Basierend auf dieser Diskussion
http://www.pilzforum.eu/board/…e-mit-einer-sequenzierung
möchte ich einen Diskussionsfaden hierhin verlagern. Zum einen, weil er es sicher wert ist, zum anderen um Dieters schönen Bericht nicht vollständig zuzerschießen.
Um einen Einstieg zu bekommen, möchte ich gerne meine Erfahrungen aus der Mineralogie wiedergeben. Damit habe ich mich fast zwei Jahrzehnte intensiv befasst, es über viele Jahre zu meinem Beruf gemacht und stelle nun einen vergleichbaren Trend fest. Natürlich haben wir es in der Mineralogie nicht mit Genetik zu tun, sondern mit Chemie und Physik. Das Gegenstück zur Sequenzierung ist hier die EDX-Analyse. Damit kann man ein Mineral in seine Bestandteile zerlegen und die genaue Zusammensetzung analysieren.
Wie in der Mykologie gibt es auch in der Mineralogie die Feldforschung und die Laborforschung. Und ebenso gibt es eine große Zahl Feldmineralogen, die draußen mit unterschiedlichem wissenschaftlichem Hintergrund die Proben sammeln und bestimmen.
Diese Feldmineralogen mussten/konnten bis ca. in die 80er Jahre alleine nach makroskopischen Gesichtspunkten bestimmen. Allenfalls die geologischen Begleitumstände kamen noch als Hilfsmittel hinzu. Und selbstredend gab es dort unterschiedliche Ansichten bei vielen Mineralien, ob diese identisch sind oder nicht. Die EDX-Analyse gab, neben der fortschreitenden REM-Technologie Antworten. Prima Sache, eigentlich.
Natürlich hatten nur die wenigsten Feldmineralogen die Möglichkeit, Ihre Proben kostenlos untersuchen zu lassen. Für die meisten bedeutete das einen erheblichen finanziellen Aufwand. Außerdem bekam man dafür ja nur das Ergebnis der untersuchten Probe. Ob die identisch aussehenden Kristalle die man zwei Meter weiter gefunden hatte das gleiche Mineral waren, blieb natürlich offen. Oder man musste alle Funde untersuchen lassen, was den durchschnittlichen Geldbeutel deutlich überforderte.
Aber man konnte damit leben, weil die Zahl der Mineralien die man makroskopisch nicht unterscheiden konnte überschaubar war.
Es dauerte jedoch nicht lange, dann fingen die Laborwissenschaftler an, aus einem Mineral gleich ein Dutzend zu machen. Hier ein Ticken Chrom, da ein Peak Strontium, dort eine winzige Priese Cer, und schon war ein neues Mineral geboren.
Das war der Supergau für die Feldmineralogen, die kaum eine Chance hatten Ihre Funde nun wissenschaftlich korrekt zu benamsen. Gut, man konnte sich der ausufernden Systematik verweigern und einfach die althergebrachten Namen verwenden, wissenschaftlich gesehen war das jedoch unbrauchbar.
Ich springe jetzt in die Mykologie, komme aber später nochmal auf die Mineralogie zurück. Denn trotz scheinbarer Parallelen hat die Mineralogie noch einen entscheidenden Vorteil gegenüber der Mykologie.
Aber zuerst zu Ingos Anmerkungen aus dem Ursprungsthread:
Alles anzeigenStellen wir uns im westlichen Europa den Fliegenpilz vor, fangen wir in GB an. Diese Aufsammlung unterscheidet sich nur gering von einer Nachbaraufsammlung in Portugal. Übereinstimmung der Sequenzen fast perfekt 99%.
Die Aufsammlung von Portugal stimmt fast perfekt 99% mit einer Aufsammlung in Spanien überein. Sind in Versuchen alle drei noch gut miteinander kreuzbar.
Wir ziehen auf diese Art und Weise jetzt immer weiter nach Osten, jedes Mal ist die Sequenzübereinstimmng der Nachbarn 99%, jedes Mal weicht also nur ein Basenpaar ab oder vielleicht 2, jedesmal kommen wir auf das Ergebnis muss Fliegenpilz sein.
Jetzt sind wir mit dieser Methode am Ural angekommen, auch dort sind die Pilze noch unpolitisch und der ukrainische Fund hat 99% Übereinstimmung mit dem russischen, also dort auch noch Fliegenpilz, dort auch noch miteinander kreuzbar, dort auch nur Abweichung 1 Basenpaar der Nachbararten.
Vergleicht man aber jetzt den letzten der Serie, also den russischen mit dem ersten, dem GB-Fund, und lässt sich dort die Abweichung ausdrucken, sind wir eventuell bei einer Übereinstimmung der Basenpaare von nur noch 95%, und vielleicht sind diese auch nicht mehr miteinander kompatibel.
Und jetzt?
Eigentlich könnten die russischen Mykologen ja jetzt eine neue Art beschreiben, denn die "übliche" Abweichung zur britisch hinterlegten Sequenz reicht aus.
VG Ingo W
Des Pudels Kern haargenau getroffen, Ingo. Um bei Deinem Beispiel eine korrekte Antwort zu bekommen, muss die Typusform des Fliegenpilzes definiert werden. Welcher also ist derjenige, mit dem man alle anderen vergleicht? Der in der geografischen Mitte? Der, welcher zuerst sequenziert wurde? Der, welcher vom anerkanntesten Mykologen beschrieben wurde? Auswürfeln? Wer legt das fest?
Und jetzt wieder zurück zur Mineralogie.
Diese hat gegenüber der Mykologie einen entscheidenden Vorteil. Der heißt IMA https://de.wikipedia.org/wiki/…Mineralogical_Association
Eine internationale Gesellschaft, die weltweit die Kriterien für Neubestimmungen und nomenklatorische Änderungen festlegt. Als anerkannt gilt ein neues Mineral nur dann, wenn die Bestimmungen der IMA eingehalten wurden. Und nur der weltweit gültige nomenklatorische Katalog der IMA gilt. Auch hier gibt es natürlich Differenzen in der Fachwelt und die IMA ist auch nicht ganz unumstritten. Aber sie ist die Basis für die gesamte, weltweite Mineralogie.
In der Mykologie gibt es so etwas nicht. Im Prinzip kann jeder eine neue Art beschreiben, wenn bei dieser Beschreibung gewisse "bürokratische" Regeln eingehalten werden. Die Sequenzierung wird eine Explosion an "neuen" Arten auslösen. Vielleicht noch nicht heute, aber gewiss in einigen Jahren. Unkontrolliert, unreguliert und auf Gedeih und Verderb der Sorgfalt und des Ehrgeizes des jeweils untersuchenden ausgeliefert. Die Anerkennung wird abhängig sein von der Zahl der Gläubigen, sozusagen Bestimmung nach demokratischen Gesichtspunkten.
Solange es keine international anerkannte Institution gibt, die die Regeln festlegt, die jede "neue" Art prüft und freigibt oder verwirft, wird sich die Mykologie in einem nomenklatorischen Chaos befinden.
Aber gut, stellen wir uns vor in einigen Jahren gibt es eine weltweit anerkannte Institution, die sich genau damit beschäftigt. Nehmen wir an, wir schaffen den gleichen Status wie die Mineralogie. Ist dann alles gut ?
Beileibe nicht.
Denn auch dann wird die Sequenzierung bei sehr vielen Arten unausweichlich für eine korrekte Bestimmung sein. Ein Aspekt, der wiederum den persönlichen Geldbeutel belastet. Nehmen wir eine heutige Kartierungsexkursion. Schon dabei sitzen manche Mykologen danach wochenlang vor Mikroskop und Literatur um schwierige Arten zu bestimmen. Denn, das wissen wir alle, für eine Kartierung zählen nur einwandfrei bestimmte Arten. Fügen wir nun noch die Sequenzierung als unerlässlich hinzu, so kann einen schon eine einzige Exkursion monatelang beschäftigen und ziemlich viel Geld kosten. Wer macht das? Wer zahlt das?
Für mich steht außer Frage, dass für die Zukunft der Mykologie - und in diesem Zusammenhang auch für den Naturschutz - eine strikten Trennung von Feld- und Laborforschung unerlässlich ist. Und es steht für mich ebenso außer Frage, dass die Nomenklatur von der Sequenzierung vollkommen unberührt bleiben muss. Sie darf allenfalls eine Hilfestellung sein, wenn es darum geht makroskopische und mikroskopische Unterschiede als artrelevant einzuordnen oder nicht.
In dem Moment, wo die Sequenzierung alleine zur Artentrennung und Neubeschreibung herangezogen wird, wird die Feldmykologie den Status des Briefmarkensammelns bekommen.