Ab in die Büsche! Ein Pilzfeuerwerk im Dezember – und offene Rätsel

Es gibt 10 Antworten in diesem Thema, welches 5.341 mal aufgerufen wurde. Der letzte Beitrag () ist von Tuppie.

  • Eigentlich wollten wir diesmal endlich mal die Trollhand finden – wir, das sind Torsten Richter (TR), Vorsitzender des Rehnaer Pilzvereins, und ich (CE), einfacher Freizeitmykologe aus Lübeck. Etwa 1-2 mal im Monat sind wir gemeinsam für einen Vormittag in Nordwestmecklenburg auf Pilzpirsch. Und auch an diesem Grauweidenbruch nahe des Breesener Moores (das Pilzforum berichtete) waren wir schon öfter vorbeigefahren, hatten dort im Winter vor 3 Jahren auch schonmal angehalten und damals solche kleinen, aber feinen Spezialitäten gefunden wie das Pappelknospen-Becherchen Pezizella gemmarum oder den Pustelpilz Nectriopsis oropensoides, der auf dem Tabakbraunen Borstenscheibling Hymenochaetopsis tabacina wuchs. Und jetzt wollten wir dort mal richtig in die Büsche, denn wie gesagt schien uns dieses Biotop für die begehrte Trollhand einfach ideal. Und das Wetter: einfach klasse!


    Nach dem Regen... bestes Pilzwetter im Dezember! (Foto: CE)


    Um es gleich vorwegzunehmen: wir haben sie nicht gefunden. Allerdings sind wir auch kaum fünfzig Meter weit gekommen. Viel zu viele Pilze standen uns ständig im Weg in diesem Dschungel aus feuchtem Totholz, an diesem feucht-milden Dezembermorgen in Mecklenburg.



    Da hinten wollen wir eigentlich in die Büsche - aber überall lebensvolles Totholz herum. Hier ein dicker Stamm mit einem Überzug von Hypnum cupressiforme (Zypressenschlafmoos). (Foto: CE)


    So gibt es auch nicht viel zu berichten von unserer Exkursionsstrecke. Statt dessen sollen ein paar Bilder sprechen – aber die sagen ja bekanntlich oft mehr als tausend Worte.


    Auffällig als erstes gleich jede Menge frischer Flammulina elastica, Weiden-Samtfußrüblinge. Die zeichnen sich gegenüber Flammulina velutipes, dem Gemeinen Samtfußrübling durch größere Sporen um 9-12 x 4 µ aus (Foto: CE):


    Verschiedene Arten Gallertbecher wuchsen üppig und massenhaft. Am auffälligsten Ascocoryne sarcoides, der Fleischrote Gallertbecher, den wir meist zusammen mit seinem Konidienstadium Coryne dubia antrafen (Foto: CE):


    Nicht so häufig findet man Ascocoryne inflata, den Rundköpfigen Paraphysen-Gallertbecher (Foto: CE):

    Ein häufiger Vertreter, der auch schonmal größere Flächen herumliegender Totholzäste besiedeln kann, ist Bertia moriformis, der Maulbeer-Kugelpilz (Foto: CE):


    Exidia nucleata, der Körnchen-Drüsenpilz, läuft bei diesen Wetterbedingungen zur Hochform auf (Foto: CE):


    Den Gelatinösen Kugelpustelpinz Hypocrea gelatinosa konnte Torsten gleich im Feld schon makroskopisch sicher ansprechen. Er ist durch seine warzige Oberflächenstruktur gut kenntlich (Foto: CE):


    Als Torsten ein paar feucht auf dem Boden liegende Blätter inspiziert, findet er rasch einen winzigen, sehr hübschen Hutpilz. Hier ist er: Mycena polyadelpha auf Blatttresten von Quercus robur (Foto: TR):


    Überhaupt sind feucht liegende alte Blätter eine Fundgrube für Freunde kleiner Ascomyzeten. So fand Torsten an Blattresten, genauer gesagt an der Mittelrippe eines Quercus-robur-Blattes Allophyllaria nervicola (Foto: TR):


    Charakteristisch für die Art sind neben der Ökologie die Sporenmerkmale und die rote IKI Reaktion der Apikalregion der Asci. Ein besonderer Dank gilt an dieser Stelle Matthias Reul, der uns dazu eine wunderbare Doku gemacht hat:


    Torsten fand und bestimmte auch Mollisia pyrenopezizoides auf einem bemoosten Quercusstamm (Foto: TR):


    Proliferodiscus pulveraceus ist ein typisches Ascomyzet der Wintermonate. Sein Fleisch färbt sich mit KOH sofort violett um. So fanden wir ihn auf morschem Holz (Foto: CE):


    Für Ombrophila violacea ist typisch Sporen 9-11 x 4,5- 5 µm, mit meist 2 großen Lipidtropfen in den breit spindelförmigen Sporen (Makrofoto: TR):


    Eher unscheinbar kommt Claussenomyces xylophilus nom. prov. Baral einher, der auf einem morschen Haselnußast wuchs (Fotos: TR):



    Wo viele Weiden wachsen, kann man gelegentlich Nectria diatrypicola auf Diatrype bullata finden (Foto: CE):


    Begeistert war Torsten von einem Fund, den er im Nachhinein unter dem Mikroskop bewundern konnte: bei Tubulicrinis färben sich die röhrenförmigen Zystiden in Melzer blau! Tubulicrinis medius, Lyozystiden bei 10facher Lupenvergrößerung (Foto: TR):



    Natürlich gab es auch noch andere, richtig "große" Pilze. Zum Beispiel Hypoxylon howeianum, die Zimtbraune Kohlenbeere (Foto: CE):



    Sehr häufig bei diesem Wetter: Phlebia tremellosa, der Gallertfleischige Fältling (Foto: CE):



    Steccherinum ochraceum an einem Ast von Corylus avellana (Foto: TR):



    Richtig mild schmeckte Oligoporus tephroleucus (Foto: CE):



    Und Phlebia rufa gab es sozusagen "am laufenden Meter" (Foto: CE):



    Ganz prächtig bei dem Wetter entwickeln sich auch einige Pilze, die vielleicht eher dem Reich der Zoologie zuzuordnen sind: Myxomyzeten, von denen viele gerade im Winter zu Topformen auflaufen. Am auffallendsten bei dieser Exkursionwar wohl der Fadenfruchtschleinpilz Badhamia utricularis (Foto: CE):



    Sehr schön auch eine Trichia contorta, die Torsten fand (Foto: TR):



    Richtig zoologisch noch eine besondere Entdeckung von Torsten: Vertigo antivertigo, eine FFH-Art, gefunden zwischen Carexblättern (Foto: TR):



    Obwohl unsere Exkursion nun schon eine Woche zurückliegt und wir in der Zwischenzeit viel mikroskopiert und bestimmt haben, so bleiben doch noch einige Rätsel. Vielleicht hat ja jemand hier aus dem Forum eine Idee zu dieser Mycena, die Torsten auf einem bemoosten Grauweidenast fand (Foto: TR):


    Torsten schreibt zu den Merkmalen: "Hut 3-4 mm Durchmesser, weißlich mit zarten Grautönen; Blätter breit angewachsen, Stiel 0,8- 1,2 cm x 0,2- 0,3 mm, Basidien nur 2sporige gesehen (was nichts bedeuten mag), Sporen 9- 10 x 5,5- 6 µm, Cheilozystiden auffällig bürstenförmig mit bis zu 5 µm langen fingerförmigen Fortsätzen........"


    Also: wenn jemand hier eine Idfee zu diesem Pilz hat, gerne her damit!


    Und auch ein Pyrenomyzet, den ich auf einem Laubholzast fand, findet hoffentlich vielleicht doch noch einen Namen (Foto: CE):


    Die Sporenmaße hier sind 17,2-20,9 x 6,6-7,5 µ; auffällig finde ich die 4 Tropfen, die in manchen Sporen zu sehen sind. Bestimmungsversuche bewegen sich hier zwischen Melanomma und Nigrograna....


    Soviel als kleiner Einblick in eine zweistündige Vormittagsexkursion am Grauweidenbruch. Aber wie schon gesagt,das Exkursionsziel haben wir verfehlt, haben keine Trollhand gefunden. Ich glaube, da müssen wir demnächst also nochmal hin und weitersuchen….


    Torsten (links) und Chris (rechts) - bei diesem Endpunkt unserer 50-Meter-Exkursion sollten wir nächstes Mal vielleicht einfach weitermachen....


    Allen schonmal schöne Feiertage und einen pilzreichen Jahresausklang 2019!


    Chris Engelhardt, Lübeck

  • Ahoj, Chris,


    treffender als "Feuerwerk" hätte der Titel nicht sein können.


    ==Pilz23


    LG

    Malone

    Link zu Pilzlehrwanderungen: Pilzschule Rhein-Main

    Link: Verzehrfreigaben gibt es online nicht

    Galerie: Pilzfotos "zum Anfassen"/Stereobilder

    Der frühe Vogel fängt den Wurm. Soll er doch im Dunkeln tappen...ich fange lieber Pilze. Fossas sind auch nur aktiv, wenn es sich lohnt.

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    Pilz-Chips: 90+8 für Nobis Pilz-Cover-Rätsel=98, +2 Interne Tribünen-Punkte-Wette APR 2022=100, +4 PhalschPhal-Gedicht APR = 104 +5 Rätselgedicht = 109, 3 als Rätselprämie an Lupus = 106

  • Hallo Chris,


    ein toller Beitrag mit vielen schönen Funden und beeindruckenden Bildern! Bei der Phlebia würde ich aber zu Phlebia radiata tendieren. Die kann durchaus auch ohne Orangetöne auftreten. Phlebia rufa hat eine andere Oberflächenstrukture, siehe auch im Portrait.


    Björn

  • Hallo Chris, eine klasse Tour- mit schönen Funden und perfekt aufgearbeitet. Danke für‘s Zeigen. Hoffentlich habt Ihr Euch bei dem Tempo auf der Marathon-Strecke nicht übernommen!

    Lieben Gruß


    Claudia


    ...leben und leben lassen... ;)


    Hier im Forum gibt es grundsätzlich keine Verzehrfreigaben.

    Pilzsachverständige findest du hier.

  • Schön, dass Du uns nach dem fantastischen Moor-Beitrag an einer weiteren Tour mit Dir und Torsten teilhaben lässt, Chris! :)

    Es macht immer wieder Spaß mit Euch beiden unterwegs zu sein, ob virtuell oder (noch besser) im realen Leben!

    Ich denke, genau solch wunderbar geschriebene und fotografisch hochkarätige Beiträge sind es, neben dem freundschaftlichen Umgang miteinander, die dieses Forum so großartig und auf eine gewisse Weise einmalig machen!

    Gelungenes Abschlussbild auch wieder!


    Liebe Grüße

    Nobi

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    Chips: 72

    • Offizieller Beitrag

    Hallo, Chris!


    Ein wunderschöner Beitrag. :thumbup:

    Die Daumen sind gedrückt, daß ihr beim nächsten Mal dann bis 52 Meter weit kommt, wo sich die Trollhand aufhalten möge. :)

    In meiner Gegend sind die nahegelegensten, sumpfigen Stellen mit solchen Weidengebüschen die Auwälder um die Altrheinarme herum, und da werde ich vermutlich noch lange erfolglos nach Trollhänden Ausschau halten (Klima passt nicht).

    Aber auch so war das schon eine mehr als gelungene Exkursion.


    Den Hinweis von Björn zu den blassen Formen von Phlebia radiataunterstütze ich nach Ansicht der Kollektion übrigens.



    LG, Pablo.

  • Hallo Chris und Torsten!


    Wieder ein wunderbarer Beitrag von Euch Beiden! Jetzt haben wir schon zwei Dreamteams für unsere kleinen, erstaunlichen Freunde. :)

    Danke fürs Mitnehmen, für eine weitere Strecke hätte ich auch gar keine Energie gehabt. ;)