Diskussion über Amanita verna?

Es gibt 14 Antworten in diesem Thema, welches 7.426 mal aufgerufen wurde. Der letzte Beitrag () ist von Tricholomopsis.

    • Offizieller Beitrag

    Hallo ihr lieben,


    ich seitze seit einiger Zeit an einer äähm sagen wir mal Veröffentlichung ;) und brauche mal bitte eure Meinung.


    Es geht um Amanita verna.


    Meine Fragen:


    1. Haltet ihr das für eine gute Art?
    2. Gibt es gesicherte Nachweise in Deutschland (ich meine hier nicht die Fundpunkte auf Pilze Deutschlands, denn das könnten auch Fehlbestimmungen sein)
    3. Wie unterscheide ich die Art von A. phalloides var. alba und ggf. noch von A. virosa?


    Je mehr ich darüber lese, desto mehr verunsichert mich die Sache. Hoffe an dieser Stelle auf eine spannende Diskussion.


    l.g.
    Stefan

    Risspilz: hui; Rissklettern: bisher pfui; ab nun: na ja mal sehen...


    Derzeit so pilzgeschädigt, das geht auf keine Huthaut. :D


    Meine Antworten hier stellen nur Bestimmungsvorschläge dar. Verzehrsfreigaben gibts nur vom PSV vor Ort.


    PSV-Prüfungstemine 2024: hier


  • 1. Haltet ihr das für eine gute Art?


    Servus Stefan,


    ja, halte ich (und nicht nur ich, das würde nicht zählen - auch z.B. Tulloss und viele weitere Autoren).


    Zitat

    2. Gibt es gesicherte Nachweise in Deutschland (ich meine hier nicht die Fundpunkte auf Pilze Deutschlands, denn das könnten auch Fehlbestimmungen sein)


    Ich weiß, dass Georg Müller (der PilzePilze-Müller) Amanita verna s.str. in Baden-Württemberg gefunden hat. Ich kenne die zugehörigen Fotos, die absiolut typisch aussehen. Georg hat sicherlich auch die KOH-Reaktion getestet.


    Zitat

    3. Wie unterscheide ich die Art von A. phalloides var. alba und ggf. noch von A. virosa?



    Eigentlich sehr einfach... Das Problem ist ja eher Amanita phalloides var. alba
    Amanita verna hat keinen genatterten Stiel (es sind jung feine Flocken auf dem Stiel, aber der Stiel nattert nicht auf, wenn ers ich streckt)
    A. verna zeigt eine deutliche, goldgelbe Reaktion mit KOH (A. phalloides var. alba nicht)
    A. verna hat kürzere Cheilocystiden
    A. verna hat länglichere Sporen (größerer Quotient, wobei sich die Bereiche quasi berühren, aber A. verna hat dann doch recht lang-ellpsoide Sporen, es streut weiter nach oben)


    Tulloss diskutiert frühere Probleme mit dem Konzept der A. verna (Problem wie immer: kein Typusbeleg): http://www.amanitaceae.org/?Amanita%20verna


    Amanita virosa ist schon makroskopisch so unterschiedlich, dass da eine Verwechlung kaum möglich ist, finde ich (Hutform, Stieloberfläche, Geruch - die Kellergewölbekomponente usw.). Zudem sind die Sporen ja fast kugelig.


    Vergiss aber auch Amanita porrinensis nicht - die sieht eher nach Amanita virosa aus, unterscheidet sich aber z.B. durch den Hutbuckel, die kleinen, deutlich ellipsoiden Sporen und das rötende Fleisch.


    Zitat

    Je mehr ich darüber lese, desto mehr verunsichert mich die Sache.


    Es ist die Frage, welche Quellen du nimmst. Wie gesagt, lies mal Tulloss Diskussion durch. Man hat früher ständig A. phalloides var. alba fälschlicherweise als A. verna bezeichnet, um das dann deshalb zu synonymisieren. Amanita verna kommt in Deutschland wohl nur in den wärmsten Ecken vor und ist ein klar mediterranes Element. Die frühe Erscheinungszeit ist auch auffällig.


    LG
    Christoph

    • Offizieller Beitrag

    Hallo Christoph,


    herzlichen Dank. Das hilft enorm weiter. :thumbup:


    l.g.
    Stefan

  • Hallo in die Runde,


    obwohl ich früher schon einmal in der Literatur über A. verna gestolpert war, hatte ich keine Idee jener Art. Insofern danke ich allen Beteiligten für diese spannende Diskussion.


    Habe gerade im Ludwig (2012) nachgeschlagen. Dort heißt es bei den Verwechslungsmöglichkeiten der weißen Varietät des Grünen Knollis:


    Zitat


    Makr. kaum zu unterscheiden ist A. verna (Bull.: Fr.) Lam. (= A. phalloides var. verna (Bull.: Fr.) Rea), eine südliche, ebenfalls tödlich giftige Art. Frk. kleiner (Hut 4 –“ 8 cm breit), Stiel glatt, weder schuppig noch genattert, höchstens fein beflockt. Wächst nur im Frühjahr (IV –“ VI) und hat eine Manschette, die lange von rein hyphigem Aufbau ist. Sp. nach ARNOLDS (OvPad): 8,5 –“ 13 x 5,5 –“ 8,5 µm, nach LA CHIUSA (BollGMB 2000): 9,5 –“ 11 x 7,5 –“ 9 um, nach NEVILLE & POUMARAT (FE 9:( (8) 9 –“ 11,5 (12) x (5,5) 6 –“ 8,5 (9) µm. (Lit.: AChE I: 12 + Tf. 5 linke Fig.*, 6*, 7* (alle sw.); Bettin 75*; BolCat 205*; BollGMB 2000 (2): 107 –“ 112*; Bres 4*; FE 9: 581 –“ 587, 896*, 996f*; Flam 129* oben; FuAm 78f*; GBaWü 4: 40; Gilb 1: 49 –“ 52; Hong 602*; Massart 51*; Mos/Jül 17*; NouvAtl I Tf. 33 A*; Par 71 –“ 74; RinTynd 28*; Trav 81*). Die var. decipiens Trimbach reagiert mit KOH auf HDS. goldgelb. Dies ist auch am Exsikkat noch feststellbar. (Lit.: BSLinn 52: 6 –“ 10; FE 9: 587 –“ 989, 897*; FuAm 80f*; Md 10*; Roux 945*).
    Siehe auch A. phalloides var. larroquei bei Nr. 99.49.A.



    Zitat
    • var. larroquei Massart & Beauvais ex Massart: Hut gebuckelt, weiß (höchstens mit schwachen, gelblichen Flecken). Stiel auffallend lang i. V. z. Hut und weder genattert noch schuppig. Mikros wie bei der Typus-Varietät. Bisher nur in Frankreich gefunden. Evtl. mit var. alba identisch? (Lit.: BSBord 12 (3): 115f; FE 9: 575f; Frait 93; Garcin 179).


    Das ist also genau der Knackpunkt: Entgegen Ludwigs Ausführungen reagiert A. verna mit KOH auf der Huthaut immer gelb und falls nicht, ist es A. phalloides var. alba?


    Mal schauen, wann ich Zeit finde, den Wikipedia-Artikel zu überarbeiten. :/


    Gruß, Andreas


  • Das ist also genau der Knackpunkt: Entgegen Ludwigs Ausführungen reagiert A. verna mit KOH auf der Huthaut immer gelb und falls nicht, ist es A. phalloides var. alba?


    Servus Andreas,


    ersteres ja: Amanita verna reagiert mit KOH chrom- bis goldgelb (aber nicht orange). Die var. decipiens ist überflüssig, denn das ist eigentlich Amanita verna s.str. (Trimbach hatte, nachdem man Amanita verna als nicht reagierend interpretiert hatte, diese Varietät aufgestellt, um die mediterrane, mit KOH gilbende Sippe zu benamsen - da das aber A. verna s.str. ist, ist var. decipiens nur ein überflüssiger Name).
    Die zweite Aussage ist falsch - es gibt mehr tödlich giftige, weiße Amaniten.
    Lies mal die Zusammenfassung von Tuloss durch, die ich oben verlinkt habe... In Nordafrika (Marokko, Algerien) gibt es eine weiße Amanita, die nicht mit KOH reagiert, aber auch nicht Amanita phalloides var. alba ist: Amanita tarda (Amanita verna var. tarda). Sie kommt, glaube ich, auch in Sizilien vor und ist noch mediterraner als Amanita verna. - Tuloss hat sie nicht als Art benannt, sondern weist auf nicht reagierende Kollektionen aus Nordafrika hin.


    Ich habe jetzt gerade auch nicht auswendig parat, ob Amanita porrinensis mit KOH reagiert, eine weitere weiße, tödlich giftige Amanita (hat z.B. rötendes Fleisch).


    Amanita phalloides var. alba ist eine weiße Form des Grünen Knollis. Sie hat bis auf die fehlende Farbe alle Merkmale mit Amanita phalloides gemein.
    Reagiert also eine weiße Amanita nicht mit KOH, kann es also Amanita phalloides var. alba sein, muss es aber nicht(!). Sie ist es nur dann, wenn der Stiel genattert ist, die Sporenmaße und - form passen, die Huthaut radialfaserig eingewachsen ist (usw.)...


    Wir haben hier, nördlich der Alpen, eine sehr beschränkte Sichtweise auf die Gattung Amanita, da die mediterranen Arten hier nur sehr selten und räumlich begrenzt auftreten. Daher hat es eine gewisse "Tradition", die hiesigen aberranten Kollektionen (wie weiße Grüne Knollis) mit Namen hier nicht heimischer Arten zu belegen, um dann im Umkehrschluss diese Arten als Synonyme der hieisgen Arten zu verwerfen. :/


    Das wird sich noch lange durch die deutschsprachigen Publikationen (in Allgemeinwerken) ziehen.


    Daher empfehle ich, Umkehrschlüsse wie (wenn weiß und nicht mit KOH reagierend, dann - immer - Amanita phalloides in weiß) zu vermeiden. Zumal sich mediterrane Arten dank des Klimawandels hier auch zeitnah etablieren könnten. Generells ind Farbmutanten einfach schwerer bestimmbar, weil ja wichtige Merkmale fehlen. Dabei ist Amanita verna normalerweise ja gar nicht mal weiß. Der Hutscheitel ist gerne creme bis cremeockerlich - bei Amanita phalloides var. alba eher mit Resten dieses "phalloides-grüngelb".


    LG
    Christoph

  • Danke für die ausführliche Antwort Christoph.


    Habe das Artporträt von Tuloss erst bis zur Diskussion gelesen, als ich meine Zwischenfragen einwarf.


    Dachte mir schon, dass das nicht so einfach ist. Zum Glück gibt es ja mehr Merkmale, die eine Artbestimmung ausmachen. Dass sich eine Art aus Nordafrika bis nach Deutschland verirrt, halte ich zwar für unwahrscheinlich, aber es schadet sicher nicht, potenzielle Doppelgänger jenseits der Landesgrenzen zu kennen.


    Was den Hinweis auf die KOH-Farbreaktion betrifft: Die Farbe beim abgebildeten Frk. aus Frankreich erachte ich als orange.


    Hattest Du A. verna egtl. schon einmal live zu Gesicht bekommen?


    Gruß, Andreas



    PS: Zur stimmungsvollen Illustration hänge ich einen von mir moderat nachbearbeiteten Ausschnitt (Farbkorrektur der vergilbten Seite, Kontrast der ausgeblassten Farben etwas angehoben) einer Farbtafel von A. verna aus: https://archive.org/stream/nou…poc01dume#page/7/mode/2up dran:


  • Servus Andreas...



    Danke für die ausführliche Antwort Christoph.


    Gerne :)


    Zitat

    Was den Hinweis auf die KOH-Farbreaktion betrifft: Die Farbe beim abgebildeten Frk. aus Frankreich erachte ich als orange.


    Ich sehe da auch eher gelb - oben, wo die Lauge runtergalaufen ist, ist es ein klares Gelb, da wo der Tropfen noch dicker ist, ist es für mich ein sehr warmes Gelb, das allerdings, da gebe ich dir recht, schon in Richtung Orange geht.


    Zitat

    Hattest Du A. verna egtl. schon einmal live zu Gesicht bekommen?


    Nein, leider nicht - hätte ich sonst schon weiter oben im Thread angemerkt. Ich hatte mich vor mehreren Jahren aber mit Georg Müller (der "PilzePilze-Müller") bezüglich eines Fundes von ihm aus Baden-Würtemberg mit einem Fund auseinandergesetzt (hatte aber nicht das Material in der Hand - es ging über Fotos und Mailkontakt).


    Und ich beschäftige mich einfach so gerne mit der Gattung und lese daher viel Literatur über die Gattung (mehr mit Streiflingen, aber auch der Rest der Gattung ist interessant). Alles, was ich hier in diesem Thread schrieb, sind Zusammenfassungen aus der Literatur (italienische Artikel, französische, belgische und Tulloss natürlich).


    LG
    Christoph

  • Hallo !


    Ich meine das ich Amanita verna gefunden haben .


    Bein mein Fund Hut ist nicht bereift , Stiel ist faserig nicht genattert wie bei Amanita virosa , und Knolle passt makroskopisch sehr gut , breit , nicht dünn wie bei Amanita alba .


    Fundort Bayern nähe Waging am See , Baumpartner Buche - Eiche , September 2017 .


    -


    -


    -


    Makroskopisch passt an Amanita verna , oder ?


    LG beli !

  • Servus Beli,


    was spricht denn gegen Amanita virosa? Die Farbtöne am Hutscheitel sehe ich oft bei Amanita virosa im Bayer. Wald - und die Hutform und die Stielbeflockung passen m.E. sehr gut auf Amanita virosa.


    LG
    Christoph

    • Offizieller Beitrag

    Hi,


    ja so rein von der Optik ist das für mich auch Virosa.


    l.g.
    Stefan

    Risspilz: hui; Rissklettern: bisher pfui; ab nun: na ja mal sehen...


    Derzeit so pilzgeschädigt, das geht auf keine Huthaut. :D


    Meine Antworten hier stellen nur Bestimmungsvorschläge dar. Verzehrsfreigaben gibts nur vom PSV vor Ort.


    PSV-Prüfungstemine 2024: hier

  • Hallo Beli,


    ich hätte keine Zweifel an A. virosa.
    Sogar ein recht typisches Exemplar, finde ich.


    Gruß, Andreas

  • Hallo !


    Danke für eure Bestimmungen ! Ich nehme diese Pilz als A. virosa , habe an A. verna wegen nicht genatterte Stiel gedacht aber leider falsch .


    LG beli !

  • Hallo Andreas,
    ein schönes, ja stimmungsvolles Bild zeigst du uns da. Danke auch für den Link.
    Viele Grüsse
    Thomas

    AUCH VON MIR KEINE ESSENSFREIGABE. EINE BESTIMMUNG IST OHNE JEDE GARANTIE.

  • Hallo zusammen,


    ich habe für die Arten rund um Amanita phalloides (also auch Amanita verna) einen Schlüssel ausgearbeitet. Ihr findet ihn hier: Schlüssel der europäischen Arten von Amanita sect. Phalloideae - ich habe ihn auch als Word-Dokument zum Download angehängt.


    Für Rückmeldungen / Diskussion rund um den Schlüssel (und das Thema) stehe ich natürlich gerne bereit (auch hier im Forum).


    LG

    Christoph