Wenn man am Stativ die Mittelsäule von unten eingesteckt hat, soll man darauf achten, dass sie festgeklemmt ist. Vor allem, wenn eine Kamera daran befestigt ist.
Das ist der Kern der Lehre, die Erebus auf dem Waldfriedhof in Würzburg empfängt. Dort rutscht ihm die lockere Säule aus dem Stativ, die Kamera schlägt mit dem Objektiv auf dem Asphalt auf, die legendäre Ladenbandschiene mit Kugelkopf und Makroschlitten bricht mitsamt Stativschraube aus dem Kameragehäuse.
Der Schaden am Objektiv geht in Ordnung. Erebus liebt seine Ausrüstung vor allem, wenn sich an ihr Anekdoten und Geschichten aufzeigen lassen, die Zeugnis ablegen für das martialische Leben des Pilzfotografen.
Nicht hinzunehmen ist hingegen ein Kameragehäuse ohne Stativschraubengewinde.
So etwas läuft seinen Ambitionen zuwider. Zwar kann man noch fotografieren, aber die Zeiten der freien Wahl von Belichtungszeit und Blende sind vorüber. Unterm Blätterdach ist es oft genug um eine halbe, ja eine ganze Sekunde dunkel, und dass kann der tattrige Herr nicht mehr beherrschen. Stacking ist gegessen.
Erebus entsinnt sich seiner großen Beliebtheit im Familienkreis, die er aufgrund einer besonderen Fähigkeit genoss: er konnte –žpaparieren–œ.
Wenn er abends zermürbt und verdrossen von der Arbeit kam, wartete bereits die Familie auf seinen Einsatz: eine zerbrochene Salatschüssel hier, ein platter Fahrradreifen dort, eine Lampe, in der ein Glühbirnengewinde ohne Birne steckte, ein Esstischstuhl ohne Lehne. Ein Fernsteuerauto ohne Fernsteuerung, eine Puppe mit Augenausfall.
Der Abend war ausgefüllt und die glücklichen Gesichter von Frau und Kindern entlohnten die Unbill, keine Freizeit zu haben. Da war Niemand, der so gut paparierte wie Erebus.
Ein niederschmetterndes Wochenende ohne Extrempilzing zieht vorüber. Erebus sehnt den Montag herbei um sich Epoxidkleber zu besorgen. Die Kamera hat ein Magnesiumgehäuse und so etwas ist klebbar.
Endfest 300Kg –¦ der ist aber teuer! 300 Kg bezieht sich nämlich nicht auf den Tubeninhalt. Das ist nicht einzusehen. Im Internet gibt es einen Kg Epoxidkleber inklusive Härter zu 17€.
Erebus besitzt ein Faible für Großgebinde, keine Frage, der Klebstoff wird online geordert. Der Händler hat beste Kritiken, viele Sternchen, zuverlässig und schnell!
Bis Samstag ist immer noch nichts in der Post. Also doch die Ware des Nachtbeutegreifers besorgen, 24ml für 14€, sonst ist das zweite Wochenende auch für die Katz.
Samstagnachmittag: Paparatur. Man muss lediglich vier Schrauben und eine Abdeckung entfernen, den Klebstoff anmischen, auftragen, das Stativgewinde mit dem daran hängendem Gehäusesplitter in Position bringen und 24 Stunden warten. Tadellos! Abgesehen von dem Umstand, dass vor Sonntagnachmittag keine Einsatzbereitschaft zu erwarten ist. Dann eben erst am nächsten Wochenende.
Mitte der Woche wird aber schon einmal eine Testreihe gefahren, und siehe da: der Klebstoff hält nicht, was man sich von ihm versprach. Bereits beim ersten Einsatz erweist sich die Paparatur als wenig nachhaltig, die Kamera wackelt auf der Makroschiene, bald wird das Gewinde wieder herausbrechen.
Da entschließt sich Erebus, getreu der Devise –žnicht Kleckern, Klotzen–œ , zum massierten Klebstoffeinsatz. Mittlerweile ist ja auch das Kilo aus dem Internet eingetroffen.
(Damit könnte er aus seiner Kamera einen Briefbeschwerer im Stile der siebziger Jahre machen, eine Vergusssache. Allerdings gibt es keine Briefe mehr. Zumindest keine, die es zu beschweren lohnt. Heutzutage stellen Briefe eine Bedrohung dar, enthalten sie doch ausschließlich Hinweise auf Preiserhöhungen, Rechnungen, Mahnungen oder schlechte Nachricht vom Inkassounternehmer)
Das Stativgewinde mit Gehäusesplitter wird also wieder herausgeporkelt und gereinigt. Sodann werden kleine Fitzelchen Paketband in die Kamera eingebracht. Dergestalt, dass eine Höhlung gegen die Kamerainnereien entsteht. Diese wird Erebus mit einem Klebstoffgemisch auffüllen um dann das Stativgewinde mit Gehäusesplitter dort hineinzudrücken. Gesagt, getan.
Vierundzwanzig Stunden später. Von außen macht die Kamera einen wirklich properen Eindruck. Es ist Freitagmittag und die Pilze rufen! Auf zum Kalbberg. Nach wenigen Metern stößt man auf den ersten Pilz seit zwei Wochen, einen Grubigen Wurzelrübling, einen erebusischer Erstfund.
Aber Hallo! Den fotografieren wir natürlich! Alles aufbauen, die Kamera sitzt perfekt auf der Makroschiene –¦ und Klick!
Da fehlte aber noch ein Geräuschbestandteil?!
Auf dem Display grieselt es, rote Punkte durchziehen eine schwarze Nacht –¦ –žKamerafehler–œ leuchtet auf.
Hm. Vermutlich hat sich etwas vom Klebstoff ins Kamerainnere begeben, Erebus erinnert sich, dort Zahnrädchen gesehen zu haben, bevor er alles mit Paketband auskleidete. Dass kam ihm ja schon komisch vor –¦ eine spiegellose Digitalkamera mit Zahnrädchen –¦ grotesk! So etwas ignoriert man doch!
Jedenfalls, die Verklebung ist 1a geraten, soweit sie die Festigkeit des Schraubgewindes betrifft. Das muss man schon sagen.
Nun folgt die –žtour de force–œ vor der es Erebus von Anfang an graute. Er kennt Generationen von Spiegelreflexkameras, Exas, Exaktas, Praktikas und Canons, die den Weg des Sterblichen gingen, wobei er ihnen mit dem Uhrmacherschraubenzieher das letzte Geleit gab.
Nun gilt es, die Blockierung im Inneren der Kamera zu beseitigen, ohne die wunderbare Verklebung aus dem vorangegangenen Paparaturschritt aufzuheben. Also von hinten durch die Brust ins Auge, sozusagen.
Die letzte Kamera, die er geschlachtet hat, liegt bereits fünfundzwanzig Jahre zurück. Zwischenzeitlich haben die Kameraingenieure eine ganze Menge dazugelernt.
Nun muss Erebus dazulernen. Ministecker für Minileiterbahnen auf Miniplatinen zum Beispiel: die brechen gerne entzwei. Zudem wurde an Schrauben gespart, alles ist wie in einem genialen 3D-Puzzle ineinander verschachtelt, man muss nur die Reihenfolge herausfinden. Da wird geruckelt und gezupft, gebogen, gelupft, gerüttelt und geschüttelt. Verschiedene kleine Teile fallen aus dem Gehäuse, ohne ihren Ursprungsort bekannt zu geben.
Erebus weiß, die sind entbehrlich. Wer so viele Kameras papariert hat wie er, der weiß das. Es handelt sich um –žMacGuffins–œ die ausschließlich zu Abschreckungszwecken in die Kamera hineingelegt wurden. Blechstückchen, die Männer der Tat (wie ihn) von der Ausübung ihrer männlichen Pflicht abhalten sollen.
Gut, dass er die Demontagetätigkeit bereits Freitagabend aufgenommen hat. Eine Fernsehnacht geht unbeachtet dahin, nur ab und an gleitet der Blick über die Mattscheibe –¦ Stück um Stück wird die Kamera ausgeweidet. Nur an die letzte Schraube kommt man nicht heran, davor steckt der Epoxidharzbatzen, der tropfenförmig ins Kamerainnere hineingekrochen ist.
Diese Schraube hält den Kameraverschluss, das besagte Bauteil mit den Zahnrädchen. Okay, dann muss es eben so gehen. Mit Skalpell und Teppichmesser werden die Paketbandfitzelchen extrahiert, wird der Harzbatzen vorsichtig verkleinert, zwischen Harz und Verschluss alles freigelegt –¦ Und dann die Kamera wieder zusammengesetzt.
Denn ob die Bemühungen erfolgreich waren, das lässt sich ja erst untersuchen, wenn wieder Saft fließt. Beim ersten und zweiten Mal sind sie jedenfalls nicht erfolgreich.
Erebus geht ins Bett und träumt davon, dass er seine Kameraakkus mitwäscht. Er erwacht wie gerädert.
Den Samstag verbringt er mit Demontage und Zusammenbau und Demontage des Apparates, unterbrochen von leeren Blicken, voll Schmerz der gepeinigten Kreatur.
Fotoapparate sind keine Salatschüsseln, soviel ist mal klar. Die Zahl der McGuffins nimmt zu.
Um 14:53 bohrt er auf gut Glück ein 3mm Loch in die Kamera, um dieser verdeckten Drecksschraube den Garaus zu machen. Von außen. Dabei zerreißt er die Leiterbahn, die den Objektivadapter elektronisch unterhält.
Egal, egal, erinnert er sich. Erebus macht ja eh alles manuell. Was soll er im Blendensteuerung und Autofokus? Pah!
Überlegenswert wäre, ob er den etwas unordentlichen Riss der Leiterbahn mit der Schere nachschneidet. Der Ordnung halber.
Das Loch geht daneben. Immerhin -jetzt ist er ja bereits im Keller- hinter ihm steht der Stahlschraubstock gänzlich unbeschäftigt auf der Werkbank.
Eine Eingebung! Na, da soll ihn doch–¦ im Nu ist das Stativgewinde festgespannt. Und dann wird gehebelt und gebogen und: Knacks! Endlich. Gewinde wieder ab.
Hätte das Ganze nicht eine leicht deprimierende Komponente, dann könnte er sich nun auf die Schulter klopfen. Es war eine wirklich gute Verklebung.
Nun kommt er an die letzte Schraube heran, demontiert den Verschluss, dreht die Rädchen, kratzt ein wenig Kleber ab –¦ und siehe da: alles ist frei gängig!
Um 15:49 ist die Kamera wieder zusammengebaut. Das geht jetzt wie aus dem Eff-Eff. Bei diesem Zusammenbau bricht er noch das Steckerchen für den Displayanschluß durch - dafür wird er sich später etwas einfallen lassen.
Speicherkarte einstecken, Akku ankoppeln –¦ –žklack–œ. Na also! Der zweite Bestandteil des Auslösegeräusches lässt den Verschluss 52 Stunden verspätet wieder einrasten.
Das letzte Aufbäumen auf dem Sterbebett, ein letzter klarer Blick, ein Aushauchen, Verröcheln–¦
Die Kamera macht keinen Mucks mehr. Kaputtpapariert.
LG,
Uli
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