Die schwarzweiße Landschaft liegt müde unter einem gelblichgrauen Himmel und hält den Atem an. Am Ufer gegenüber in den Wiesen, hunderte Meter weit fort, gehen zwei Menschen, zwei kleine Gestalten. Zwischen ihnen läuft ein Hund.
Man erkennt nicht, zu wem der gehört. Er läuft über die weiße Fläche, holt auf, biegt ab, verharrt, läuft weiter. Die vordere Gestalt wird bald links in den Park eintauchen und verschwinden. Der Hund läuft zurück zur Zweiten, auch die stapft Richtung Park. Es ist still. Gleich wird es nur noch Landschaft geben ..
Erebus hat extra das Fahrrad mitgebracht. Eigentlich wollte er damit am Fluss entlang fahren, Auwälder durchstreifen, in den Obstgärten des Tales nach Porlingen suchen, die umliegende Wälder erkunden. Soweit das Programm das zulässt.
Es ist Wochenende und das Programm lässt zu.
Jedoch: Erebus verzagt angesichts der Landschaft und des schwefelfarbenen Himmels, der dunkel mit Schnee droht.
Immerhin hat er in den letzten beiden Tage die nähere Umgebung erkundet. Hat sein Vorhaben also umgesetzt, in kleinem Maßstab, sagen wir mal: ein zu zehn. Er ist mit dem Fahrrad ein wenig den Fluss entlang gefahren, in verschneiten Obstgärten herumgestapft, schwitzend den steilen Hang hinter dem Haus hinaufgekraxelt.
Er hat mit eiskalten Füßen im Schnee unter Apfelbäumen gestanden. Hat vierzigfach vergrößerte Apfelbaumrinde in Augenschein genommen und ist durch Becherflechtenwälder gewandert.
"Darf man neugierig sein?" ruft es vom Weg. Nun, da lässt man er sich nicht lumpen und erläutert und die Damen verschwinden flugs und wortlos im stillen Land. Von Schleimpilzen sprach der Mann.
Erebus steht unterm Apfelbaum und betrachtet Gelbflechte. Er erntet erfreut zwei Apfelmumien, auf denen sich vierzigfach vergrößerte Welten auftun. Pilze! Endlich!
Früher wären die in den Mülleimer gewandert. Mit spitzen Fingern. Früher.
Die Wege haben links wie rechts einen mehrere Meter breiten, versicherungstechnisch einwandfreien Streifen. Da stehen auf entstrüpptem Grund: Feldahorne hier, vorhin waren es Platanen, Eichen, Rotbuchen. Beim Anblick der Stämme verschlägt es ihm den Atem. Borkengesichter, Rindengrimassen, Fratzen, Flechtenbärte. Aber dafür ist jetzt keine Zeit, denn das erklärte Ziel sind Pilzfunde.
Stöckchen solle er sammeln, so riet man ihm, da würde er schon etwas finden.
Vom Weg aus ist da nichts zu machen. Zähne zusammenbeißen und in den tiefen Schnee. Der liegt jetzt zwanzig Zentimeter hoch, und das genügt, um die ersehnten Früchte seiner Bemühungen zu verbergen: Stöckchen!
Natürlich gibt es noch die Ästchen, die sich verfroren in die kalte Luft recken. Aber was gibt es da schon? Bucheneckenscheibchen, Zystidenrindenpilze –¦
In pilztechnischer Hinsicht ist das ein Debakel. Denn es ist und bleibt: keine Pilzsaison im Kurpark.
Und im Wald, der sich an den Park anschließt, geht das mit den kurverwalteten Schneisen weiter. Mit sinnspendenden und lebensbejahenden Zitaten auf Blechschildern. Von Herrschaften, die Erebus nicht kennt (Spinoza –“ war der nicht Großinquisitor?). Man ist also regelrecht dazu gezwungen, den Weg zu verlassen.
Und Erebus keucht quer zu Serpentinen den Hang hinauf, um ein wenig Unterholz in die klammen Finger zu bekommen. Bucheneckenscheibchen, Zystidenrindenpilze ... zur Kurzweil deklamiert er lateinische Pilznamen. Durch den keimfreien Streifen und quer den Hang hinauf. Ein Batzen Schnee verlässt seinen Ast, stürzt hinab, trudelt ein wenig und beendet den Fall in Erebus Nacken. Innerhalb des Kragens. Bucheneckenscheibchen, Zystidenrindenpilz, Piptoporus, Schizopora und Spinoza –¦
Die Ruhe bewahren, vielleicht findet sich ja doch noch etwas. Die Spaziergänger -die gibt es plötzlich reichlich (ist die Messe aus?)- schauen betreten fort. Wer schleicht da schwer bepackt auf Spuckweite vom Weg entfernt durch den wirren Busch und atmet schwer? Man liest ja so mancherlei.
Dass das der verzweifelte Erebus ist, auf der Suche nach Pilzen, dass weiß ja keiner.
Und dass der grade wieder einmal ein Ästchen ins tiefgekühlte Gesicht bekam, dass weiß auch keiner. Und auch nicht die Sache mit dem Schnee im Nacken, und von den eiskalten Füßen.
Erebus ist nach vier Monaten Pilze suchen süchtig bis ins Mark. Es ist beschämend, wie der zum Myko-Junkie mutierte. Auf Entzug. Na ja, fast.
Bucheneckenscheibchen, Zystidenrindenpilz. Was will man mehr?
Es ist Winter. Und in der verschluckten Landschaft fotografiert Erebus Flechten auf Apfelbaumästen. Und dämlich glotzende Astknollen.
[hr]
LG Uli,
zur Erläuterung: bin derzeit in einer Diabetesklinik und erfreue mich bester Werte ..