Ein weißer, zerbrechlicher Dachpilz

Es gibt 12 Antworten in diesem Thema, welches 3.827 mal aufgerufen wurde. Der letzte Beitrag () ist von Oehrling.

  • Guten Abend,
    in meinem Pilzwäldchen habe ich heute wieder eine Neuentdeckung gemacht. Einen weißen Rosasporer, ich vermute einen Dachpilz. Nur mit der Bestimmung hapert es. Dazu unten mehr.


    Fundort: Mittelhessen, nördlicher Vogelsberg, Mücke - Nieder-Ohmen, TK 5320/1. ca 300 m hoch gelegen.


    Standort: typischer Waldmeister-Buchenwald bzw. Perlgras-Buchenwald, Boden lehmig-basisch. Baumarten: Rotbuche, Hainbuche.
    Wuchsort: Trockenes Geäst von gefällten Buchen, 2 Jahre alt oder etwas älter.


    Seit Wochen sind auf den etwas dickeren Ästen Lungenseitlinge (Pleurotus pulmonarius) zu finden, die ich schon längst mal vorstellen wollte.


    Heute waren da aber zwei Pilze, die von Weitem zwar farblich dazu gepasst haben, aber sie hatten einen langen, dünnen, geraden Stiel und einen relativ kleinen, regelmäßigen Hut.


    Aus der Nähe hat sich gezeigt, dass sie nur scheinbar aus der Erde bzw. dem Laub kamen, tatsächlich kamen die Fruchtkörper aus einem teilweise mit Laub und Erde bedeckten Ast.


    Eines der beiden Exemplare habe ich meinem Drang, die Art zu bestimmen, "geopfert".


    Geruch: schwach, aber deutlich in Richtung Rettich
    Stiel und Hut: sehr zerbrechlich
    Hutdurchmesser: ca 4,5 cm
    Lamellen: weiß mit rosa Schimmer; frei
    Sporenabwurf: deutlich rosa
    Stiel: 7 cm lang, ca 0,5 cm dick; glänzend, weiß; hohl?



    Und nun zu den Fotos:


    (1) Pilz von oben, leider überbelichtet


    (2) Der zweite Pilz, mit dunklen Schüppchen in der Hutmitte


    Von hier ab nur der erste Pilz:


    (3) "Pilz im Spiegel": Lamellen frei. Das komische Gebilde am Stiel ist nicht dort, sondern es ist Wasser auf der Spiegeloberfläche. Nicht aufgepasst :shy:


    (4) Lamellen mit zahlreichen Lamelletten


    (5) Stielbasis deutlich verdickt


    (6) Sporenabwurf und Lamellen, nach ca 4,5 Stunden.


    (7) Falschfarbenes Bild, um zu zeigen, dass der Hut bis etwa zum halben Radius gerieft ist.


    Ich habe bis jetzt nur makroskopische Daten. Damit habe ich versucht, die Art einzugrenzen.


    Mit HORAK komme ich zur Art Gerillter Dachpilz (Pluteus semibulbosus (Lasch ap. Fr.) Gillet), indem ich makroskopisch nicht passende Arten ausschließe. Ich hoffe, ich habe nichts übersehen.


    Auch der Schlüssel in den OFFENEN NATURFÜHRERN Pluteus Fr. –“ Dachpilze (Georg Müller & Markus Scholler) führt mich zu dieser Art.


    Bei 123 Pilze wird die Art porträtiert. Auch das passt, soweit ich sehe.


    Diese Art, Gerillter Dachpilz (Pluteus semibulbosus (Lasch) Quél.) wird, mit etwas anderen Autorennamen, in Species fungorum als eigene Art angesehen.


    Aber:


    Ich weiß, das waren nicht die besten, allgemein anerkannten Quellen.


    Aber wie schaut es bei den besseren Quellen aus?


    Der Artname Pluteus semibulbosus ist bei vielen Autoren Teil einer Synonymenliste von anderen Arten.


    GPBW :
    Pluteus semibulbosus (Lasch) Gillet ss. auct. ist Synonym zu Pluteus plautus (Weinmann) Gillet Samtfüßiger Dachpilz . Insgesamt 9 Artnamen unter diesem Eintrag, darunter P. depauperatus Romagnesi.


    Flora Agaricina Neerlandica:
    Pluteus semibulbosus (Lasch) Gillet ist ebenfalls Synonym zu Pluteus plautus (Weinm.) Gillet (über Google Books eingesehen). Hier lautet der vollständige Artname Pluteus semibulbosus Lasch (Gillet). Zu den Synonymen gehört auch P. depauperatus.


    Pilzflora von Sachsen-Anhalt:
    Pluteus semibulbosus (Lasch) Gillet ss. auct. ist Synonym zu Pluteus plautus (P. plautus hier mit dem Namen Verschiedenfarbiger Dachpilz). Dazu gehört auch P. depauperatus.


    Gröger:
    Pluteus semibulbosus (Lasch) Gillet ist Synonym zu Pluteus depauperatus Romagn. = Heller Reifstiel-Dachpilz.
    P. plautus heißt hier Dunkler Reifstiel-Dachpilz.


    Leider fehlen mir die dicken Bestimmungswerke (Pilze der Schweiz etc).


    Ich werde versuchen, auch noch mikroskopische Daten zu finden, aber nicht mehr heute Nacht. Aber das bisherige Ergebnis ist ziemlich irritierend. ;(


    Viele Grüße
    Lothar

    • Offizieller Beitrag

    Hallo Lothar,


    das ganze ist echt verzwickt. Einige Autoren synonymisieren die Arten, andere wiederum nicht. Sies mal so einer deiner genannten Arten muss das sein. :evil: Musste unlängst das selbst festestellen, als ich einen weißen Dachpilz (in dem Fall P. Plautus) selbst unter dem Mikro hatte.


    Trotzdem kann man genaue Aussagen nur mit Mikroskop machen. Übrigens Pilze der Schweiz ist zwar toll, aber auch nicht das Allheilmittel. ;)


    l.g.
    Stefan

    Risspilz: hui; Rissklettern: bisher pfui; ab nun: na ja mal sehen...


    Derzeit so pilzgeschädigt, das geht auf keine Huthaut. :D


    Meine Antworten hier stellen nur Bestimmungsvorschläge dar. Verzehrsfreigaben gibts nur vom PSV vor Ort.

  • Rein optisch hätte ich hier P. plautus vermutet. Das kann freilich nur ein erster Arbeitstitel am Ausgangspunkt der Bestimmungsarbeit sein.
    Bei vorhandenem Rettichgeruch ist auch immer ein popeliger Rehbrauner möglich.

    PSVs dürfen weder über I-Net noch übers Telefon Pilze zum Essen freigeben - da musst du schon mit deinem Pilz zum lokalen PSV!

    Einmal editiert, zuletzt von Oehrling ()

  • Hallo,
    meine Verwirrung um die Artenaufsplitterung bzw. -zusammenfassung ist vorbei :)


    Ich hatte bei Google Scholar gesucht:
    "pluteus plautus molecular genetics" (ohne Anführungsstriche)


    Es gab 6 Treffer. Von der ersten aufgeführten Arbeit ist nur die erste Seite frei einsehbar, aber schon interessant:
    SOME PROBLEMS IN THE GENUS PLUTEUS / Geoffrey Kibby, Antony Burnham, & Alick Henrici*. In: Field Mycology 11(3):8 (2010)
    Die erste Seite ist hier zu finden:
    DOI: 10.1016/j.fldmyc.2010.07.006
    Dort werden die unterschiedlichen Artauffassungen beschrieben. Die Zusammenfassung zahlreicher Arten geht auf Vellinga in der Flora Agaricina Neerlandica (FAN2) zurück. Dagegen steht die Aufspaltung in zahlreiche Arten in British Fungus Flora Vol.4 (BFF4). In dem Aufsatz werden laut Einleitung zwei Artengruppen behandelt, darunter P. plautus.


    In einer molekulargenetischen Untersuchung
    Species recognition in Pluteus and Volvopluteus (Pluteaceae, Agaricales): morphology, geography and phylogeny / Alfredo Justo et. al. In: Mycol Progress (2011) 10:453–“479
    [LINK zum Volltext]
    werden die Gattungen Pluteus und Volvariella untersucht. Das wesentliche Ergebnis ist die Aufteilung der bisherigen Gattung Volvariella.
    Eines der artbezogenen Ergebnisse bestätigt die Zusammenfassung zahlreicher Arten bei P. plautus, aber nicht in Bezug auf P. semibulbosus:



    GRÖGER hat auf diese Arbeit keinen Bezug genommen, differenziert aber trotzdem P. plautus und P. depauperatus / semibulbosus. P. granulatus lässt er bei P. plautus.


    Da ist also noch Einiges zu klären. Die Zusammenfassung bei P. plautus kann auf Dauer also nicht bestehen bleiben. Andererseits gibt es noch keine genauere Untersuchungen zu den vielen Differenzierungen bei den britschen Autoren.


    Vorerst muss man wohl dazuschreiben, nach welchem Bestimmungsbuch man die Art bestimmt hat.
    Ich könnte auch mit einem Pluteus plautus s.l. leben. Mal schauen, ob ich mikroskopisch noch was herausbekomme.


    Viele Grüße
    Lothar

  • Hallo Pablo!

    Zitat


    Aber was ich draus lernen kann: FINGER WEG VON KLEINEN; HELLEN DACHPILZEN!!! Big Grin


    Das beschriebene Problem passiert dir fast überall und in vielen Gattungen. Insofern müsstest du (wenn du plötzlich zum Hasenfuß mutiert bist) sagen: "Finger weg von sämtlichen Pilzbestimmungsversuchen!"


    Das wollen wir doch aber alle nicht!!


    Vielleicht sollte man sich über einige Dinge mal klar werden:
    1. Es gibt Pilzarten, die nirgends beschrieben sind.
    2. Es gibt Pilzarten, die äußerst dilettantisch und ungenau und unnachvollziehbar beschrieben sind.
    3. Es gibt Pilzarten, bei denen man nicht weiß, wo sie merkmalsmäßig anfangen und aufhören.
    Wer will das auch festlegen?


    ABER:
    Sequenzierung bringt die Menschheit in der Erkenntnis auf jeden Fall weiter. Zumindest im Groben.
    Dass Ergebnisse eventuell verschieden ausgelegt werden können, ist wieder eine andere Sache.


    Also: Es geht auf jeden Fall voran mit der Erkenntnis.
    Aber: Man muss sich auch darüber bewusst werden, dass in 10 Generationen nach uns zwar sicher mehr klar ist, aber nicht unbedingt klarer gesehen wird als heute.
    Diese NATUR und die EVOLUTION (in meinen Augen ja der eigentliche Gott) lässt sich nicht so ohne weiteres und schnell in die Karten schauen.


    VG Ingo W

    ________________________________________________________________
    "Pilz nur von oben ist wie Käfer nur von unten"

    150-15 (APR 2022) = 135-5 (GnE-Wette verloren "über 11 gelöst") = 130+4 (am nächsten an der 222.Schnapps-Punktzahl) = 134+7 (7.Platz im APR 2022) = 141+4 (KISD-Prozente von GnE) = 145-15 (APR 2023) = 130+3 (10. Platz) = 133+3 (Unbewusst-Phal) = 136+5 (Lupus-Wette-APR-Sieger=ü300) = 141+5 (GnE-Gewinnsteuer-APR23) = 146+7 (Phalplatz 1) = 153-20 (APR 2024) = 133

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    • Offizieller Beitrag

    Hallo, Ingo!



    Auf gar keinen Fall.
    Du kennst mich doch.
    Ich lasse kaum etwas liegen oder stehen, ohne wenigstens mal eine Bestimmung versucht zu haben.
    Trotz grottenschlechter Mikroausrüstung, mangelnder Erfahrung und einer Bibliothek mit vielen leeren Regalen.
    Aber ein kleiner Spaßmuss sein.
    Hatte ich erwähnt, daß ich gerade wieder versuchte, einen champignon zu bestimmen?
    Da ist es zB noch viel schlimmer, als bei Dachpilzen.
    Jeder Autor scheint da ein eigenes Artkonzept zu verfolgen, daß den Konzepten anderer Autoren diametral widerspricht. Ludwig kennt Arten, die Gröger völlig abwegig findet, keine davon aber taucht bei B&K auf, Kibby synonymisiert alles, was die vorherigen Autoren trennen und trennt alles, was die anderen als Synonym erachten usw.
    Problem?
    Keineswegs.
    Lothar hat's ja oben geschrieben: Man muss nur mal dazu notieren, nach was man bestimmt hat.
    Das Chaos aufdröseln müssen die Taxonomen machen.



    LG, Pablo.

  • Hi Pablo!

    Zitat


    Jeder Autor scheint da ein eigenes Artkonzept zu verfolgen, daß den Konzepten anderer Autoren diametral widerspricht. Ludwig kennt Arten, die Gröger völlig abwegig findet, keine davon aber taucht bei B&K auf, Kibby synonymisiert alles, was die vorherigen Autoren trennen und trennt alles, was die anderen als Synonym erachten usw.


    Hätte ich nicht schon eine schöne Signatur, würde ich das obig von dir Geschriebene als solche erheben!


    VG Ingo W

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  • Guten Abend,
    [gekürzt]
    Harald (zuehli):
    Das Exemplar, das ich mitgenommen hatte, ist leider dazu nicht mehr zu gebrauchen. Heute habe ich an dem Ast keines mehr gefunden, nur sehr viele Lungenseitlinge. Aber ich komme öfters dort hin.


    Viele Grüße
    Lothar


  • Mal schauen, ob ich mikroskopisch noch was herausbekomme.


    Genau so! Ich weiß gar nicht, wozu du die Sache so kompliziert machst. Hast du die erste Hakenzystide auf der Lamelle gefunden, ist der Käse bezüglich Pluteus plautus (auch s. l.) gegessen.

    PSVs dürfen weder über I-Net noch übers Telefon Pilze zum Essen freigeben - da musst du schon mit deinem Pilz zum lokalen PSV!

    Einmal editiert, zuletzt von Oehrling ()

  • Hallo Öhrling,
    mit meinem Mikroskop kann ich zur Zeit höchstens Sporengrößen ermitteln. :(


    Ansonsten habe ich den geschwätzigen Beitrag gekürzt. Ein Teil davon kommt in einen separaten Thread.


    Viele Grüße
    Lothar


  • Man muss nur mal dazu notieren, nach was man bestimmt hat.
    Das Chaos aufdröseln müssen die Taxonomen machen.


    Im Grunde genommen muss man zu einer Bestimmung schreiben: das ist der Pilz, der vom Autor ... als ... bezeichnet wird.


    Es ist wichtiger zu wissen, welcher Pilz es ist, als wie er zur Zeit genannt wird (Zitat von W. Pätzold).
    [hr]


    Hallo Öhrling,
    mit meinem Mikroskop kann ich zur Zeit höchstens Sporengrößen ermitteln. :(


    Hallo Graubart,
    erkläre mir bitte, wieso du mit deinem Mikroskop Sporengrößen ermitteln, aber keine Zystidenformen feststellen kannst. Zystiden sind doch viel größer als Sporen.
    FG Oehrling
    [hr]


    Hallo Beorn,
    was du da spürst, ist die Diskrepanz zwischen deinen eigenen Ansprüchen und deinen Möglichkeiten/Voraussetzungen. Du willst solche Sachen wie Dachpilze, Champignons, Düngerlinge, Ascomyceten bestimmen, aber du merkst selber, dass das auf diese Weise nicht richtig geht. Du wirst erst mit dir selber Frieden finden, wenn du dir ein gescheites Mikroskop und richtige Fachliteratur geholt hast. Mir hat damals meine Familie das Mikroskop schenken müssen, weil ich nicht gewagt habe, mir es selber zu leisten.


    Kurz: du bist auf dem Sprung vom Pilzkundler-Level zum Mykologen-Level.
    [hr]


    Jeder Autor scheint da ein eigenes Artkonzept zu verfolgen, daß den Konzepten anderer Autoren diametral widerspricht.


    Das kann auch nicht anders sein. Sonst wären es keine Forscher, sondern Abschreiber. Sie müssen immer wieder neue Namen raushauen, sonst werden sie fachlich nicht ernstgenommen.

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    Einmal editiert, zuletzt von Oehrling ()