Gyroporus - neue Arten, neue Konzepte, aber alles nicht einfach...

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  • Servus beinand,


    in der Gattung Gyroporus hat sich in den letzten Jahren auch einiges getan – aber leider ist manches meiner Meinung nach sehr unglücklich gelaufen.

    Gyroporus cyanescens ist offenbar ein Artenaggregat, Gyroporus castaneus ebenfalls. Das ist erstmal rein wertneutral.


    Und nun zum Eingemachten...

    Vizzini et al. (2015) haben einen Lectotyp für Gyroporus cyanescens festgelegt (Farbtafel), was natürlich sinnvoll ist. Zudem haben sie aber einen Epitypus definiert und (mal wieder) keine Beschreibung, geschweige denn Mikromerkmale zu dem Epitypus angegeben. Nicht einmal Sporenmaße, gar nichts! Dabei beschreiben Moreno, Carlavilla, Heykoop, Manjón & Vizzini in Crous et al. (2017) später beispielsweise Gyroporus pseudocyanescens, ohne da dann Gyroporus cyanescens nachzudefinieren. Will man Arten von einer alten, eingeführten Art abtrennen, epitypisiert die alte Art, dann sollte man doch bitte diesen Epitypus doch zumindest mikroskopieren und beschreiben. So hat man nur ein Foto und kann sehen und lesen, dass der Fund unter Pinus sylvestris gesammelt wurde. Für mich ist das ein ad absurdum Führen der Epitypisierung und sollte vom Code verboten werden.

    Kurz gesagt – es wurden nachträglich Gyroporus (Vizzini et al. 2015), Gyroporus pseudolacteus (Moreno, Carlavilla, Heykoop, Manjón & Vizzini in Crous et al. 2016) und Gyroporus pseudocyanescens (Moreno, Carlavilla, Heykoop, Manjón & Vizzini in Crous et al. 2017) von Gyroporus cyanescens abgetrennt. All diese Arten wurden definiert, nur eben Gyroporus cyanescens s.str. nicht, obwohl dieser von Vizzini et al. (2015) epitypisiert wurde.

    Und das zweite Problem, das nun wirklich Kopfzerbrechen erzeugt… Gyroporus lacteus wurde ebenfalls lectotypisiert (Farbtafel) – Vizzini et al. (2015). Das Problem: die Abbildung zeigt einen rein weißen Pilz mit sehr schmalem Hut und sehr langem Stiel. Ein zweites Bild zeigt ein Fruchtkörperstück, bei dem der Stiel aber vermutlich auch länger als der Hut breit ist. Später wurde dann aber Gyroporus pseudolacteus dadurch abgetrennt, dass dieser einen im Vergleich zur Hutbreite langen Stiel hat, während Gyroporus lacteus einen kürzeren Stiel als die Hutbreite haben soll bzw. maximal der Stiel so lang sein soll wie der Hut breit. Insofern zeigt der Lectotypus von Gyroporus lacteus das, was später als Gyroporus pseudolacteus beschrieben wurde.

    Der Epitypus von Gyroporus lacteus ist vermutlich (laut Beschreibung) das kurzstielige Taxon, der Lektotypus das langstielige Taxon. Also was denn nun? Erschwerend kommt hinzu, dass Gyroporus pseudolacteus einen glatten, hellen Hut haben soll, während der Hut von Gyroporus lacteus im Alter gelb ist und auffallende Schuppen entwickelt. Der Ikonotypus von Gyroporus lacteus zeigt „natürlich“ einen milchweißen Hut und keinerlei Schuppen.

    Hat Quelét also nicht unter seinem Gyroporus lacteus das gemeint, was später als Gyroporus pseudolacteus neu beschrieben wurde? Nur ist der Epitypus von Gyroporus lacteus eben nicht Gyroporus pseudolacteus.

    Kurz gesagt: ein völlig unnötiges Chaos, bedingt durch vorschnelle Epitypisierung und durch die „Weigerung“, die Epitypisierung von Gyroporus cyanescens durch eine Beschreibung zu ergänzen. Das Problem: die Beschreibungen in den gängigen Bearbeitungen dürften eine Vermischung aller vier Arten sein.

    Ich habe versucht, mich durch den Dschungel zu kämpfen und das Chaos etwas zu ordnen. Ich habe daher einen provisorischen Schlüssel der Gattung Gyroporus aufgestellt, der zumindest versucht, die neuen Arten aufzutrennen. Über Sequenzierung scheint die Trennung zu gehen, aber auch da sind die Angaben teils kryptisch. Oder anders gesagt: Ich bin von der Aufdröselung des Gyroporus-cyanescens-Komplexes enttäuscht.

    Gyroporus castaneus ist dann als nächstes dran… auch das scheint ein Artenkomplex zu sein. Die Abtrennung von Gyroporus ammophilus (Castro & Freire 1995) ist im Vergleich zu dem, was Moreno, Vizzini (et al.) im Gyroporus-cyanescens-Komplex „angestellt“ haben, sehr klar und griffig.


    Literatur (alle Artikel sind frei im Netz zu finden - die Persoonia steht eh open access online, die anderen zwei Artikel sind auch im Netz durch Googlen zu finden):


    Castro ML , Freire L (1995): Gyroporus ammophilus, a new poisonous bolete from the Iberian Peninsula. Persoonia 16(1): 123-126.


    Crous, PW; Wingfield, MJ; Burgess, TI; Hardy, GESt.J; Crane, C; Barrett, S; Cano-Lira, JF; Le Roux, JJ; Thangavel, R; Guarro, J; Stchigel, AM; Martín, MP; Alfredo, DS; Barber, PA; Barreto, RW; Baseia, IG; Cano-Canals, J; Cheewangkoon, R; Ferreira, RJ; Gené, J; Lechat, C; Moreno, G; Roets, F; Shivas, RG; Sousa, JO; Tan, YP; Wiederhold, NP; Abell, SE; Accioly, T; Albizu, JL; Alves, JL; Antoniolli, ZI; Aplin, N; Araújo, J; Arzanlou, M; Bezerra, JDP; Bouchara, J-P; Carlavilla, JR; Castillo, A; Castroagudín, VL; Ceresini, PC; Claridge, GF; Coelho, G; Coimbra, VRM; Costa, LA; da Cunha, KC; da Silva, SS; Daniel, R; de Beer, ZW; Dueñas, M; Edwards, J; Enwistle, P; Fiuza, PO; Fournier, J; García, D; Gibertoni, TB; Giraud, S; Guevara-Suárez, M; Gusmão, LFP; Haituk, S; Heykoop, M; Hirooka, Y; Hofmann, TA; Houbraken, J; Hughes, DP; Kautmanová, I; Koppel, O; Koukol, O; Larsson, E; Latha, KPD; Lee, DH; Lisboa, DO; Lisboa, WS; López-Villalba, Á; Maciel, JLN; Manimohan, P; Manjón, JL; Marincowitz, S; Marney, TS; Meijer, M; Miller, AN; Olariaga, I ; Paiva, LM; Piepenbring, M; Poveda-Molero, JC; Raj, KNA; Raja, HA; Rougeron, A; Salcedo, I; Samadi, R; Santos, TAB; Scarlett, K; Seifert, KA; Shuttleworth, LA; Silva, GA; Silva, M; Siqueira, JPZ; Souza-Motta, CM; Stephenson, SL; Sutton, DA; Tamakeaw, N; Telleria, MT; Valenzuela-Lopez, N; Viljoen, A; Visagie, CM; Vizzini, A; Wartchow, F; Wingfield, BD; Yurchenko, E; Zamora, JC; Groenewald, JZ. (2016): Fungal Planet description sheets: 469–557. Persoonia 37: 218-403


    Crous, PW; Wingfield, MJ; Burgess, TI; Hardy, GEStJ; Barber, PA; Alvarado, P; Barnes, CW; Buchanan, PK; Heykoop, M; Moreno, G; Thangavel, R; van der Spuy, S; Barili, A; Barrett, S; Cacciola, SO; Cano-Lira, JF; Crane, C; Decock, C; Gibertoni, TB; Guarro, J; Guevara-Suarez, M; Hubka, V; Kolařík, M; Lira, CRS; Ordoñez, ME; Padamsee, M; Ryvarden, L; Soares, MA; Stchigel, AM; Sutton, DA; Vizzini, A; Weir, BS; Acharya, K; Aloi, F; Baseia, IG; Blanchette, RA; Bordallo, JJ; Bratek, Z; Butler, T; Cano-Canals, J; Carlavilla, JR; Chander, J; Cheewangkoon, R; Cruz, RHSF; da Silva, M; Dutta, AK; Ercole, E; Escobio, V; Esteve-Raventós, F; Flores, JA; Gené, J; Góis, JS; Haines, L; Held, BW; Horta Jung, M; Hosaka, K; Jung, T; Jurjević, Ž; Kautman, V; Kautmanova, I; Kiyashko, AA; Kozanek, M; Kubátová, A; Lafourcade, M; La Spada, F; Latha, KPD; Madrid, H; Malysheva, EF; Manimohan, P; Manjón, JL; Martín, MP; Mata, M; Merényi, Z; Morte, A; Nagy, I; Normand, AC; Paloi, S; Pattison, N; Pawłowska, J; Pereira, OL; Petterson, ME; Picillo, B; Raj, KNA; Roberts, A; Rodríguez, A; Rodríguez-Campo, FJ; Romański, M; Ruszkiewicz-Michalska, M; Scanu, B; Schena, L; Semelbauer, M; Sharma, R; Shouche, YS; Silva, V; Staniaszek-Kik, M; Stielow, JB; Tapia, C; Taylor, PWJ; Toome-Heller, M; Vabeikhokhei, JMC; van Diepeningen, AD; Van Hoa, N; Van Tri, M; Wiederhold, NP; Wrzosek, M; Zothanzama, J; Groenewald, JZ. (2017): Fungal Planet description sheets: 558–624. Persoonia 38: 240-384.


    Vizzini A, Angelini C, Ercole E (2015): Molecular confirmation of Gyroporus lacteus and typification of Boletus cyanescens. Phytotaxa 226(1): 27-38.


    Liebe Grüße,

    Christoph

  • Hallo Christoph

    Danke für Deine hervoragende Stellungnahme, den Schlüssel und die Literaturhinweise. Ich bin absolut nicht gegen die Auspaltung von Arten auch wenn es ohne Sequenzierung vielleicht nie dazu gekommen wäre. Leider wird dann häufig zu wenig Sorgfalt darauf verwendet diese Trennungen auch morphologisch zu untermauern, aber damit muss man wohl leben. Bei seltenen Arten hat man ja leider kaum die Chance sich selbst ein Bild zu verschaffen, was Deine Ausführungen natürlich noch wertvoller macht.

    LG Karl

    • Offizieller Beitrag

    Hallo Christoph,


    das ist alles sehr spannend, verwirrend und depmrimierend. So langsam wünsche ich mir die Zeiten der "seeligen Unkenntnis" zurück. ==Gnolm4==Gnolm7 Jetzt darf/kann/soll/muss ich zukünftig meine Kornblumenfunde mikroskopieren, bzw. sequenzieren. ==17Aber spannend ist das schon. Entweder finde ich die Art an unterschiedlichen Stellen in meinem Sandkasten Eichen-Kiefern-Birkenwald auf kargem Sandboden oder aber im guten Altbuchenwald in der Dresdner Heide untermischt mit einigen Kiefern. Kann gut sein, dass das 2 Arten sind. Trotz allem herzlichen Dank für deinen Post/Erklärung und den Schlüssel.


    l.g.

    Stefan

    Risspilz: hui; Rissklettern: bisher pfui; ab nun: na ja mal sehen...


    Derzeit so pilzgeschädigt, das geht auf keine Huthaut. :D


    Meine Antworten hier stellen nur Bestimmungsvorschläge dar. Verzehrsfreigaben gibts nur vom PSV vor Ort.


    PSV-Prüfungstemine 2024: hier

    • Offizieller Beitrag

    Hallo, Christoph!


    Ob die Typisierungen nun handwerklich korrekt durchgeführt wurden oder nicht: Es ist ja immerhin schon mal ein Zugewinn, in diesen Gruppen mehrere Arten unterscheiden zu können.

    Nachbessern wird man da wohl müssen, aber zunächst mal muss ich selbst lesen und verstehen. Oder es zumindest versuchen.

    Hätte man ordentliche Typen installiert, mit ausführlichen morphologischen Beschreibungen, dann ließen sich diese genetischen Species - Hypothesen ja anhand zukünftiger Funde weiterentwickeln und morphologisch mehr und mehr fixieren.

    Es ist ja relativ normal, daß bei einer Erstbeschreibung nicht die komplette Variationsbreite einer Specieshypothese bekannt ist, und das sich im Vergleich zu den benachbarten Arten erst nach und nach aufgebaut werden muss. Nur, dazu braucht man halt solide Typusdokumentationen. Ein Farbbild der Fruchtkörper und eine Sequenz sind nicht ausreichend.



    LG, Pablo.

  • Meine Güte,


    ich habe in meinem Leben bisher genau einen einzigen Hasenröhrling und einen mickrigen Kornblumenröhrling gefunden.

    Und sollte es mir vergönnt sein, noch mehr zu finden, werde ich persönlich diese gewiss nicht sequenzieren lassen und auch nicht nach einem halben My Unterschied in der Sporengröße schauen. Und meine Bereitschaft zu Kartieren geht immer mehr gegen Null. (also wie bisher)

    Aber lasst euch von mir nicht den Spaß verderben. Jeder wie er es mag.


    viele Grüße

    Alis

  • Servus Alis,


    lass dir den Spaß an den Pilzen dadurch nicht verderben. Was den Kornblumenröhrling betrifft, ist es schon auffällig, dass manche eine deutliche, abgesetzte Ringzone haben (bis dahin ist der Stiel richtig gelb, darüber abrupt weiß), anderen diese hingegen fehlt. Bei letzteren sind die jungen Fruchtkörper auffallend blass milchweiß, wenn sie jung sind. In dem Fall bist du sofort bei Gyroporus lacteus i.w.S. - das geht sehr gut makroskopisch und ist, finde ich, spannend. Auf dieses Merkmal wurde früher nicht so recht geachtet.

    Gyroporus lacteus von Gyroporus pseudolacteus zu unterscheiden, müsste bei einer Kollektion auch gehen (Fruchtkörperhabitus) - unabhängig von Nomenklaturfragen.

    Blöd ist nur - da bin ich ganz bei dir - wenn man einen typischen Kornblumenröhrling findet, der die Ringzone besitzt, denn genau da fehlt noch die Ausarbeitung, wie man die beiden genetisch abgetrennten Arten morphologisch unterscheidet. Da kartiert man dann eben Gyroporus cyanescens mit der Bemerkung, dass hier nicht zwischen G. cyanescens und G. pseudocyanescens differenziert wird.

    Und die wenigen Mikrometer wären völlig witzlos - es geht aber um die Sporenform. Ob das aber konstant und verlässlich ist, muss geprüft werden (und da kann jeder mithelfen). Insofern ist auch das spannend, finde ich.


    Wenn du aber eh kaum / fast keine Hasen und Kornblumen(röhrlinge) findest, geht es ja eh an dir vorbei. Wobei es schade für dich ist, denn die Kornblumenröhrlinge sind schon hübsch. Du musst auf saurem Boden suchen - gerne auf Sand, aber auch auf Lehm - z.B. im Bayerischen Wald immer wieder und nicht sooo selten. Sollte also auch im Schwarzwald auffindbar sein?!


    Liebe Grüße,

    Christoph

    • Offizieller Beitrag

    Hallo, Alis!


    Um Hornberg rum sollten Kornblumen eigentlich vorkommen. Am Büchereck habe ich selbst schon welche gesehen.

    Ansonsten finden die sich gerne auf den +/- sauren Buntsandsteinböden im Odenwald und Pfälzer Wald, Vogesen dürften auch vielversprechend sein.
    Die Hasen stehen in meiner Gegend auch oft und zahlreich und an diversen Stellen in der Rheinebene, dort, wo die Böden eher sauer, sandig und +/- trocken sind. Um Mannheim herum insgesamt recht häufig, aber auch im Odenwald immer mal wieder vorzufinden. Auch die müsste man im Schwarzwald finden können, wo Laubwald und saurer Buntsandstein zusammen kommen.



    LG, Pablo.