Fremde, von der Mykologie völlig unbeleckte, Menschen durch den Wald zu führen und ihnen die Welt der Pilze näher zu bringen macht überwiegend Freude, hat aber auch seine Tücken. Dabei meine ich nicht komplizierte Bestimmungsfragen, sondern etwas viel trivialeres. Es ist die Koordination von Lippen, Zunge und Kehlkopf, die den Führenden manchmal vor schlicht unüberwindbare Probleme stellt.
Es liegt in der Natur des Sache, dass es fast immer eine oder zwei meist recht auffällige Arten gibt, die zum Zeitpunkt der Wanderung überproportional vorhanden sind. Und genau die werden zum Problem.
In den vergangenen Jahren war die absolute Nerv-Art des Führenden ganz klar der Ockertäubling. Dieser wurde einem auf jeder Wanderung hundertfach unter die Nase gehalten. Natürlich hat man ihn gleich zu Anfang der staunenden Zuhörerschaft ausgiebigst erklärt. Und man hat auch darauf hingewiesen, dass der ganze Wald voll davon steht.
Das hält den begeisterten Laien jedoch nicht davon ab, vor jedem aus dem Boden sprießenden Exemplar zweifelnd stehen zu bleiben, ihn schließlich zu pflücken und dem Exkursionsleiter ins Gesicht zu drücken um den letzten Zweifel zu beseitigen.
Dabei gibt es zwei Varianten der Fragestellung:
"Ist das wieder der "von eben" (alternativ = Ockerdings, Dingstäubling, wieheißtdernochmal, Taubenpilz u.v.a)"
oder, mit den ähnlichen Benamsungen
" Das ist jetzt aber nicht der........"
Erstere sind sich fast sicher, dass es eben jener Ockertäubling ist, zweitere haben während der Erklärung vermutlich einer Amsel beim Würmerpicken zugeschaut.
Wie auch immer, der Begriff "Ockertäubling" kommt dem Führenden während einer solchen Wanderung hundertfach über die Lippen. Linguistisch ist das nun kein Problem. Der Name ist kurz und knackig und taugt nicht für Zungenbrecher.
Selbstredend träumt der Führende in der folgenden Nacht von einer Horde Ockertäublingen, die ihn durch den Wald hetzt und zu überrennen droht. Auch ist ein Ockertäubling mal direkt auf der Terrasse gewachsen, wurde immer größer und größer, bis er schließlich das ganze Haus samt Bewohner unter sich begrub.
Wenn man nun glaubt, der Ockertäubling sei der absolute Albtraum eines jeden Führenden, so wurde zumindest ich in diesem Jahr auf wahrhaft satanische Weise eines Besseren belehrt.
Es gab während der diesjährigen, sehr kurzen Speisepilzsaison fast keine Ockertäublinge. Aber es gab etwas wesentlich schlimmeres, und das in Massen. Fatal auch in der Kombination, dass es an Speisepilzen fast nur Holzbewohner wie den Hallimasch oder den Graublättrigen Schwefelkopf gab. Und der Antichrist wuchs auf jedem zweiten Holzstück.
Die Rede ist vom Geflecktblättrigen Flämmling.
Das Schauspiel lief dabei wie beim Ockertäubling ab. Er wurde als einer der ersten Pilze der Zuhörerschaft ausgiebig erklärt. Natürlich incl. eines Geschmackstestes und dem mehrfachen Hinweis auf die fleckig gefärbten Lamellen. Ob man das auf Deutsch, Latein, Suaheli oder Mandarin erklärt, ist dabei völlig wurscht wie mir später klar wurde. Vielleicht hätte ich nicht gleich zu Anfang sagen sollen, dass das kein Speisepilz ist. Wegen der würmerpickenden Amseln.
Aber der Reihe nach.
Gleich am Waldrand steht eine Horde Schopftintlinge. Ich erkläre, dass diese Art essbar ist und kann nicht verhindern, dass einer der Teilnehmer schon eine Sekunde später ein älteres Exemplar zwischen den Fingern hat. Ein anschauliches Beispiel, warum die Dinger "Tintlinge" heißen. Gleichsam bremst es die Sammelwut der Teilnehmer abrupt ein.
Aber "essbar" lässt die Amseln zur Nebensache werden und ich habe die volle Aufmerksamkeit der Gruppe. Also erkläre ich die Merkmale und weise darauf hin, dass man nur junge Fruchtkörper, mit weißen Lamellen sammelt. Dies jedoch bitte erst auf dem Rückweg, denn die Pilze sind empfindlich und würden die Wanderung, zerdrückt von den späteren Funden, sicher nicht überstehen.
Dass ich damit auf dem Rückweg ein Wettrennen provoziere, nehme ich gelassen in Kauf.
Der Weg führt hinab ins Tal. Ein enges Tal, rechts und links mit steilen Hängen versehen, die zumeist mit Fichten besetzt sind. Hier finden sich dann auch sofort die ersten Geflecktblättrigen Flämmlinge, die wie zuvor schon geschrieben, ausgiebig erklärt werden, wie auch einige andere Arten.
Die Gruppe wird dann von der Kette gelassen und darf rechts und links in den Wald. Wie die Gämsen werden die Talhänge erklettert und natürlich schnell die ersten Funde gemacht.
Ich erkläre geduldig den Unterschied zwischen Grünblättrigen und Rauchblättrigen Schwefelköpfen, den Maronenröhrling, der Schwarzpunktierten Schneckling und so manche andere Art. Das geht natürlich nicht so fließend ab, wie es hier geschrieben ist. In der Regel stehen gleich mehrere Teilnehmer um mich herum und drücken mir ihren Fund ins Gesicht. Der Hallimasch sorgt etwas für Entspannung, wächst er doch hier in Massen und wer ihn zu erkennen glaubt, füllt sich erstmal den Korb.
"Was ist das für einer ?"
"Das ist der Geflecktblättrige Flämmling, den ich Anfangs erklärt habe"
"Essbar"
"Nein"
"Und der hier"
"Auch der geflecktblättrige Flämmling"
"Ah, nicht essbar"
"Richtig"
So geht das fast im Minutentakt.
Nach einer halben Stunde und gefühlten 60 Geflecktblättrigen Flämmlingen, bemerke ich erste Ausfallerscheinungen.
"Was ist das für einer?"
"Geblecktflättr...ähhh.. Gefelcktblättriger Flämmling"
"Gefelktblättriger was "
" Nein, sorry...Ge-fleckt-blättriger Flämm-ling"
" Ist das auch ein Flammdings?"
" Ja , das ist auch der Geflecktflämm....geflämmt....Manno.. Geflecktblättriger Flämmling".
Dann hält mir jemand einen Rauchblättrigen Schwefelkopf hin.
"Was ist das für einer?"
"Das ist der......................................" (jetzt komm ich doch nicht auf den Namen, weil ich völlig geflecktblättrig konditioniert bin). "Ach jetzt hab ich ´s, das ist der Rauchblättrige Schwefelkopf".
Dann ist da dieses kleine Mädchen, so um die 8 oder 9 Jahr alt. Ein süßes Ding, aber Tollkirschen sollen ja auch süß sein. Dieses so unschuldig wirkende Geschöpf taucht alle paar Minuten mit einem Geflecktblättrigen Flämmling auf und fragt mich, wie der heißt.
Kinder halt.
Das ein Kind schon satanische Eigenschaften haben kann merke ich, als es mir zum dritten mal haargenau den selben Pilz zeigt. Mir wird klar, dass es dem Mädel gar nicht darum geht, wie der Pilz heißt. Nein, die will sich nur an meinen Zungenstolperen ergötzen.
Es dauert nicht lange und sie steht wieder vor mir. Natürlich wieder mit einem Geflecktblättrigen Flämmling.
"Was ist das?"
Ich beschließe, den Geflecktblättrigen Flämmling nomenklatorisch zu kastrieren und ab sofort nur noch Flämmling zu nennen.
"Fleckling" (verdammt verdammt, verdammt) Flämmling meine ich"
"Und was für einer"
(Miststück) "Der Geflecktblättrige" (Ich staune über mich selber)
Na warte mein Mädel....
Sie kommt natürlich wieder.
"Und was ist das für einer?"
"Pass auf, wir machen ein Spiel. Ich sage Dir wie der heißt, und Du musst das dann zehnmal schnell hintereinander sagen."
"Ohkeeeeh"
Ich sammle den letzten Rest meiner Konzentration. " Das ist der Ge-fleckt-blätt-ri-ge Flämm-ling. So, jetzt Du."
"Geflecktblättriger Flämmling, Geflecktblättriger Flämmling, Geflecktblättriger Flämmling, Geflecktblättriger Flämmling, Geflecktblättriger Flämmling, Geflecktblättriger Flämmling, Geflecktblättriger Flämmling, Geflecktblättriger Flämmling, Geflecktblättriger Flämmling, Geflecktblättriger Flämmling "
Fehlerfrei und wie aus der Maschinenpistole geschossen.
"Das hast Du sehr gut und richtig gemacht. (du neunmalkluges, hinterlistiges Aas) Jetzt kannst Du hier bei mir bleiben und jedes Mal wenn einer mit diesem Pilz kommt, sagst Du ihm wie der heißt."
"Och nöööö, der Pilz ist doof"
"Strike"
Nach vier Stunden sind wir wieder am Parkplatz. Die Teilnehmer müssen Ihre Körbe auskippen, damit ich die Funde untersuchen kann. Ich picke wenige Grünblättrige Schwefelköpfe und ein paar zu alte Hallimasch raus, erkläre, was das ist und warum ich die aus dem Korb nehme, finde aber nicht einen einzigen Geflecktblättrigen Flämmling. Der Herr hat ein Einsehen mit mir.