Saftlings- und Ellerlingsexplosion

Es gibt 29 Antworten in diesem Thema, welches 6.124 mal aufgerufen wurde. Der letzte Beitrag () ist von Sebastian_RLP.

  • Hallo Sebastian,


    wenn nochmal welche kommen:

    Foto vom Frischpilz und schonend (nicht zu heiß, z.B. auf der Heizung) trocknen. Dörrex nur auf der unteren Stufe.


    Beim Rest kann ich helfen, wenn's so weit ist.


    Gruß,

    Wolfgang

  • Servus beinand,


    wenn die Sporenform repräsentativ ist, glaube ich weder an H. insipida noch an H. mucronella. Allerdings wäre es besser gewesen, die Sporen richtig auszumessen und auch den Quotienten zu bestimmen. 6 x 4 wäre schon sehr kurz. Die Sporen von H. mucronella sind deutlich größer, breiter und viel variabler geformt, teils irregulär tief eingeschnürt. Die Art kann man anatomisch komplett ausschließen. Und dass die Sporen im Spätherbst sooo anders sein können, wäre mir neu. Es ist ja kein Fruchtkörper, der aus Dauerfrost wieder aufgewacht ist und plötzlich "Zombiesporen" bildet, das eigentlich schon tot... ausgesport hat er ja auch...

    Die Sporen von H. insipida sollten auch zumindest so an die 7,5 bis 8 µm Länge kommen und im Quotienten nach oben recht weit gehen können (bis 2,5). Sehr fraglich.


    Wenn man sich schon so viel Mühe gibt, ausporen lässt, mikroskopiert, Fotos macht, dann sollte man immer einen Beleg dazu machen, damit man später die Bestimmung revidieren kann, wenn sich neue Aspekte auftun. Zum Sequenzieren am besten gleich einen Teil trocknen und nicht im Kühlschrank oder draußen erstmal lassen, herummikroskopieren und dann doch trocknen. Bei sofort getrocknetem Material klappt das Sequenzieren deutlich besser.

    Sonst wird jeder Mykologe mit seiner eigenen Vorstellung von der Variabilität der Arten 'rumlaufen. Und alte Bilder (egal ob im Kopf oder auf der Festplatte) können ja aufgrund derselben Vorurteile falsch bestimmt worden sein - und da schließe ich mich selbst ausdrücklich mit ein.

    Das ist doch der Normalzustand. Natürlich hat jeder seine eigenen Vorstellungen von den Arten, die man zu kennen glaubt. Deshalb ist ja einerseits der Erfahrungsaustausch so wichtig und auch das Offensein für andere Interpretationen. Wir werden ja nie jeden Fruchtkörper sequenzieren lassen können. Jeder, der versucht, Pilze z. B. im Gelände zu bestimmen, macht dies im Glauben, dass die Interpretation richtig ist. Vor der Sequenzierung hätte man sagen können, dass man erst den Typusbeleg mikroskopieren müsse, um keine Interpretation, sondern die Originalanatomie als Basis zu nehmen. Natürlich lässt man das machen, indem man dann die Bücher der Monographen liest.


    Bei unsd ist es ja sogar noch "schlimmer" - vielfach machen wir uns unser Bild, unser Vorurteil nicht anhand der Monographien, in denen die Typen untersucht wurden, sondern anhand von Sekundärquellen. Der Ludwig ist so ein Beispiel. Die Arten sind Interpretationen eines sehr guten Allrounders, der aber keine Gattungsmonographien geschrieben hat, der seine Konzepte auch nicht anhand des Originalmaterials der Typen entwickelt hat (und der manche der abgebildeten Arten nicht mal gesehen hat - manche Bilder sind reine Textinterpretationen, ist dann aber zumindest im Textband irgendwo erwähnt). Oder früher: Pilze der Schweiz. Oder... oder... oder.

    Wichtig ist daher m.E. zu wissen, anhand welcher Literatur (welchen und wessen "Vorurteils") man bestimmt hat. Und sich klar zu sein, dass das Wissen weiter wachsen wird und man später vieles nochmal revidieren muss. Deshalb sind Beleg so wichtig, auch wenn es nicht um Sequenzierung geht. Aber dass man jeden nicht klar bestimmten oder nicht hundertprozentig sauber bestimmten Pilz sequenzieren muss, um keine Vorurteile zu haben, sehe ich so nicht. Dann dürfte man auch keine Sekundärliteratur benutzen. Dass es nicht schadet, zu sequenzieren, ist klar. Aber es ist für uns ja nur ein Hobby.

    Und eigene Vorstellungen der Variabilität von Merkmalen sind wichtig und wertvoll. Finde ich jedenfalls.


    Hier fand ich sehr wertvoll, mitzubekommen, wer wie über welche Art denkt und wie groß die Variabilität angesetzt wird. Wer am Ende recht hat, steht auf einem ganz anderen Blatt. Und solange man offen ist für Diskussion kann man auch Vorurteile bilden, denn durch die Offenheit bleiben die nicht bestehen - sie werden abgewandelt und werden irgendwann zu Urteilen. Ob dann noch zu vorschnell oder nicht, ist die Frage... Es wird aber so bleiben, dass viele im Feld bestimmen wollen (ich sage nur "Feldmykologe" - da werden dann ja auch Vorurteile vermittelt, wenn es darum geht, Hunderte Arten makroskopisch bestimmen können zu wollen). Sonst dürfte man ja nur noch per Sequenz kartieren und das fände ich dann doch übertrieben. ;)


    Wie auch immer - das wichtigste ist die Offenheit, die eigenen Konzepte nicht als in Stein gemeißelt zu sehen, sondern ständig zu hinterfragen und mit den Vorstellungen anderer abzugleichen. Sobald man das so auffasst, eben nicht recht zu haben, die "Wahrheit" zu kennen, sondern nur eine These aufzustellen, dann bleibt man da immer offen. Das ist für mich auch einer der sehr positiven Effekte von Foren, aber auch von Tagungen und Publikationen. Jede Fachpublikation ist eine These und keine Wahrheit. Manchmal (zum Glück selten) liest man Rhetorik von "es wurde bewiesen, dass..." - das schließt jede andere Möglichkeit aus und ist zudem un(natur)wissenschaftlich, denn in der Biologie gibt es keine Beweise... Aber ich schweife ab ;-).


    Drum beende ich meine Gedanken zum Thema "mit Vorurteilen 'rumlaufen, wenn man nicht sequenziert" - und breche eben eine Lanze für traditionelles Bestimmeb, ohne natürlich moderne Alternativen per se auszuschließen. So ne Sequenz zur rechten Zeit kann schon sehr hilfreich sein.


    Liebe Grüße,

    Christoph

  • Hallo zusammen,


    nach den wohltuenden Worten von Christoph möchte ich kurz erläutern, was mich dazu bewogen hat, auf den Beitrag von Sebastian zu antworten und für Hygrocybe mucronella zu plädieren.


    Hygrocybe mucronella kenne ich u.a. vom Sennefriedhof in Bielefeld (keine 2 km von meiner Haustür entfernt). Die Art ist dort mit zahlreichen anderen Wiesenpilzen vergesellschaftet, darunter absolute Raritäten wie Clavaria greletii und Clavaria pullei. Es ist ein Fundort, den ich sehr häufig aufgesucht habe.


    Dabei habe ich die verschiedenen Altersstadien von H. mucronella und anderen Saftlingen regelmäßig vor Augen gehabt und als Sebastian hier seine Pilze gezeigt hat, war ich mir absolut sicher, dass es sich bei seinem Pilz Nr. 3 um Hygrocybe mucronella handelt.


    Da der Thread sich schon etwas in die Länge gezogen hat, zeige ich hier noch mal die fraglichen Saftlinge von Sebastian (ich hoffe, das ist ok).


    Hygrocybe spec. Sebastian


    und hier noch mal mein Foto von Hygrocybe mucronella


    Zu meinem Fund gehört dieser Sporenabwurf


    Erläutern möchte ich dazu nichts mehr.


    LG Ingo

  • Hallo zusammen,


    ich denke die offene Grundhaltung, welche Christoph beschreibt sollte in der Tat eine Selbstverständlichkeit sein. Für mich ist Sie das.


    In der letzten Zeit habe ich (neben vielen klaren) drei Funde von diesem besonders artenreichen kleinen Ort hier im Forum diskutiert, die am Ende kaum zu entscheiden waren. Sei es die Hygrocybe, ein fraglicher A. subperonatus oder auch ein fraglicher C. nemorensis/variecolor. Die ausführlichen Kommentierungen hier, die Preisgabe und Weitergabe eurer Erfahrungen, eures Wissens und eurer Beobachtungsergebnisse haben mich dabei immer weiter gebracht. So denke ich, werden zukünftige Einschätzungen durch mich (auch im Feld) nach der Beschäftigung hier schon differenzierter erfolgen können. Im Sammeln, bestimmen und dokumentieren werde ich sicher noch strukturierter vorgehen können. Meine Wissen und meine Vorstellungen zu den Gattungen, zu verschiedenen Artkonzepten aber auch zu Untergattungen, Aggregaten haben sich in diesem Herbst deutlich erweitert (spannend übrigens dazu auch gerade noch der Artikel "Saftlingssplitter" im aktuellen Tintling, dass aber nur nebenbei).


    Ein Knackpunkt sind und werden auch in Zukunft immer fehlende Ressourcen sein. Wissen und Fähigkeiten die noch zu entwickeln sind, Spezialliteratur, (ganz wichtig) Zeit. Aber ich bin optimistisch, dass sich mit der Zeit mehr und mehr Ressourcen aufbauen lassen.


    Wie gerade beschrieben, ist dieses Forum eine sehr wichtige Ressource für mich, die jetzt schon jederzeit verfügbar ist. Deswegen möchte ich allen (insbesondere in Bezug auf das aktuelle Thema hier auch dir, Ingo) nochmals danken für den umfassenden Austausch. Es freut mich zu hören, dass es in Bielefeld ähnlich artenreiche Orte gibt wie hier. Ähnlich wie du diesen Ort immer wieder aufsuchst, werde ich das hier auch tun. So wird sich die Dokumentation zu den Arten dort in Zukunft sicher vervollständigen, differenzieren und festigen lassen und Fragen werden sich mit etwas Geduld beantworten lassen (nicht alle Arten, die dort wachsen haben sich dieses Jahr gezeigt wie z.B. Gliophorus irrigatus, den ich auch von dort kenne). Und wer weiß, vielleicht gibt's irgendwann noch Gelegenheit für gemeinsame Exkursionen. Soo weit ist Bielefeld nun auch nicht weg ...


    Herzlichste Grüße und einen schönen zweiten Advent,

    Sebastian