Der bemüht sich ja nicht mal!
Nix. Nada.
Ludwig macht –žSchönhund–œ. Ja, davon versteht er was: den Blick verträumt in die Ferne richten, das rechte Vorderpfötchen erheben, elegant nach vorne abgeknickt, zum Waldesrand!
Da werden alle Hundedamenherzen schwach! Und wie das Fell in der Abendsonne glänzt! Ein kleine Feuer aus Gold- und Braun- und Schwarztönen. Oh Ludwig! Du schöner Hund! Kannst Du auch denken?
Wo ist der Bolet? Nahhh? Woooh ist der Bolet?
Ludwig fühlt sich nicht angesprochen... LUDWIG! Wo ist der Bolet?
Wie schön wäre es, wenn Ludwig eine Begabung hätte! So wie Winnie, der Trüffelhund. Aber Ludwig ist ohne Begabung. Man muss ja nicht alles können. Und es macht ihm gar nichts aus, oh nein, auf Begabung hat er nie Wert gelegt; nur der Erebus, der fände es schön, wenn der Ludwig begabt wäre. Dann könnte er bei Ludwig Pilze à la carte ordern, und Ludwig würde frohgemut davonjagen, nach kurzer Zeit anschlagen und mit erhobenen Pfötchen den Fund bewachen! Wo ist der Edulis? Denkste.
Ludwig löst sich aus der Nachdenklicher-Schöner-Hund-Pose, hüppelt auf seinen drei guten Beinen hin und her und wartet darauf, von der Leine zu kommen, bewässert nebenher einen kleinen Stubben. Mit Routine. Knapp über ein Jahr alt, hat er seine Berufung gefunden. Nichts, was Erebus gerne sieht, aber wichtig und wesentlich für Ludwig. Er verbringt die Tage damit, Dinge in seinen Besitz zu bringen. Alles meins! Und dazu gehört mehr als Pinkeln. Man muss sich zum Beispiel das Markiergut sorgfältig einteilen, sparsam und nur tröpfchenweise verbrauchen. Alles meins!
Zudem muss das Ganze souverän aussehen, so wie ganz nebenbei. Wenn Adele ihn fragen würde, was er da macht, dann würde er sie mit seinen braunen Augen ansehen, –žWie? Was ich da mache? Ach so das –¦ es ist nur, ich nehme die Welt in Besitz..–œ Und er würde vieldeutig schweigen und gülden glänzen und romantisch zur Parkwiese blicken. Dorthin, wo jetzt das Entenpärchen geschäftig herumwatschelt –“ und Ludwig schaut schnell fort. Mit dem Erpel hat er sich angelegt, das ist ein unangenehmer Zeitgenosse, mit dem ist nicht gut Kirschen essen. Von Ludwigs geliebtem Zwackspiel hat der eine ganz eigene Meinung, mit der er auch nicht hinter dem Berg hält. Was hat der sich aufgeplustert! Da wurde dem Ludwig Angst und Bang. Den meiden wir lieber. Oder ganz einfach: ignorieren. Tauben sind besser.
Neben dem Betröpfeln der Dinge hat Ludwig weitere Leidenschaften. Eine heißt: Aufessen.
Beim Aufessen kennt er keine Grenzen. Na ja, es muss nicht grade Hundefutter sein. Aber Monozellen, Dönerbrotreste, Taschentücher, Taubenkot, all diese köstlichen Dinge, die man am Wegesrand findet. Die lässt er sich auch nicht wieder fortnehmen. Was stellen die sich so an? Schmeckt doch!
Im Wald rasiert er mit schräggelegtem Kopf und unter ekstatischem Einsatz der Backenzähne die Baumstubben, entfernt Fremdkörper wie Geweihförmige Holzkeulen und Weichporlinge. Vorzugsweise werden heimlich und hinterm Rücken der Truppe die Pilze gefressen, die Herrchen vorher fotografiert hat; was die Zweibeiner beachtet, aber nicht gefuttert haben, muss doch noch lange nicht schlecht sein, gelle? Warum regen sich Frauchen bloß schon wieder so auf? Seltener Bolet? Lecker!
Auch andere Dinge, die bunt sind, fördern seine Fressattacken. Wo im Garten einmal prachtvolle Stauden wuchsen, herrschen Versteppung und Giersch. Giersch frisst Ludwig nicht, den düngt er. Aus naheliegenden Gründen wurde die Beetpflege menschlicherseits eingestellt. Nachdem Ludwig auch innerhalb der Wohnung seine Besitzansprüche angemeldet hat und trotz nachdrücklicher Hinweise nicht von ihnen abrückte, bekam er eine eigene kleine Hütte hinten im Garten zugewiesen. Da atmete man freier.
Denn die dritte Leidenschaft Ludwigs gilt dem Körpergeruch. Er liebt seinen Duft!
Ludwig hat ein Handycap: das linke Hinterbeinchen ist verkürzt. Zunächst bereitete das große Schwierigkeiten bei der präzisen Inbesitznahme seiner Umwelt: Pinkeln geht nur nach links. Es konnte passieren, dass Ludwig vom Baum weg markierte. Bis er herausgefunden hatte, dass man die Unbill des Schicksals mit einem Wendemanöver austricksen kann! Links ist die Welt markierbar, und Ludwig lernt, dass man die Welt durch eine kleine Körperdrehung dazu bringen kann, links zu sein.
Links ist und bleibt aber immer, mag man sich drehen und wenden wie man will: das eigene linke Vorderbein. Neugierig geworden, was da so warm an ebenjenem herabrinnt, schaut er nach und markiert dabei sein Kinn. So soll es sein. Und weil der Hund geneigt ist, Nebensächliches zu vergessen, schaut er beim nächsten Mal erneut nach, was da so lauwarm kitzelt. Was soll denn dieses dumme Gejuchze? Sind die denn alle bekloppt?
In Wanne mit Seifenschaum geht überhaupt nicht. Da riecht man ja nach Mensch und nicht nach Ludwig. Wenn schon Wasser, dann eine ordentliche Schlammbrühe aus dem Gartentümpel. Zur Abrundung und der Bekämpfung frischen Atems setzt er konsequent auf Fremdkottherapie. Wildschwein hat sich sehr bewährt, aber auch die Konkurrenz aus dem Stadtpark erzeugt brauchbare Häppchen.
Immerhin gewöhnt sich Ludwig mit der Zeit an, Stuhl- und Gassigang zu verbinden, die nasenrümpfenden Putzaktionen seiner Zweibeiner werden seltene, und es scheint so, als entwickele sich der Schadhund zum Hund.
Lieb und verspielt ist er sowieso! Auf den Pilztouren, sobald er freigelassen ist, umkreist er Isa und Erebus in rasendem Tempo, knurrt voller Wonne, macht fröhlich die tollsten Dreibeinsprünge und wirft sich ins Gras, schiebt die Schnauze tief ins Gestrüpp und –¦ erstarrt. Weg isser. Kein Ludwig mehr da, alles ist ruhig, nur der Wind bewegt die Äste, die ein wenig knarzen, das Laub rauscht ganz sacht. Aber da! Da! Ganz plötzlich bricht der Ludwigaus aus dem Hinterhalt hervor, wirft achteinhalb Kilo materialisierten Verwesungsgeruch in die Luft und hat seinen Spaß!
Adele, die sich gern vornehm und distinguiert gibt, findet das ziemlich albern. Vor allem das Zwackspiel geht ihr auf den Senkel. Dessen Regeln besagen, dass der Ludwig irgendjemandem in einem überraschenden Moment (zum Beispiel dem Paketboten - der hat im Sommer auch verführerisch nackte Beine) von hinten in die Wade zwackt. Oder in den Bürzel. Oder in das Hängeohr. Damit sind auch schon die beiden wichtigsten Bestandteile genannt : –žvon hinten–œ und –žLudwig zwackt–œ. Jede Regeländerung wird empört quittiert und stellt den Genuss des Spieles in Frage.
Adele kämpft sich mürrisch gnurzend durchs Gras, von Ludwig umfegt und schinkenwärts benagt und nur manchmal, selten, macht sie noch mit. Dafür müssen das Gras und Gesträuch taufrei und trocken sein und die Außentemperatur sollte zwischen 20 und 24 Grad liegen. Dann gallopiert und tollt sie doch mal mit, zumindest bis sie komplett außer Atem ist oder Ludwig irgendwann zurückgezwackt hat, und der beleidigt tut. Doofer Ludwig. Aber einmal, nur einmal, da ist sie schwach geworden, und ist dem Ludwig verfallen. Der hat sie genommen, und wusste nicht wie ihm geschah. Anschließend hat er kurzzeitig versucht, den Kreis seiner Lieblingsbeschäftigungen zu erweitern, aber Adele zeigt sich unwillig, liegt im Körbchen und kotzt in den Flur. Da wird der Ludwig Vater.
Aber mehr auch nicht. Ein Zugewinn an Klugheit stellt sich nicht ein. Eine Begabung zeichnet sich nicht ab, nur die reine Lebensfreude und ein überwältigender Hunger.
Wo ist der Bolet? Hmmm? Wo isser?
Ludwig läuft drei Meter und nimmt tröpfelnd einen Bovisten in Besitz. Meiner!
Vielleicht liegt es daran, dass er kein Latein spricht? - Wo ist der Dickröhrlingsverwandte?
Nein, das geht nicht. Spanisch? Donde esta el Bolete? Ludwig zuckt nicht, schaut romantisch den Waldweg entlang, ist schön und golden im Abendsonnenlicht, und bleibt stur.
Französisch? U ä lö boleh? Oder die äußerste Steigerung: Uh ßong leh boletüss? Der blöde Hund. Der bemüht sich ja nicht mal! Dabei ist der Tisch reich gedeckt. Überall sprießen die Täublinge, die Milchlinge, Wulstlinge, Boleten, Tintenfischpilze, die Knollenblätterpilze explodieren geradezu! Gelbe, weiße und grüne.
Aber mit Ludwig ist und bleibt es aussichtslos. Leider. Erebus muss selbst finden. Und das macht er auch: einen wunderschönen Fichtensteinpilz, den ersten seit Wochen, daber wieso, zum Teufel, ist dieser Steinpilz dann an diesem trockenen Tag so nass? Da versteht der Erebus! Dieser verflixte kleine Hund. Den Pilz lässt er verschämt fallen, den kann er der Isa nicht bringen. Aber so dumm ist der Ludwig gar nicht. Nur eigensinnig. Typisch Terrier.
Und dann, am Sonntag, kippt der Ludwig plötzlich um. Einfach so, auf seinem Lieblingsplatz, seinem Thron auf den Treppenstufen im Garten. Vorher hat er noch seinen Napf leergefuttert und im Park herumgetollt, jetzt macht er keinen Mucks mehr, zwinkert ab und zu mit den buschigen Brauen und schaut müde und romantisch von seinem Lieblingsplatz auf das Beet, auf den Garten, auf die ganze Welt, auf alles, was ihm gehört, oder auch nicht und dann stirbt er, einfach so gegen acht.