M Teil 2
Worte, so schwarz wie die Neumondnacht im Moor.
Nicht jeder von uns kennt diese dunkle Seite der Worte, deshalb werde ich mich bemühen, für etwas Verständnis zu sorgen, Verständnis für das, was durch ein einziges Wort ausgelöst werden kann.
Manchmal sind Menschen frei von den düstren Worten, glücklich und unbeschwert, und ohne die geringste Ahnung, welche Zeitbombe ein anderer mit sich herumschleppt.
Auch Erebus gehörte bis zum Vorfrühling des Jahres 2013 zu diesen Glücklichen, und niemals hätte er geglaubt, dass ein einziges Wort sein Leben zerschmettern könnte. Im Nachhinein kann man ihm vorwerfen, dass er sich besser hätte informieren sollen. Aber im Nachhinein ist man immer klüger.
Erebus geht auch im Februar in den Wald und fotografiert Pilze. Er macht Stackingreihen, fünf bis zwanzig Bilder je Ansicht, baut zuhause zusammen, bestimmt seine Funde. Was man da so an Pilzen findet, lässt sich zum großen Teil ohne weiteres identifizieren. Zum Beispiel der Fleischfabene Gallertbecher, den hat er in seinen beiden Pilzbüchern, und deshalb hat der Pilz einen gesicherten Anspruch auf einen Namen. Oder der Goldgelbe Zitterling. Es gibt den Gallertfleischigen Fältling, den Orangeroten Kammpilz, den Eichenwirrling und die Schmetterlingstramete, alles problemfreie Pilze, Pilze mit Bestimmung.
Einens Tages wird im Forum der Fleischfabene Gallertbecher plötzlich als Großsporiger Gallertbecher bezeichnet. Ja. Und Erebus findet, dass dieser Großsporige Gallertbecher den Fleischfarbenen Gallertbechern noch ähnlicher sieht als der schlichte Fleischfarbene Gallertbecher. Da präzisiert Erebus seinen Fund.
–žHast du den auch mikroskopiert?–œ
Wie jetzt, mikroskopiert? Hä? Womit denn? Wozu?
–žHast du den mikroskopiert?–œ
Mikroskopiert?
Mit dem Mikroskop.
Ohgottohgott! Dieses Wort war bisher so harmlos, so nebensächlich, so abseits jeder vernünftigen Verwendung gewesen und jetzt das! Erebus besaß ja selber einmal eins, von Hans-Dietrich, dem Vetter, dessen Mutter alle halbe Jahr ausmistete, und da bekam Erebus das Mikroskop von Kosmos, mit zwanzig Fertigpräparaten, Drosophila und Wasserfloh, total langweilig, nicht so wie der Chemiebaukasten, ebenfalls von Kosmos, der ein halbes Jahr später den Weg in Erebus Kinderzimmer fand –¦ da konnte man prima stinkende Mixturen herstellen, allerdings nichts Explosives, insofern auch wieder langweilig.
Lenk nicht ab!
MIKROSKOP!
Ein Wort wie eine Waschbetonplatte.
Warum muss man, um ein Pseudonym zu wählen, ein Mikroskop benutzen? Braucht man eine Lizenz zum Epitheton?
Lenk nicht ab! Hast Du ein MIKROSKOP?
Das ist die Vertreibung aus dem Paradies–¦
Du hast gar kein MIKROSKOP?
PFONK!
Nee. Das muss jetzt nicht sein. Er wischt sich den eingebildeten Speichel von der Wange. Pfonk! Sprüht es ihm entgegen. Pilzfritze ohne nennenswerte Kenntnis, das hat noch niemand gewagt (aber geahnt hat es Erebus die ganze Zeit).
Da hat Erebus seine Unschuld verloren, wittert seither hinter jeder Bestimmung acht bis zwanzig weitere Möglichkeiten, beim Schildborstling auch mal 26 mitteleuropäische Arten und alle nur mit dem M. machbar.
Das M-Wort wird zur fixen Idee, er hätte auch gerne so eine Lizenz zum Pilzebestimmen, ein M., allein, es fehlen Zeit und Geld. Und dann diese Blasenbildchen, die sind ja noch schwerer zu deuten als komplette Pilze, das geht ja schon in Richtung psychodiagnostische Pilzbestimmung "Nun, Herr Melzer, nach welchem Pilz fühlt sich dieses Mikro an? Hmm?"- peinlich wie ein Rohrschachtest.
Erebus schläft seither unruhig. Er durchstreift im Traum lichtlose Schattenwälder, durchfeuchtete Senken, in denen die Stiefel schmatzend den Morast durchpflügen, und immer wieder gerät er auf diese Lichtung, in deren Mitte ein alter mondbeschienener Baumstubben steht.
Den meidet er wie die Pest, doch eines Nachts, da wagt er sich näher heran, und da wächst der Stubben, wird höher und breiter, wächst ins Unermessliche und öffnet zwischen den Wurzeln eine Höhlung, einen Gang, der hinab führt. Und Erebus tritt ein als zöge ihn eine andere Macht, er tritt ein und gerät in einen Stollen.
An den Lehmwänden ziehen sich armdicke, zuckende, blau-grün pulsierende Rhizomorphe entlang (oh ja, Erebus träumt schon fachsprachlich), Wasser tropft herab, sein Schritt verhallt in dem dunklen Mund, des Tunnels. Ratten weichen aufgescheucht in den Schatten.
Erebus trägt seine Kopflampe (Weihnachtsgeschenk von Isa) und setzt vorsichtig einen Fuß vor den anderen, der spärliche Lichtkegel wandert ihm zwei, drei Meter voraus, der Gang führt grade aus immer weiter abwärts. Da! Zwei Stufen führen hinauf und dahinter versperrt eine dunkelgraue rostnarbige Tür den Weg.
Und wie er noch unschlüssig dort steht dringt ein Zischeln an sein Ohr: –žschailoßüss-di-die –¦ schailo-ßüss-di-die –¦ krüßo-züss-di-dä –¦ krüßo-züss-di-dä –¦ fersuch .. sssmal mit Melzer –¦ fersuch sssmitt lu..hol –¦–œ
Unglaublich! Parsel? Wer zischelt da? Aufgeregt schaut er nach oben, ob sich dort etwa irgendwelche Röhren entlangziehen .. wer nennt da seinen Namen –“ das war doch sein Name? Was will man mit ihm anstellen, wofür soll er herhalten? Zitternd vor Furcht und doch -wie magnetisch angezogen - tritt zur Tür, das Gemurmel wird deutlicher, klarer, es klingt wie.. wie ein Zauberspruch, ja, genau:
Cheilozystide –¦ Cheilozystide –¦ Chrysozystide –¦ Chrysozystide - versuch–˜s doch mit Melzer, versuch–˜s mit Lugol –¦–œ
Und siehe da, die Tür schwingt auf, kaum dass er sie berührt, schwingt geräuschlos in einen schummrig beleuchteten Raum, in ein bruchsteingemauertes Gewölbe und gibt den Blick frei auf –¦
–¦auf eine fürchterliche Pröllbude –¦ auf ein Labor! Eindeutig ein Labor! Ein total vermülltes Labor. Von der Decke baumeln in regelmäßigem Abstand drei nackte Glühbirnen herab und verbreiten ein dünnes Licht. An den Wänden links und rechts ziehen sich Metalltische entlang, beladen mit Chemikalien, Reagenzien, Tinkturen, Laugen und Säuren, dazwischen Petrischalen, zerfledderte Handschriften, Skalpelle, Rasierklingen, Tütchen und Kartönchen –“ der Boden ist bedeckt mit zerknüllten Papieren, Servietten, Chips-Tüten, Getränkedosen –¦ rechts pröppelt eine versiffte Kaffeemaschine vor sich hin und verbreitet den Geruch von heißem Reifenabrieb.
Weiter vorne brummt ein Rechner, auf einem Laptop kreist ein Bildschirmschoner vor sich hin - doch links , hinten links .. da, da hockt ER!
Da sitzt der Artenspalter, der Weltbildzertrümmerer, der Erfüllungsgehilfe der Entropie, gehüllt in einen schmuddeligen Laborantenkittel, hockt er hinter einem riesigen Mikroskop und brabbelt vor sich hin–¦ erstarrt, japst, und seufzt: –žPleurozystiden! - Ich wusste es!–œ –“ dann wendet sich um und sein irrer Blick heftet sich auf Erebus: –žDu!–œ
Und im selben Moment weiß Erebus: Das ist er! Das ist er: der Vernichter deiner Unschuld, der Dementor, das ist der MYKOLOGE!
Und der Mykologe hat ihn gesehen, hat ihn erkannt , erhebt sich, macht Anstalten auf ihn zuzukommen, da wendet sich Erebus um und läuft, stolpert die Stufen hinab, strauchelt, fällt, dotzt mit der Stirnlampe vor die Mauer, das Licht geht aus.
Mit letzter Kraft richtet er sich auf–¦ da scheint der Mond durch das Fenster, malt vier Rechtecke auf den Teppich, die langsam zum Bett kriechen und neben ihm schlummert Isa, die weiß nichts von dem, dem er begegnete, nichts vom Mykologen. Da legt er sich wieder hin, schläft ein und träumt von einer Lichtung im Wald, mitten darauf steht ein alter Stubben, es ist Tag und Isa ist bei ihm, das Moos breitet sich bis an den Waldrand und alles wird gut.
Das M-Wort kommt auf den persönlichen Index. Zu Syphonsäubern, Tante Gerda und GEZ.
Und Erebus bestimmt eine Zeit lang nur noch Tintenfischpilze und Krause Glucken, stets darauf gefasst, dass ihm eine Waschbetonplatte auf den Schädel knallt.
Denn die Artenspalter sind am Werk. Er hört schon, wie es heißt: –žJa, das könnte Clathrus archeri sein, allerdings gibt es da jetzt noch drei ähnliche Arten, zur Absicherung brauchst du wohl ein M.–œ
So etwas vergisst man nicht mehr, nicht, wenn einem der Mykologe erschienen ist.
Aber Erebus kann weiterleben. Niemand weiß, woher er die Kraft nimmt, aber als er eines Tages lernt, das deterministische Pentagramm um Pilze zu zeichnen, auch um solche aus grauenhaften Gattungen wie Cortinarius, Russula und Tricholoma, da wird die Welt wieder heile. Seither benutzt er Worte wie –žUmfeld–œ, –žSektion–œ, –žKomplex–œ, und –žVerwandtschaft–œ oder das kleine hübsche –žspec.–œ, die haben den Gegenzauber und halten das M in Schach.