Liebe Leser,
ich wurde im Laufe der Zeit immer wieder angefragt, wie man eigentlich Hauptfruchtformen (Teleomorphe) von Nebenfruchtformen (Anamorphe) bei Ascomyceten makroskopisch unterscheiden kann. Will man sich nur mit den teleomorphen Formen auseinandersetzen, wie das vermutlich die meisten hier tun, dann bedarf es dazu etwas Übung, will man nicht Dutzende von "Fehlschlägen" präparieren und damit unnötig Zeit verlieren.
Der hier gezeigte Bericht zum Vergleich einer Teleomorphe mit einer am gleichen Substrat befindlichen Anamorphe, die mit der Teleomorphe genetisch identisch ist (gleicher Organismus, aber unterschiedliche Verbreitungsmethoden und unterschiedlicher struktureller Aufbau), möchte diese Problematik aufzeigen und zu lösen versuchen. Damit alles klar und deutlich sichtbar wird, gehen wir dabei bis auf eine ca. x300 Vergrößerung.
Zunächst ein paar Begriffserklärungen zu dieser Thematik. Eine Teleomorphe bezeichnet das sexuelle Stadium eines Pilzes, d.h. es werden durch Asci oder Basidien Meiosporen gebildet, die meiotische Vorgänge durchlaufen haben (= Karyogamie, Zygote). Die Anamorphe ist ein asexuelles Stadium desselben Organismus, sofern sie genetisch identisch ist. Teleomorph-Anamorph-Verbindungen sind die letzten paar Jahrhunderte nicht als identisch erkannt worden und lösen derzeit (Melbourne 2012) heftige Debatten über die korrekte Namensgebung der Arten aus (soll der Name der Teleomorphe oder der der Anamorphe verwendet werden? Welcher ist älter? Welcher hat Vorrang?). Anamorphe Sporen entstehen z.B. an Konidienträgern, werden von diesen abgesprosst oder sind Fragmente kettenartiger, hyphenähnlicher Gebilde (=> Hyphomyceten). Bei den Hyphomyceten gibt es allerdings keine Hülle, d.h. die Konidien sind von Anfang an frei z.B. auf einem einzelnen Konidienträger und werden bei Reife einfach abgeworfen. Soweit wollen wir mit der Thematik allerdings nicht ausschweifen: der hier vorliegende Fall hat ein perithezienähnliches Konidienstadium mit hymenial angelegten Konidienträgern im Inneren. Wir kommen also zurück zur Frage: wie unterscheidet man Teleomorphe und Anamorphe makroskopisch?
Die untersuchte Art ist repräsentativ für die Teleomorph-Anamorph-Verbindung mit perithezoiden Conidiomen (engl. Conidiomata = Konidienfruchtkörper) und teleomorphen Pseudoperithezien, wie es für Dothideomyceten der Botryosphaeriales üblich ist. Gut, es sind ein paar Fachwörter verwendet worden, aber vielleicht klären die Bilder alles auf und am Ende denkt jeder "hach, Mykologie ist doch sooooo einfach". Harhar
Botryosphaeria dothidea ist ein Bewohner von Totholz, besonders aber von kleineren Ranken von Rosa sp. (nach Ellis&Ellis Rosa canina). Es handelt sich um einen scheinbar gewöhnlichen Schlauchpilz mit dem Aussehen eines 0,3mm Kernpilzes, der nahezu komplett in das Substrat eingesenkt ist und selbiges nur warzig mittels eines Ostiolus durchbricht (Ostiolus = Mündungspore eines Kernpilzfruchtkörpers). Als mykologisch interessierter Mensch schnippelt man an dem Ding rum, führt Experimente durch, setzt es hochexplosiven und/oder hochgiftigen Chemikalien aus und schmeißt es danach in den Müll, oder noch schlimmer, schließt es luftdicht in kleinen Plastiktüten mit Verschluss ein und beschriftetet es mit "Max", obwohl es eigentlich "Moritz" heißt (laut eigenen Aussagen, aber die hört der Mykologe in seinem Wahn natürlich nicht). Das führt uns letztlich zu diversen Bestimmungsübungen, die (zumindest bei mir) in etwa 9% aller Fälle in den mykologischen X-Akten landen, oder auf dem DNA-OP-Tisch der berüchtigten Genetiker, die auch das letzte aus den armen Pilzchen rausholen wollen: Ihre genetische Information, um mehr ihren Nachnamen zu erfahren. Am Ende heißen sie dann doch alle MUSTERMANN!
Botryosphaeria dothidea, Teleomorphe
Botryosphaeria dothidea, Anamorphe
Ich weise nochmal darauf hin: beide Untersuchungen (gleiches Substrat, gleiches Stöckchen) zeigen denselben Pilz, nur in 2 verschiedenen Fruktifikationsformen. Makroskopisch reicht ein Schnitt durch das Substrat, und man sieht bei der Teleomorphe innen reinweiße Fruchtkörper (= Pseudoperithezien) und bei der Anamorphe innen schwarze Fruchtkörper (= Conidiome). Im Detail lassen sich auch schon die Anordnung des Hymeniums (Sporenschläuche) sowie auch die der Konidien (wirr durcheinander) erkennen.
Ich hoffe, damit keinem geholfen zu haben und verbleibe mit dem Besten für das Jahr 2015,
björn