Guten Abend,
da es beim Thema Pilze auch immer wieder mal um den Wald geht, wollte ich Euch ein literarisches Fundstück zeigen.
"Wer hat Dich, Du schöner Wald, aufgebaut so hoch da droben ...."
Nein, nicht das Gedicht von Joseph von Eichendorf, das mit diesen Worten beginnt und von Felix Mendelssohn Bartholdy vertont wurde, ist das Fundstück, sondern einen Text, der darauf veweist. Das Gedicht war Anfang des 20. Jahrhunderts noch allgemein bekannt.
Hier der Textausschnitt:
ZitatSo war es einmal bei einer Ausfahrt über Land vorgekommen, daß der Wagen an entzückenden Tälern vorbeirollte, zwischen denen von dunklen Fichtenwäldern bedeckte Berghänge nahe an die Straße herantraten, und Diotima mit den Versen "Wer hat Dich du schöner Wald, aufgebaut so hoch da droben?" darauf hindeutete; sie zitierte dies Verse selbstverständlich als Gedicht ohne den dazugehörigen Gesang auch nur anzudeuten, denn das wäre ihr verbraucht und nichtssagend erschienen. Aber Ulrich erwiderte: "Die Niederösterreichische Bodenbank. Das wissen Sie nicht, Kusine, daß alle Wälder hier der Bodenbank gehören? Und der Meister, den Sie loben wollen, ist ein bei ihr angestellter Forstmeister. Die Natur hier ist einplanmäßiges Produkt der Forstindustrie; ein reihenweise gesetzter Speicher der Zellulosefabriaktion, was man ihr auch ohne weiteres ansehen kann."
Der Text stammt aus dem Roman Der Mann ohne Eigenschaften von Robert Musil (1880-1942) , genauer: aus Band 1, Kapitel 67 Ulrich und Diotima. Musil schrieb an dem Roman seit 1921!
Das Buch ist auch online bei archive.org verfügbar:
https://archive.org/details/MusilDerMannOhneEigenschaften
Normalerweise lese ich kein Buch mit ca 1000 Seiten Umfang. Aber dieses Buch hatte ich vor vielen Jahren gekauft, dann liegen gelassen, und jetzt lese ich es nicht von vorne nach hinten, sondern lese darin unsystematisch einzelne Kapitel, springe hin und her, obwohl der Autor diese Art zu lesen an einer Stelle heftig kritisiert. Sprachlich ist es für mich ein Genuss, es ist anregend, auch wenn ich oft zu einem anderen Ergebnis komme als der Autor. Der Roman beginnt kurz vor dem ersten Weltkrieg in Wien. Er ist für mich vor allem ein Zeitportrait, das in vielen Facetten das Ende des geistig liberalen Europa beschreibt. Ausgangspunkt ist die Vorbereitung des Thronjubiläums Kaiser Franz-Josephs, daneben gibt es mehrere andere Handlungsstränge. Die Handlung steht aber nicht im Vordergrund. Der Roman schildert vor allem den Weg, der zum Ende der Habsburger Monarchie führte, die in gewisser Weise ein Vorläufer eines europäischen Vielvölkerstaats war.
Der Protagonist Ulrich, der "Mann ohne Eigenschaften", hatte Mathematik studiert, aber seine Wissenschaftskarriere abgebrochen. Er ist es, der oben im Zitat seine Kusiine belehrt.
Besonders gut gefällt mir die Beschreibung eines Generals, der in die Vorbereitungen zu den Jubiläumsfeierlichkeiten für das Thronjubiläum von Kaiser Franz Joseph gerät:
Kapitel 80: Man lernt General Stumm kennen
...
Zitat
Wenn es Zivilisten gibt, die kriegerisch sind, weshalb sollte es dann nicht Offiziere geben, die die Künste des Friedens lieben? Kakanien hatte von ihnen eine Menge. Sie malten, sammelten Käfer, legten Briefmarkenalbums an oder studierten Weltgeschichte. Die vielen Zwerggarnisonen und der Umstand, daß es dem Offizier verboten war, mit geistigen Leistungen ohne Approbation der Oberen an die Öffentlichkeit zu treten, gaben ihren Bestrebungen gewöhnlich etwas besonders Persönliches, und auch General Stumm hatte in früheren Jahren solchen Liebhabereien gefrönt. Er hatte ursprünglich bei der Kavallerie gedient, aber er war ein untauglicher Reiter; seine kleinen Hände und Beine eigenten sich nicht zur Umklammerung und Zügelung eines so törichten Tiers, wie es das Pferd ist
...
(es geht noch interessant weiter).
Kakanienen = KuK-Monarchie = Kaiserreich Österreich und Königreich Ungarn (seit ca 1865), die nur in der Person des Kaisers und in der Außenpolitik verbunden waren.
Das Kaiserreich reichte von Österreich, Norditalien bis Triest, der Ostküste der Adria,Tschechien bis fast an das Schwarze Meer.
Zu den geistigen Beschäftigungen der Offiziere gehörte sicher auch das Pilze sammeln und bestimmen.
Bevor die "richtigen" Pilze wieder sprießen, wollte ich das noch los werden. Hier ein Bild von heute Nachmittag. Es war kalt, aber im Windschatten erträglich. Gegen Abend kam sogar die Sonne durch. Dieser Baum hier begeistert mich immer wieder.
Viele Grüße
Lothar