Hallo Craterelle!
Zitat
Mein Anlass, mich mit der ganzen Thematik auseinanderzusetzen, war die Bemerkung eines Pilzfreunds, dass einer seiner Kollegen die Mykologie an den Nagel hängen wollte, weil er seine Arbeit durch die Sequenzierungen gefährdet/missachtet/entwertet sah (den genauen Wortlaut weiß ich nicht mehr, tut aber wenig zur Sache, weil ohnehin nur aus zweiter Hand).
Da läuft doch offensichtlich etwas gewaltig schief?
Ist wohl wie überall, liegt daran, wer was womit daraus macht.
Mir haben die Ergebnisse sehr geholfen beim Verstehen einiger Holzmollisien. Ich sags gleich, irgrendwelche endgültige Bewertungen anhand nur einer Sequenz ist für mich Unsinn. Da kann nämlich einiges schief laufen, und dann kommt man eben auch mal zum Ergebnis, dass der Fliegenpilz eigentlich ein Birnengitterrost ist.
In den wenigsten Fällen haben die Sequenzergebnisse meine Bestimmungen boykottiert, lediglich anders sortiert.
Also wenn man z.B. meint, dass 2 aus menschlicher Sichtweise sehr ähnliche Arten unbedingt im Bäumchen beieinanderstehen müssen, weil wir eben bisher erst wenig Unterschied gefunden haben, dann wird man manchmal überrascht.
Per Evolution sind manchmal recht gleiche (momentane) Ergebnisse rausgekommen über unterschiedliche Wege, was man dann halt im Bäumchen der Abstammungsherleitung sieht.
Als Beispiel würde mir einfallen, dass ja sehr unterschiedliche Gattungen für die Oberflächenvergrößerung der Fruchtschicht mit der Lamellenform "rumgespielt" haben.
Die genauen Zusammenhänge kenne ich jetzt nicht, aber der Spaltblättling, der Speisetäubling und der Riesenschirmling sind ja nicht gerade sehr verwandte Arten.
Oder für einen Mykologischen Wenig-Auskenner (MWA) sind ja auch Pfifferling und Falscher Pfifferling fast gleich, und sollten deshalb bei einer Pilzausstellung besser nebeneinander liegen, auch wenn das entwicklungstechnisch falsch ist.
Ich glaube, das ist das, wovor man so ein bisschen Angst hat.
Als aktuelles Beispiel könnte man eben Psilocybe aufführen, die Zuwachs durch Stropharia kriegt, sich aber Deconica verabschiedet oder so ähnlich.
Dass jetzt alles vom Feldmykologen nicht mehr bestimmbar ist, glaube ich nun nicht.
Als Makroskopiker und allumfassend interessierter Feldmykologe hat man ja ohnehin immer schon besser die Finger von bestimmten Gattungen sein lassen sollen wie Schleierlinge, Rötlinge, Weichbecherchen, helle Corti-Belage usw.
So nach und nach sind Filzröhrlinge per Auge nicht mehr bestimmbar gewesen, Neben dem Weißen Jungfernhaarbecherchen stellen sich plötzlich 50 andere, Pezizen gehen selbst mit Mikro schlecht usw.
Und jetzt mit der Sequenziererei sieht man sich auch noch der letzten Pilzgattungen beraubt, und offizielle Pilzwanderungen müssen ausfallen, weil der führende PSV ein schlechtes Gewissen kriegt, wenn er einen Perlpilz als Perlpilz verkauft.
Ich denke, da liegt die Hundsrute begraben.
Ich selbst bin ja wie einige andere davon überzeugt, dass Makromerkmale weiterhin aktuell sind, und dass Mikromerkmale nichts widersprüchliches zu Sequenzergebnissen darstellen.
Suspekt sind mir aber die Aufdröseler, die für jede Abweichung innerhalb der Gattung sofort eine neue brauchen. Ob das immer so sein muss?
VG Ingo W