Servus beinand,
immer wieder lese ich bei Beiträge in allen möglichen Foren, dass als Begründung für eine Synonymisierung oder für die "korrekte" Gattungszuordnung der Index Fungorum oder die MycoBank herangezogen wird. Das zieht sich irgendwie durch so vieles durch - bis hin zur Taxref-Liste, wenn ich da richtig informiert bin.
Bevor ich darauf eingehe, möchte ich erstmal erklären, was hinter solchen Datenbanken steckt. Wer englisch kann, der kann diesen Artikel über MycoBank auch direkt nutzen: 26.pdf
Früher gab es ein Problem: Ich möchte z.B. einen neuen Champignon beschreiben. Als Namen habe ich Agaricus adustus gewählt, weil er irgendwie schon sehr grau in den Lamellen ist, wenn er jung ist. Jetzt mache ich alles fertig - und siehe da, es stellt sich später heraus, dass es schon einen Agaricus adustus gibt.
Das ist mehrfach passiert:
Agaricus adustus Batsch 1793
Agaricus adustus Pers. 1801
Agaricus adustus J. Otto 1816
Agaricus adustus Cooke & Massee 1889
Ich hätte also zum fünften Mal den Namen verwendet.
Früher musste man hoffen, die gesamte Literatur zu allen unter Agaricus beschriebenen Arten zu haben (und früher nannte man jeden Lamellenpilz Agaricus - es sind unglaublich viele Namen - über 6000!), um zu wissen, welche Name noch frei war.
Ja, wenn es eine Datenbank geben würde, in der alle Namen gesammelt würden... Und ja, die gibt es, z.B. Index Fungorum oder MycoBank. So konnte ich eben beim Schreiben schnell alles raussuchen, was ich zu Agaricus adustus fand.
Man will wissen, wo Agaricus adustus J. Otto 1816 beschrieben wurde? Kein Problem!
Agaricus adustus J. Otto, Vers. Anordnung Beschr. Agaricorum (Leipzig): 51 (1816)
Ein Klick in der Datenbank - und man hat's.
Bei Mycobank steht es ohne Abkürzung:
Agaricus adustus J. Otto, Versuch einer auf die Ordnung und den Stand der Lamellen gegründeten Anordnung und Beschreibung der Agaricorum: 51 (1816)
Und dazu noch die Gesamtpublikation mit Seitenzahlen:
Otto, J.G. 1816. Versuch einer auf die Ordnung und den Stand der Lamellen gegründeten Anordnung und Beschreibung der Agaricorum. :1-106 |
Man kann bei beiden Datenbanken sehen, dass der Name illegtim ist (da bereits besetzt) usw.
Ideal wäre es, wenn jetzt auch noch ein Scan der Literaturstelle griffbereit wäre. Manchmal ist das sogar der Fall, aber nicht oft. Und Copy-Right bei jüngeren Publikationen.
Kann sich jemand auch nur ansatzweise vorstellen, wie viel Mühe es macht, den Grunddatensatz zu erzeugen? Die ganzen alten Literaturstellen auszuwerten?
Zum Glück gab es eine Zeitschrift - Index of Fungi - die versucht hat, alle Neubeschreibungen aus zumindest großen Journals zu zitieren - das war im Prinzip der Vorläufer der Datenbank Index Fungorum.
Und wer steckt dahinter? Beim Index Fungorum ist es Kew - und hier genauer gesagt Paul Kirk. Er ist Ansprechperson, er bekommt alle Mails, wenn Fehler gemeldet werden. Soweit ich weiß, sind sie zu zweit. Paul Kirk ist Mykologe, forscht selbst und soll auch noch die Datenbank am laufen halten. Zum Glück finanziert Kew das.
MycoBank hat de Luxus, ein größeres Team zu haben, aber größer meint im unteren zweistelligen Bereich. Im Moment wird alles über Konstanze Bensch koordiniert (Westerdijk Fungal Biodiversity in Utrecht). Aktuell sind dort 365920 Arten gespeichert (aktueller Stand).
Wofür sind die Datenbanken also gedacht?
1.) Sie helfen bei der Suche nach Originalbeschreibungen - man hat sofort die Literaturstellen mit Seitenzahl.
2.) Sie helfen bei der Suche nach dem Typus - bzw. ob es einen gibt (bei historischen Arten)
3.) Sie helfen dabei, für Neubeschreibungen noch freie Namen zu finden.
4.) Sie helfen dabei, sofort zu sehen, ob ein Name gültig ist - und wenn nicht, warum. Hier ist nicht "aktuell" gemeint, sondern ob die Originalbeschreibung den Regeln des Nomenklaturcode entsprechen oder nicht.
5.) Will man ein Epitheton umkombinieren, kann man auch sehen, ob das schon vorher geschah und ob die Kombination frei ist.
Beispiel zu 4. - ich hatte mal einen Wasserkopf (Cortinarius) im Frühjahr unter Pappel gefunden. Cortinarius vernus s.str. konnte man ausschließen, er gehört aber in die Gruppe hinein. Jetzt gibt es einige "französische" Arten rund um den relativ jungen Cortinarius vernus. So z.B. Cortinarius petroselineus Chevassut & Rob. Henry, Docums Mycol. 12(no. 47): 59 (1982)
Sowohl Index Fungorum als auch Mycobank geben an, dass der Name ungültig ist: Nom. inval., Art. 40.1 (Melbourne)
IF (Index Fungorum) schriebt zum Beispiel: Nom. inval., Art. 40.1 (Melbourne)
Man kann also im Melbourne-Code nachschlagen - Artikel 40 Absatz 1
So geht es mit diversen weiteren Arten, die aus Frankreich beschrieben wurden, so weiter. Schließlich fand ich Cortinarius suberythrinus - und der Name ist gültig. Und älter als Cortinarius vernus... und älter als Cortinarius nevadovernus, den ich vermutlich fand und der daher vermutlich Cortinarius suberythrinus heißen muss.
Früher hätte mich die Recherche eine halbe Ewigkeit gekostet. Jetzt suche ich in den Datenbanken die Grunddaten und kann sofort per Internet weiter recherchieren.
Das ist ja sowas von praktisch!
So, gibt es ein "6."?
Hm, eventuell. Index Fungorum versucht, allen Namen die Familienzuordnung zu geben. Hier sind immerhin 560877 Arten enthalten (Stand jetzt).
Der Versuch ist mehr als löblich, aber je mehr Namen in die Datenbank kommen, also um so besser sie wird, um die Punkte 1 bis 5 zu schaffen, umso schwerer ist es, für ein Zweimannteam, all diese Zuordnungen aktuell zu halten.
Wo ist jetzt Flammulina? Physalacriaceae, klar. Und so steht es auch im Index Fungorum.
Und Inocybe? Laut Index Fungorum (IF) bei den Inocybeaceae. Dem würde ich auch folgen... andere Autoren stellen sie aber in die Bolbitiaceae... Wer hat Recht?
Ein drittes Beispiel: Psilocybe - bei IF in den Hymenogastraceae. Also nicht bei den Strophariaceae. Interessanterweise platzieren sie auch Gymnopilus dahin. Die Gattung wird von incertae sedis bis Strophariaceae bis Hymanogastraceae hin und her geschoben...
Kann man also IF oder MycoBank hier folgen?
Das wäre so bequem, eine eierlegende Wollmilchsau zu haben. So viele Taxa wie möglich mit allen Detaildaten und alle sogar mit Einordnung ins System... Tja, wie schafft man das zu zweit? Man nimmt einen der großen Übersichtsartikel (z.B. major clades of Agaricales...), also einen der großen Phylogenieartikel. Das nimmt man als Basis und dann ist gut. Und wenn Neuerungen auftreten? Dann dauert es, bis das übernommen wird.
Der große Unterschied:
Die Grunddaten sind klar und eindeutig und "nur" Recherchesache. Die Entscheidung, ob eine Beschreibung laut Code gültig ist, ist auch klar definiert. Die Entscheidung, welches Taxon mit welchem verwandt ist, kann man aber nicht exakt definieren. Je nach DNA-Region, je nach Auswertung der Daten, je nach Alignment, je nach Auswahl an Arten (etc.) hat man andere Ergebnisse. Hier muss man Artikel studieren und (!) evaluieren, bewerten, welcher Artikel besser ist. Und wer kann das am besten? Nur die Spezialisten. Das Team, das Datenbanken aktualisiert, kann sich nur in einem Teilbereich so gut auskennen. Daher sind solche Angaben meist etwas älter.
Wer also wissen will, ob die Gattung Prunulus für die Rettichhelminge sinnvoll ist, darf nicht (!) in MycoBank oder IF schauen. Da wird man eben eine Entscheidung finden, die auch purer Zufall sein kann. Das äußert sich in unterschiedlichen Zuordnungen in den Datenbanken. Einmal pro Jahr gleichen sie sich ab, damit kein Chaos entsteht. Und welcher Version folgt man? Das muss sehr schnell entschieden werden.
Noch schlimmer ist die Sache mit den Synonymen auf Artebene.
Ich habe mal Tricholomopsis flammula gesucht (im IF) - da steht übrigens wirklich noch "Tricholomataceae". Das stimmt schon lange nicht mehr... Vermutlich sind es Typhulaceae - oder eine zu beschreibende Familie (da sieht man das Problem), aber ganz gewiss keine Tricholomataceae... MycoBank macht auch eine Tricholomataceae draus.
Nun, dank des Artikels von Jan Holec aus dem Jahr 2009 erkennen beide Datenbanken die Art an. Schaut man anderswo (hiesige Literatur, deutschsprachig), wird man sehen, dass das nur eine mickrige Tr. rutilans sein soll. Das ist zwar absolut out und die Art ist sehr gut definierbar (auch mikroskopisch), aber selbst in der älteren Funga Nordica war sie nicht enthalten (in der neuen schon).
Wie auch immer, die Entscheidung, ob das was Eigenständiges ist oder nicht, ist auch Diskussionssache. Da kann so eine große Datenbank nicht der letzte Schrei sein.
Wer also IF oder MycoBank als Instanz ansieht, was Familienzugehörigkeit oder die Suche nach dem "current name" betrifft, hat vermutlich nicht verstanden, was die Datenbanken wirklich leisten und leisten sollen. Das mit dem "current name" ist ein Versuch, diese Infos aus neueren Artikeln rauszuholen. Da wird halt ein Artikel als Basis genommen - und wenn dann andere Artikel anders argumentieren, ist es Zufall, wann welcher der neueren genommen wird.
Ganz schade ist es, wenn dann Enttäuschung geäußert wird, dass IF "mal wieder" nicht aktuell sei, weil die Synonymie doch Quark sei oder die Gattungzuordnung veraltet. Das ist dann ein bisser unfair. Man weiß doch, dass diese Infos mehr Zukunftsprojekt als belastbar sind.
Und was die Familienzugehörigkeit betrifft... es ist schon ein Service, zu erfahren, dass Boletus albus ein Porling ist und kein Röhrling. Oder dass Agaricus adustus eine Russulaceae - dann weiß man sofort, dass das also der älteste Name für den Schwärztäubling ist. Steht aber irgendwo "Tricholomataceae", kann das heute alles sein. Die Familie ist mittlerweile sehr klein (Tricholoma, Lepista, Clitocybe...). Man weiß aber, wie es gemeint ist. Es ist eine Groborientierung, nicht mehr und nicht weniger.
Daher mein dringender Appell:
Nutzt die Datenbanken - sie sind extrem praktisch. Aber bitte nutzt sie nicht als Instanz für Systematik oder für Synonymisierungen (es sei denn, es sind durch den Code vorgegebene, da zwei Namen auf dem gleichen Typus beruhen).
Ach ja, vielleicht das noch - wie schaffen die Datenbanken, aktuell zu bleiben?
Mittlerweile werden alle Journals bzw. alle Autoren neuer Arten oder Erzeuger aller Umkombinationen gebeten, ihre neuen Namen / Kombinationen selbst in die Datenbanken einzugeben. Das Team checkt dann nur auf Plausibilität gegen (erschien die Zeitschrift usw.) - und das ist genug Arbeit. Daher sind die Teams sehr dankbar, wenn sie Nachricht bekommen, wenn Fehler enthalten sind. (Also richtige Fehler in den harten Daten, bitte nicht schreiben "ich finde aber, dass das schon eine eigene Art ist...".
Falls Fragen vorhanden sind, natürlich gerne - ist ja ein Diskussionsforum.
Liebe Grüße,
Christoph