Alte Bekannte auf Linde (Tilia)

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  • Hallo,


    das "Reich" der Kernpilze ist ein unendliches Universum mit großen (also etwa 1mm) und kleinen (also etwa 0,1mm) Pilzchen, die auf, in oder unter der Rinde von Laub- und Nadelhölzern, auf Blättern, Nadeln, Stängeln, Grashalmen oder auf Dung wachsen. Einige haben sich gar auf andere Pilzarten spezialisiert (Helfert 1991, Libri Botanici 1), und wieder andere wachsen erst, wenn das Substrat schon auf oder unter der Wasseroberfläche liegt (sogenannte "aquatische" oder "semiaquatische" Kernpilze).


    Der Begriff "Kernpilz" bezieht sich auf das Aussehen der Pilze: eben wie Apfelkerne. Nur das die Apfelkerne eher monströs dagegen sind. Der wissenschaftliche Name ist schon etwas komplizierter. Pyrenos sagen die meisten nur, meinen damit "Pyrenomyceten" oder lat. "Pyrenomycetes". Dabei gibt es diese Klasse überhaupt gar nicht (Klassen enden immer mit "-etes"), genauso wenig wie Aphyllophorales eine Scheinordnung darstellt, die polyphyletische Gruppen an seidenen Fäden zusammenhält, damit der Mykologe Überblick über ein unüberschaubares Feld bekommt.


    So ist es bei den Pyrenos auch: Da sind die allbekannten Sordariomyceten, mit den Holzkeulen, den Kohlenbeeren, den Kernkeulen und Pustelpilzchen, dem Maulbeerkugelpilz (Bertia moriformis) und den Kissenpustelpilzen. Außerdem sind da noch Kohlenkrustenpilze, Kohlenkugelpilze, Kugelkrustenpilze und Kugelkohlenpilze...naja einerlei, ihr seht, die deutschen Bezeichnungen für einen Organismus, der aus nichts als einer schwarzen Kugel besteht (abgesehen von einem unsichtbaren Myzel natürlich), sind sehr schnell ausgeschöpft. Da ist man bei den botanischen Namen deutlich sicherer: Eutypa, Hypoxylon, Nectria, Chaetosphaerella, Syspastospora, Helicogermslita und Bitrimonospora...ok zugegeben, bei manchen Namen zählt ein sprachliches Talent schon zur Voraussetzung :D


    Zu den Pyrenomyceten zählt man schließlich aber auch noch die Dothideomyceten, meist sehr unscheinbare Kernpilze mit doppelter Ascuswand, was ein entscheidender evolutionärer Faktor darstellt, der zur Abspaltung dieser Gruppe von allem anderen geführt hat. Festzustellen, ob so eine Ascuswand bitunikat (doppelt) oder unitunikat (einfach) ist, ist ein wichtiger Schritt zur Bestimmung einer Art.


    Vergessen wir die Zungenbrecher und wenden uns dem, passend zu Valentinstag, verliebten Pärchen zu, das in der Rinde von Linden (Tilia cordata) anzutreffen ist: Hercospora tiliae und Splanchospora ampullacea (huch, schon wieder ein Zungenbrecher).


    Beobachtungen haben gezeigt: Zumindest der erstgenannte ist an fast jedem hängenden Lindenast zu finden. Im späten Winter, so ab Februar-März, gesellt sich dann auch die Splanchospora hinzu, die an den kugeligen, tiefschwarzen Fruchtkörpern zu erkennen ist. Es handelt sich bei dieser Art um einen Eurotiomyceten, der näher verwandt mit Capronia und Elaphomyces (Hirschtrüffel!!) als mit den Kohlenbeeren ist. Das hat letztlich alles etwas mit der Fruchtkörperform zu tun: Fruchtkörper ohne vorgesehene Öffnung (= Ostiolus, Perithezienmündung) werden Cleistothezien genannt (bei Erysiphales Chasmothezien). Auch die Hirschtrüffel stellt ein solches Cleistothezium dar, wenn auch in einer ganz eigenen Größenordnung. Wir reden hier bei Splanchospora von gerade mal 0,7mm.


    Nun was hat es mit der Hercospora auf sich? Ich habe diesen Pilz mehr als 100.000mal gefunden, aber nie in reifem Zustand angetroffen. Dieses mal waren die Perithezien, die in einem klar umrahmten Bereich (nicht zu verwechseln mit Leucostoma!) recht verteilt liegen, ziemlich dunkel gefärbt und ich hatte die Hoffnung, dass endlich mal viele Sporen und volle Sporenschläuche zu finden waren. Dem war auch so, also direkt mal abgearbeitet :)


    Die Hercospora hat eine umstrittene systematische Position irgendwo in der Peripherie von Diaporthales, dies aufgrund des unstrukturierten Hymeniums (Asci nicht in einem hymanialen "arrangement") und des congophilen Apikalapparats. Gewissermaßen sind auch die hyalinen, zweizelligen Sporen charakteristisch. Die makroskopische Erscheinung allerdings passt in keiner Weise zu den sonst üblichen 0815-Diaporthales...also weg damit :D


    Es ist mir mal wieder gelungen, beide Spezies auf ein Bild zu bringen und ihre typischen Merkmale in einem zu erfassen. Ihr könnt ja mal selbst nach Romeo und Julia der Pyrenomyceten suchen, vielleicht werdet ihr ja fündig <3


    lg björn





















    Projekt Fungi: 3277

    [FERTIG] Band 1a: 440 Pyrenomyceten mit 0-1fach sept. Sporen; Band 1b: 380 Pyrenomyceten mit 2-M.

    Band 2a: Pezizomycetes, Hypogäische Eurotiomycetes, Lecanoromycetes, Arthoniomycetes

    Band 2b: Leotiomycetes, Geoglossomycetes, Taphrinomycetes, Laboulbeniales, Orbiliomycetes

    Band 3: Rindenpilze, Heterobasidiomycetes, Cyphelloide Pilze
    Schwarzwälder Pilzlehrschau

    Einmal editiert, zuletzt von bwergen ()

    • Offizieller Beitrag

    Hallo, Björn!


    Dann habe ich bei Linden also immer total falsch gesucht !!!
    Immer das Totholz drum rum habe ich mir angeguckt, weil ich da riesige gelbe oder rote Dinger zu sehen hoffte. Oder ebefalls riesige schwarze Dinger, die neben schwarzen Stielen mit grauem Köpfchen wachsen.
    Aber da es das beides ja ohnehin nicht gibt...


    Toll geschrieben hast du den Artikel mal wieder. Das macht echt Spaß, da mitzugehen und ein paar Sachen prägen sich dann ganz nebenbei ein.
    Man hat nicht das Gefühl was gelernt zu haben. Aber es könnte passieren, daß man mal ein dürres, ansitzendes Lindenästchen einpackt und dann damit auch gleich was anfangen kann.



    PS.:
    Den schwarzen Stengel mit grauem Köpfchen hatte ich dann doch irgendwann gefunden...
    ...an Prunus.



    LG, Pablo.