Bestimmung der offiziellen Bezeichnung

Es gibt 3 Antworten in diesem Thema, welches 808 mal aufgerufen wurde. Der letzte Beitrag () ist von Beorn.

  • Hallo zusammen,
    ich hab da mal eine andere Frage, welche in einer kürzlichen Taxonomie-Diskussion aufgetaucht ist. Dieser Post ist ja keine eigentliche Bestimmungsanfrage. Eher eine Bestimmung des richtigen lateinischen Namens oder die Bestimmung des Prozesses dazu, aber dazu gleich folgend mehr. Wenn ihr meint, den Post in eine andere Kategorie zu verschieben - gerne :)


    In der Schweiz gibt es innerhalb der Verordnung über Speisepilze und Hefe eine sogenannte Positiv-Liste. Diese Pilze sind vereinfacht gesagt "handelbar". Sie beinhaltet sowohl den latenischen Namen wie auch den Deutschen. Die Liste ist grundsätzlich absolut, was heisst wiederum vereinfacht, nicht drin gleich nicht handelbar. Es gibt einen gewissen behördlichen Handlungsspielraum, der auch mal interessant wäre zu diskutieren, aber es geht mir hier vor allem um die folgende Frage:


    Wie stelle ich abschliessend fest, ob es sich um eine offizielle abgesegnete Namensgebung handelt, welche auch verbindlich gültig ist und nicht nur eine Expertenmeinung eines Author ist?


    Ein Beispiel:
    In der Positivliste ist natürlich der Austernseitling drin mit der Bemerkung, dass sämtliche Varietäten von P. ostreatus auch handelbar sind. Der Limonenseitling oder der Rosafarbige Seitling findet man als eigene Art und als Varianten. Heute eigentlich grossmehrheitlich als eigene Art (zB P. citrinopileatus). Der P. citrinopileatus ist in der Schweiz nicht aufgeführt und wäre auch nicht zugelassen. Als Varietät betrachtet schon.


    Es geht mir weniger um die Lösung des beschriebenen Seitling-Falles, sondern mehr darum wie ein Laie sich informieren kann, was wirklich die aktuell gültigen Bezeichnungen sind. Ich verwende oft das Abbildungsverzeichnis Europäischer Grosspilze von der APS. Das ist zwar äusserst hilfreich (vorallem in der privaten Anwendung), allerdings zweifle ich daran, ob dies wirklich offiziell ist.


    Was ich suche, ist eine offizielle Liste, welche auch vor Gericht verwendet werden würde. Meine dies lediglich zur Veranschaulichung, ich hab keine Absichten vor gericht zu gehen :)


    Ihr habt mich sicher verstanden und freue mich schon auf die Antworten und Diskussion.


    Beste Grüsse
    Stephan

    Ein Pilzler Namens Guschti Frei

    fand im Wald ein Hexenei.

    Voll Gwunder pocht er ein`ge Male

    an die butterweiche Schale;

    ob wohl ein Vogel drinnen sei?


    Chipcount 68: 100 -15 Beitrag APR2017, +10 Platz 8 (APR2017), +14 Platz 2 (Platzwette APR2017), -15 Beitrag APR2018 +10 Platz 6 (APR2018) - 15 Beitrag APR2019,

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    • Offizieller Beitrag

    Hallo, Stephan!


    So einfach ist das allerdings nicht.


    Zitat


    Wie stelle ich abschliessend fest, ob es sich um eine offizielle abgesegnete Namensgebung handelt, welche auch verbindlich gültig ist und nicht nur eine Expertenmeinung eines Author ist?


    Die Expertenmeinung ist die offizielle Namensgebung. Zumindest ist es in der Regel die fachlich fundierteste Einschätzung der Situation.
    Und mit "Experte" ist hier definitiv jemand gemeint, der zu einem Fachgebiet (in erwähnten Fall wäre das Fachgebiet zB "Pleurotus s.l.") erstens forscht und zweitens publiziert. In wissenschaftlichen Fachorgenen / Zeitschriften.
    Mal sorum ausgedrückt: Ich habe auch schon etliche Seitlingskollektionen beobachtet, untersucht (auch mikroskopisch) und versucht zu bestimmen, in dem Zusammenhang dann auch einige Facharbeiten zum Thema gelesen. Aber: Ich bin kein Experte auf diesem Fachgebiet. Dafür reichen Wissen (auch Literaturwissen) und Erfahrung (bei kaum mehr als zwei Dutzend untersuchten Pleurotus - Kollektionen) nie und nimmer aus.


    Eine "offizielle" Stelle zur Nomenklatur gibt es nicht. Das wäre auch nicht möglich, da sich unser Wissen über die Pilze permanent verändert und nie absolut sein kann, weil auch die Pilze selbst sich entwickelnde und verändernde Lebewesen sind. Die Forschungsarbeit endet nie, wie in allen anderen biologischen Bereichen auch. Dadurch verändert sich unser Wissensstand, unsere Sichtweise und unsere Einschätzung von Arten und dem Artbegriff als solchem.
    Logisch, daß sich dabei auch der nomenklatorische Hintergrund ändern muss und sich an unser momentanes Bild einer Art anpassen muss.


    Listen, wie die von dir angeführte, können also in Wirklichkeit nie mehr als vage Orientierungshilfen sein.
    Wollte man die wirklich einigermaßen aktuell und auf einem wissenschaftlich korrekten taxonomischen Stand halten, müsste für jedes Fachgebiet mindestens einmal im Jahr ein/e Experte/Expertin für jeden einzelnen Fachbereich diese Liste nachkorrigieren.


    Mir ist bewusst, daß Behörden gerne so tun, als hätten sie zu irgendwas einen "offiziellen" oder "letztgültigen" Stand, der "Tatsachen" entspricht.
    Sowas würde ich mal "Amtswahrheit" nennen, und das hat - bezogen auf die Wirklichkeit - ungefähr den Stellenwert von "Alternative facts" des Trumpeltieres. ;)


    Insofern hilft nur - wenn man es wirklich wissen und verstehen will: Pilze beobachten und vergleichen, und dabei Lesen, lesen und lesen.
    Mit "Lesen" sind auf keinen fall irgendwelche verstaubten Listen eines behördlichen Kasperletheaters gemeint, sondern Fachliteratur. Also wirkllich relevante Veröffentlichungen.



    LG; Pablo.

  • Hallo Pablo,
    Ein super Antwort - Danke. Nicht was ich erhofft hatte zu lesen, aber definitiv eine Klärung der Situation.
    Die Behörden müssen da dann wohl mit gewissen Widersprüchen leben, was im Seitlingsfall ja nicht wirklich
    entscheidend oder gar relevant ist.


    Mir gefällt Deine Umschreibung der Amtswahrheit. Eigentlich funktioniert dieses Anwendung in der Praxis sehr gut. Soweit
    ich es beurteilen kann, gibt es sehr wenige problematische Situationen.


    Wir könnten ja etwas Störenfried spielen und die Zitronenseiten-Händler verklagen. :D


    Beste Grüsse aus der Schweiz
    Stephan

    Ein Pilzler Namens Guschti Frei

    fand im Wald ein Hexenei.

    Voll Gwunder pocht er ein`ge Male

    an die butterweiche Schale;

    ob wohl ein Vogel drinnen sei?


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    • Offizieller Beitrag

    Hallo, Stephan!


    Solange es funktioniert, ist auch wirklich alles gut.
    So wie ich das von Freunden und Bekannten mitbekomme, funktioniert das Abstimmen von behördlichem Vorgehen mit wissenschaftlicher Erkenntnis in der Schweiz oft direkter und zügiger als in Deutschland.
    Aber am besten weckt man in beiden Ländern schlafende Löwen nicht. :whistling:
    Also deckt man lieber den mantel der Verschwiegenheit über das taxonomische Problem der Zitronenseitlingshändler.



    LG, Pablo.