1 Fäustel, 2.5Kg
3 verhunzte Stecheisen, 2x40 und 1x20mm
1 Fuchsschwanz und/oder Gestellsäge
1 Teppichmesser
1 Tupperdose
Erebus überlegt verzweifelt, was er vergessen hat.
Brille.
Der Umfang der Ausstattung hat sich gewichtsmäßig zum Nachteil verändert. Vor allem der Hammer.
Und nachher das Moos nicht vergessen, auf dem Rückweg.
Er legt die Gegenstände in den Kofferraum, wo bereits Stativ, Klappstühlchen und Fotorucksack warten, blickt versonnen über die vielen, vielen Dinge und konzentriert sein Chi. Naja. Er steigt ein und fährt die acht, neun Kilometer, biegt in den Wald ab und hält 500 Meter weiter an dem matschigen Holzweg. Es ist ja nicht so weit. Drei, vierhundert Meter in den Wald hinein liegt der Stamm überm Weg, wippt und schwingt hin und her, wenn man dran kommt.
Gleich zu Anfang passiert er den bislang einzigen dokumentierten >Fensterpilz (Spuma fenestris)<, der hier der Vergänglichkeit trotzt. Der Zitterzahn hat sich verzogen, ein Grüppchen Ziegelrote Schwefelköpfe schaut bekümmert aus dem Moos.
So. Da wären wir.
Zunächst einmal müssen die Pilzchen gefunden werden. Dafür war die Brille gedacht, aber leider, leider, hat er die vergessen.
Suchend gleitet sein Blick an der glatten Flanke des Stammes entlang, während er mit der Rechten in der Jackentasche herumfingert, um die Lupe hervorzukramen. Und richtig: da ist sie. Darauf kann man auch stolz sein: das man sich noch erinnert, wo man was versteckt hat.
In der behandschuhten Hand hält er einen Wust Papiertaschentücher, mehrere von diesen nützlichen kleinen Plastiktütchen mit Aufdruck und dazwischen fühlt man die Klapplupe. Besser gesagt, den Lupenteil der Klapplupe. Als die Lupe noch komplett war, wurde sie mitgewaschen.
Weil Erebus sie in der Jacke vergessen hatte.
Sechzehnhundert Umdrehungen bedeuten für Klapplupen eine Ausnahmesituation. Seine hat nicht bestanden, ist aber noch verwendbar, also teilbestanden.
Worauf man nicht stolz sein sollte: Papiertaschentücher in alle Taschen zu stopfen. Das ist zudem aus logistischer Sicht ungünstig.
Ungeduldig puhlt Erebus die Lupe aus dem Tütentaschentuchnest und stopft den Rest wieder in die Jackentasche. Das ist das Gebot der Stunde. Die Zeit drängt. Es beginn zu schneien.
In vierzigfacher Vergrößerung gleitet der Stamm an ihm vorbei. Nichts. Vermodernde Lycogala-epidendrum-Fruchtkörper gleiten durch den Ausschnitt. Nichts. Weiter links suchen. Da! ein rötlicher Schimmer.
Kleiner als er sie in Erinnerung hatte. Er merkt sich die Ausdehnung des kleinen Pilzareals (Kreide! - beim nächsten Mal nicht vergessen) indem er versucht, die Lupe in Stellung zu halten. Ein Griff mit der Rechten in die linke Jackentasche befördert einen Wust Papiertaschentücher und mehrere von diesen nützlichen kleinen Plastiktütchen mit Aufdruck hervor. Dazwischen fühlt er den Kuli, mit dem er normalerweise auf der Einkaufsliste die gefundenen Artikel durchstreicht.
Bis er den Kuli herausklabustert hat ist die Lupe verrutscht.
Once again, Herr Erebus!
Es stellt sich heraus, dass es für Kugelschreiber die falsche Jahreszeit ist. Mittlerweile etwas erregt versucht Erebus den Stamm mit dem Kugelschreiber in der Faust einzukerben.
Und dann ist es so weit: Er rückt dem Stamm mit der Säge auf den Leib. Nach zwei, drei Hüben sitzt der Stamm richtig gut an der Säge an und wippt mit, auf und ab, auf und ab. Der hat seinen Spass.
Der Ast, mit dem er den Stamm festzuhalten versucht, bricht selbstverständlich sofort ab.
Nach angestrengten fünf Minuten, in denen Erebus vereinzelt Ausdrücke von sich gibt, hat er es geschafft: zwei parallele Sägeschnitte legen die Probegröße fest.
Erebus hat viel Zeit gespart, indem er seine Stecheisen in den letzten Jahrzehnten auch nicht ein einziges Mal geschärft hat.
Das rächt sich bitter.
Er nimmt Opa Willis 40er (Familienerbstück) in die Linke und holt mit der Rechten mächtig aus. Erebus denkt unwillkürlich an seine Jugend, als er mit einem Vorschlaghammer (6 Kg) das Wunschziel verfehlte und stattdessen den dicken Zeh traf.
Den Rechten, seinen eigenen, und zwar ziemlich genau von vorne. Danach hat er lange an eingeschlagenem Nagel laboriert, aber das interessierte natürlich niemanden. Das Projekt hieß: Schmiede eine Ritterrüstung aus einer Käfer-Kofferraumhaube! Es wurde nach dem Unglücksschlag verworfen.
Ein Impuls (Masse x Geschwindigkeit) aus zweieinhalb Kilogramm hochbeschleunigtem Werkzeugstahl trifft am hinteren Ende des Willi-Eisens auf und treib dessen Klinge richtig tief in den Griff.
Die besondere Bedeutung des Impulses liegt darin, dass er eine Erhaltungsgröße ist. Jeder bewegliche Körper kann seinen Impuls, etwa bei einem Stoßvorgang, ganz oder teilweise auf andere Körper übertragen oder von anderen Körpern übernehmen.[1]
Im vorliegenden Fall tritt Ersteres ein: die Hälften des nun zweiteiligen Griffes werden unbarmherzig auseinandergezwungen.
Erebus lässt umgehend den Hammer fallen, schlenkert mit der linken Hand herum - Luftkühlung - und führt eine anspruchsvolle Choreographie auf.
Er denkt an seine Jugend.
Als ihm ein Böller in der Hand explodierte. Ohne Frage war es damals schlimmer, aber das jetzt war auch nicht ohne. Er hätte den Griff auch lockerer umfassen können.
Die Klinge des Stecheisens kippt langsam um und rutscht an der Seite des Stammes herunter: "pling". Wenigstens sieht man einen Abdruck im Stamm.
Tja. Das passiert, wenn man aus Sparsamkeit das stumpfeste Stecheisen auswählt. Bestimmt hat der Willi das zu Lebzeiten nie geschärft, mutmaßt Erebus und greift zum nächsten 40er Eisen.
Die Alternative wäre eine Kettensäge aus dem Baumarkt (natürlich geliehen). Was dafür spricht: Kettensäge hätte ihren besonderen Reiz. Genau wie ein selbstfahrender Rasenmäher und/oder ein Minibagger. In dieser Hinsicht hat Erebus ausgesprochen männliche Phantasien.
ABER: Er sieht vor seinem Inneren Auge eine Gestalt, die eine übermäßige Baumscheibe durch den Wald wälzt. Sisyphos.
Lieber nicht. Kettensäge + Minibagger wäre die Optimallösung, die geht allerdings richtig ins Geld.
Er setzt das Stecheisen an (Fase nach außen, damit es nicht sofort wieder herausgedrückt wird), schließt die Augen -gelernt ist gelernt- und kloppt drauf. Hei, wie das flutscht. Das hat wohl doch noch Restschärfe. Er hebelt vorsichtig, und das Holz reisst viel zu weit oben aus, so wird das nichts. Tiefer soll das Eisen dringen!
Jetzt ist tief genug. Erebus hebelt und hebelt und nichts tut sich. Steckeisen.
Wir erinnern uns: es gibt noch ein 20er.
Das zieht er nun zur Befreiung heran und siehe da: es ist im Nu ebenfalls im Stamm versenkt.
Zwei Steckeisen. Schön.
Dem Willi seins, obwohl nur noch der blanke Stahl, richtet die Sache. Und es wird später, zur Belohnung (denn Erebus verzeiht schnell) wieder in Form geflext, vorausgesetzt, er finden einmal die Zeit.
Leider ist die Probe doch etwas zersplittert und trotz Lupe lässt sich auf den Einzelteilen nix Rötliches erkennen. War ja klar.
Once again Herr Erebus, das ganze von vorn. Suchen, markieren, dritter Sägeschnitt, 40erEisen, Fäustel...
Jetzt geht das alles schon viel besser, weil ja schon ein Anfang gemacht ist und Erebus seine Hausaufgaben gemacht hat.
Zu dumm, dass die Tupperdose nicht im Gepäck ist. Jedoch (und dazu später an anderer Stelle mehr) Erebus besitzt nützliche kleine Plastiktütchen mit Aufdruck. Bis zuhause wird das gut gehen. Und das tiefgekühlte Moos dazu!
Es ist Freitagabendm um fünf, als er zuhause ankommt. Um sechs schließt der Kiosk mit der Postannahme. Massig Zeit.
Ein passendes Kartönchen ist bald gefunden und die Orbilien sind liebevoll im gefrorenen Moose gebettet. Als Zugabe packt Erebus noch den >Möchtegernwurzelschwamm< dazu, den er auf dem Rückweg geerntet hat. Adress- und Absenderzettelchen chreiben, Tesa finden und ankleben. Kaum ist die Adresse oben und unten befestigt ist das Tesa alle. War ja klar.
Irgendwo im Haushalt soll sich noch ein Alternativprodukt befinden. Aus'm 1€ Laden.
5:34: Produkt gefunden, alles aufgeklebt, jetzt aber .. bereits auf dem Weg zum Kiosk fällt der Absender runter. Aufweichungsprozesse im Inneren der Kartonage? Das Moos war ja ziemlich feucht - oder die 1€-Billiglüge?
Die Schlange steht bis zur Tür. Seitlich steht eine Leiharbeitskraft in DHL-Kostümierung und schimpft, am Tresen steht die Bedienung und gegenüber ... jemand der Briefmarken kauft. Aber.
Nach zehn Minuten ist die Situation unverändert. Für den ist das eine richtige Investition, dass merkt man schon. Wie eine Immobilie.
Nachdem der endlich sein Abschreibungsobjekt erworben hat und die DHL Dame wutentbrannt mit einem kleinen Kästchen voll Sendungen den Laden verlassen hat, kommt Erebus an die Reihe.
"Tut mir leid, ist Beamter, schon oft hier", sagt die Angestellte. Erebus gibt die Ware auf. Die kommt frühestens am Montag an. Express ist nicht mehr möglich, in dem kleinen Kiosk wird nichts mehr abgeholt.
Die Briefmarke fällt runter (die ist aber nicht aus dem 1€-Laden. "Macht nichts, ist normal", sagt die Angestellte) und Erebus denkt darüber nach, was der Ingo wohl denkt, wenn er am Montag ein total aufgeweichtes Maxibriefchen bekommt.
[1]Wikipedia, Impuls als physikalische Größe