Am Montag, dem 12.02.2018, erhält Kevin Meier, 21 Jahre alt, ein e-secure des Anwohnermeldeamtes seiner Heimatgemeinde Kleinmacho.
Er quittiert mit Daumenabdruck, verabschiedet den Kurier und zockelt gemächlich an den Bügelplatz, wo der PC seiner Mutter steht.
Er steckt das Kärtchen in den e-reader und summt vor sich hin. Eigentlich kennt er den Inhalt bereits: in einem Anflug von Größenwahn hat er sich Ende November letzten Jahres zum IMC 18 (international MOBA-Contest) im August in Wladiwostock angemeldet.
Eine Woche vor Weihnachten fällt ihm ein, dass er außer einem Seepferdchen (2007) und einem abgelaufenen Schülerausweis (2013) keine Papiere besitzt. Kurzerhand beantragt er beim Einwohnermeldeamt Reisepass und Personalausweis. Motto: tutto completto.
Und genau wie erwartet: die Papiere liegen zur Abholung bereit. Die Mitteilung enthält die Aufforderung, Pass und Personalausweis innerhalb 15 Werktagen abzuholen, anderenfalls droht ein Zwangsgeld nach dem städtischen Bußgeldkatalog (in Großmacho über'n Daumen ca. 20% der Streitsache). Die Bezahlung in Höhe von 2x 2585,-€ habe online per dxpc (direct exchange payment counter) zu erfolgen. Paybacks werden nicht gewährt.
Kevin wohnt bei seiner Mutter in der Friedhofsstraße 35, ist ohne Ausbildung, arbeitslos, und träumt von einer Karriere als Gamedesigner. Der beigelegten Broschüre entnimmt er, dass auf Wunsch (gegen eine Gebühr von 195,-€) die zweistündige Nutzung des Trauungssaales (Raum 205) möglich ist, um in festlichem Ambiente mit bis zu 55 Personen die Namensgewährung zu feiern. Die Benutzung von Gläsern ist im Preis inbegriffen.
Eine weiter Broschüre informiert ihn, dass Pimpernell, ein kleines aber feines Unternehmen betrieben von Bella Bausewein, einen ganz ausgezeichneten Catering-Service anbietet: Pimpernell - frisch und schnell.
Man muss wissen: Bella Bausewein, geborene Morgenstuhl, ist Gattin des Oskar Bausewein. Und der ist bereits seit drei Legislaturperioden der OB von Markt Großmacho, der Kreisstadt. Mit seinem Wahlspruch: Dein OB hat die Idee! treibt er der örtlichen Hautevolee die Freudentränen in die Augen und den dritten Stand in den Ruin.
Pimpernell - frisch und schnell summt Kevin, und: "Mist-kaka, Mist-Kaka, Mist-Kaka ... Mist".
Denn Kevin hat das Problem KK: keine Knete. Bei Mutti ist nichts zu holen und der Alte hat mit Kevins Volljährigkeit jegliche Förderung eingestellt (O-Ton: "rausgeschmissen Geld").
Außerdem!
Außerdem gefällt ihm der Name überhaupt nicht. Denn die Papiere werden, wie ihm schon vorab verraten wird, auf den Namen Schulze lauten. Weg mit Meier, her mit Schulze!
Ausgerechnet Schulze! Schulze, Timo, Timo Schulze, hieß das Arschloch aus der 7c, "Platzbutterschulze". Der hatte ihn seinerzeit im Ratteneck des Pausenhofes verprügelte. Mehrfach. Kevin war damals -nicht nur in den Pausen- zusammen mit den anderen Outlaws häufig zwischen den Mülltonnen hinter dem Hausmeisterbüdchen verschwunden. Zum Rauchen. Zum Beispiel. Es war das stillschweigend geduldete Eckchen für das Filtrat der Kleinstadt, das sonst überhaupt nicht in der Schule erschienen wäre.
Dass es in seinem Fall irgendwann zur Namensgewährung kommen würde, war so klar gewesen wie sonstwas ... bei den Vorfahren! Aber ausgerechnet Schulze - shit, shit, shit.
Als es Sylvia erwischt hatte, erschien ihm das saukomisch: Köttelbeck statt von Domin. Das war vor zwei Jahren, alle Welt hatte gespottet und Sylvia versuchte, sich in ein besseres Danach zu befördern. Nachteilig - zumindest wenig förderlich - war der Umstand, dass Mama und Papa von Domin der Bachblütentherapie anhingen.
Der Inhalt des Arzneischränkchens erwies sich für eine finale Unternehmung als ungeeignet und Sylvia laborierte mehrere Tage an einer Darmverstimmung, nachdem sie homöopatische Wirkstoffe in keineswegs homöopathischen Mengen zu sich genommen hatte.
Mama von Domin geriet in disharmonische Seelenzustände, als ihr der Verlust von Herbstenzian- und Bleiwurzessenz für mehrere Jahrzente bewusst wurde.
Das wahre Danach Sylvias bestand aus einem zehnmonatigen Aufenthalt in der Jugendpsychiatrie und einem anhaltend gestörten Verhältnis zu den Eltern. Was nicht neu war. Neu war den Eltern, das die Kleine jetzt Köttelbeck hieß. Nicht soo toll, wenn man zuvor (beinahe) adlig und "entre nous" war. Jetzt dräute die Brut im Hause von Domin wie eine unerträglich schlappe, proletenhafte Note, verweigerte Nahrungsaufnahme und Kommunikation und versaute die Stimmung.
Zudem wurden die Spötter aufgrund des wenig sachkundigen Suizidversuches nicht weniger.
Mama hatte sich durch Heirat retten können, Sylvia Köttelbeck wurde vernichtet. Sie kam noch zwei, dreimal in die 'Klapse' und schließlich verlor Kevin sie aus den Augen.
Ausgerechnet Schulze! Irgendwie kann Kevin Sylvia verstehen. Und die ganze Knete!
Warum ihm ein neuer Name gewährt wird, das interessiert ihn indes wenig. Wenn die das sagen ...
Fällt außerdem nicht in sein Themengebiet - seit 2009 spielt er dota. Dazu weiß er alles, naja, fast alles, 'ne Menge halt. Daneben ist kein Platz mehr für was anderes. Bisschen Fußball und Mucke vielleicht.
Kevin ist, abgesehen von einem ausgeprägten Hang zum Schmarotzertum, ein leicht verwaltbarer Typ. Bei Einführung der Genealogischen Verifizierung hatte er nur mit der Schulter gezuckt, wenn überhaupt. Geglaubt hatte er denen nicht, nee, aber wenn alle mitmachen ... irgendwas war schon dran. Zum Beispiel, dass die Papiere absolut fälschungs- und übertragungssicher sind, das erschien ihm imponierend, und dass man in Zukunft mit Spucke bezahlen kann –¦ war doch was!
Im Jahr 2014 war auf Anraten und Vermittlung des OneMan-Beraterteams der O.Bausewein Experiences GmbH & Co KG durch das Einwohnermeldeamt ein DNA-Sequencer geleast worden. Der hatte sich jetzt, 2018, im fünften Jahr seiner Nutzung, bereits mehrfach amortisiert. Und zwar sowohl für das Leasing-Unternehmen PriMed Ltd. (Isle of Man, einziger Gesellschafter Bernd Morgenstuhl, Schwager des Oskar Bausewein), als auch für die O. Bausewein Experiences GmbH & Co KG.
Dem Stadtsäckel wurde ebenfalls etwas zugespült, nachdem die Gemeindeverwaltung bei den Bürgern die Abgabe eines Speicheltestes verpflichtend unter Androhung von Zwangsgeldern durchgesetzt hatte. Das zugehörige Equipment (Glasröhrchen, Stopfen, Aufkleber und Wattestäbchen -alles steril) konnte entweder direkt bei PriMed Ltd. geordert werden oder mit einem geringfügigen Aufschlag in Höhe von 25€ (Bearbeitungsgebühr) je Set beim Einwohnermeldeamt.
Da sich die meisten der 17.978 Bürger der Kreisstadt Geschäfte mit dem Ausland nicht zutrauten, kam für die Stadt allerhand zusammen.
Die datentechnische Verwertung des Rohmaterials fällt allerdings erst bei Namensgewährung ins Gewicht. Allerdings werden die Papiere dann auch ein wenig teuerer als vor der Genealogischen Verifizierung. Eine Namensgewährung tritt ein, wenn sich Unstimmigkeiten zwischen dem "Vorläufigen Traditionsnamen" und dem "genealogisch verifizierten Abstammungsnamen" ergeben. Eine Überprüfung wird automatisch bei jeder Beantragung/Verlängerung der Identifikationsunterlagen durchgeführt, die unter städtischem Einfluss liegen.
Ein interessanter Nebeneffekt der Namensgewährung tritt durch Fehler bei der Aktenablage ein: die städtische Bevölkerung vermehrte sich unaufhaltsam. Das Durchbrechen der Achtzehntausender-Grenze ist bereits absehbar und genauso absehbar ist, dass der OB den damit einhergehenden Anspruch auf einen dickeren Dienstwagen umgehend wahrnehmen wird.
Die Analyse der Speichelproben besorgt die GenCon AG, ein auf genealogische Verifizierungen spezialisiertes Unternehmen, in enger Zusammenarbeit mit der Kirche Jesu Christi der Heiligen der Letzten Tage.
Wir sehen, das ist alles koscher und korrekt und Global Players stehen als Garant für ein gutes Gelingen. Es erübrigt sich darauf hinzuweisen, dass sowohl Oskar Bausewein als auch Bernd Morgenstuhl ansehnliche Aktienpakete der GenCon in ihren Portefeuilles halten.
Im Falle Kevins hatte sich herausgestellt, dass sein Urgroßvater Egon als Urgroßvater nicht in Frage kommt. Der steckte nämlich Anfang Juni 1940 in der Weserübung fest, genaugenommen in Bergen, und versäumte so die Zeugung und anschließend, den Zeugungstermin des kleinen Adolf exakt nachzurechnen.
Adolf erblickt am 4. März 1941 das Licht der Welt und bekam Egons schönen Familiennamen, allerdings keine persönlichen Erinnerungen an den Vater. Denn der steckte ab Ende Juni 1941 im Unternehmen Barbarossa fest und wurde daraus auch nicht wieder entlassen.
Es hatte aber seine Frau, die Elvira Meier, geborene Schulze, Anfang '40 ein Techtelmechtel mit dem Theodor. Der achtunddreißigjährige Theodor Mömpel galt trotz steifem linken Arm (Argonnerwald, November '18) als brauchbare Partie und probierte sich Anfang 1940 durch's ehemalige Seifensiederviertel von Großmacho. Dort besorgte er seinen gutgehenden Kramladen und fühlte sich wie ein Großwildjäger in der Wilhelma.
Ziel seiner Unternehmungen war die Zeugung von Soldaten und Erben nach gutem deutschen Brauch, und das gelang ihm sowohl bei Elvira als auch bei der ledigen Margarete Barthel, einer Bediensteten in der Fabrikantenvilla von Domin. Margarete ließ sich mit weniger Umstand zu seinem Weib machen als Elvira.
Auch Margarete gebar ihm ein Kind, und das bekam zur Taufe in St. Johannes am 27. Februar 1940 den Namen Adolf.
So wuchsen dem Theodor zwei Adolfse auf, einer namens Meier, einer namens Mömpel, und die ganze Geschichte wäre nie aufgeflogen, wäre Oskar Bausewein nicht so ein geldgeiles Schwein.
Mit Hilfe des Restriktionsfragmentlängenpolymorphismus und der passenden stochastischen Methoden ermittelte GenCon die direkte Abkommenschaft Adolf Meiers (Kevins Urgroßvaters) von Theodor Mömpel. Nach dem Ersten Binomialsatz der Genealogischen Verifizierung muss Meier nun zwingend gegen Mömpel ausgetauscht werden.
Merke: zur Namensgewährung muss das eigentliche Überschneidungsereignis betrachtet und daraus der gültige Name (nomen ratus) abgeleitet werden (s.g.p.g. sui generis proximo generatio = Erster Binomialsatz der Genealogischen Verifizierung ). Spätere Namensänderungen erhalten den Status s.g. (sine gravitas) und bleiben unberücksichtigt.
Aber Achtung: Im vorliegenden Falle ist der Name Adolf Mömpel bei gleicher väterlicher Abkommenschaft bereits belegt. Für diesen Fall sieht der Dritte Binomialsatz der Genealogischen Verifizierung die Matriarchalsubstitution vor. Anstelle des Vaternamens muss der Muttername verwendet werden, wenn
a) die genetische Abkunft hinsichtlich der Mutterschaft gesichert ist
b) der primär zu verwendende Vatername bereits anderweitig genutzt wird
c) es sei denn, der derzeitige Namensinhaber hat seinen Namen zu einem späteren Zeitpunkt als dem Geburtsdatum des Antragstellers erworben. In einem solchen Fall muss der derzeitige Namensinhaber seinen Namen aufgeben, darf ihn jedoch synonymisiert, d.h. in Klammern mit dem Kürzel "syn." versehen, dem neuen Namen nachstellen.
Mit anderen Worten: wäre Adolf Mömpel am 5.März 1941 geboren worden so hieße er nun: Adolf Bittermann (syn. Mömpel, m.subst. Barthel). Der Nachname Bittermann wird aufgrund der Regel 18.b der Genealogische Verifizierung vergeben, die besagt:
Ist die Ordentlichen Namensgewährung in unmittelbarer Überschneidungsereignisfolge nicht möglich, so soll der Muttername verwendet werden, wenn die nachgewiesene Genleistung mehr als 35% der genetischen Gesamtleistung ausmacht UND der zur Verwendung anstehenden Name in eingenerativem Abstand zum eigentliche Überschneidungsereignis nach den Regeln der Genealogische Verifizierung bereits in männlicher Linie gewährt wurde.
Was der Fall ist: den Erben des Barthel Franz, Margarete Barthels Bruder, wurde bereits 2016 der Name Bittermann gewährt und verkauft, weil der Name Barthel für den Urgroßvater im Zusammenhang mit verschiedenen Unklarheiten in den 1890er Jahren als inlicitus (nicht zulässig ) gekennzeichnet wurde.*)
So. Und deshalb wird aus Meier Schulze, nicht Mömpel.
Wo kämen wir sonst auch noch hin.
*) Das Gesamte Regelwerk kann man unter dem Titel "Genealogische Verifizierung - Der Name als Merkmalsträger der Abstammung, Dr. h.c. Bernd Morgenstuhl, Großmacho 2009 " bei der Gemeindeverwaltung der Großen Kreisstadt Markt Großmacho gegen eine Schutzgebühr von 498,-€ beziehen.
Interessant in diesem Zusammenhang: "Die Kommune als Unterstützer der Wirtschaft - Möglichkeiten und Visionen - eine Zeitbetrachtung. Bella und Oskar Bausewein, 2002." Beziehbar bei der Gemeindeverwaltung der Großen Kreisstadt Markt Großmacho, broschiert, 6 Seiten 28,95€
LG, Uli
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