Hab ich eigentlich schonmal einen rein mykophagischen Bericht geschrieben? Nee, glaube nicht. Speisepilze sammeln, also nur mit dem Focus was für die Pfanne zu finden, hab ich schon Jahre nicht mehr gemacht. Klar, zur Saison ist oft ein Körbchen dabei. Und fast genauso oft bleibt es leer. Es gibt halt meist so viel anderes zu entdecken, Becherlinge natürlich. Wie will man da zu einer Mahlzeit kommen?
Vielleicht war es die Champignonwiese aus Teil I, die mich getrieben hat, heute mal nur und ausschließlich nach Speisepilzen zu schauen. So wie früher halt. Außerdem hatten wir letzte Woche die erste Handvoll Pfifferlinge gefunden, da könnte ja was gehen.
Nun, ich kenne mehr als ein Dutzend produktive Pfifferlingsstellen. Frühe, späte, im Nadelwald, im Laubwald, unter Haselsträuchern etc. Also Körbchen, Messer und Pinsel geschnappt und los. Natürlich kommt auch der BUR (Becherchenutensilienrucksack) samt Fotoapparat mit. Man weiß ja nie....
Zielsicher laufe ich die produktiven Pfifferlingsstellen ab. Erst die frühen im Laubwald. Nix. Dann mal die Wegböschungen absuchen. Auch nix. Im Nadelwald vielleicht? Nä, immer noch zu trocken da.
So steh ich dann nach zwei Stunden am Scheideweg. Weiter dem Weg nach und nach Becherchen suchen? Oder die Abkürzung den Berg hoch durch den kleinen Buchenwald? Irgendwie hab ich den Antrieb verloren, will auch nicht mehr nach Becherchen suchen. Die Abkürzung durch den Buchenwald ist öde. Da gibt es nix, gar nix. Nur Buchen halt, und Ilex. Aber es ist der kürzeste Weg. Und den bin ich schon oft gegangen, wenn die Lust nicht mehr ausreichte, den Berg zu umrunden. Gefunden hab ich da noch nie was, auch keine Becherchen.
Unlustig mache ich mich an den Aufstieg. Ein uralter Weg führt zwischen den Buchen hinauf, entlang eines Siefens. (Ein Siefen ist ein tiefer Einschnitt im Gelände, mit meist sehr steilen Flanken, verursacht durch kleine Rinnsale die sich im Laufer der Zeit tief eingefressen haben. Der Name rührt vom alten Begriff "siefen" für Tröpfeln oder Sickern her.)
Oben, am Beginn des Siefens, ist eine Buche umgestürzt. Der Zunderschwamm hat sein Werk getan. Doch was ist das? Schon von weitem seh ich es an dem Buchenstamm weiß leuchten. Ich ahne es, und als ich näher komme wird es zur Gewißheit. Lungenseitlinge in Kompaniestärke. Sind ein bisschen labberig, riechen aber angenehm nach Anis. Gegessen hab ich sie noch nicht, nur mal ein paar probiert. Ging so.
Ach was solls, ich pflück mir eine Portion noch jüngerer Exemplare. Mal scharf durchbraten und dann sehen wir mal. Immerhin das erste mal, das ich in diesem Waldstück was nennenswertes finde. Die "Ernte" ist schnell getan.
Ich dreh mich um und will weiter aufsteigen, da seh ich was. Kann doch jetzt nicht sein.....
Es leuchtet orange-gelb. Und ich bin noch mindestens 20 Meter weg. Hier sollen Pfifferlinge wchsen? Hier, im pilztechnischen Niemandsland? Und dann gleich auch noch ne ganze Horde?
Ungläubig steige ich weiter, tatsächlich Pfifferlinge. Und nicht mal wenige. Die Ernte wird eine Zeremonie. Jedes Pfifferlingchen wird sorgsam gepflückt und abgepinselt. Fotos werden natürlich auch gemacht. Es dauert ein Weilchen.
Das Foto ist nicht gestellt, die wuchsen wirklich so schön in Reih und Glied.
Als das letzte Stück im Körbchen gelandet ist, schau ich nochmal zurück auf den Buchenstamm. Und kann es erneut nicht fassen. An der Siefenseite, an der ich aufgestiegen bin und die ich ob der Steilheit der Flanke nicht einsehen konnte, leuchtet es mir jetzt ebenfalls gelb entgegen.
Nix wie hin. Die Siefenflanke ist steil. Und sie ist rutschig. Aber das kenn ich ja. Dort, wo ich einen halbwegs sicheren Stand habe, schnell ein Foto gemacht.
Der nächste Schritt ist dann vorerst der letzte. Statt "Siefen" hätte man die Dinger auch "Seifen" nennen können. So glatt sind die Hänge jedenfalls. Es geht also abwärts. Seitlich, den Korb in die Höhe haltend sause ich gut fünf Meter gen Rinnsal. Ich lande sanft und mit allen Pilzen im Korb. Das ist bei weitem nicht selbstverständlich. Weh tun kann man sich bei der Landung kaum, denn alles ist weich. Matsch ist halt weich und reicht hier bis halbe Wadenhöhe. Und durch diesen Matsch muss man dem Siefen folgend absteigen, denn den Hang wieder zu erklimmen versuchen ist chancenlos. Es ergeht einem, wie einer Fliege in einer Kannenpflanze. Also hundert Meter runter, da kann man raus. Dann wieder zurück bis auf Höhe der Pfifferlinge.
Zuvor muss man allerdings mit ein paar trockenen Ästen den Matsch von der Hose kratzen. Und auch das, was sich beim gleiten unter das T-Shirt geschoben hat wird grob entfernt.
Dann steh ich, mit nassen Füßen, völlig verdreckter Hose, halb in Fango gepackt und leicht moderig müffelnd wieder am Ausgangspunkt. Ich luge über den Rand und die Pfifferlinge lachen mir höhnisch entgegen. Von oben komm ich nicht dran. Soll ich sie stehen lassen?
NIEMALS.... das geht gegen die Ehre.
Also Strategie entwickeln. Der Korb bleibt oben, das ist schonmal klar. Im Rucksack ist noch eine Stofftasche, die muss mit. Akribisch suche ich den Hang nach der besten Route ab und auf gehts. Völlig unakribisch lande ich wenig später erneut im Siefen. Die ausgemachte Route war gut. Der blöde mit Schmierseife eingeschmierte Ast unter dem Laub war ungut. Nochmal absteigen, nochmal Schlamm abkratzen, nochmal wieder hoch.
Die Pfifferlinge lachen immer noch.
LACHT DOCH, IHR WERDET IN DER PFANNE SCHMOREN, SO WAHR ICH HIER STEHE.
Und zum dritten. Diesmal klappts. Zwar knapp, denn zweimal noch rutsche ich, kann mich aber halten. Auch zurück schaffe ich es. Den Stoffbeutel zwischen den Zähnen und mit beiden Händen in den Lehm krallend. Dann erstmal Pause. Völlig bekloppt das Ganze, aber schön. Wie in alten Zeiten halt.
Sekunden vor dem Abgang.
Weiter oben, am Waldrand finde ich noch verschiedene Täubling und zwei "Birkenpilze".
Ist ja schon seltsam, dass in einem Waldstück, das über Jahrzehnte keinen vernünftigen Pilz produziert hat, plötzlich eine so schöne Beute erscheint. Wer kennt sich schon mit Pilzen aus?
Mahlzeit.