Servus beinand,
wer kennt sie nicht, die "Champignon-Regel"? Schneidet man einen Egerling durch und er gilbt sofort und stark in der Stielbasis, so ist er giftig - er gehört dann zu den Karbolegerlingen i.w.S. Diese Aussage ist natürlich nach wie vor richtig. Aber...
Ja, das aber schreibe ich bewusst groß. Also: aber: gilbt der Champignon nicht in der Stielbasis, so kann er dennoch giftig sein.
Zwei konkrete Beispiele:
Agaricus freirei sieht aus wie ein Waldchampignon, rötet deutlich im Fleisch und gilbt gar nicht. Er riecht aber schwach nach Karbol und ist nah mit dem Rebhuhnegerling verwandt, der auch im Fleisch rötet und als der klassische, giftige Doppelgänger der Waldegerlinge gilt. Nur gilbt der Rebhuhnegerling in der Stielbasis. Agarius freirei eben nicht.
Ist das neu? Nein, natürlich nicht. Aber Agaricus freirei war bislang aus Südfrankreich, Spanien, Italien bekannt. Jetzt findet man eine Fundmeldung westlich von Berlin (auf der pilze-deutschland-Seite). Er scheint also angekommen zu sein.
Und noch konkreter das zweite Beispiel: Agaricus pseudopratensis, der Falsche Wiesenegerling. Ich hatte ihn bisher erst einmal vor ein paar Jahren in Österreich finden können (Südhanglage, sonnenexponiert) und jetzt wurde er zu unserer kleinen Pilzausstellung auf dem Baumwipfelpfad im Bayerischen Wald gebracht. Gewachsen ist er bei Marktl/Simbach, Innleite, Südhangkessel, sehr wärmebegünstigt. Fotos dieser Kollektion findet ihr im Parallelthread im BMG-Forum: Achtung Pilzberatung bei Egerlingen - Stielbasisregel greift nicht mehr!
Dieser Egerling hat jung schön rosa Lamellen, der Ring ist dünn und flüchtig, er wächst in Wiesen und sieht, vor allem, wenn der Ring weg ist und er in seiner weißen Varietät auftritt, dem Wiesenegerling sehr ähnlich. Unterschiede sind: er riecht frisch nach nichts, später nach Karbol. Man hat Glück, wenn er in der Stielbasis gilbt, denn das muss er nicht (die Typuskollektion von Bohus hat auch gar nicht gegilbt). Das Fleisch rötet im Schnitt leicht, aber gut erkennbar - das darf der Wiesenegerling i.w.S. auch ein bisserl, aber nicht so deutlich. Daran kann man ihn also im Notfall auch ohne Nase erkennen.
Die Warnungen vor Agaricus freirei und Agaricus pseudopratensis waren früher kaum nötig, da beide Arten als extrem wärmeliebend und mediterran verbreitet gelten. Letzterer gilbt zumindest manchmal, sodass man schon etwas Pech haben muss, wenn man ihn auf einer Wiese findet und verspeist.
Witzigerweise kam dann eine Kollektion in die Münchner Pilzberatungsstelle - der Pilzberater kannte ihn aber schon, da er bei der Ausstellung im BayerWald mitwirkte und hat ihn direkt erkannt. Diese Kollektion kam aus dem Raum Passau - ebenfalls von einem Südhang (Donauleite).
Der heiße Sommer scheint ihm genauso zu gefallen wie den Wiesenegerlingen. Ich habe heuer zeitgleich drei Arten sehen dürfen: Agaricus campestris s.str. und Agaricus pampeanus (beide bei mir in Mammendorf, gleiche Wiese) sowie Agaricus moellerianus (wurde zur Ausstellung mitgebracht). Dazu dann auch noch Agaricus pseudopratensis - also drei echte und ein falscher Wiesenegerling.
Langer Rede kurzer Sinn:
Pilzberater müssen aufpassen - sowohl rein rötende Egerlinge sind nicht per se essbar und Egerlinge, die in der Stielbasis nicht gilben und wie Wiesenegerlinge aussehen können ebenfalls problematisch sein. Der Klimawandel macht es spannend - es wandern neue Arten ein (Agaricus freirei), andere, die extrem selten waren, werden häufiger (Agaricus pseudopratensis).
Nebenbei bemerkt: "Der Karbolegerling" ist ein ganzes Artenaggregat. Wer meint, "ihn" zu kennen, kennt nur ein / zwei Arten aus dem großen Komplex. Heuer habe ich auch Agaricus xanthodermulus / laskibarii sehen dürfen (Wien).
Agaricus ist schwierig. Viel Spaß in der Pilzberatung mit Wiesenegerlingen und Waldchampignons... Also bitte hier unbedingt aufpassen und auch die Nase als Merkmalsdetektor gewissenhaft einsetzen - und eben sehr vorsichtig sein.
Liebe Grüße,
Christoph