Seitlings-Problem

Es gibt 4 Antworten in diesem Thema, welches 1.714 mal aufgerufen wurde. Der letzte Beitrag () ist von Beorn.

  • Liebe Pilzfreunde,


    ich habe Anfang September weiße Seitlinge gefunden.
    Nach fast allen Büchern würden die einfach als Sommer-Austernseitlinge oder Lungen-Seitlinge (Pleurotus pulmonarius) durchgehen, aber laut Pablos Portraits zum Beispiel kommen Austern-Seitlinge das ganze Jahr über vor (brauchen also keinen Frost) und laut dem Pilzkompendium von E. Ludwig soll P. pulmonarius eine Gebirgsart sein und in Mitteldeutschland kaum vorkommen (?). Das hieße, dass alle Sommer-"Lungen"-Seitlinge in Wirklichkeit P. ostreatus zuzuordnen sind.


    Hier jedenfalls die Merkmale:
    Sporenpulver weiß. Geruch angenehm, aber nicht anisartig. Hut perlweiß und gilbend, feucht glatt, im Alter lederig. Etwa 1 mm dick. Stiel zäh, Basis striegelig. Lamellen teilweise herablaufend, nicht anastomosierend. Hyphen in Huthaut und Lamellen mit Schnallen, dünnwandig.


    Ich habe den Fund trotz der weißen Farbe als P. ostreatus (Austern-Seitling) bestimmt, hauptsächlich wegen Pablos Portraits ( @Pablo: Was sind eigentlich die Quellen?). Ist das so richtig?
    Und was ist davon zu halten, ob Austern-Seitlinge auch im Sommer wachsen können?



    Entschuldigt die Bildqualität, im Wald war es fast stockdunkel und ich wollte keinen Blitz verwenden.



    Viele Grüße,
    Emil

  • Hallo Emil,
    Das Kernproblem dabei ist ja , daß mit den Zucht-Austernseitlingen , deren Sporen zu milliarden in unsere Umwelt gelangen , eine weitere Art hier in Europa eingeschleppt wurde. Die sollen zwar nur eine Varietät der hiesigen sein , aber die fruchten auch im Sommer.
    Falls (ich weis es nicht) die mit der hiesigen Varietät kompatibel (also kreuzbar) sind , wirds schwierig.
    Falls sie auch mit den Lungenseitlingen kreuzbar sind (was Gott verhüte) , wird die präzise Bestimmung dieser Gruppen in Zukunft oder jetzt schon nur noch über sequenzierung möglich sein.
    Jedenfalls finde ich hier auch im Sommer Seitlinge , welche für den Lungenseitling zu braun sind und auf den "Klassischen" Austernseitling auch nicht so recht passen , Mikro hin oder her.
    Da scheint einigens im Fluß zu sein , zur Abwechselung in der Natur und nicht bei der Nomenklatur.
    Gruß Norbert

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    Pilzchips = 100 -5 APR 2015 +12 APR 2016 = 107 -7 Für APR 2017 = 100 + 5 APR 2018 =105 +5 APR 2019 =110+6 APR 2020=116+5+4 APR2021=125

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    Pilzbestimmung im Netz ist keine Essfreigabe

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    • Offizieller Beitrag

    Hallo, Emil!


    Genau. Und ausgebüxte Zuchtformen von Pleurotus ostreatus brauchen nicht nur keinen frostreiz mehr, sondern hybridisieren auch fleißig mit einheimischen Wildformen dieser Art. Wobei "Frostreiz" auch ein stolzes Wort ist. Auch bei den Urformen muss es nicht unter dem Gefrierpunkt sein. Es reicht ein enstprechender Temperatursturz, zum Beispiel von 20 auf 5 Grad.
    Und das kann halt auch im Sommer hin und wieder passieren.
    Ich habe in diesem jahr so einige Kollektionen aller drei Arten durchgetestet.
    Die Erkenntnisse waren ernüchternd: Wirklich harte Unterscheidungskriterien gibt es fast gar nicht.
    In der Literatur oft erwähnt: Dickwandigkeit der Hyphen in Huttrama oder Lamellentrama. Die Realität sieht so aus, daß das alle drei Arten können, aber alle drei Arten können es auch bleiben lassen. Am regelmäßigsten scheint es bei Pleurotus cornucopioides aufzutreten.
    Ebenfalls mal als ein Kriterium zur Unterscheidung der Arten angeführt: Reaktion des Fleisches mit Sulfovanillin. Leider färben alle drei Arten damit blutrot, und das auch noch sehr konstant.
    Geruch: Pleurotus ostreatus sollte im Grunde nie anisartig riechen. Aber da bin ich mir noch nicht allzu sicher. bei Pleurotus pulmonarius und Pleurotus cornucopiae ist das kein Kriterium. Die können beide nach Anis riechen oder eben auch nicht.
    Wuchsformen, Farben: No Chance. Variiert bei allen drei Arten stark.
    Einzig bei wirklich tief blaugrau oder blaugraubraun gefärbten Fruchtkörpern kannst du auf Pleurotus ostreatus schließen, die anderen beiden Arten niemals mit Blautönen.
    Wenn Stielcortex deutlich braun oder graubraun, dann hast du Pleurotus cornucopiae. Der Stiel kann bei der Art aber auch weiß sein.
    Bleibt im Grunde nur der Habitus. Und da sind vor allem Pleurotus ostreatus und Pleurotus pulmonarius sehr ähnlich.
    Da ist es sehr wichtig, möglichst vollständige Kolektionen zu beobachten.
    Bei Pleurotus pulmonarius sind zumeist immer einige recht kleine, dünnfleischige, "löffelförmige" Fruchtkörper dabei. Der baut gerne Stielchen, setzt dann an denen schön gleichmäßige, seitlich angewachsene, ovale Hütchen an, die eben diese Löffelform bilden. Das macht Pleurotus ostreatus anscheinend sehr selten.
    Pleurotus ostreatus macht auch gerne einen auf dickes Hutfleisch, das wiederum bei Pleurotus pulmonarius im Alter oft fast fehlt.
    Stielbasis: ich bin recht sicher, daß eine stark striegelige Stielbasis eiin recht gutes merkmal für Pleurotus ostreatus ist. Jedenfalls sehe ich das bei dem regelmäßig, bei Pleurotus pulmonarius finde ich nur weißen Filz, nur ganz jung ein paar eher flaumige Haare, nie so was grob Striegeliges.


    Und genau da sind deine Pilze ziemlich fies.
    Denn Bild 1 und Bild 2 passen habituell hervorragend zu Pleurotus pulmonarius.
    Die beiden "Studiobilder" scheinen dann aber Pleurotus ostreatus zu zeigen.


    Erscheinungszeit: Nach wie vor ist Pleurotus ostreatus eine Art des Winterhalbjahres, Pleurotus cornucopiae und Pleurotus pulmonarius sind Arten des Sommerhalbjahres. Aber nach Erscheinungszeiten bestimmt man keine Pilze. Aus oben genannten gründen taucht Pleurotus ostreatus eben auch mehr und mehr im Sommer auf. Die beiden anderen können sicher bei geeigneter Witterung auch mal im Winter auftauchen.



    LG; Pablo.

  • Hallo Norbert und Pablo,


    Danke für eure Antworten!
    Mir kam es darauf an, dass eben doch im Sommer Seitlinge wachsen, die Austern-Seitlingen zugeordnet werden können. Das steht so in kaum einem Buch und ist ja doch schon recht wichtig.


    Vielleicht gibt es ja mal eine Veröffentlichung über Pleurotus. So lange muss man eben möglichst viele Merkmale betrachten und die Art (unsicher) dazuschreiben, zu der am meisten Merkmale passen.


    Viele Grüße,
    Emil

    • Offizieller Beitrag

    Hallo, Emil!


    Ja, so ist das leider. :(
    Theoretisch müsste man da auch jede Kollektion sequenzieren, um überhauot mal sicherzustellen, daß es a) tatsächlich drei Arten (und nicht 2 oder 5) in der Gruppe gibt und b) um herauszufinden, welche Merkmale denn nun wirklich exklusiv zu welcher Art gehören.
    Am Rande noch kurz wegen den dickwandigen Hyphen: Großpilze Baden-Württembergs schlüsselt Pleurotus cornucopiae als "dimitisch" aus. Der erste, der mir bei der Art echte Skeletthyphen zeigt (also völlig unseptiert) bekommt 10 Chips. Meiner Ansicht nach sind das bei allen drei Arten wenn überhaupt nur skeletoide Hyphen (also dickwandig, aber mit Septen). Und das ist nicht dimitisch, sondern monomitisch.
    Nächste Stufe: Untersuchung des Basismycels / Rhizomorphen. Sowie weitere chemische Tests (Guajak? KOH? Melzer? Eisensulfat?). Irgendwo muss es in der Gattung doch solide Trennmerkmale geben.



    LG, Pablo.