Hallo,
eine Komödie in mehreren Akten.
1. Akt:
wie wir alle wissen, gibt es ja zur Zeit keine Pilze.
So gut wie keine Pilze jedenfalls, das ist bei mir aber nichts Neues.
Trotzdem fand ich am letzten Sonntag natürlich etwas:
exakt 30 gr. essbare Lungenseitlinge (nicht etwas 300 gr.), die ich in der Hoffnung auf mehr (von bekannten Dürrständer-Buchen) mitnahm.
Allerdings habe ich die an den anderen Stelle verpasst, da waren sie schon trocken.
Mit viel Butter geschmurgelt und dann mit Chiabatta "aufgetunkt" waren aber auch diese 30 gr. ein echter Genuss, sehr aromatisch.
So, aber da leuchtete plötzlich noch etwas sehr rot. Kein Einzelpilz!
Sondern 5 Stück in unterschiedlichem Alter - und sie kamen mir vor wie "die hatte ich noch nicht" (oder "die hatte ich nur so ähnlich")
Details
Fundort:
Buchenmischwald auf Kalk,
Hochrhein ca. 450 m, genau genommen in Bettingen, CH (ganz grenznah) am Rande des sogenannten "Wyhlengraben", das ist ein tiefer schluchtartiger Bacheinschnitt - ungefähr bei 47.56777, 7.68658
Die Pilze befanden sich direkt bei Buchen, allerdings gibt es in 20-30 m Entfernung auch eine Tanne, eventuell auch ein paar andere Arten.
5 Pilze
Hutdurchmesser ca. 6 bis über 10 cm
Hutfarbe leuchtend rot, ein Pilz mit etwas dunklerer Mitte, ein Pilz mit etwas hellerer Mitte
Huthaut samtig erscheinend (kein Glanz), beim jüngsten Pilz weißlich bereift ... was das glänzt, war REGEN (ein bisschen)
Huthaut nicht abziehbar (nur winzigste Fetzen) darunter rötlich
Huthaut am Rand teilweise zurückgezogen/teilweise nicht (am gleichen Pilz)
Lamellen teilweise mit rötlicher Einfärbung am Rand, teilweise nicht (am gleichen Pilz)
Stiel nicht gemessen, aber nicht sehr stämmig
Stielfleisch trotz Madenlöchern sehr fest
Stiel sehr zart rosa überlaufen (meist einseitig, meist unten, nicht bei allen Pilzen gleich ausgeformt)
Hutfleisch, Stielfleisch und Lamellen weiß, Lamellen bei Alterung leicht cremefarben werdend, ansonsten nur bräunliche Verfärbungen in den Madengängen
Ich dachte zuerst an Russula rosea (Russula lepida), den Harten Zinnobertäubling (dazu passen Konsistenz, Farbe und Form, makr. Huthautbeschaffenheit und Fundort eigentlich ganz gut).
Pilz 1
Pilz 2 (etwas nass vom Regen, Huthaut bei allen Pilzen samtig)
Pilz 3
ABER... KEIN Geruch (erst) und KEIN Geschmack:
Zuerst nahm ich bei keinem der Pilze einen Geruch war (nicht nach Menthol, nicht nach Zedernholz, nicht nach Bleistift) und alle Pilze schmeckten mild (auch nach längerem Kauen und Einspeicheln, keinerlei Mentholkomponente bzw. Zahnpastakomponente oder Holzkomponente).
Als ich jedoch Teilstücke von 3 Pilzen im Döschen hatte und nochmal daran roch, da rochen sie deutlich obstig (Apfelkomponente), Geschmack bei erneutem Probieren immer noch mild (nichts Herbes, Kratzendes, Bitteres, Aromatisches, Schärfliches, Frisches von hinten im Hals in die Nase Steigendes)
Ich vermutete wg. Geruch/Geschmack dann den (seltenen) Falschen Zinnobertäubling, Russula lepidicolor.
Dazu passen neben Geruch/Geschmack auch die Konsistenz, Farbe und Form, makr. Huthautbeschaffenheit und Fundort.
Als Quelle habe ich den Gröger und div. Internetseiten benutzt, die sich dann teilweise auch ein bisschen widersprechen.
Von 3 Pilzen nahm ich ein Teilstück zum Aussporen mit und einen Stiel für die chemischen Reaktionen.
Sporenpulver:
weiß - nicht Kopierpapier-Weiß, sondern Küchenrollenpapier-Weiß/ Eierschalen-Weiß/ Ziegengouda-Weiß (= 1b?), dunkelt nicht nach
Russula lepidicolor soll weißes/weißliches Sporenpulver haben, das Sporenpulver von Russula rosea/ lepida wird manchmal mit weiß bezeichnet (Bon), oft wird aber auch cremefarben genannt (creme sollte aber eher wie Butter sein?)
(Ich hatte bisher da nur cf.-Exemplare, die nicht ausgesport haben.)
Zusammengeschoben von 3 Hutfragmenten Pilz 1,2,3
Im Gröger steht zur Guajak-Reaktion bei Russula lepidicolor: negativ, in anderen Quellen steht was von "uneinheitlich", oft wird sie "schwach und verzögert" genannt.
"Negativ" bedeutet wahrscheinlich, dass sie sehr langsam kommt, im Vergleich mit anderen Täublingen und bedeutet NICHT, dass gar keine Färbung eintritt (?).
Russula rosea/ lepida soll GU-positiv sein (= Reaktion in welchem Zeitrahmen? Innerhalb 5 Sekunden ausreagiert oder doch auch nach Minuten?).
Deshalb beschreibe ich es im Detail:
Guajak-Reaktion:
beim Auftragen: nur gelber Fleck (manche andere Pilze färben sich SOFORT -in Millisekunden - dunkel grün-blau, oder sie verfärben sich innerhalb von 3-5 Sekunden)
nach 3 Sekunden: sehr heller lindgrüner Fleck
nach 5 Sekunden: heller türkisgrüner Fleck
nach 30 Sekunden: blauer Fleck
nach 1 Minunte: etwas dunklerer petrolblauer Fleck
nach 5-6 Minuten: maximale Färbung erreicht
mit Eisen-II-Sulfat keine signifikante Reaktion - man liest "rosa-grau" - ich sehe da aber eher ein trübes Gelb-grau (???)
mit Phenol rötliches Braun.
mit KOH keine besondere Reaktion, ein bisschen hell-gelb
Bleibt noch der Test mit Sulfovanillin am getrockneten Fleisch - und das ist m.M. nach positiv, sehr leuchtend eosin/johannisbeerrot.
Allerdings schlägt auch hier die Farbe nach 1-5 Minuten leicht ins Violette um und verblasst danach.
IST DAS NORMAL? Bei Russula velutipes/aurora war das eigentlich ähnlich, vielleicht das Verblassen langsamer (nicht genau beobachtet).
Eine NEGATIVE Reaktion wäre z.B. ein trübes Violett als ERSTE und ausschließliche (?) Färbung.
Allerdings las ich bei Wiki etwas davon, dass die Färbung dauerhaft sei/ sein soll ???
nach 30 Sekunden (Stiel von Pilz 2)
SV sofort, Stiel nach 5 Minuten
SV nach 1 Minute, Stiel nach 6 Minuten
SV nach 4 Minuten
Im Bon steht zur SV-Reaktion von Russula rosea/ lepida (zum Vergleich): "mit SV violett oder trüb purpur-grau, nicht rosa"
Interessant fand ich folgende spanische Seiten, wo u.a. die milden, roten Täublinge gut beschrieben werden (auch Fotos, auch Mikromerkmale).
Mir kam es da aber auch auf die makroskopischen Beschreibungen und chem. Reaktionen an.
Harter Zinnobertäubling (positive Gu-Reaktion, rosa !!! SV-Reaktion vorhanden !!! aber innerhalb 1 Minute flüchtig!!!)
Guía de Setas y Hongos de Navarra.: russula rosea (= lepida)
CARNE compacta, dura, granulosa, blanca, con olor suave y agradable, como frutado y sabor mentolado muy característico, como a pasta de dientes, con el reactivo fenol da una coloración púrpura-vinoso, con el guayacol azul verdoso, con el sulfato ferroso primero grisáceo y al final anaranjado y lo más característico es con la sulfovanilina recién preparada da rosa vivo de una manera muy fugaz en menos de un minuto se decolora.
ESPORADA en masa crema.
Falscher Zinnobertäubling (langsame Gu-Reaktion, deutliche SV-Reaktion, die aber nach ein paar Minuten verschwindet, Phenol ROSA !!!???)
Guía de Setas y Hongos de Navarra.: russula lepidicolor
El guayacol da una reacción azulada bastante lenta y la sulfovanilina da una bella reacción carmín o rosa viva en la parte baja del pie rojiza, mientras que muy poco, (pero da) en la parte alta y blanca. En ambos casos esta coloración se pasa en unos minutos. Potasa amarillo en pie y sombrero, fenol lentamente da rosa y fenolanilina da rosa vivo.
ESPORADA en masa blanca.
Netzflockiger Rosa-Täubling (Fleisch weich, deutliche SV-Reaktion)
Guía de Setas y Hongos de Navarra.: russula aurora (= velutipes)
CARNE compacta, granulosa, pero no muy dura, blanca y sin sabor ni olor especial que se poner de un bonito rosa-rojo con la sulfovanilina.
ESPORADA en masa blanca.
Russula zvarae (der soll farblich auch wie R. rosea und lepidicolor sein, aber weich, und ohne deutliche SV-Reaktion)
Guía de Setas y Hongos de Navarra.: russula zvarae
CARNE blanca, frágil y dulce, en todas sus partes y sin olor especial, no reacciona a la sulfovanilina de manera espectacular, ni al fenol que pasa a marrón al cabo de un buen rato. Con sulfato de hierro un rosa claro no característico.
ESPORADA en masa blanca.
"Indizien" (fehlender Geschmack, Sporenpulverfarbe, chem. Reaktionen mit GU und SV ... wenn ich die richtig interpretiere) könnten für R. lepidicolor sprechen.
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2. Akt
Am Freitag war ich nochmal da (nebenbei fand ich die ersten Stockschwämmchen in diesem Jahr, ein paar zähe Lungenseitlinge, einen zähen Sklerotien-Stielporling, einen riesigen Dachpilz, einen frischen Grubigen Wurzelrübling und 4-5 diverse zerfallende Täublinge).
Hier ein Bild vom "Wyhlengraben" (von oben, von St. Chrischona)
Hier ein Bild von einem Bachtal (innerhalb des schluchtartigen Einschnittes sind rechts und links jeweils ein Bachlauf, der nochmal vertieft liegt.)
Grenzsteinweg: rechts vom Grenzstein ist Schweiz, links ist Deutschland - etwas weiter vorn (auf ebenerem Gelände) befanden sich rechts (in der Schweiz) die Pilze.
Was ich aber nicht fand, waren die abgelegten bzw. stehen gelassenen Reste von meinen harten Täublingen - kein Stückchen.
Dafür stand da ein einzelne kleineres neues (madiges) Exemplar (Pilz 4)
Bis auf die Hutfarbe (rosa, ausbleichend ... so waren bisher alle meine cf. rosea) identisch zu den ersten Pilzen.
ABER:
Geruch null (nichts zu machen).
Geschmack erst nichts, nach längerem Einspeicheln anhaftend so, als hätte man nach dem Zähneputzen den Mund nicht gründlich ausgespült.
Also Russula rosea/ lepida, dachte ich.
Prima, da kann ich ja das Sporenpulver und die chemischen Reaktionen vergleichen.
Sporenpulver: unfotografierbar wenig, aber identisch zu den ersten Pilzen, "Küchenrollenpapier-Weiß"
chem. Reaktionen:
mit Eisen-II_Sulfat: wieder so ein trübes Gelb-Grau
GU: leichte Verzögerung, eventuell etwas schneller als die ersten Pilze, innerhalb von ca. 5 Sekunden schon dunkler, nach 30 Sekunden ausreagiert
Phenol: minimal rötlicher
KOH: wieder gelblich
und SV:
identisch, erst leuchtend johannisbeerrot, dann über violett in mehreren Minuten verblassend.
Ich habe das jetzt mal dokumentiert:
9:52
9:53
9:55
9:57
9:59
10:13
Und nun?
Möglichkeit 1:
Alles ist Russula lepidicolor (weil kein Geschmack bei den ersten Funden, wg. Sporenpulverfarbe und Chemie, die mir passend erscheint) - aber das würde bedeuten, dass diese Pilze ausnahmsweise auch mal "nach Zahnpasta" schmecken können. Das ist eher unwahrscheinlich - obwohl manchmal auch "auch leicht bitter" genannt wird.
Möglichkeit 2:
Alles ist Russula rosea/ lepida (weil der Zweitfund eindeutig den Geschmack hatte und die Chemie und Sporenpulverfarbe sich bei den Pilzen nicht unterscheiden - und der Geschmack ausnahmsweise nicht vorhanden gewesen sein könnte, witterungsbedingt) - aber das würde bedeuten, dass die Sporenpulverfarbe und chem. Reaktion , weil sie nicht exakt auf die Beschreibungen passen, entweder sehr variabel sind oder die Beschreibungen ungenau sind oder dass sie sehr unterschiedlich aufgefasst werden können.
Dann wäre das, was man da sieht , SV-negativ. (!!??!!)
Möglichkeit 3:
Die ersten Pilze sind Russula lepidicolor und der zweite Fund ist Russula rosea/ lepida (wegen der Unterschiede im Geschmack) - aber das würde bedeuten, dass sich die beiden Arten kein bisschen in Sporenpulverfarbe und Chemie unterscheiden (aber das sollten sie ja).
Stimme aus dem off:
... die unterscheiden sich u.a. in der HDS:
Russula rosea/ lepida mit Pileozystiden - Russula lepidicolor ohne.
Nun, ich denke, es ist wahrscheinlicher, dass alles Russula rosea/ lepida ist (schon wegen der Häufigkeit) und dass ich die chemische Reaktion nicht richtig interpretiere.
Es kann für mich auch bei einer "Oder-Bestimmung" bleiben, das macht mir keine schlaflosen Nächte - wenn aber ein Täublings-Liebhaber/-kennenlernwilliger eigenes Interesse hat, da hätte ich getrocknete Hutfragmente von 4 Pilzen.
Wenn jemand hier Bilder zeigen kann, die die Sporenpulverfarbe und chem. Reaktionen von Russula rosea/lepida zeigen, würde mich das auch sehr interessieren.