Es ist schon eine Krux mit den Knochen. Je älter man wird, um so deutlicher spürt man deren Vorhandensein. Das gilt auch und insbesondere für einen Hobbymykologen, und dreimal wenn dieser sich in den Kopf gesetzt hat, grade die Winzlinge im Reich der Pilze zu erkunden. Das bedeutet, von Augenhöhe runter auf 2-3 mm über dem Erdboden. Die Körperhaltung ist selbsterklärend, die Knieschmerzen für junge Menschen zu vernachlässigen, für ältere stellen sie schlicht die zeitliche Begrenzung der Mutterbodenspioniererei dar.
Denn so entspannt lassen sich nur Stellen mit hoher Funddichte auf engstem Raum in Ameisenfreien Gebieten und bei Trockenheit erkunden. Sprich: Brandstellen.
Knieschoner scheinen da der Schlüssel zu ausdauernden Kriechbewegungen zu sein. Jedoch nur, wenn diese Dinger nicht mit Gummizügen um die Schenkel befestigt werden, die nach kurzer Zeit die Blutzufuhr drosseln und ganz eigene Beschwerden auslösen. Zudem sind die Dinger recht klobig, verrutschen trotzdem, wenn man in niedrigster Gangart über den Boden robbt und hindern auch noch beim laufen. Blöderweise haben die Knieschonerhersteller das große Geschäft mit den Mykologen völlig vernachlässigt und konzentrieren sich auf ein Angebot für Fliesenleger, Pflasterer oder andere Minderheiten. So waren alle Knieschoner, die ich bisher in einschlägigen Läden gefunden habe, klobig und mit eben diesen ekelhaften Gummizügen ausgestattet.
Bis letzte Woche zumindest.
Da fand ich in einem Regal tatsächlich Knieschoner, die nicht nur recht flach und groß, sondern zudem auch noch mit breiten Bändern mit Klettverschluss ausgestattet waren. Ein Quantensprung der Knieschonerindustrie. Die Anprobe verhieß stundenlanges Knierutschen ohne Schmerzen und verrutschen tun sie auch nicht. OK, die Leute in dem Laden haben schon ein wenig argwöhnisch geschaut, als da ein Mann auf Knien zwischen den Regalen her kroch und dabei zufriedene und wohlwollende Laute ausstieß. Was soll ´s, mich kennt hier eh keiner.
"Hallo Ralf".
Huch !
In Dackelposition nach oben blickend sehe ich in das Antlitz einer Arbeitskollegin. Sie schaut schon etwas befremdlich. Erklärungsversuche meinerseits enden in einem desaströsen Gestammel über Pilze und kleinste Pilze, Knieschmerzen und dem Alter. Ich bemerke die Unmöglichkeit einer schnellen Erklärung, die das mykologisch vollkommen unbedarfte Gegenüber grundlegend davon überzeugt, dass man keinen Sprung in der Schüssel hat, wie die Tatsache, dass man mit jedem weiteren Wort das genaue Gegenteil erreicht. Am nächsten Tag wird es die ganze Firma wissen. Nicht, dass ich Hobbymykologe bin, der einem berechtigten Anliegen nachgeht, sondern dass ich wie ein Bekloppter im Handwerkermarkt über den Boden rutsche.
"Ja, der Typ war mir schon immer suspekt".
Alsdann, die Dinger wurden gekauft und am nächsten freien Tag natürlich ausprobiert. Das Ergebnis war......sagen wir zweischneidig.
Die Knieschoner sind nur knapp zwei Zentimeter dick, bleiben auch beim laufen an Ort und Stelle und sind - wichtig - Wasserdicht. Dieser Vorteil zieht jedoch nur dann, wenn der fast flüssige Schlamm in dem man kniet, nicht tiefer als eben jene zwei Zentimeter ist. Und das ist nach Regenfällen halt eher selten der Fall. Aber nass ist besser als Schmerz, und den vermeiden die Dinger ausgezeichnet. Knie gut, alles gut. Sollte man denken.
Mit schmerzlosen Knien kann man hunderte Meter an der Treckerspur entlang kriechen, überhaupt kein Problem.
Kein Problem jedenfalls, solange man in der gebückten Haltung bleibt oder sich immer wieder mal aufrichtet.
Leider begab es sich, dass an einer Stelle kleinste Moosbecherchen wuchsen. Sie wuchsen allerdings so blöd, dass man sich erstens völlig verdrehen muss, um ein vernünftiges Foto zu bekommen, und zweitens in dieser Position auch noch ausgesprochen lange verharren muss, bis ein solches in ansprechender Qualität gelungen ist.
Man hockt also auf den Knien, die Stiefelabsätze beschmieren den Hosenboden mit Schlamm. Um die Kamera ruhig halten zu können, wird der linke Ellenbogen auf die Erde, Pardon, in den Schlamm, gestützt. Nun dreht man den Oberkörper um 45 ° nach rechts und senkt das Haupt bis das linke Ohr einen knappen Zentimeter über dem Matsch schwebt.
So bilden Pilz, Kamera und Auge eine Linie.
Knips.
Mist, zu dunkel.
Knips.
Mist, zu hell.
Knips
Mist, unscharf
und so weiter...
Die Linie Pilz-Kamera-Auge stimmt noch nicht. Da der Pilz statisch ist, muss mit Kopf und Kamera justiert werden. Man muss mit dem Kopf noch 1,5 cm tiefer. Ab 1,01 cm wird das Ohr kühl, nass und dreckig. Egal, so höre ich wenigstens, wenn ein Zug kommt.
Endlich, es ist vollbracht. Das Foto ist im Kasten, und noch ein Dutzend zur Sicherheit dazu. Die Knie sind immer noch schmerzfrei, Prima. Also aufrichten.
Dieses aufrichten sollte eine flüssige Bewegung sein, die den Oberkörper in eine aufrechte Position bringt. Theoretisch sieht das so aus. Man will man den Oberkörper mit Schwung aufrichten, dabei den Ellenbogen aus dem Dreck ziehen und den Kopf grade drehen.
Praktisch bricht der Schwung auf halber Höhe ab, weil im Rücken irgendwas klemmt. In Millisekunden geschieht nun folgendes. Der Oberkörper gehorcht der Schwerkraft und rast nach unten. Instinktiv will man sich nicht mit dem linken Ellenbogen abfangen, weil das weh tun könnte. Ebenso instinktiv entscheidet man sich dafür, die rechte Hand zum abfangen zu nehmen, schnallt aber sofort, dass diese die Kamera hält. Die will man natürlich nicht in den Matsch hauen und entscheidet sich trotzdem für den linken Ellenbogen, der daraufhin zielsicher den einzigen spitzen Stein im näheren Umkreis als Landeplatz findet. Der Schmerz lässt den Arm einknicken und als letzte Haltemöglichkeit dient nun der Kopf. Bereits stark gebremst tut das zwar nicht weh, aber 2 Zentimeter Matsch.
Fassen wir zusammen:
Leichter Hexenschuss, Dreck im Ohr und in den Haaren, ramponierter Ellenbogen, vollkommen eingesaute Klamotten, nasse Knie und im Genick ist auch irgendwas passiert.
Aber den Knien gehts prima.
Obendrauf kommen des nächtens noch heftigste Krämpfe in den Oberschenkeln, weil die Muskulatur solche langen Kniespaziergänge nicht mehr kennt. Morgen geh ich in den Heimwerkermarkt und kauf mir Ellenbogenschützer und einen Helm. Und in der Apotheke eine Familienpackung Magnesiumtabletten.
Ach so, die Pilze. Klar, die zeige ich Euch zur Belohnung für die Geduld des langen lesens auch.
Nicht Becherlinge, sondern Gebrecherlinge sind es.
Zunächst die im Brandstellenthread versprochenen, besseren Makros von Plicaria carbonaria. Verdammt gut getarnt die Biester.
Dann nochmal Anthracobia maurilabra in hübsch.
Neu für mich ist Anthracobia macrocystis.
Dieser, leider stark veralgte Brandstellenbewohner hat noch keinen Namen. Da bin ich froh über Hinweise und Ideen.
Weg von der Brandstelle, hin zur Treckerspur.
So sehen ebenso erfolgversprechende wie gesundheitsgefährdende Stellen aus.
[hr]
Da findet sich dann z.B. Lamprospora dicranellae, deren an sich sehr hübsche Sporen sich standhaft einer vernünftigen Anfärbung und somit guten Fotos wiedersetzen. Dafür sind die Moosfotos ganz ok. Mit der Bestimmung der Moose halte ich mich zurück, denn das ist mindestens so kompliziert, wie die Bestimmung der Pilze.
Ebenfalls neu ist Octospora bryi-argentei s.L. Die Art möchte ich noch bestätigen lassen.
Einen fotogenen Tintling hab ich noch gebannt.
Und ausgewachsene Backenzahnkreislinge (Cudoniella tenuispora)
Zum Schluss noch ein Rauperich vom Kleinen Fuchs (Vanessa urticae)
Soweit mein Leidensbericht.