Das erste Mal vergisst man nicht.

Es gibt 5 Antworten in diesem Thema, welches 2.912 mal aufgerufen wurde. Der letzte Beitrag () ist von Inni.

  • Es ist der frühe Nachmittag des 21. September 2012, an dem Isa, Adele, Ludwig und Erebus zum ersten Male Pilzefinden ziehen. Die Sonne scheint, das Thermometer zeigt zwanzig Grad an und der Blick nach Süden ist klar und weit. Dort dehnt sich das alte fruchtbare Siedlungsland, Lösböden, Gäuböden, kaum ein Stückchen Wald, dafür Rüben, Kinders, Rüben, Rüben und noch mehr Rüben.


    Hier jedoch, im Norden Ochsenfurts, auf dem Berg, da liegt ein kleines Wäldchen. Es ist genau jenes, in dem Erebus einstmals in den Parasol eingewiesen wurde. Aus naheliegenden Gründen hat man diese Gegend ausgewählt, wo sonst hätte man je einen Pilz beobachtet? Und weil es damals Schirmling war, soll es diesmal auch ein solcher sein. Wundersamer Weise stimmt sogar die Jahreszeit. Denn: man findet Schirmlinge.


    Das erste Mal vergisst man nicht.
    So sagt man, und das ist ein schöner Gedanke. Das ist so, als gelte einem zarten Pflänzlein die ganze Hingabe und Aufmerksamkeit, damit es wachse und Gedeihe und dieses Pflänzlein ist die Erinnerung, die man hegt und pflegt, und immer wieder neu erfindet und schmückt und verschönert .. bis sie einem rundherum gefällt..
    Man sagt das so, aber das stimmt nicht. Nicht bei Erebus, der eigentlich alles vergisst. Was also bleibt übrig vom ersten Mal? Vom ersten vorsätzlich gefunden Pilz? Nichts von der Größe, dem Aussehen, der Haptik oder vom Geruch, von der genauen Lokalität des Fundortes, nichts davon, ob sich die Sonnenstrahlen im bunten Laub brachen und den Hutrand flackernd beschienen. Nichts von alledem.


    Undeutlich allenfalls noch die Erinnerung, dass man den Pilz auf dem Weg fand. Was kein Wunder ist, denn links und rechts verlief ein Maschendrahtzaun, an den erinnert sich Erebus schon. An die Kanalisierung durch den Wald, kein Entrinnen: wie auf dem Schießstand, mitten im Wald ist Herrleshausen.


    Allerdings erinnert er sich deutlich an das, was Ludwig in des Weges Mitten hinterließ, im Gras und schlecht auszumachen, wodurch der Weg für die Dauer einer Kompostierungsperiode zur terra infirma wird.


    Jedenfalls war man erfolgreich, soviel steht fest. Denn man verließ den Wald stolz mit der Plastiktüte einen Markendiscounters, schreiend gelb und wohlgefüllt.





    Wochen später sieht Erebus ein ausgedehntes Gräberfeld, das streckt sich bis zum Horizont. Die Gräber sind geöffnet und vom weichen Licht des Vollmondes zart beschienen liegen darin die abgelebten, verdienten Pilzsucher und Pilzsucherinnen aller Zeiten. Sie liegen schweigend auf dem Rücken, die markanten, erfüllten Gesichter dem Himmel zugewandt, schlafend, die runzligen, kraftvollen Hände gefaltet -
    da taucht Erebus auf (Erebus erkennt sich selbst an einer knallgelben, prallgefüllten Discountertüte, die er über den Friedhof trägt, gleichsam das einzige Bunte im ganzen Grau des mitternächtlichen Grauens) und wie auf ein Kommando geht ein Stöhnen durch die Nacht, fährt auf zum Himmel, die Leichname drehen sich ächzend auf die Seite und wenden ihm den Rücken zu.


    Nach diesem Traum beschließt er, die Plastiktüteninformation zu unterdrücken, da sie zu Publikationszwecken nicht geeignet ist. Und manchmal, später, wenn ihm ein wenig schummrig ist, dann denkt er darüber nach, ob einer der "richtigen" Pilzsucher wohl mit ihm reden wird, später, im Pilzesucherhimmel.


    Anderntags stehen Isa, Adele, Ludwig und Erebus in aller Unschuld am Spätnachmittag im selben Wald bereit, um die gestrige Pilzfindung fortzusetzen.
    Denn die panierten Schirmlingsschnitzel des Vorabends waren nicht nur essbar, nein, sie waren sogar schmackhaft .


    Heute, am Samstag, dem 22.September ist das Wetter nicht ganz so gut, es ist etwas kälter geworden. Die Waldhälfte mit dem schlechten Weg lässt man westlich liegen und wendet sich dem östlichen Teil zu. Dort, wo sich eine grasbewachsene Schneise zwischen dem ursprünglichen Kiefern-Eichen-Hainbuchenwald und einem Fichtenbestand mit uralten Kirschbäumen in den Wald zieht, genau dort versucht man den Vorstoß ins Unbekannte und da wird einem bewusst: es eine Ewigkeit her, dass man unbe–œweg–œt im Walde stand. Und weil - keine Pfade, keine Wade –“ im Unterholz der Jogger fehlt, kommt Ludwig von der Leine, der holt tief Luft und taucht ab im hohen Gras ... da schwant einem nichts Gutes.


    Aber an diesem Tag funktionieren wenigstens die Funderinnerungen einigermaßen. Vielleicht ist es mit dem Pilzefinden ähnlich wie mit dem Museumsbesuchen?
    Wenn man so etwas einmal macht, dann weiß man anschließend so gut wie nichts mehr, mitunter weniger als vorher, hat dicke Beine, platte Füße und Lust auf kühles Bier. Macht man es hingegen öfter, dann erinnert man sich schließlich sogar an einzelne Bilder, kann vergleichen, geht freiwillig noch einen Raum weiter, wird zum Connaisseur und hat Lust auf kühles Bier.


    Na, jedenfalls findet man einige Schirmlinge entlang der Schneise, dort steht ein Dreiergrüppchen und dahinten nochmals drei einzelne, hier ein besonders Großer, ein wenig klamm - wo ist Ludwig? - aber nach dem dritten Schirmling wir dem Erebus langweilig, zu dumm, man hätte wenigstens den Fotoapparat mitnehmen können!


    Was hängt denn da an diesem Baum da? Na hoppla! So was haben wir ja noch nie gesehen!
    Ist ja ecklig!
    Da hat jemand dem Baum ins Innere gegrapscht und was nach außen gezogen, da tropft sogar das Blut herab –¦ –žIsa! Komm doch mal!–œ




    Aber die Gute füllt die gelbe Tüte und hat für Erebus jetzt grade keine Zeit. –žSollen wir morgen nochmal herkommen?–œ Erebus hat sich dazu entschlossen, den blutigen Klumpen zu fotografieren. Isa schweigt und betrachtet kritisch den nächsten Sammelkandidaten. Ob sie in ihrem Herzen etwas ahnt? –žDu füllst mich an wie Blut die frische Wunde–œ geht es Erebus durch den Sinn –žUnd rinnst hernieder seine dunkle Spur–¦
    du dehnst dich aus wie Nacht in jener Stunde,
    da sich die Matte färbt zur Schattenflur,–œ–¦


    Denn Rest hat er nicht parat, aber mittlerweile ist es tasächlich dämmrig geworden im Wald, die Tüte ist gut gefüllt, aus der Ferne hört man Ludwig aufgeregt kläffen und das Herz ist gefüllt von Abenteuerlust. Morgen dann wieder. Und nicht ganz so spät.


    –žHaben wir für morgen schon etwas vor?–œ Du scheinheiliger Geselle! –žDu blühst wie Rosen schwer in Gärten allen–œ: morgen ist Sonntag ,da verbringt man die Zeit der letzten Sommersonnenstunden im Garten auf der Holzbank, kniffelt, liest und plaudert, zupft nebenbei ein bisschen Giersch und Gitarre. Das Gekläff des Hundes hört nicht auf –¦


    Man muss man erst einmal eine junge Familie aus der Belagerung befreien, am anderen Ende des Waldstückes. Dort versucht sich Ludwig Schwänzchen wedelnd in den Kinderwagen zwängen, will mit dem Kleinen Fläschchen teilen –“ ach Ludwig!




    LG, Uli



    den Rest kennt ihr ja :)


    Wie es begann Der Pfifferling ist ausgestorben und wie es weiterging Sämige Suppen

    • Offizieller Beitrag

    Lieber Uli,


    Diese Reise in die Vergangenheit ist so herrlich geschrieben! Ein typischer erebus! Besonders viel Freude macht es mir, von Ludwig und Adele zu lesen. :Kuschel:



    jetzt muss ich mir die zwei anderen Teile in Ruhe zu Gemüte führen :cool:


    lieben Gruß,
    Melanie

    Gnolmige Gnüße, Gnelmanie die Rote

    "In den Wäldern sind Dinge,
    über die nachzudenken,
    man jahrelang im Moos liegen könnte."

    -Franz Kafka-
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  • Lieber Uli!
    "Ich kann mich nur meinen Vorrednern anschließen." Danke, wieder herrlich zu lesen - und dann der Schluss! Ich habe Ludwig zwar nicht gekannt, aber nach Deinen Beschreibungen kann ich mir die Szene lebhaft vorstellen...



  • Liebe Melanie,


    tatsächlich bin ich ja über eine ganze Reihe Fotos der beiden gestolpert, als ich die Bilder von damals durchsah und Habe schon überlegt, die beiden zu zeigen. Allerdings war der Ludwig ein äußerst verwischter Hund


    Adele & Ludwig
     


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    Zitat von Mausmann


    Noch so ein wunderbares Stück. Cool
    Aus deiner Schublade ? Muß ja wohl. Da liegt bestimmt noch mehr drin. Toungue


    na ja, da liegt noch was, in Bruchstücken und Ansätzen...



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    Zitat von Tuppie


    Lieber Uli!
    "Ich kann mich nur meinen Vorrednern anschließen." Danke, wieder herrlich zu lesen - und dann der Schluss! Ich habe Ludwig zwar nicht gekannt, aber nach Deinen Beschreibungen kann ich mir die Szene lebhaft vorstellen...
    Liebe Grüße,
    Tuppie


    Hallo Tuppie,


    der Ludwig war wirklich sehr unternehmungslustig, aber auch ganz schön anstrengend - gehorcht hat er nur nach Stimmungslage, und dann nach eigenem Ermessen



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    Herzlichen Dank und liebe Grüße,
    Uli

  • Am besten gefällt mir: " zupft nebenbei ein bisschen Giersch und Gitarre "
    Deine Art mit Sprache zu jonglieren und Assoziationen zu wecken...immer wieder schön.

    LG Inken


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