Lagotage, die zweite
Eifrig schlappen kurze Wellen an die Mole, Nebelhexen ziehen flüsternd über den See und erzählen sich Geschichten aus den alten Zeiten. Am Segeltuch, das die Sitzplätze vor der Bar Sport überspannt, zerrt ungeduldig der Wind. Wieder nur 4 °.
Aber drinnen ist es warm, die Tische sind gut besetzt, Wortfetzen, ein Kellner nimmt Bestellungen auf. Ein Gast steht an einem freien Tisch und macht sich bereit, Stellung zu beziehen. Mann ohne Hund.
–žPablo?–œ
–žUli?–œ
–žPablo.. –“ Isa!–œ
So fängt das also an. Unsere erste forumsgeborenen Pilzbekanntschaft. Jetzt kann es richtig los gehen mit dem Pilze finden; bei Kaffee und heißer Schokolade wird der Einsatz besprochen.
Die Senioren stellen besondere Ansprüche (Hüfte und Pumpe) und das erweist sich angesichts dicht beisammen liegender Höhenlinien als schwierige Aufgabe.
Schließlich beschließen wir, von Cannobio aus in Richtung Carmine Superiore zu marschieren, Das wir ja bereits im ersten Beitrag nicht besuchten. Und richtig sind am Startpunkt keine Parkplätze zu bekommen. Also etwas weiter hinein ins Tal, das hier noch breit ist und flach und liegt für ältere Herrschaften im Rahmen der Möglichkeiten.
Pablo lotst uns zu einer Quelle außerhalb des Ortes, zur Fonte Carlina, wo Anfang des vorigen Jahrhunderts ein Hotel und Abfüllanlagen am Hang entstanden waren, dann aufgegeben wurden.
Im Wald stehen die Gemäuerreste, Wasser gurgelt durch Rinnen, Eisentore versperren Felsenkeller. Unglaublich, wie schnell sich die Natur zurückholt, was ihr einst mit viel Schweiß und Eifer abgetrotzt wurde. Und so erzählt uns Pablo von den verlassenen Dörfern, weiter oben, auf die man allenthalben stösst, bei ausgedehnten Tageswanderungen durch die dichten Wälder.
Dieses Gebiet war schon in römischen Zeiten besiedelt, auch von jenen zeugen noch Gemäuer und Brücken im Gebirge. Hier muss man an Märchen und Sagen denken, an Räubergeschichten. Irgendetwas lockt Rinaldo Rinaldini in den Norden Italiens. Wir gehen gemächlich den breiten Wege hinauf, stoßen auf weitere Hinterlassenschaften der großen Anlage, deren Umfang man kaum abschätzen kann.
01
Der Weg hinauf wurde gänzlich neu angelegt. Gleich zu Beginn, nach der zweiten, dritten Serpentine haben freundliche Waldarbeiter schon einmal die Pilze der Saison für uns zusammengetragen. Unterhalb einer kleinen Böschung erweist sich ein Kompostplatz als Eldorado. Erebus, nicht mehr so geländegängig wie vordem, setzt sich erst mal auf den Hintern. Bautz. Nicht so schlimm, Erebus macht das ja ständig, so will er uns vermitteln. Dabei saß er schon seit Jahren nicht mehr so erdverbunden im Wald.
Und dann wird gesammelt und fotografiert, Fundstücke werden vorgewiesen und bestimmt und manches auch nicht. Mit welcher Begeisterung sich Erwachsene gegenseitig die schönsten Schmetterlingstrameten und Spaltporlinge zeigen können! Isa trägt Pilze herbei und die Herren suchen richtige Blickwinkel.
Da gibt es Exidia plana in den Varietäten exita und vivens, Judasohren, ganz von unten aus dem Reisighaufen geborgen, die Reihige Tramete, die den Anschnitt einer Kiefer orange überzieht.
Nein, nicht, dass wir da etwas –žrichtig–œ Besonderes gefunden hätten, aber es macht einen riesen Spaß, der gleichen Leidenschaft nachzugehen, zu plaudern, und zwar nicht nur über Pilze, sich zu beschäftigen und in angenehmer Gesellschaft zu befinden.
02 Trametes versicolor - Schmetterlingstramete
03 Trametes versicolor - Schmetterlingstramete
04 + 05
06 Auricularia auriculae-judae - Judasohr
07 Antrodia serialis - Reihige Tramete
08 Trametes versicolor - Schmetterlingstramete
09 Trametes versicolor - Schmetterlingstramete
Höher geht es den Berg hinauf, Tafeln verraten etwas über das Schicksal der Quelle, nebenher werden orangefarbene Flecken untersucht: Fu oder Nofu? Am Wegesrand blühen Märzenbecher.
So richtig weit sind wir nicht gekommen, der geländerbegrenzte Weg endet vor einer Barriere. Leider geht aus dem Schild, das den Zutritt verwehrt, nicht exakt hervor weshalb grade hier Ende Gelände ist .. tatsächlich führt der Weg genauso schön hergerichtet weiter in den Wald hinein. Wir sind also gezwungen, der Ursache auf den Grund zu gehen und wagen uns hinter die Sperrbalken. Pilze wachsen auch hier eher spärlich und weit verstreut, es geht noch ein wenig hinauf, dann wieder hinab, und unvermittelt streckt eine Brücke neuester Bauart drei Tragbalken wie Finger über eine kleine Klamm, allerdingst nur genau bis zur Hälfte. Aha! Weisse Bescheid.
Oben käme man mit etwas Kraxelei wohl über das Bächlein hinüber, aber die Senioren .. die müssen das nicht unbedingt haben. Nein, dann doch lieber den Weg unterhalb, irgendwie den Berg hinunter und dann rechts abbiegen? Aber, das sieht dann auch nicht vertrauenerweckend aus, ein halb eingestürzter Brückenbogen setzt dem unteren Weg ein Ende.
Und deshalb geht es stante pede wieder zurück, ganz hinunter, am Parkplatz vorbei (dem Auto zuwinken), dann über eine richtig fertige Brücke und schließlich, dem Fluss auf der anderen Seite folgend, waldpfadig talaufwärts.
Erebus traut sich endlich und fragt Pablo nach –žseinen–œ Kelchbecherlingen, also ob er schon einmal welche gefunden habe, und Pablo antwortet in stoischer Gelassenheit, dass ihm schon noch welche begegnen würden. Ort und Zeit dafür seien offen, er würde sie nicht gezielt suchen. Daraus kann Erebus nur lernen, denn es verbirgt sich hinter dieser Frage eine ganz eigene Geschichte, die er wohl ein andermal zum Besten geben wird.
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11 Primeln
12 unbekannter Porling auf Sambuca nigra
13 + 14 Stein und Holz
15 Trametes ct hirsutum - Striegelige Tramete
16 Schizophyllum comune - Gemeiner Spaltblättling
17 Exidia plana - Warziger Drüsling
18 unbekannter Porling auf Sambuca nigra
19 unbekannter Porling
20 Exidia plana - Warziger Drüsling
An der Kapelle Sant Anna endet unser Weg, wir spazieren zurück und essen in Cannobio noch schön Pizza. Ein gelungener Ausflug, auch wenn sich die Pilze rar gemacht haben. Danke schön, Pablo!
Lg Uli
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Und von Isa in aller Dichte:
Trarego im März
Überm Nebel nieselt Regen,
wattig ist der See bedeckt.
Eine Riesenzunge leckt
Eis von Serpentinenwegen.
Aufwärts geht es, himmelhoch,
dorthin, wo die Stare ziehen.
Tief sieht man Magnolien blühen,
Weiter droben mühn sich noch
erste Primeln aus der Erde.
Krustend krallt der Schnee am Pfad.
Die Forsythien knospen matt
und, wie zwergenhafte Pferde,
steht die kleine Eselherde,
grau und zottelig und nass,
traumverlorn im feuchten Grass,
wartet, dass es Pfingsten werde.
(c) 2013, Isaban
[hr]