Hallo Leute,
die muss ich euch unbedingt erzählen. Daran erkennt man, was die Leutchen alles so hinkriegen, wenn es um Pilze geht.
Gestern Nachmittag - ich bin gerade zurück von unserer Lehrexkursion - ruft bei mir die diensthabende Krankenhausärztin an: Verdacht auf Pilzvergiftung, ob ich eben kurz Zeit hätte, vorbeizukommen. Ich also sofort ins Krankenhaus. Die Ärztin zeigt mir eine Tüte, in der sich ein Pilz befindet, und erzählt mir dazu folgende Story: sie hätte gerade einen Fall hereinbekommen, eine junge Dame Anfang 20, die kurze Zeit zuvor einen Pilzhut gegessen hätte. Nach dem Verzehr hätte diese nach ihrer Aussage eine Pilzbestimmungs-App konsultiert und die abgefragten Bestimmungsmerkmale eingegeben, worauf sie als Bestimmungsresultat eine Liste mit Wahrscheinlichkeitsfaktoren bestimmter Arten erhalten hätte. Ganz oben auf dieser Liste steht mit 90% Wahrscheinlichkeitsfaktor der Weiße Knollenblätterpilz.
Nach kurzem, knackigen Hinschauen identifiziere ich das Exemplar in der Tüte als Leucoagaricus leucothites (wohl in der Datenbank der Freeware nicht enthalten!). Leider kann keine Entwarnung gegeben werden - denn der mir gezeigte Pilz ist intakt, der Hut ist vollständig vorhanden. Daraufhin erlaubt mir die Frau Doktor, die Patientin zu befragen. Es kommt dabei heraus, dass es sich um einen anderen Pilz handelte, den sie sich einverleibt hatte. Ob sie denn, wenn sie nur den Hut gegessen hat, den zurückgebliebenen Stiel noch hätte, frage ich. Nein, den hätte sie nicht dabei, aber er läge bei ihr zu Hause (er wird mir ein paar Stunden später von ihrer Schwester zur Begutachtung vorbeigebracht: Ergebnis: auch Leucoagaricus leucothites). Die Patientin wird zunächst beruhigt, dass es sich zumindest nicht um den schwerst giftigen Knolli, sondern um einen potenziell unverträglichen Pilz handelt, der aber natürlich auch zu Verdauungsstörungen führen könnte, da roh gegessen.
Aufgrund der Faktenlage ordnet die Ärztin eine Blut- und Leberwerte-Untersuchung an, die in den kommenden Tagen beim Hausarzt ein paar mal wiederholt werden muss. Die Patientin wird von der Ärztin und mir belehrt, dass sie in diesem Fall nichts als großes Glück gehabt habe. Bei diesem Gespräch will ich von ihr wissen, für welche essbare Art sie den Pilz gehalten habe. Darauf sagt sie, sie habe keine Vorstellung, um welche Pilzart es sich handeln könnte. Sie hätte es in der Vergangenheit schon öfters so gemacht, dass sie auf Streifzügen durch Wald und Feld Kräuter, Beeren und Pilze vor Ort verknuspert habe, und noch nie sei etwas dabei schief gegangen.
Fazit: eine junge Naturromantikerin, deren Eltern es offensichtlich versäumt haben, ihr als Kind zu sagen, dass draußen vorgefundene Gegenstände bäbä sind und nicht in den Mund gehören, läuft durch Wald und Feld, pflückt sich hie und da Sachen ab, um die Natur mit allen Sinnen, also auch Geruch und Geschmack zu spüren - und kommt nicht entfernt auf die Idee, dass man sich dabei vergiften könnte. Auf der anderen Seite ist sie, als sie mich nach meiner Smartphone-Nummer fragt, falls sie mir mal selbstgefundene Pilze vorzeigen will, bass erstaunt, dass es Leute wie mich gibt, die kein Smartphone haben.
FG
Oehrling