Früher, in den Jahren, als zur Weihnachtszeit noch Schnee fiel, früher kam das Christkind zum kleinen Erebus Melzer.
Es kam Heiligabend mit großen Regelmäßigkeit die ganze frühe Jugend hindurch - auf das Christkind war Verlass. Damals.
Vorher war schon der Nikolaus durchs Land gezogen, dessen Knecht Ruprecht sich -Gottseidank!- nicht sehen ließ. Erebus vermutete, dass der Knecht, während der Chef bei den Melzers weilte, drei Häuser weiter in der Reihenhaussiedlung einen ganz anders gearteten Besuch machte.
Dort wohnten Axel und Dirk und die beiden hatten die zurückliegenden zwölf Monate genutzt, um so manches Schurkenstück zu verüben. Sie hielten den Aufregungspegel des Südteils der Siedlung gleichmäßig hoch (für den Nordteil war Paul Döge zuständig) hatten im Frühling das stillgelegte Stellwerk der Straßenbahn den Flammen übergeben, im Sommer die Schrebergärten geplündert, und im Herbst die Söhne des Versicherungsvertreters in einem deutlich überdimensionierten Gefängnis aus Meterbrennholz verschlossen.
Bei den Espenbruchs wurde also über die Streichung verschiedener Passagen in dem Buch verhandelt, damit für die folgenden Monate tabula rasa war und die Sache nicht zu unübersichtlich wurde.
Erebus hatte zwar auch das eine oder andere auf dem Kerbholz -zum Beispiel ein gebrochene Bein bei Frau Metkalf- aber das wurde dem Nikolaus scheinbar nicht hinterbracht oder unter den Teppich gekehrt.
War der Nikolaus durch, dann verschwand das Damoklesschwert über dem Haupte Erebus' und begann die unbeschwerte Zeit.
Das Christkind las anscheinend nicht in dem Buch, zumindest solange nicht, bis es diese unsägliche Affäre mit dem Nikolaus hatte, an dessen Ende der Weihnachtsmann gezeugt wurde und die Welt in Unordnung geriet. Knecht Ruprecht und das Christkind verschwanden, Nikolaus machte noch ein wenig seinen Job, bis er sich auch davonschlich und dem Bankert das Feld überließ.
Der missratene Ableger fing an, kaum dass ihm der erste Bart spross, sich in den Vordergrund zu drängen, prostituierte sich ab September in den Regalen von Spar und Konsum, legte sich ein fliegendes Rentier zu und trank Cocacola mit Whiskey. Mit dem Osterhasen gründete er ein joint venture, die –žChristmas Industries–œ und die "Esterhaze Enterprizes" und überflutet die Welt mit gelabeltem Kunststoff, Kitsch und schlecht zu entsorgendem Ramsch.
Vor dem Sündenfall von Nikolaus und Christkind, bevor ihr entarteter Spross die Welt veränderte, fiel noch Schnee vom Himmel, hüfthoch, die Schippen kratzten in der Dämmerung über den gefrorenen Eispanzer der Trampelpfade, Isettas und Käfer wurden ausgegraben.
Und dann kam Heiligabend. Bei der Großmutter verbrachten die Melzersprösslinge den Nachmittag, man spielte Schnipp-Schnapp und Pachisi, und zuhause ging Seltsames vor.
Die Dämmerung brach herein, Glocken läuteten zur Christmette, und während dunkle Gestalten durch den Ort huschten, wurden die ersten Kerzen der ersten Weihnachtsbäume entzündet.
Denn vor Heiligabend gab es keine Weichnachtsbäume, keine konkurrierenden Lichterketten und LEDRentiere.
Bevor der Weihnachtsmann die Welt vergiftete, wartete diese beharrlich auf den Abend der Abende, den Heiligen Abend und ließ sich die Zeit, die für solch eine große Sache nötig ist.
Weihnachtsbäume erschienen hier und da hinter Fenstern, hinter Eisblumen, und auf der Taxifahrt zum Elternhaus wurde begeistert gezählt: da ist noch einer –¦vierzehn –“ und da! –¦ fünfzehn! Soviel Weihnachten!
In der Diele des warmen Hauses musste man dann warten, voll Ungeduld, denn die Tür zum Wohnraum blieb verschlossen.
Es wurden Lieder gesungen vom Tannenbaum, von der Seligen und der Fröhlichen, von einem entsprungenen Ross bis dann–¦ bis dann endlich im Wohnraum ein Glöckchen bimmelte! Und als man jauchzend hineindrängelte, da leuchtete der Weihnachtsbaum und glänzte und spiegelte seinen Schein im Wasser der beiden Eimer, die daneben standen. Das war der Deal, den Mutter mit dem Christkind hatte. Das Fenster stand noch offen, und am Rahmen hatten sich ein paar Löckchen des Christkindes verfangen, als es ganz, ganz schnell hinaus musste.
In dieser Zeit, als sich die Welt noch ein wenig Zeit ließ, da wuchs ganz weit im Norden, dort, wo damals im eisigen Wasser noch Krabben und Hummer lebten, dort wuchs eine anderer Junge auf, und der nannte sich Maus.
Maus wuchs unweit der stürmischen See heran, unter dem ständig wechselnden Himmel am Meer, dem blauen und dem grauen Himmel und deshalb behielt er auch ein Staunen in den Augen, ja, so könnte man vermuten, aber das spielt keine Rolle.
Maus wuchs heran so wie Erebus heran wuchs und dann, eines Tages, beschloss Maus, der nun Mausmann war, dem Erebus ein kleines Stückchen Weihnachten zurückzugeben.
Denn Weihnachten, das war dem Erebus gründlich abhandengekommen, in der ganzen Nonstopbeweihnachtung der letzten Jahrzehnte.
Und so begab es sich, dass Mausmann einen Stollen buk, mit Nougat und Amaretto. Oh ja! Dass kann der Mausmann wie kein zweiter. Und er bastelte noch einen Aufheller, denn er wusste ja, dass der Erebus gerne fotografiert. Er werkelte und buk und die Wohnung des Mausmanns duftete köstlich nach Weihnachten. Und als er dann noch einen Frauenschuh dazu klebte, da lächelte er wie eine Weihnachtsmaus, gab alles in die Post und erwischte den Erebus kalt.
Dem blieb der Mund offen stehen, und dann öffnete sich sein Herz, er dachte an das Christkind zurück, an die Oma, und den Vater, der damals den Faden zog (was Erebus erst sehr viel später herausfand) um das Glöckchen zu läuten.
Fehlt nur noch der Schnee, denkt Erebus.
Einen ganz lieben Dank, lieber Matthias, so bedacht zu werden, ach, dass hätte ich ja niemals gedacht!
Leider war Dein Stollen viel zu lecker, als dass er bis Heiligabend gehalten hätte. Wäre es nach mir gegangen, dann schon, aber die Meute kennt keine Geduld!
LG, Uli
Und dann noch ein Making Off: das der Aufheller hervoragend funktioniert, bräuchte ich eigentlich nicht zu erwähnen
.