossas sind auch nur aktiv, wenn es sich lohnt.

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  • Hallo Markus,


    es freut mich sehr, dass dir der Text gefällt. Ja, mir schwebt da was zum Schreiben vor, falls es was wird, lasse ich es Dich wissen.
    Gebissen wurde ich noch nicht.
    Und Ingos Vorstellung würde ich auch gerne lesen .. vielleicht lerne ich was draus, kannst Du mir ja mal per PN verlinken.


    Derzeit taut es .. endlich. Hoffentlich hält das bis zum WE, dann werde ich ganz bestimmt fündig. Ganz bestimmt.


    Dankeschön und Gruß,
    Uli
    [hr]
    Hallo Malone,


    na, Du bist mir aber ganz schön auf die Schliche gekommen. Das Schwesterschiff der Terror hast Du noch ausgelassen, aber das ist ja alles nicht so wichtig wie der Süchtling, der zur falschen Zeit am richtigen Ort ist.
    Hier gibt es sogar Rotbuchen!


    Und es freut mich, dass Du den Text mit amüsiertem Lächeln verlassen konntest.


    Danke und Gruß,


    Uli



    edit: na, da kam ich doch etwas neben die Spur .. das Schiffchen ist Dir natürlich nicht entgangen! Sowas passiert mir in der Eile des Querlesens.


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  • Klasse, nun noch ein "echter Peter" obendrauf.


    Ja, Klasse, ich las etwas von Mitte nächster Woche bis zu 11 Grad. Da müsste was "gehen".


    Uli, ich schick dir ne PN, sobald ich`s nochmals finde.


    LG an euch,


    Markus

  • Hallo Markus,


    danke für den Link. Und die elf Grad, ich nehme Dich beim Wort.
    Dann bin ich wieder in meinen Wäldern unterwegs. Hoffe ich


    Zitat

    Klasse, nun noch ein "echter Peter" obendrauf.


    das habe ich zuerst gar nicht kapiert. Aber jetzt!


    LG,
    Uli


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  • Was soll mann da noch sagen, noch nie war Pilzsucht besser beschrieben als in dieser Meisterwerk der Kurzgeschichten Literatur, ein junger Autor mit den Blick fürs wesentlichen und ein Tick Humor, bestimmt werden wir noch einiges zu lesen bekommen.


    Einfach Klasse Daumen hoch und +1

    Gruß Mario
    Ein Gruß aus den Bergischen Land


    Pilzchips 40 / 13 PC fürs APR.


    Bei Geschmackprobe bitte nicht runter schlucken.

  • Da fehlen einem ein bißchen die Worte.
    Sollte ich nun Mitleid zeigen mit dem sich durch den Schnee arbeitenden Mann oder ihm zu dieser Jagdfreude gratulieren? In jedem Fall muß ich ihn loben und danken was ihm da wieder Tolles vom Herzen durch die Mütze und in die Finger gewachsen ist. Wunderbarer Text mit schöner Bildführung gleich zu Beginn! :thumbup:


    Mach ja weiter so! :P


    Wenn ich das alles auf die Reihe bekomme mit dem angestrebten Jahrbuch, dann wäre ich höchsterfreut wenn du "Text" dazu beisteuern würdest. Es ist zwar noch laaaange hin bis ich konkretere Gedanken haben werde, wie sich alles gestalten soll, aber daß ich/wir nur zu gerne was von dir darin lesen würden, das weiß ich schon jetzt. Sei also gewarnt. :evil: Ende Herbst werde ich bestimmt mal bei dir nachfragen. :)

  • Hallo Mario,


    es freut mich, dass Du Erebus' Leidensgeschichte mit Humor liest und kommentierst. Ich amüsiere mich ja auch bisweilen über diesen Typen. So ist das nunmal mit den Süchten.


    Dankeschön und Gruß,
    Uli



    [hr]



    Hallo Pablo,


    Bitteschön! Ja, Lyrik hilft, dass weiß ich. Aber, angesichts der von Markus prognoszierten elf Grad für nächste Woche schrumpft der Leidensdruck ganz beträchtlich, da werden wohl keine Gesänge zum Thema folgen ;)


    Dankeschön, und Gruß,
    Uli



    [hr]


    Hallo Mausmann,


    na, dem Typen muss man gratulieren.
    Mitleid ist da fehl am Platz. Wenn sich ein Bekloppter derart motivieren kann, dann bekommt der meine volle Zustimmung.


    Natürlich bin ich gerne bereit, was beizusteuern, allerdings habe ich vermutlich keine Zeit, weil ich in die Pilze muss.


    Dankeschön für's Lob, lass dann von Dir hören und übernimm Dich nicht mit Deinem Vorhaben


    LG,
    Uli