Leccinum albostipitatum vs. Leccinum leucopodium - warum verwenden so viele den jüngeren Namen, der völlig überflüssig ist?

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  • Servus beinand,


    das Thema wird vermutlich nur Nomenklatur-affine Pilzfans interessieren, weshalb ich es ins Wissenschaftsforum gestellt habe. Hintergrund: ich bin überrascht, dass so viele kritiklos hinnehmen, dass die Pappelrotkappe unnötigerweise nochmal beschrieben wurde und der jüngste Name, Laccinum albostipitatum wirklich verwendet wird.


    Persoon beschrieb bereits 1799 mit "Boletus" leucopodium eine weißstielige Rotkappe beschrieben, die sich eben dadurch von den anderen Rotkappen unterscheidet, dass sie jung einen völlig weißen Stiel (weiße Schuppen auf weißem Grund) habe, während "Boletus" aurantiacus rötliche Schuppen besäße. Das passt gut zu dem Konzept der Pappelrotkappe.


    Dörfelt & Berg (1990) haben sich mit der Nomenklatur der Gattung Leccinum ausgiebig befasst und die historischen Beschreibungen interpretiert, die Tafeln diskutiert und dann soweit möglich lectotypisiert. Hierbei kamen sie zum Schluss, dass Leccinum aurantiacum die Eichenrotkappe sei und Leccinum leucopodium die Pappelrotkappe. Die Birkenrotkappe lasse ich jetzt außen vor, ebenso die Nadelbaumrotkappen.


    Jedenfalls haben Dörfelt & Berg (1990) klargestellt, dass Persoon (1799) drei Rotkappenarten getrennt hat, die man gut auf die drei Klassiker Birke-, Pappel-, und Eichenrotkappe anwenden kann.


    Damit war geklärt, dass die Pappelrotkappe mit dem weißen Stiel eben die Pappelrotkappe ist.


    Was jetzt kommt, ist für mich fast Realsatire...


    den Bakker (2005: 96) schreibt tatsächlich: "Careful examination of the stusy of Dörfelt & Berg (1990), however, showed, that their interpretaion of L. Leucopodium is the same as our concept of L. aurantiacum. They had introduced the name L. leucopodium for the taxon grwoing under Populus, as the name L. aurantiacum was applied for the taxon associated with Quercus."


    Kurz gesagt: den Bakker ist der Meinung, dass Dörfekt & Berg (1990) in ihrer Interpretation der Pappelrotkappe eine Eichenrotkappe unter Pappeln meinten. Eigentlich müsste sich den Bakker mit der Originalbeschreibung von Persoon (1799) auseinandersetzen, was er nicht tat. Zudem schreiben Dörfelt & Berg ja explizit, dass sie unter L. leucopodium (was übersetzet "weißfüßig" heißt) wie Persoon es explizit beschreibt, die weißschuppige Rotkappe mit jung rerin weißem Stiel meinen. Und zudem die weißstielige, die unter Pappel wächst. Das trifft eben ganz und gar nicht das, was den Bakker als L. aurantiacum versteht (das ist nämlich das, was auch Dörfelt & Berg als L. aurantiacum verstehen).


    Um dem Fass die Krone aufzusetzen, beschreibt den Bakker mit Leccinum albostipitatum erneut eine weißstielige Rotkappe unter Pappel, weil die weißstielige Rotkappe unter Pappel eben keine sein soll. Häh? Leccinum leucopodium ist keine Pappelrotkappe, weil sie einen weißen Stiel hat und bei Pappeln wächst, deshalb beschreibt man eine neue, weil eben diese einen weißen Stiel hat und unter Pappeln wächst... Sorry, ist mir zu hoch...


    Würde sich den Bakker auf die Originalbeschreibung beziehen, hätte er sogar ein bisserl was ansetzen können, da die Ökologie von Persoon als "in fagetis" beschrieben wurde (im Buchenwald...). Im Buchenwald können aber auch Pappeln stehen, zumal damals nicht sehr auf die Ökologie geachtet wurde.


    Jetzt haben wir zwei konkurrierende Beschreibungen der Weißstieligen Rotkappe - eine aus dem Jahr 1799 und eine aus dem 21. Jahrhundert. Welche ist dann gültig? Klar, die ältere.


    Warum eigentlich seit Jahren hierzulande, trotz der gut erreichbaren, bekannten, und auf deutsch geschriebenen Studie von Dörfelt & Berg die Neubeschreibung ohne jedes Mucken und Diskussion anerkannt wurde und man immer wieder fast schon inflationär Leccinum albostipitatum lesen muss (was auch "weißfüßig" heißt - fällt da gar nichts auf?), verstehe ich nicht. Ich fürchte, weil es MycoBank übernommen hat - da wurde einfach die letzte Veröffentlichung mit Genetik verwendet. MycaBank ist keine Quelle für die Richtigkeit von Synonymisierungen...


    Ich jedenfalls kann es nicht nachvollziehen. Würde das Schule machen, dann kann man alles neu beschreiben. Ich erkenne, dass der Fichtensteinpilz bei Fichte wächst und einen braunen Hut hat. Deshalb beschreibe ich den unter Fichten wachsenden, braunhütigen neu und synonymisiere Boletus edulis mit dem Sommersteinpilz... Würde man dem auch blind folgen? Ich glaube nicht... Warum dann einer Studie, die Leccinum genetisch bearbeitet hat, dabei aber nur Teile der ITS nutzen konnte (ging damals nicht besser wegen der Mikrosatelliten), blind folgen? Zumal die Genetik hier keine Rolle spielt, da es nur um die Interpretation der Originalbeschreibungen der klassischen Rotkappen geht.


    Und wie ist das? Kann man eine Art in die Synonymie verweisen und neu beschreiben, ohne sich mit der Originalbeschreibung zu befassen und das dann zumindest zu diskutieren? Offenbar ja... Dann viel Freude damit, wenn das jeder machen würde - dann hätten wir immer wieder neue Namen für bekannte Pilze.


    Ich bleibe jedenfalls solange bei Leccinum leucopodium (Pers.) Dörfelt & G. Berg, bis ich durch Argumente davon überzeugt werden könnte, diese weißstielige Rotkappe Leccinum albostipitatum den Bakker & Noorfeloos zu bezeichnen.


    Oder übersehe ich irgendwas Essentielles? Gibt es Argumente dafür, dass unter Pappeln eine weißstielige Rotkappe wächst, die in Wirklichkeit eine Eichenrotkappe ist?


    Helft mir da bitte ==Gnolm4


    Liebe Grüße,

    Christoph

  • Servus Stefan,


    danke für den Link! Umso mehr ist es seltsam, dass sich der Name L. albostipitatum so hartnäckig hält. Ich fürchte, das kommt daher, dass MycoBank den Unsinn übernommen hat. Allein, es fehlen die Argumente...


    Liebe Grüße,

    Christoph

  • Hallo Christoph,


    vielleicht liegt in diesem paper ein Schlüssel zur Denkweise von den Bakker. Hat er ja als Quelle für die fehlerhafte Anwendung von Leccinum leucopodium angegeben in den Bakker (2005:96).


    Error - Cookies Turned Off


    Will ich mal versuchen verstehend zu lesen. Ich hoffe ich hab mich nicht schon 10 m zu weit aus dem Fenster gelehnt. :gkopfkratz:


    Beste Grüße

    Stefan


    Für mich klappt der Link trotz seltsamen Namens.

  • Hallo Christoph,


    das Thema hatten wir auch letzten Herbst noch einmal hier in Beitrag 19. Durch deine logische Erklärung heißt die Weißstielige Rotkappe jetzt für mich Leccinum leucopodium nur das dies eben nicht für alle gilt. Hier ein paar Beispiele:


    Leccinum aurantiacum

    Leccinum rufum

    leccinum albostipitatum

    Leccinum leucopodium


    Wie soll der Laie da noch durchsehen?


    VG Jörg

  • Servus Jörg,


    klar, ich hatte das in dem besagten Thread schonmal diskutiert, nur geht das in einem Forum völlig unter. Deshalb habe ich einfach einen Thread zu dem Thema der Nomenklatur der Pappelrotkappe gestartet.


    Dass quasi fast jeder jeweils einen anderen namen verwendet, zeigt ja eben das Chaos bei den Rotkappen. Das liegt u.a. daran, dass früher oftmals alle Rotkappen als eine Art angesehen wurden und deshalb die Originalbeschreibung z.B. von Leccinum aurantiacum alle Rotkappen umschließt. Dörfelt & Berg (1990) hatten versucht, Ordnung in das Chaos zu bringen. Vorher hatte sich durch Engel et al. (1978) der Gebrauch von L. aurantiacum für die Pappelrotkappe durchgesetzt, weshalb manche unglücklich mit der Lectotypifizierung durch Dörfelt & Berg (1990) waren. Sie haben den Namen für die Eichenrotkappe festgelegt. Es hat sich also die Interpretation stark geändert.

    Auch Lannoy & Estadès (1995) waren mit der Lectotypisierung nicht zufgrieden und haben diese ignoriert. Deshalb heißt bei ihnen die Eichenrotkappe noch immer Leccinum quercinum und die Pappelrotkappe L. aurantiacum.


    Damit das Chaos nicht unendlich wird, gibt es aber Nomenklaturregeln - und da die Argumentation von Dörfelt & Berg (1990) in sich klar ist und keine Formfehler unterliefen, sind ihre Lectotypisierungen gültig, weshalb die Eichenrotkappe wirklich besser L. aurantiacum genannt werden sollte.


    Dass in diversen Aufsätzen, v.a. im populärwissenschaftlichen Bereich, die Namen sehr unterschiedlich verwendet werden, ist da dann normal. Dörfelt & Berg (1990) haben viele nicht gelesen, wohl aber Bücher wie Engel et. al. oder Lannoy & Estades im Schrank. Dann kommt jeweils je nach Autor ein anderer Name für die gleiche Art raus.


    Ich musste mich auch erstmal an L. aurantiacum für die Eichenrotkappe gewöhnen.


    Letzten Endes haben sich da Dörfelt & Berg durchgesetzt. Nur das Wirrwarr um den dann notwendigen Namen der Pappelrotkappe, die eben nicht mehr L. aurantiacum heißt, hätte man sich sparen können. In deinem Link auf den Artikel von den Bakker et al. (2004) wurde ja auch der Name L. leucopodium verwendet. Was den Bakker dann dazu geritten hat, die Art nochmal zu beschreiben, weiß ich allerdings nicht. :gzwinkern:


    Liebe Grüße,

    Christoph

    • Offizieller Beitrag

    Moin!


    In der Tat, ja... Vor allem, wo ja auch in den Arbeiten, die "albostipitatum" als Namen einführen und übernehmen, die Synonymie zu "leucopodium" hergestellt wird. Heißt also, daß die ursprüngliche Beschreibung von Persoon als eben diese Art angenommen wird - und dann macht's halt wirklich kaum noch einen Sinn, einen neuen Namen einzuführen, weil gerade in dem Fall doch der ältere Name immer Priorität haben müsste?
    Es sei denn, es ginge darum, einen Typus mit konserviertem, untersuchbarem Typusmaterial zu erhalten... Aber dann hätte man auch einen Neotypus anlegen können, das Persoonsche Taxon dadurch aber konservieren. Auch das kann schief gehen (siehe "Boletus erythtopus"), aber richtig gemacht, wäre das wohl eine elegante Lösung gewesen.


    Es sei denn:
    Das taxonomische Chaos wurde ja angesprochen. Das beschränkt sich ja nicht auf die drei Namen "leucopodium", "albostipitatum" und "aurantiacum". Auch in der Verwendung als Name für die weißstielige Pappelrotkappe geistern ja noch "Leccinum rufum" und wenn ich das richtig noch im Köpfchen habe auch "Leccinum populinum" umher.

    Diese Taxa müsste man ja auch noch eingehender untersuchen, was nun damit gemeint ist und wie das zur ursprünglichen Diagnose von Persoon ("leucopodium") passt.


    Allerdings:
    Persönlich habe ich ohnehin ein bissel ein Problem mit Rotkappen, nicht nur denen unter Pappeln.

    Irgendwie habe ich den Verdacht, daß es da zwei gibt, die sich makroskopisch schon recht konstant unterschiedlich verhalten. Mikroskopisch kann ich nicht viel dazu sagen (bisher kaum was mikroskopiert aus der Gruppe), genetisch kann wohl niemand was Konkretes dazu sagen, aber makroskopisch gibt es einmal einen etwas schlankeren Pilz mit wirklich (bis ins hohe Alter) weißem Stiel und einer groben, flockigen Stielbekleidung (sieht a bissel aus wie bei Lecccinum cyaneobasileucum s.l.), dessen Hutfarbe gerne so in einen orangeroten Farbton spielt. Und dann - ebenfalls bei Pappeln - eine etwas kräftiger gebaute Rotkappe mit ziemlich feinen, kleinen und pusteligen (nicht wolligen) Stielschuppen, die zwar an der Stielspitze und Stielbasis vorwiegend weißlich sind, aber auch gerne mal ins rötliche Spielen und das auch bei jungen Exemplaren. Die Hüte von denen erscheinen mir oft ein wenig dunkler, satter gefärbt, eben mehr wie bei Leccinum aurantiacum (hier im Sinne von Leccinum quercinum).

    Wie gesagt, beides bei Pappeln - wobei man achtpassen muss, da Leccinum aurantiacum (im Sinne von Leccinum quercinum) wohl recht flexibel in der Mykorrhizabildung ist. Aber auch die "weißstielige Pappelrotkappe" mit den feinen und oft rötlichen Pickelschüppchen am Stiel sieht schon deutlich anders aus als Leccinum aurantiacum (im Sinne von Leccinum quercinum).


    Jetzt habe ich die Originaltafeln (die Tafeln in Engel et Al. sind nicht die Originaltafeln, oder?) nicht vor mir, aber wenn "Leccinum aurantiacum" s. orig. eventuell so eine "Pappelrotkappe" mit feinen, rotbraun überlaufenden Stielschüppchen zeigen sollte, dann ist das möglciherweise wirklich ein ganz problematisches Taxon.

    Die Definition einer weißstieligen, grob wolligschuppigen Rotkappe bei Pappeln allerdings dürfte unkritisch sein, wenn man das einfach als "Leccinum leucopodium" ansieht.

    Was ich ich gerade frage: Den Bakker hat das vielleicht auch erkannt - und hat er dann versucht, durch die Neubeschreibung von "albostipitatum" irgendwie diese beiden morphologischen Sippen zu trennen?



    LG, Pablo.

  • Servus Pablo,


    der Name Boletus luecopodium beruht nur auf der Beschreibung von Persoon (1799: 11), es gibt keine Tafel dazu, also keinen Iconotypus. Wenn man aber in der Originalbeschreibung von Persoon nachliest, dann findet man folgende Umschreibung:


    14. Boletus Leucopodius: stipitatus, pulvina-

    tus, pileo planiusculo dilute cinnamomeo nitido, poris

    parvis albis stipite longo subflexuoso candido: squamulis

    verruciformibus concoloribus.


    Grob übersetzt: er ist gestielt, polsterförmig (= Röhrling), mit flachem Hut, dieser feucht (etwas schmierig? kann auch weich heißen - dilutus) und schön ziegelrötlich / zimtfarben, mit kleinen weißen Poren ; Stiel lang, etwas gebogen, weiß(!), Stielschüppchen rau, mit gleicher Farbe wie der Stiel (= weiß).


    Dann kommt der Seitenumbruch im Buch... auf Seite 12 geht es weiter:


    "Hab. aestatis fine in faginetis.

    Descr. Stipes spithamam et ultra longus, 1 1/2 unc.

    crassus , sursum subattenuatus, hinc inde sulcatus, rugo-

    sus, squamulis rugosis, minutis undique obsitus, quae

    hac in specie pariter albae sunt.

    Tubi unc. 1. fere longi , in fungi medio longiores,

    hinc pileus subtus subconvexus, ad aeris contactum pa-

    rum decolorant. Pori magnitudine subaequales , rotundi, parvi.

    Pileus sex uncias fere latus, primo ovatus, tunc con-

    vexus, demum planiusculus , unc. 1. crassus , ejusque epidermis in margine ad lineam unam prominet, et non

    inflexus, sed, pileo nondum expanso, stipitem circumdat. Substantia interna sapore acido, et fricata parum caeru.

    lescit."


    Ich übersetze jetzt nur die von mir fett hervorgehobenen Teile:


    Stiel [...] runzelig, mit runzeligen Schüppchen, auf allen Seiten von diesen besetzt, welche bei dieser Spezies ebenso weiß sind (wie der Stiel selbst).


    und...


    und mit einer derart beschaffenen Haut am Hutrand, dass diese um eine Linie übersteht (eine Linie müsste ich nachrecherchieren, wie groß das Längenmaß damals war).


    Kurtz gesagt:

    Eine Rotkappe, die nicht tiefrot ist, sondern mehr ins gelbliche geht, deren Huthaut klar übersteh und deren Stiel und deren Stielschuppen weiß sind.


    Ergo: die Pappelrotkappe... Der Name wurde nur nicht angewandt, weil man früher die ältere Beschreibung von Leccinum aurantiacum als Pappelrotkappe interpretierte, was jetzt ja nicht mehr der Fall ist, da man diese als Eichenrotkappe ansieht.



    Es sei denn, es ginge darum, einen Typus mit konserviertem, untersuchbarem Typusmaterial zu erhalten... Aber dann hätte man auch einen Neotypus anlegen können, das Persoonsche Taxon dadurch aber konservieren. Auch das kann schief gehen (siehe "Boletus erythtopus"), aber richtig gemacht, wäre das wohl eine elegante Lösung gewesen.

    Ja, und zwar die einzig sinnvolle Lösung. Bei Boletus erythropus liegt der Fall etwas anders, da die Originalbeschreibung sehr zweideutig ist und zumindest meiner Meinung nach sowohl "Boletus erythropus ss.auct" als auch "Boletus queletii" zusammenfasst - man hätte den Epitypus so wählen sollen, dass der historisch eingebürgerte Gebrauch nicht abgewandelt wird, zumal es auch um den Gebrauch im Sinne von Fries geht, der vorher als Erstbeschreiber galt, bis der Startpunkt vorverlegt wurde. Die Epitypisierung widerspricht dem Sinn, trotz Startpunktvorverlegung die Nomenklatur möglichst konstant zu belassen (deshalb sanktioniert Fries ja auch).


    Da die Beschreibung aber hier so klar ist, war ein Neotypus zwar sinnvoll, aber nicht zwingend notwendig - bis man wüsste, dass es zwei weißschuppige Rotkappen gäbe... Dann müsste man tätig werden. Aber auf gleicher Rangstufe neu beschreiben ist unnötig, überflüssig und nervig, denn das wird ja zwangsläufig wieder revidiert. Im Moment müsste nur jemand eine Pappelrotkappe sequenzieren, beschreiben und das dann als Neotypus für Leccinum leucopodium (Boletus leucopodius) definieren. Warum den Bakker das nicht wollte, obwohl er ja im Sammelgebiet Persoons unterwegs war, weiß ich nicht.



    Es sei denn:
    Das taxonomische Chaos wurde ja angesprochen. Das beschränkt sich ja nicht auf die drei Namen "leucopodium", "albostipitatum" und "aurantiacum". Auch in der Verwendung als Name für die weißstielige Pappelrotkappe geistern ja noch "Leccinum rufum" und wenn ich das richtig noch im Köpfchen habe auch "Leccinum populinum" umher.

    Diese Taxa müsste man ja auch noch eingehender untersuchen, was nun damit gemeint ist und wie das zur ursprünglichen Diagnose von Persoon ("leucopodium") passt.

    Leccinum populinum - die Originaldiagnose ist hier völlig klar (ist ja eine junge Art) sieht aus wie eine Eichenrotkappe unter Pappel. Korhonen hatte die Wahl, dies als Eichenrotkappe bei Pappel laufen zu lassen oder neu zu beschreiben. Er entschied sich für eine eigenständige Art, da er deutliche Unterschiede in den Sporenmaßen feststellte, was neben dem Wirt die beiden trennt - also L. aurantiacum und diese L. populinum.

    den Bakker erkennt die Unterschiede aber nicht als stichhaltig an und synonymisiert die beiden. Er hätte dann aber seine Beschreibung der "Laubwaldrotkappe" erweitern müssen, also die Sporenmaße als so schwankend angeben müssen, dass in dem von ihm angebenen Bereich auch Korhonens Pappelrotkappe enthalten wäre. Hat er aber nicht.

    Korhonen hat später einen Artikel im Field Mycologist veröffentlicht, in dem er sehr deutlich gegen die Synonymisierung argumentiert.


    den Bakker macht öfter solche Fehler. Beispiel: wenn er Leccinum schistophilum Bon und Leccinum palustre Korhonen synonymisiert, (Leccinum schistophilum ist der ältere Name), dann kann er nicht als Ökologie angeben, dass die Art nur in Mooren im Sphagnum wächst. Schließlich wurde L. schistophilum von einer Schieferhalde auf flachgründigem Boden beschrieben - daher auch der Name. Auch der Fund von Peter Welt, den wir gemeinsam publiziert haben, stammt nicht aus einem Moor, sondern aus einem für L. schistophilum s.str. passenden Habitat. den Bakker hätte wenn, dann schreiben müssen "sowohl im Moor in Sphagnum als auch auf flechgründigen Böden wie auf Abraumhalden und Schieferböden..."


    Leccinum rufum wiederum ist ein historischer Name, der auf Schaeffer 1774 beruht. Dörfelt & Berg (1990) interpretieren das in der Orignaldiagnose enthaltene "Stielschüppchen schwärzend" die Birkenrotkappe. Sie wählen aus der Tafel von Schaeffer auch die Teile aus, die ihrer Meinung nach die Birken- / Heiderotkappe zeigen. Damit ist Leccinum rufum der richtige Name für Leccinum versipelle - es sei denn, man erkennt in der Tafel und der Beschreibung nicht klar genug diese Art. Sobald jemand einen zu Dörfelt & Berg (1990) konformen Epiytpus hinterlegt, heißt die Birkenrotkappe folglich Leccinum rufum. Epiytpisierung ging 1990 noch nicht, sonst hätten das Dörfelt & Berg sicher gemacht.


    Der Name Leccinum versipelle ist also etwas in der Schwebe. Da er aber recht klar in Gebrauch ist und vorher immer klar war, dass das die Birkenrotkappe ist, würde man hier vermutlich über L. rufum konservieren.


    Sei dir sicher, dass all diese Taxa eingehend untersucht und interpretiert wurden. den Bakker selber ist/war ein reiner Genetiker, der vorher in der Botanik unterwegs war. Die Gattung Leccinum war sein Einstieg in die Mykologie - und er hat da wirklich guet Arbeit gemacht - auf genetischer Basis. Er hat die Mikrosatelliten erkannt und für das Alignment entfernt, was neue Stammbäume ergab. So hat er aber nur einen Teil der ITS verwenden können und gapdh - das ist nach heutigen Maßstäben zu wenig. Da fallen nah verwandte Arten schnell zusammen.

    Die Arbeit von ihm fände ich spitzenklasse, wenn er dann nicht auch noch angefangen hätte, klassich-taxonomische Schritte folgen zu lassen und dann anhand selbst gesammelten Materials (das wohl nicht immer richtig bestimmt war) und auch immer wieder ohne Genetik im Hintergrund (wie bei L. leucopodium) zu synonymisieren und neu zu beschreiben.


    In der 90er-Jahren war es aber "in", zusammenzuschmeißen. Es gibt da immer die üblichen Wellen. Mal wird gespalten auf Teufel komm raus, dann wird wieder alles zusammengeschmissen. den Bakkers Arbeit schlug ein und wurde sofort kritiklos übernommen, weil jetzt die Birkenpilze "wieder bestimmbar" wurden - noch dazu als Kontrast, kurz nachdem Lannoy & Estadès ihr Leccinum-Buch veröffentlichten, das die Artenzahl in französischer Tradition hochfuhr. den Bakker gab dann das Gefühl "keine Panik, es ist eigentlich einfach, denn es gibt ja nur wenige Leccinum-Arten".


    Jetzt habe ich die Originaltafeln (die Tafeln in Engel et Al. sind nicht die Originaltafeln, oder?) nicht vor mir, aber wenn "Leccinum aurantiacum" s. orig. eventuell so eine "Pappelrotkappe" mit feinen, rotbraun überlaufenden Stielschüppchen zeigen sollte, dann ist das möglciherweise wirklich ein ganz problematisches Taxon.

    Die Definition einer weißstieligen, grob wolligschuppigen Rotkappe bei Pappeln allerdings dürfte unkritisch sein, wenn man das einfach als "Leccinum leucopodium" ansieht.

    Was ich ich gerade frage: Den Bakker hat das vielleicht auch erkannt - und hat er dann versucht, durch die Neubeschreibung von "albostipitatum" irgendwie diese beiden morphologischen Sippen zu trennen?

    Nein, die Tafeln im Engel sind die von Pilat & Dermek. Und nein, den Bakker hat keine zwei weißschuppige Pappelrotkappen trennen wollen. Das einzige, was in die Richtung geht, ist ein Foto einer Pappelrotkappe unter Pappel mit passender Hutfarbe, passender Stielfarbe, die er als "Eichenrotkappe unter Pappel mit hellen Stielschuppen" bezeichnet. Zu diesem Foto gibt es aber keinen Hinweis, ob das auch genetisch eine Eichenrotkappe ist (was ich sehr bezweifle). Ich vermute folgenden, recht simplen Sachverhalt: den Bakker hat eine Pappelrotkappe bei Pappel gefunden, die bereits sehr blass rötlich verfärbte Schuppen hat (kommt vor) und für jeden von uns einfach ein nirmale Pappelrotkappe ist, die eben gerade an den Schüppchen umfärnt (hat auch damit zu tun, dass die Schüppchen ein Hymenium tragen und von den Sporen verfärbt werden). den Bakker hat diese dann als Eichenrotkappe bestimmt. Hätte er jetzt diese Kollektion per Sequenz mit der Eichenrotkappe gleichsetzen können, wäre das in der Tat spannend und dann gäbe es zwei hellschuppige unter Pappel. Nur wäre dann die Pappelrotkappe nur genetisch erkennbar. So sehe ich nur, dass den Bakker die Pappelrotkappe nicht in allen Ausprägungen kannte (woher auch, er fing ja erst an mit der Pilzkunde) und sich davon hat verwirren lassen, dass die Schuppen nicht bis ins hohe Alter weiß werden.


    Fehler kann man immer machen und auch ein Foto einer falsch bestimmten Rotkappe publizieren. Er hätte aber m.M.n. dann diesen Sachverhalt wirklich ausführlich diskutieren müssen und erklären müssen, warum diese Pappelrotkappe keine ist, Die Diskussion ist nur die Bildunterschrift, dass die Laubwaldrotkappe auch bei Pappel wächst und dort einen aberrant hellen Stiel haben kann... Es gibt aber keine entsprechende Diskussion. Es gibt auch keine Diskussion über die Originalbeschreibung von Persoon. Es gibt nichtmal die Diskussion, warum er in der Beschreibung von Dörfelt & Berg die Eichenrotkappe wiedererkennt, was mich sehr wundert, da sich Dörfelt & Berg ja explizit auf die Stielschuppenfarbe beziehen.


    Dieses Herumfuhrwerken ohne echte Diskussion nervt mich ehrlich gesagt. Denn so kann man nicht nachvollziehen, warum eine These aufgestellt wird. Wenn man nur lesen kann "Ich habe Dörfelt & Berg eingehend studiert und komme zu dem Schluss, dass deren Leccinum leucopodium die Eichenrotkappe ist", dann ist das nichtssagend. Woran macht er das fest? Was bringt ihn dazu? Diese Nachvollziehbarkeit ist die Grundlage der Wissenschaftlichkeit - und die fehlt hier exorbitant.


    Die Taxref-Liste der DGfM hat es so übernommen und ich fürchte, dass keine Spezialisten dort hinzugezogen werden. Man sollte die Gattungen den Spezialisten überlassen (z.B. Ramaria dem Josef Christan - er hat drei Jahre gekämpft, bis seine Verbesserungen der TaxRef-Liste übernommen wurden - da habe ich es hautnah erlebt, wie schwierig es sein kann, als Spezialist die Taxrefliste überarbeiten zu "dürfen").


    Im Moment kommt es daher wirklich immer wieder zu dem Kuriosum, dass manche den Namen Leccinum albostpitatum verwenden und dann in Klammern dahinterschreiben (= L. leucopodium).


    Zum Glück ist es nur ein reines Nomenklaturproblem. Ich fürchte aber, dass man kaum gegen diesen in meinen Augen unsinnigen Gebrauch ankommt. Jedenfalls nicht im Amateurbereich. Natürlich gibt es Schlimmeres ;-).


    Liebe Grüße,

    Christoph

    • Offizieller Beitrag

    Hallo; Christoph!


    Danke dir. Das erklärt für mich Einiges, aber eben auch die Schwierigkeiten hinsichtlich älterer Diagnosen, zu denen es eben nur einen Text gibt (ohne Abbildung und ohne Beleg). :thumbup:

    In der Tat wäre da noch viel Areit zu tun in der Gattung, habe ich das Gefühl.


    Zur Verdeutlchung, wass ich mit den "zwei Pappelrotkappen" meine, hier noch zwei Bilder:



    Das erste ist für mich die "klassische" Leccinum leucopodium.
    Das zweite wächst auch bei Pappel (vergesellschaftet mit Leccinum duriusculum s.l.) und erinnert mit den farbigen Stielschuppen und der Hutfarbe eben schon an Leccinum aurantiacum, ist es aber meiner Ansicht nach nicht (Hutfarbe, Ökologie, Habitus, Form der Stielschuppen).
    Wie man die zweite nun auch immer nennen mag: Ich könnte mir schon sehr gut vorstellen, daß das zwei unterschiedliche Arten sind.



    LG, Pablo.

  • Hallo Pablo,


    also ich kenne nur die erste, deren Schuppung sich aber später deutlich ins rotbraune verändert. Die zweite ist aber m. M. nach auch keine Eichenrotkappe. Da paßt weder die Hutfarbe noch die Färbung der Schuppen. Einen solchen Fund hätte ich bestimmt wieder einmal als Bestimmungsthread eingestellt.


    VG Jörg

  • Servus Pablo,


    die zweite Rotkappe sieht interessant aus. Das könnte Leccinum populinum sein - ebenb mit bereits jung rostbraunen Schüppchen. Da wäre ein ausgewachsener Fruchtkörper wichtig, um die Sporen zu vermessen. So jung geht da noch nichts.


    Liebe Grüße,

    Christoph

    • Offizieller Beitrag

    N'abend!


    Die gezeigte Kollektion ist auch nicht mikroskopiert; damals war ich noch nicht so weit. Wenn ich sowas nochmal finde, nehme ich die natürlich deutlicher unter die Lupe.
    Die stammen von einem Baggersee aus der Region Offenburg, wo man durchaus mal wieder hin könnte (gibt eine Menge schöne Pilze dort).

    Leider sind die ja alle nicht allzu häufig bei mir. Am häufigsten wohl noch versipelle, gefolgt von aurantiacum (/quercinum), aber auch die findet man jetzt nicht so oft.



    LG; Pablo.

  • Hallo zusammen,


    Die mit L. duriusculum vergesellschaftete Rotkappe mit den farbigen Stielschuppen wächst hier in Würzburg regelmäßig. Vor knapp eineinhalb Wochen gab es auch schon die ersten Fruchtkörper. Werde diese Woche gerne nochmal nachsuchen und mikroskopieren, jedoch fehlt mir geeignete Literatur zur Leccinum-Bestimmung (falls es so etwas überhaupt gibt?).


    Hier wäre ich für Tips dankbar.


    LG

    Christoph

  • Sorry wenn ich mich da mit abweichender Meinung einschalte, aber die Rotkappen aus Offenburg, die Pablo als zweites zeigt, sehen mir für die "gewöhnliche" Laubwaldrotkappe Leccinum quercinum ss. LANNOY/ESTADES nicht so ungewöhnlich aus, dass ich da sofort an L. populinum denken und L. quercinum ausschließen müsste. Die Farbwiedergabe der Huthaut und der Stielschuppen auf diesem Foto ist mE nicht zwingend außerhalb der Variationsbreite von L. quercinum (wie verlässlich sind die Fotofarben überhaupt?), und vielleicht findet sich bei Inaugenscheinnahme des Standortes neben vielen Pappeln auch die eine entscheidende Eiche.

    Noch etwas zur Weißstieligkeit von Rotkappen: nach meinen langjährigen Beobachtungen in den österreichischen Zentralalpen ist die dort verbreitet wachsende Nadelwaldrotkappe bei Jungexemplaren ebenfalls weißschuppig/weißstielig. Auch kann ich mich erinnern, dass wir bei einem GMINDER-Seminar im thüringischen Ilmenau weißstielige Rotkappen ganz ohne Pappeln, dafür mit dabeistehenden Kiefern fanden. Der bekannte, auf Fotos in Pilzbüchern vielfach abgebildete schwarzgrauschuppige Stiel der Nadelwaldrotkappe entwickelt sich auch erst mit der Zeit (z. B. bei gepflückten Exemplaren innerhalb von drei bis vier Stunden).

    Summa summarum: bei Rotkappen, die nicht ganz eindeutig sind, muss man wohl mikroskopieren, vielleicht auch mit Eisensulfat ran, so wie das von machen Autoren, z. B. BON, nahegelegt wird.


    Zur ursprünglichen Ausgangsfrage des Threads hätte ich auch noch eine Anmerkung. Manchen Forschern tut es sicher in der Seele weh, wenn sie über einen längeren Zeitraum an etwas herumforschen und vielleicht auch noch Forschungsgelder verbrauchen, und dann kommt abschließend nichts weiter heraus, als dass die Dinge so sind, wie sie sind bzw. immer schon waren. Ich kann mir dann schon vorstellen, dass der Forscher einen gewissen Erfolgsdruck verspürt, eine wie auch immer geartete "neue" Erkenntnis zu formulieren, um auf diese Weise den entstandenen Forschungsaufwand ex post zu rechtfertigen. Ein neuer Name für einen altbekannten Pilz erscheint da zumindest mir etwas dünn. Freilich gibt es Rezipienten, die es für einen Ausweis von Klugheit halten, möglichst viele und immer die neuesten Namen zu kennen und zu verwenden, an diese richtet sich dann das Ergebnis primär und wird gerne aufgenommen.

    FG

    Oehrling

    PSVs dürfen weder über I-Net noch übers Telefon Pilze zum Essen freigeben - da musst du schon mit deinem Pilz zum lokalen PSV!

    Einmal editiert, zuletzt von Oehrling ()

  • Werde diese Woche gerne nochmal nachsuchen und mikroskopieren, jedoch fehlt mir geeignete Literatur zur Leccinum-Bestimmung (falls es so etwas überhaupt gibt?).

    Servus Christoph,


    klar gibt es Bestimmungsliteratur. Es gibt einen sehr ausführlichen Röhrlingsschlüssel von Klofac, dann natürlich das Buch von Lannoy & Estadès... oder den Röhrlingsschlüssel von Lannoy... und die Artikel von Korhonen.


    Falls du was brauchst - das bekommen wir schon hin...


    Sorry wenn ich mich da mit abweichender Meinung einschalte, aber die Rotkappen aus Offenburg, die Pablo als zweites zeigt, sehen mir für die "gewöhnliche" Laubwaldrotkappe Leccinum quercinum ss. LANNOY/ESTADES nicht so ungewöhnlich aus, dass ich da sofort an L. populinum denken und L. quercinum ausschließen müsste. Die Farbwiedergabe der Huthaut und der Stielschuppen auf diesem Foto ist mE nicht zwingend außerhalb der Variationsbreite von L. quercinum (wie verlässlich sind die Fotofarben überhaupt?), und vielleicht findet sich bei Inaugenscheinnahme des Standortes neben vielen Pappeln auch die eine entscheidende Eiche.


    Servus Oehrling,


    völlig klar - deshalb meine ich ja, dass man sowas mikroskopieren sollte. Leccinum populinum hätte nach Korhonen Sporemaße von 15-21,5(-25) x 4,25-5,5 µm


    Die Eichenrotkappe hat Sporenmaße von 13-18 x 3,75-4,75 laut Korhonen.

    Lannoy & Estadès geben an: (11-)13-17,5(-20) x (3,5-)4-5,5(-6) µm

    Und den Bakker schreibt: 12,5-18,5(-22,5) x 3,5-5,0(-6,0) µm


    Ob die Unterschiede ausreichen, weiß ich nicht. Korhonen hat die These aufgestellt, dass es zwei Arten sind. Die These gilt es zu prüfen. Insofern sollte man schauen, ob man unter Pappeln auffallend langsporige "Eichenrotkappen" findet.


    Noch etwas zur Weißstieligkeit von Rotkappen: nach meinen langjährigen Beobachtungen in den österreichischen Zentralalpen ist die dort verbreitet wachsende Nadelwaldrotkappe bei Jungexemplaren ebenfalls weißschuppig/weißstielig. Auch kann ich mich erinnern, dass wir bei einem GMINDER-Seminar im thüringischen Ilmenau weißstielige Rotkappen ganz ohne Pappeln, dafür mit dabeistehenden Kiefern fanden. Der bekannte, auf Fotos in Pilzbüchern vielfach abgebildete schwarzgrauschuppige Stiel der Nadelwaldrotkappe entwickelt sich auch erst mit der Zeit (z. B. bei gepflückten Exemplaren innerhalb von drei bis vier Stunden).

    Bei der Pappelrotkappe bleiben die Stiele halt relativ lange weiß. Sie färben meist erst dann um, wenn das Caulohymenium reif wird - jedenfalls ist das mein Eindruck. Sehr junge Fuchsrotkappen mit sehr blassen Stielschuppen bzw. weißen Stielschuppen lasse ich mir auch eingehen, aber sie färben recht bald um. (Und das Fleisch schwärzt nicht so deutlich wie bei den Laubwaldrotkappen)

    Ich möchte aber auch keine Fuchs- und Eichenrotkappen in einem Eichen-Kiefern-Mischwald unterscheiden müssen...



    Zur ursprünglichen Ausgangsfrage des Threads hätte ich auch noch eine Anmerkung. Manchen Forschern tut es sicher in der Seele weh, wenn sie über einen längeren Zeitraum an etwas herumforschen und vielleicht auch noch Forschungsgelder verbrauchen, und dann kommt abschließend nichts weiter heraus, als dass die Dinge so sind, wie sie sind bzw. immer schon waren. Ich kann mir dann schon vorstellen, dass der Forscher einen gewissen Erfolgsdruck verspürt, eine wie auch immer geartete "neue" Erkenntnis zu formulieren, um auf diese Weise den entstandenen Forschungsaufwand ex post zu rechtfertigen.

    Gerade in der Systematik fließen kaum Forschungsgelder. Zudem hat den Bakker in seiner Dissertation wirklich mehr als interessante Ergebnisse geliefert, was die Genetik angeht. Ich vermute eher, dass die Fehler im taxonomischen Bereich an seiner Unerfahrenheit in der Taxonomie liegen.


    Freilich gibt es Rezipienten, die es für einen Ausweis von Klugheit halten, möglichst viele und immer die neuesten Namen zu kennen und zu verwenden, an diese richtet sich dann das Ergebnis primär und wird gerne aufgenommen.

    Da mag natürlich was dran sein ;)


    Liebe Grüße,

    Christoph

  • Hallo Christoph,


    Zitat

    Die Taxref-Liste der DGfM hat es so übernommen und ich fürchte, dass keine Spezialisten dort hinzugezogen werden. Man sollte die Gattungen den Spezialisten überlassen (z.B. Ramaria dem Josef Christan - er hat drei Jahre gekämpft, bis seine Verbesserungen der TaxRef-Liste übernommen wurden - da habe ich es hautnah erlebt, wie schwierig es sein kann, als Spezialist die Taxrefliste überarbeiten zu "dürfen").


    Als Verantwortlicher der Taxrefliste und im Namen der vielen Gattungsspezialisten, die an ihr mitarbeiten, muss ich doch auf deine Kritik kurz antworten:

    Eine lange Liste von Gattungsspezialisten arbeitet an der Taxrefliste Deutschland mit und all diesen bin ich dankbar, da niemand in der sich inflationär ändernden Taxonomie allein noch durchblicken kann und auch viele Widersprüche zwischen Index fungorum und Mycobank bestehen.


    Als Josef Christan damals die Taxrefliste der Gattung Ramaria überarbeitet hat, habe ich den fachlichen Teil sofort übernommen. Die 1 : 1 Übernahme der Nomenklatur seiner Monografie war zu dem Zeitpunkt programmtechnisch nicht möglich, da es noch keine Zuordnungen von Jahreszahlen der Erstbeschreibung und auch keine Qualifizierungsvermerke (für sensu Einträge etc.) gab. Diese damals berechtigten Forderungen von Josef waren erst nach der Überarbeitung der bestehenden Taxrefliste mit diesen zusätzlichen Feldern, deren Inhalten und Verknüpfungen erfüllbar (es waren auch keine gleichen Artnamen im unterschiedlichem Sinne möglich). Wir hatten ca. 25 000 Datensätzen, die bearbeitet werden mussten, um für alle Arten diese zusätzlichen Informationen anzuzeigen. Inzwischen sind wir bei über 35 000 Taxa und Synonyme. Die meiste Zeit meiner mykologischen Arbeit steckt in dieser Taxrefliste, die in den letzten beiden Jahren auch noch mit der Taxrefliste der tschechischen und österreichischen Mykologen abgeglichen wurde.


    Selbstverständlich wird man immer wieder Fehler und nicht aktuelle Namen in so einer großen Datenbank finden und ich bin für solche Hinweise und Verbesserungen sehr dankbar.

    Beste Grüße

    Frank

  • Servus Frank,


    vielen Dank für die Hintergrundinfos. Irgendwie decken sich die Eindrücke nicht. Josef hatte damals mehrfach die entsprechende Excel-Datei überarbeitet. Möglicherweise gab es Kommunikationsprobleme zwischen dem zuständigen Landeskoordinator, dem Josef die überarbeiteten Daten gegeben hatte und Josef oder zwischen dem Landeskoordinator und dir. Ich weiß nur, dass Josef extrem genervt war - vermutlich hat er die Informationen nicht erhalten, warum es sehr lange gedauert hat, bis alles eingearbeitet war. Ich meine jetzt den Zeitraum zwischen seiner Abgabe an den Landeskoordinator und dem Endergebnis. Wann du die Liste erhalten hast, weiß ich nicht - insofern ist es natürlich gut möglich, dass das zwischendurch irgendwo hängen geblieben ist. Vielleicht könnt ihr beide das irgendwann in aller Ruhe endgültig klären.


    Ich selbst war jedenfalls damals sehr abgeschreckt.So klingt es natürlich deutlich nachvollziehbarer.


    Falls Interesse bestehen sollte, kann ich gerne die Kremplinge überarbeiten. Da ist die TaxRef-Liste nicht up to date. Die Gattung ist zwar klein, aber es hat sich in den letzten Jahren viel getan. Im Moment fehlen Arten bzw. sie werden unter dem falschen Artnamen dargestellt. Die neu beschriebenen Arten aus Mitteleuropa fehlen. Ist nur ein Angebot - in der Gattung Paxillus sehe ich mich ehrlich gesagt als am "tiefsten drin".


    Leccinum ist ein heißes Eisen, da ja im Moment völlig unklar ist, wie viele Arten wirklich vorhanden sind, da die Studie von den Bakker zu wenig Loci verwendet, um wirklich Synonymiesierungen nach aktuellem Stand genügend zu begründen. Jedenfalls würde ich sehr empfehlen, bei den Rotkappen zumindest die Pappelrotkappe wieder als Leccinum leucopodium laufen zu lassen. ;) Falls gewünscht, kann ich versuchen, auch hier mitzuhelfen.


    Liebe Grüße,

    Christoph

  • Gibt auch online 'nen recht simplen Schlüssel von Kibby:

    leccinum_geoffrey_kibby_2006.pdf


    Weiß aber nicht, ob der noch gilt?


    LG.

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  • Hallo Christoph,


    wenn du die Kremplinge mal ansehen würdest, wäre ich dir dankbar. Es sind ja nicht viele Arten in Europa. Ich sende dir per Email einen Auszug in Excel.


    Die Missverständnisse mit Josef sind längst aus den Weg geräumt. Ich habe nur nochmal die Umstände erklärt, damit bei den Forumnutzern nicht der Eindruck entsteht, es werden Verbesserungen an der Taxrefliste nicht akzeptiert bzw. es werden keine Spezialisten einbezogen, im Gegenteil.


    Da gerade für unsere Sachsenflora die Boletales anstehen, werden wir das L. albostipitatum/L. leucopodium- Problem nomenklatorisch vernünftig lösen. Der Bearbeiter der Gattung Leccinum wird sich sicher mal bei dir melden.


    Beste Grüße

    Frank

  • Da wird sich Christoph der Magen umdrehen (mir übrigens auch).

    Servus Karl,


    völlig richtig ==Gnolm24==Gnolm13


    Der Schlüssel von Kibby übernimmt hier alles direkt und kritiklos. So sehr ich viele Artikel dieses Autors schätze, hat er hier m.E. leider blind alles übernommen. Das ist ja auch verlockend, wenn eine früher als schwierig geltende Gattung plötzlich als einfach erscheint.


    Ach ja, noch ein Punkt:

    den Bakker hat an den Sequenzen erkannt, dass bei Leccinum auch Polyploidisierung eine Rolle bei der Artentstehung spielt (Verdopplung des Chromosomensatzes - das erklärt, warum bei fast identischer Sequenz doch zwei Arten vorliegen können). Das haben aber Wittmann-Meixner und auch Bresinsky schon vor vielen Jahren publiziert - die hatten die DNA mit einem Fluoreszensfarbstoff markiert und die Helligkeiten gemessen. Dabei kamen sie auf Ploidiestufen bei Leccinum (und auch bei anderen Gattungen). Es gibt darüber auch einen Band in der Reihen Bibliotheca Mycologica:


    Wittman-Meixner B. (1989): Polyploidie bei Pilzen unter besonderer Berücksichtigung der Boletales. Möglichkeiten eines cytofluorometrischen Nachweises. Bibl. Mycol. 131: 1-163.


    Das hat den Bakker offenbar nicht recherchiert oder gelesen (wie gesagt, er ist kein Mykologe)... Das nimmt aber der Argumentation, bei gleichen Teilbereichen der ITS seien es Synonyme, auch etwas den Boden unter den Füßen weg. Vermutlich ist das auch der Grund, warum sich seitdem niemand mehr rangetraut hat.


    Mikrosatelliten und Ploidiestufen - das macht eine sequenzbasierte Artdefinition sehr aufwändig und schwierig. Da macht man dann erstmal einen Bogen drum herum... Daher: back to the roots und bei Leccinum wieder das alte morphologisch-anatomische Artkonzept anwenden!


    Liebe Grüße,

    Christoph

  • Das hatte ich befürchtet. Hab' hier auch noch ein pdf von Nordeloos als Alternative, aber da findet sich auch kein L. leucopodium drin. Nicht so wild, bin's gewohnt sp. an meine Bilder zu pappen.


    LG.

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    • Offizieller Beitrag

    Das hatte ich befürchtet. Hab' hier auch noch ein pdf von Nordeloos als Alternative, aber da findet sich auch kein L. leucopodium drin. Nicht so wild, bin's gewohnt sp. an meine Bilder zu pappen.


    LG.

    Hi,


    ganz so schlimm ist es nun auch nicht. :) Es gibt schon gute und sichere Arten in der Gattung; insbesondere auch die von den Bakker publizierten Arten sind ok, sofern sie typisch ausgeprägt sind. Das Problem sind nur Kollektionen, welche nicht in die typischen Artkonzepte dieser guten Arten passen. Ansonsten bleibt die Espenrotkappe die Espenrotkappe; nur ist halt unklar, wie die wiss. korrekt genannt werden muss.


    Wenn du an dem Sonntag zur Boletus-Tagung kommst, dann wirst du meinen Leccinum-Vortrag hören. Ich werde dazu auch noch was sagen. Übrigens habe ich den Vortrag mit Christoph abbgestimmt/besprochen. Ist also auch von "Expertenseite" abgesichert.


    l.g.

    Stefan

  • Du meinst diese hier, oder?

    "3. Boletus-Tagung (10. bis 13.10.2019) Thüringen in Bad Blankenburg"


    Das wäre gar nicht mal so weit weg und 'ne Überlegung wert. :)


    LG.

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    • Offizieller Beitrag

    Klar die meine ich. Andreas Vesper hat mich extra um einen Vortrag gebeten. Das wird im Rahmen der PSV-Fortbildung laufen.


    l.g.

    Stefan