Russula incarnata (cf) nach Revision R. cyanoxantha

Es gibt 12 Antworten in diesem Thema, welches 4.144 mal aufgerufen wurde. Der letzte Beitrag () ist von kuhmaul.

  • Hallo liebe Pilzfreunde,


    ich denke, einen nicht alltäglichen Fund kann ich euch mal zeigen, der mir zwar beim Finden grosse Freude gemacht hat, aber dann auch erstmal grosse Ratlosigkeit ausgelöst hat.

    Den zu Schlüsseln wäre vielleicht das kleinere Übel gewesen, denn die Mikroskopie der Huthaut erwies sich als eine Herausforderung sonder gleichen.

    Die Huthaut zäh, die Darstellung im Mikro ohne viel Kontrast, ein Wirr-warr der Haare, keine Auffälligkeiten von Zystiden und zu guter letzt schwer auffindbare, mini Inkrustationen und Primordialhyphen die in Kf + Lactoglycerol gar nicht, sondern erst in Kf + Salzsäure nur schwach sichtbar wurden.


    Hier gebe ich euch erstmal ein paar Funddaten zum Pilz, so wie ich sie Vorort und später immer ergänzend notiere.


    R20-013

    12.07.2020 - 13:07


    Standort: xxx, re Wiese

    Arbeits - Name: unbekannt

    Anz. Exemplare: 1

    Haupt Baumpopulation: Buche

    --------

    RUSSULA FUNDORT, Laubwald, Waldrand, Gras, feucht, Kollin 400 - 800 m

    BÄUME 20m UMKREIS, Buche (Fagus), Eiche (Quercus), Pappel (Populus)

    EXEMPLARE, jung, einzeln

    HUT GRÖSSE, 4 - 6 cm

    HUT FARBE, violett/purpur, creme/weiss

    HUT OBERFLÄCHE, matt, samtig, bereift

    HUT MITTE, weiss/creme

    HUT RAND, glatt - nicht gerieft

    PEELING, 1/2 abziehbar

    UNTER HUTHAUT, weisslich

    LAMELLEN, spröde, weiss bis creme, Y-gabelig, Stiel-gabelig

    STIEL OBERFLÄCHE, weisslich/creme, ockerlich/bräunlich, fleckend, runzelig/geriffelt

    STIEL KONSISTENZ, fest, voll

    GERUCH, neutral, schwach, Brot/Gebäck

    GESCHMACK, mild

    --------

    FeSo4: neg, nichts

    Guajak: pos 2sec, Lamellen pos spangrün

    Phenol: neg

    KOH: neg

    SV: neg auch am nächsten Tag, auch über längere Zeit

    NH3:

    --------

    SpP Farbe: Ia

    --------

    Sonst. Angaben: Lamellen eng stehend

    manueller Wegepunkt

    --------


    1) Schwache Senke einer Waldwiese vor überwiegend Buchenwald, rechts hinten R. subfoetens (auch Sommersteinpilzecke)


    2) recht auffällig helle Erscheinung


    3) auch den kann man auf die Schnelle für subfoetens halten...


    4) Hut relativ hell, zweifarbig


    5) Hutrand zart (für mich) Fliederfarben, glatt ohne Riefung, Mitte creme-beige


    6) Die Huthaut lies sich bis gut 2/3+ abziehen, darunter weisslich/fliederfarben durchgefärbt


    7) Lamellen creme, engstehend, gegabelt, paar Zwischenlamellen


    8) Stiel weisslich, fest, voll, ohne Farbe, Basis zugespitzt, Huthaut leicht überstehend


    9) Sporenpulver exakt Ia


    10) 1.Tag und nach dem Sporenabwurf, SV neg, der Hut bräunt nach


    11) Guajakreaktion an Lamellen grün, Huthaut überstehend


    12) 2.Tag erneuter SV Test, bräunlich-heidelbeerfarben verzögert


    13) KOH + Kongo, guter Abschitt vom übrigen Haarchaos


    14) KOH + Kongo, Haare zyl, sept, abgerundet, teils auch auffallend kopfig


    15) SV keine DZ zu sehen


    16) Kf + Lactoglycerol, büscheliges Erscheinen, Incrustationen nur erahnbar


    17) Kf + Salzsäure, endlich die Incrustierungen


    18) Melzer, Sporen überwiegend oval, Hilarfleck nicht/teil amyloid, Ornament fein teilnetzig


    19) Melzer, sehr feines, fast nicht messbares Ornament


    Ich freue mich auf Meinungen und Berichtigungen zu meinem Fund

    Antworten kann ich leider aber erst ab morgen Abend.


    Liebe Grüsse

    claus

  • Hallo claus,


    ich finde es Klasse wie Du dich in die Tauben hereinarbeitest:daumen: . Von den meisten Täublingen habe ich ja keinen blassen Schimmer. Ich finde auch dass Du tolle Mikroaufnahmen hinbekommst von denen sogar ich mir einiges abschauen kann. Ich gratuliere zum Fund. Russula incarnata scheint ja ziemlich selten zu sein. Meinen nächsten Problemtäubling kann ich ja dann mit dir diskutieren.


    VG Jörg

  • Hallo Claus,

    Russula incarnata ist laut DGfM-Kartierung ein unklares Taxon. Die Funde sollen mit R. roseoaurantia (Sarnari 2 S. 1327 f.) verglichen werden. Weiße Formen von R. lilacea können sehr ähnlich sein. Näheres dazu bei Marxmüller.

    LG Karl

  • Hallo zusammen,

    ich habe es gerade mal im SARNARI nachgeschlagen: die mikroskopischen Merkmale passen wirklich sehr gut zu R. roseoaurantia. Vor allem die Form der Haare ist im SARNARI genau so gezeichnet, wie man das hier auf dem Foto sieht. Restunsicherheit muss aber bleiben, da R. roseoaurantia nach der Beschreibung der Hutfarbe aprikosenfarbig und nicht fliederfarbig sein soll. Das sind schon ziemlich unterschiedliche Farbtöne.

    Edit: von einem Grauen oder Bräunen des Fleisches beim Eintrocknen, wie man das hier gut sieht, wird im SARNARI auch nichts erwähnt. Stattdessen heißt es über das Fleisch ausdrücklich: wenig veränderlich.

    Wie auch immer: mit der Merkmalskombination aus IPH und weißem Sporenpulver gibt es ja wirklich nicht viele Alternativen.

    FG

    Oehrling

    PSVs dürfen weder über I-Net noch übers Telefon Pilze zum Essen freigeben - da musst du schon mit deinem Pilz zum lokalen PSV!

    2 Mal editiert, zuletzt von Oehrling ()

  • Hallo Claus,


    Eine tolle, aufwendige und sehr schön systematische Dokumentation des Fundes. Für die Doku darf ich mir sicher einiges abschauen.

    Interessanterweise erläutert MXM, dass sich incarnata gerade durch die makroskopischen, weniger die mikroskopischen Merkmale von roseoaurantia unterscheiden soll. Die hier diskutierten Farbunterschiede (Oehrling) werden gerade von ihr angeführt. Wobei mikroskopisch Übereinstimmung bestehen soll. Puuh, aber das habt ihr sicher auch schon alles gelesen.


    Bei Lilacea würden die fliederfarbene Huthaut auch gut passen, aber die Mikromerkmale eher nicht. Die Lilacea, die ich neulich präsentiert habe, hatte andere Sporen und gut anfärbbare IPH.


    Auf jeden Fall ein toller Fund

    Gruß Sebastian

  • Hallo zusammen,


    Jörg, danke für dein vorzeitiges Lob, nur so ganz überzeugt war ich leider selbst mit meinem Ergebnis nicht. Daher diese Anfrage. In der Zwischenzeit weiss ich, dass du da aber auf das falsche Pferd setzen würdest, das ist nämlich eine Pfeife!


    Auch dir Karl W und dir Oehrling erstmal herzlichen Dank für eure Meinung und eure Hinweise zum Pilz.


    Was mir den ganzen Tag nicht aus dem Kopf ging war die Tatsache, dass auf dem SV Bild (12) vom 2.Tag eine gewisse Reaktion sichtbar war, wenn auch nicht eosinrot. Sollte die denn nicht nur bei den Roseinae sein? Dann käme hier mit diesen Merkmalen ja nur R. violeipes oder R. minutula in Frage. R. roseoaurantia (incarnata) hätte diese Reaktion aber nicht, da andere Gruppe.


    Sollte die „meinige“ Reaktion wirklich erst am 2.Tag zum Vorschein gekommen sein? Die Stielteile waren doch trocken, nur eine Stiel-Hälfte fehlte aber in der Zwischenzeit.


    Die spurlos verschwundene zweite Stielhälfte ist dann unter einem Objektivdeckel plötzlich wieder aufgetaucht und so konnte ich heute einen weiteren SV Test starten.


    20) Sulfovanillin Test positiv am 3.Tag


    21) Nochmals eine Nahaufnahme Stielspitze von Bild(8), das fiel mir echt nicht auf, typ velutipes oder?


    Nach dieser Beweislast gibt es jetzt keine Diskussion mehr, dass der Pilz R. velutipes ist, sonst nichts. Das erklärt auch das Bräunen vom Exsikkat.


    Da bin ich jetzt von dieser Art im Jahr 2017 (hier damals grössere Diskussion) und jetzt fast auf den Tag genau, zum zweiten Mal hinters Licht geführt worden. Damals wegen erst nachträglich durchgeführter SV Probe, diesmal wegen fehlender SV Reaktion am Pilz und dadurch falsch abgebogen zu den Lilaceinae.


    Wenn keine weiteren Einwände von der Expertenseite bestehen, benenne ich meinen Fund in

    Russula velutipes. Ich danke euch für eure Mühe.


    Liebe Grüße

    claus

  • Hallo Claus,

    ich kopiere mal Marxmüller:

    RUSSULA cf. INCARNATA Quél. ss. Blum

    cf. RUSSULA ROSEOAURANTIA Sarnari

    Diese zierliche Lilacinae habe ich insgesamt nur dreimal zu Gesicht bekommen – und jedes Mal sah

    sie so aus, wie ich sie auf nebenstehender Tafel gemalt habe: In frischem Zustand ist das Crème der

    Hüte in der Randzone mit einem ziegelrosa Hauch laviert, und vor allem in der Hutmitte fällt die von

    den büscheligen inkrustierten Primordialhyphen verursachte weiße bis hellgraue, nicht abwischbare

    Bereifung auf. Der Hutrand ist nicht gerieft und meist etwas eingerollt; die Huthaut zieht sich stellenweise

    über die weißen Lamellen herab. Die am schlanken, oben bepuderten Stiel abgerundeten Lamellen sind

    schmal.

    Sarnari (p. 1323) schreibt, dass die von Einhellinger (p. 98-100, Tafel 15 oben) unter R. incarnata

    beschriebene Kollektion mit der seiner roseoaurantia übereinstimme. Mikroskopisch trifft dies zwar für

    die langen, oben verjüngten Primordialhyphen, die breiten, mehr oder minder keuligen Epikutishaare

    und bedingt auch für die Sporen zu, doch makroskopisch sehen die mediterranen ockerfarbenen, gelben

    und weißlichen, stumpfrandigen Pilze mit den breiten Lamellen anders aus.

    Geschmack: mild.

    Geruch: unbedeutend.

    Sporenpulverfarbe: I a.

    Chemische Reaktionen: mit Guajak langsam

    positiv, mit Sulfovanillin am Exsikkat langsam

    blutrot, dann braun.

    Mikroskopie: Sporen variabel, länglich oval oder

    breit elliptisch, 6,5-9 x 5,5-7 μm, mit meist sehr

    niedrigen Wärzchen oder bis zu ca. 0,6 μm hohen

    Stacheln, isoliert, oft auch in perlschnurartigen

    Reihen oder Gruppen angeordnet, selten mit

    feinen Konnexiven verbunden, doch kaum

    netzig. Hutdeckschicht mit fein inkrustierten, bis

    zu 7 μm breiten, oft büscheligen inkrustierten

    Primordialhyphen und 5-6 μm breiten, unten

    verzweigten, mehr oder minder keuligen

    Epikutishaaren.

    Fundort: Deutschland (Oberbayern), Lkr.

    Starnberg, Bachhausen, in 683 m, am 09.07.1982,

    bei Buchen (Fagus sylvatica). Tafel und Exsikkat

    Nr. R-8223, leg. et det. Alfred Einhellinger.

    Ergebnis der DNA-Analyse im Anhang p. 681.
    Russula incarnata (R-8223). Diese weiße Aufsammlung wurde molekular als Russula lilacea bestimmt.

  • Hallo Karl,


    ach ja, spannend, den Hinweis unter dem französischsprachigen Absatz hatte ich nicht mehr gelesen. Das würde doch aber bedeuten, das bei den Mikromerkmalen eine größere Streuung möglich ist?


    Herzliche Grüße

    Sebastian

  • Also in meinen Augen bedeutet das einfach, dass R. incarnata so unerforscht ist, dass man aufgrund der vorliegenden Literaturreferenz nicht zu einem befriedigenden Bestimmungsergebnis kommt.==Gnolm7


    Ich habe gerade im SARNARI noch ein paar sehr interessante Dinge gelesen:

    Danach zeichnet sich eine Roseinae (also auch R. velutipes) nicht nur dadurch aus, dass es mit SV eine eosinrote Reaktion gibt, sondern dass sie mit Guajak gänzlich negativ (SARNARI nennt das "subnullo") ist. Claus schrieb aber: Guajak innerhalb von 2 Sekunden positiv. Man sieht auch den blaugrünen Guajakfleck auf der Stielrinde. Glaubt man SARNARI, müsste man sich hier von einer Roseinae verabschieden.

    Zur Frage, die folgerichtig im Raum stehenbleibt, ob auch Täublinge, die keine Roseinae sind, mit SV auf der Stielrinde rot machen können, habe ich auch was Interessantes gefunden. SARNARI listet in der Sektion Lilaceinae eine Russula einhellingeri, die mit SV "fuchsinrot" würde (vgl. S. 1300 f.). Im Diskussionsteil über die von ihm beschriebene Art Russula roseoaurantia wird auch über eine SV-Fuchsinrotfärbung bei dem unsicheren Taxon "Russula lactea" geschrieben, ohne dass ich mangels guter Italienischkenntnisse jeden einzelnen Satz in seiner Bedeutung voll erfassen könnte (vgl. S. 1322 f.). Es hört sich also durchaus so an, als ob außerhalb der Roseinae zumindest ein "Fuchsinrot", wenn schon kein "Eosinrot" bzw. "Magentarot", möglich wäre. Und zwar, das wird extra betont, nur am Exsikkat.

    Diese Literaturstellen habe ich mit einer gewissen Genugtuung rezipiert, da ich mich mit dem Bestimmungsergebnis R. velutipes für Clausens Pilz nicht wirklich anfreunden kann, oder klarer ausgedrückt: diese hellviolette Hutfarbe, die uns hier vom Pilz aufgetischt wird, kann R. velutipes einfach nicht haben. Die Hutfarbe von R. velutipes changiert zwischen rot, orange und gelb und macht dazwischen alles, geht aber nicht ins bläuliche.


    Claus, für mich ist das in seiner Vertracktheit ein Kandidat auf den Täubling des Jahres.


    FG

    Oehrling

    PSVs dürfen weder über I-Net noch übers Telefon Pilze zum Essen freigeben - da musst du schon mit deinem Pilz zum lokalen PSV!

  • Hallo Pilzfreunde,


    nach diesen plausiblen Beiträgen von Karl und Oehrling sehe ich doch ein wenig Hoffnung, gerade in den Fällen wo die SV wie auch die Guajak Reaktion bei einer vermuteten Art öfters verschieden war und hier äusserst extrem und mit negativer Auswirkung zum Vorschein kam.

    Ich bin mal meine ganzen velutipes-Funde durchgegangen und ab und zu kommt da tatsächlich einer dazwischen, wo die Guajakreaktion positiv ist, gleichzeitig aber die SV-Reaktion erst am nächsten Tag festgestellt wird. Hier ein Bild Beispiel von zwei Funden aus 2020.


    22) Screenshot Handy, beachte rote Markierung


    So zieht es sich durch die ganzen Funde. Egal, jetzt habe ich wenigstens eine Erklärung des Phänomens, das mir noch nicht aufgefallen ist.

    Leute, wir bedanken uns für euer grossartiges Wissen das ihr mit uns teilt und wir werden uns davon eine Fotokopie unters Kopfkissen legen. :gwinken:


    Liebe Grüsse

    claus

  • Zur Frage, die folgerichtig im Raum stehenbleibt, ob auch Täublinge, die keine Roseinae sind, mit SV auf der Stielrinde rot machen können, habe ich auch was

    Hallo Oehrling,

    Deine Feststellung deckt sich völlig mit der Beschreibung von H. Marxmüller, die ich mit Fettdruck hervorgehoben habe. Berücksichtigt man, dass die molekulare Untersuchung des Fundes zu einer weißen R. lilacea geführt hat, muss man da wirklich umdenken. Kein Wunder, wenn niemand sagen kann, um was es sich bei R. incarnata handelt.

    LG Karl

  • Hallo Claus und co


    Hier zwei Bilder von R. roseoaurantia von letzter Woche. Am Detailbild sieht man die typischen weissen Büschel.

    Mikroskopiert hats Werner Jurkeit.


    LG Rudi

    aktuell vor dem APR21: 8 Punkte... Eintritt: 8-5= 3 Punkte - inzwischen durch Stummmalus 3-5= -2 Punkte

    Platz12 : +4P, Segmentwette: +4P, Pltzierungswette: +10P= 16 Chips

    wp.markones.de

  • Servus Chef,


    es waren zwar stellenweise am Rand schmale Bereifungen zu sehen, nur so gleichmässige Flocken habe ich bei meinem Pilz nicht beobachtet, eher sah die Hut Oberfläche mehr aderig von aussen nach innen aus.


    Danke für dein Bild

    claus

  • kuhmaul

    Hat den Titel des Themas von „Russula incarnata (cf)“ zu „Russula incarnata (cf) nach Revision R. cyanoxantha“ geändert.