Die Gattung Prunulus

Es gibt 25 Antworten in diesem Thema, welches 4.958 mal aufgerufen wurde. Der letzte Beitrag () ist von Tricholomopsis.

  • Tricholomopsis


    Mir ist jetzt in dem neuen Buch von Christoph ("Die Pilze Deutschlands") untergekommen, dass die Rettich-Helminge dort unter Prunulus laufen. Bei allen mir bekannten Quellen sind die noch bei Mycena untergebracht. Ich habe vor einigen Jahren schon mal vernommen, dass die Rettich-Helmlinge bei Prunulus untergebracht werden sollten, allerdings hat sich anscheinend bislang noch niemand so recht dazu hinreißen lassen können, zumindest in der populären Literatur.
    Deswegen meine Frage an Christoph, wieso er das jetzt in seinem neuen Werk publiziert und ob zu erwarten ist, dass das jetzt auch in anderen Quellen so passiert?


    Beste Grüße

    Harald

  • Hallo Harald,


    Prunulus ist eigentlich eine uralte Gattung von S.F. Gray, die vor allem von Murrill sehr exzessiv gennutzt wurde wenn ich mich recht erinnere. Also nichts wirklich Neues.

    Ich kann mir vorstellen, dass Prunulus als eigene Gattung kommenwird, denn Mycena ist ja trotz Ausgliederung etlicher Arten (Atheniella, Phloeomana, Roridomyces, ...) immer noch polyphyletisch.

    Prunulus hat Mycena pelianthina als Typusart. Ob gerade diese Art mit gefärbten Schneiden mit den anderen Rettich-Helmlingen zusammenfällt, weiß ich nicht. Falls nicht, wäre der Gattungsname Prunulus für die "echten" Rettichhelmlinge zu überdenken. Aber wahrscheinlich gibt es halt einen Rettich-Helmlings-Clade inklusive pelianthina. Allerdings führt der Index Fungorum die Rettich-Helmlinge noch allesamt unter Mycena, auch M. pelianthina.


    Die Erfahrung hat uns in den letzten Jahren aber gezeigt, dass dort, wo man irgendwie trennend ansetzen kann, dies auch über kurz oder lang von jemandem publiziert wird, und dann auch in den allerallerallermeisten Fällen über kurz oder lang allgemein angewandt wird.

    Ob und wann man neue Namen in einem populären Pilzbuch umsetzt, da hat natürlich jeder Autor seine eigenen Ansichten. Ich persönlich halte lieber etwas länger an alten Namen fest als dass ich versuche das alleraktuellste oder gar erst zukünftig aktuellste noch mit einzubeziehen. Weil ich glaube, dass das für den angesprochenen Personenkreis schlicht einfacher ist und ich auch nicht in der nächsten Auflage wieder Namen zurückändern möchte - was aber meine eigene Meinung ist und sowieso Ansichtssache.


    beste Grüße,

    Andreas

  • Hi.


    Höre ich gerade zum ersten Mal, aber nach etwas googlen, habe ich hier die Aussage gefunden, dass Mycena noch Priorität hat.

    Ich bin nicht so drin in der Taxonomie aber wenn man die Rettichhelmlinge jetzt als eigene Gattung absplitten würde, wird dann automatisch das älteste (nicht bereits anderweitig verwendete) Synonym genommen? Also mal davon ausgehend, dass die Typusart wirklich mit den anderen Rettichhelmlingen zusammenhängt.


    LG.

    Bin lediglich fortgeschrittener Anfänger.
    Posts sind nicht als Essensfreigabe zu verstehen. :-]

  • wenn man die Rettichhelmlinge jetzt als eigene Gattung absplitten würde, wird dann automatisch das älteste (nicht bereits anderweitig verwendete) Synonym genommen?

    Hallo Schupfnudel,


    ich denke, man muss auf Gattungs- und Artebene unterscheiden. Bei den Arten sollte es i.d.R. so sein, dass der älteste Name Vorrang hat - es sei denn es gibt konservierte Namen oder anderes Spezialgedöns.

    Bei den Gattungsnamen geben neueste Erkenntnisse (aktuell DNA-Analysen) vor, wo die Arten einzuordnen sind, ob alt oder neu spielt da wohl keine Rolle. Bevor die Sequenziermethoden erfunden wurden, scheint mir das stellenweise eine Modeerscheinung, oder auch Meinungen/Erkenntnisse einzelner Autoren gewesen zu sein, festzulegen welche Gattung gerade mal aktuell ist. Als Beispiel fällt mir Chrysomphalina grossula ein, der ja auch schon die große Freude hatte, die Gattung öfter mal wechseln zu dürfen.

    Das ist jetzt eine sehr laienhafte Sicht der Dinge, Andreas oder eben auch Christoph können das sicher belegbarer erklären.


    Grüße

    Harald

  • Hi Harald.


    Das dachte ich auch erst, aber bei meinem verlinkten pdf gibt's auf Seite 31 eine ganze Liste an Gattungen (und sogar Familien) bei denen dabei steht:

    "Accepted names threatened by earlier synonyms"


    Das klingt für mich so als ob frühere Publikationen nicht nur Artnamen "bedrohen". Ich würde das dann so verstehen, dass, sofern sich das mit den Rettichhelmlingen als eigener Gattung bestätigt (mit welchen weiteren Arten auch immer), auch auf das am ältesten bekannte Synonym zurückgegriffen würde (sofern der Typus-Beleg sich molekular belegen lässt, was hier wohl der Fall zu sein scheint). Und sofern eben keine Konservierung oder anderes Spezialgedöns :) akzeptiert wird.


    Aber vielleicht bin ich da auch auf dem falschen Dampfer. Taxonomie ist wie gesagt nicht so mein Ding.


    LG.

    Bin lediglich fortgeschrittener Anfänger.
    Posts sind nicht als Essensfreigabe zu verstehen. :-]

  • Servus,

    ich hatte zur Rezension von Christophs Buch ("Die Pilze Deutschlands" Jürgen Guthmann/Christoph Hahn) mich auch an "Prunulus" gestört und recherchiert. Kirk hat die Umbenennung wohl 2008 wieder rückgängig gemacht und wieder zu Mycena umkombiniert (Mycenaceae - Wikipedia). Christoph hat sich mir gegenüber noch nicht zu der Rezension und zur Causa "Prunulus" geäußert.
    Liebe Grüße Schorsch

  • Hallo,


    zu jeder Gattung muss eine bestimmte Art als Typusart definiert sein. Alle Arten, die nicht auf Gattungsebene von dieser Typusart trennbar sind, gehören damit zur selben Gattung.


    Wenn also eine Gattung molekular bearbeitet wird, dann versucht man von möglichst vielen Arten dieser Gattung Sequenzen zu bekommen, zumindest aber von jedem Repräsentanten der bisherigen Untergattungen/Sektionen und auch von den nächsten Nachbargattungen. Dann kann man oft sehen, welche Arten nahe beieinanderstehen, also "zusammengehören" und als Gruppe von anderen Gruppen mehr oder weniger deutlich abgesetzt sind. Diese Gruppen werden Kladen oder clades genannt und bilden dann oft bei Aufsplittung neue Gattungen.

    Habe ich also festgestellt, dass mein großer Bau der Mycena-Arten deutliche Gruppenbildung zeigt, und ich plausibel machen kann, dass einzelne Gruppen soweit entfernt von anderen sind dass ich da eigene Gattungen erkenne, dann muss ich zuerst mal schauen, in welcher Gruppe die Typusart der Gattung Mycena steckt. Diese Gruppe wird dann weiterhin Mycena heißen. Hat man Pech, dann steht die Typusart ganz alleine da - siehe Coprinus comatus (Typusart von Coprinus, weswegen alle anderen Tintlinge jetzt Coprinellus etc. heißen) oder auch Cortinarius wäre so ein Problemfall, weil bei Aufsplittung die Typusart Cortinarius violaceus vermutlich eine eigene Gattung bilden würde.

    Die anderen Gruppen, die ich zu eigenen Gattungen definieren möchte, muss ich mir anschauen, ob sie Arten enthalten, die vielleicht schon als Typusarten von anderen, bisher als Synonym angesehenen, Gattungen definiert sind. Dann hätte ich ja schon einen verwendbaren Gattungsnamen für mein Absprengsel. Soweit ich weiß bin ich aber nicht verpflichtet, diese Art als Typus meiner neuen Gattung zu definieren, ich könnte auch eine andere aus dem Clade nehmen und dann der Gattung einen neuen Namen geben. WENN ich aber eine Art zum Typus der neuen Gruppe definieren, die bereits Typusart einer Gattung ist, dann muss ich auch diesen Gattungsnamen verwenden.


    Im konkreten Fall Mycena: Bisher wurden schon einzelne Gattungen aus der großen Gattung Mycena rausgeköst, z.B. alle Arten die keine dextrinoide Lamellentrame aufweisen. Atheniella mit der Typusart Atheniella adonis usw. Trennt man die Rettichhelmlinge nun ab, so könnte man Mycena pelianthina als Repärsentanten, also als Typusart wählen. Ein Synonym von Mycena pelianthina ist Prunulus denticulatus, die Typusart von Prunulus. Insofern müsste man dann Prunulus als Gattungsnamen für die abgegrenzte Rettichhelmlings-Clade wählen. Man könnte wohl aber auch z.B. Mycena rosea als neue Typusart dieses clades wählen, und da Mycena rosea noch von keiner Gattung die Typusart ist, kann man einen neue Gattung beschreiben - wie wäre mit Rapimycena gen. nov.? Und Rapimycena rosea (Gramberg) xy comb. nov. wäre dann die Typusart.

    Gleiches gälte natürlich, falls man alle milchenden Helmlinge in eine eigene Gattung stellen würde. Kann man machen, vorausgesetzt das Merkmal ist nicht mehrfach unabhängig voneinander in verschiedenen Helmlingsgruppen entstanden. Diese Frage kann dann wiederum die molekulare Analyse beantworten.


    Und weil die molekularen Analysen nun neuerdings solche Fragestellungen der direkten Verwandtschaft beantworten können, was früher nur aufgrund von Merkmalsähnlichkeiten gemacht werden konnte, haben wir so einen großen Veränderungsschub derzeit, was Verwandtschaftsverhältnisse angeht. Man geht halt erst mal davon aus, dass ähnliches auch nahe verwandt ist, aber wir wissen ja schon vielen Beispielen aus dem gesamten Bereich der Natur, dass es oft konvergente Erscheinungen gibt, oft als Anpassung an bestimmte Nischen. Siehe die Stromlinienform bei Delphin, Hai und Pinguin. Und trotzdem ist der Delphin mit nem Eichhörnchen näher verwandt als mit dem Hai ....


    beste Grüße,

    Andreas

  • Hi.


    Danke für die Erklärung. Dann vlt. noch nachhakend: Gibt es denn Regeln wonach der Typus einer Gattung ausgewählt wird? Nehmen wir mal an Mycena rosea und Mycena pelianthina sind in der selben Clade und eine eigene Gattung wäre gerechtfertigt. Wonach wird dann entschieden, welche Art der Typus wird?


    LG.

    Bin lediglich fortgeschrittener Anfänger.
    Posts sind nicht als Essensfreigabe zu verstehen. :-]

  • Hallo,


    meines Wissens ist das Sache desjenigen, der die neue Gattung umgrenzt/beschreibt.

    100% sicher bin ich nicht, ob man auch dann frei ist in der Wahl der Typusart, wenn in der Gattung schon eine Art ist früher schon als eine Typusart einer Gattung definiert wurde. Aber ich meine ja. Ansonsten gäbe es ja auch ein Problem, wenn in einer neuen Gattung jetzt mehrere Arten wären die für verschiedene (synoynme) Gattungen als Typusart bereitständen.

    Übrigens muss jede systematische Einheit oberhalb der Art eine Typusart definiert bekommen, also auch Untergattungen und Sektionen.


    beste Grüße,

    Andreas

  • Servus beinand,


    ich kann gerne erklären, warum ich mich für Prunulus entscheiden habe. Die Gattung Mycena im klassischen Sinn ist polyphyletisch und zerfällt in mehrere Gruppen oder Clades. So wurden beispielsweise alle Arten mit inamyloiden Sporen (bis auf Mycena/Prunulus pearsioniana/-us) aus Mycena s. str. herausgenommen.


    Aber auch der Rest von Mycena zerfällt in mehrere Clades. Der Typus von Mycena s.str. ist Mycena galericulata. Die Rettichhelmlinge bilden klassisch die Sektion Calodontes und sind eine sehr einheitliche Gruppe. Ich habe z. B. im südamerikanischen Regenwald Rettichhelminge i.w.S. gesehen - man erkennt sie sofort.


    Für mich sind die Rettichhelminge eine weltweit sofort erkennbare, klare Einheit. Statur, Geruch / Ihnahltsstoffe, Färbung - einige Merkmale halten sie zusammen. Sie bilden in Mycena den sog. "Clade 3" nach Na & Bau (2019). Natürlich ist dann der Rest, wenn man Prunulus rausnimmt, paraphyketisch, was ich bei einer polyphyletischen Gattung nicht schlimm finde, denn es war vorher nicht ideal und nachher nicht schlimmer.


    Jedenfalls fand ich es damals, als Prunulus reaktiviert wurde, den Ansatz interessant. Vermutlich müssen die Sektion Fragilipedes und Supinae auch mit rein. Aber das wird sich zeigen. Wäre Mycena genetisch einheitlich, käme ich nie auf die Idee, eine Gruppe daraus auszugliedern. So sehe ich, dass die gattung eh in kleine Einheiten zerfleddert wird. Hier ist Prunulus ein alter Name, für den eh schon zig Kombinationen vorliegen. Insofern ist es kein Aufwand, den aufzugreifen. Genauso wenig Aufwand ist es, ihn nicht anzunehmen.


    Es geht nicht um den Vergleich älterer Name vs. jüngerer Name, sondern darum, wie man Gattungen ein- und aufteilt. Würde ich bewusst etwas Polyphyletisches in eine Gattung werfen, weil es so bequemer ist, würde ich mich da nicht wohl fühlen. Deshalb würde ich den Gattungsnamen Polyporus nicht für alle Stielporlinge nutzen. Oder den Gattungsnamen Mycena für alle helmlingsartigen Pilze. Aus einem Polyphylum ein Monophlyum plus ein Restpolyphylum bzw. ein Paraphylum (das teils noch polyphyletisch ist) zu machen, stört mich persönlich nicht.


    Kurz gesagt: Ich gehe davon aus, dass Mycena weiter zerlegt wird. Man kann es als vorauseilend bezeichnen, dass ich persönlich die Rettichhelmlinge, also die Sektion Calodontes, auif Gattungsebene akzeptiere und anweden möchte. Man kann es aber auch als konsequent bezeichnen, da der Name schon da ist. Das ist analog zu Suillellus - ein alter Name, dessen Typus die Netzhexe ist. Als Boletus aufgetrennt wurde, hat es nicht weh getan, den Murrill'schen Namen zu verwenden, weil er bereits existierte und typisiert war. Das Rausnehmen von Boletus s. str. hätte ein Paraphylum hinterlassen (Dickröhrlinge ohne Steinpilze), wenn die Dickröhrlinge nicht eh polyphyletisch gewesen wären. Die Frage war damals nur, ob alle Hexenröhrlinge Suillellus sind oder diese wieder in mehreren Gattungen aufgetrennt werden müssen.


    Eine neue Gattung zu beschreiben ist allerdings ein deutlicher Schritt. Hier (wie bei Suielllus in Boletus) existiert aber bereits ein Gattungsname. Der Typus von Prunulus ist Agaricus denticulatus (= Mycena pelianthina). Spaltet man also die Helmlinge weiter auf, dann ist der Name automatisch, weil alt und in der Gruppe dann prioritär, anzuwenden.


    Und ja, ich gebe ehrlich zu, da noch in der klassischen alten Schule der 80er Jahre zu stecken - wenn ich eine Artengruppe gut abgrenzen kann, diese durch Merkmale gut zusammengehalten werden, dann erkenne ich darin gerne eine eigene Gattung an. Den Schritt durch neubeschreibung auszuführen - da bin ich sehr zurückhaltend. Aber bereits bestehende, gültige Namen aufzugreifen, damit habe ich kein Problem.


    Daher:

    Niemand ist gewzungen, Prunulus als Gattung anzunehmen. Niemand ist aber auch gezwungen, Mycena im weiten Sinn aufzugreifen. Solange nicht genetisch oder anderweitig geziegt wird, dass die Verwendung des Gattungsnamens weiter weg davon führt., Taxa als Monophyla zu definieren, ist das legitim.


    Es geht also nicht um Priorität oder um richtig/falsch, sondern um Interpretation.


    Der Glaube, IndexFungorum oder MycoBank könne definieren, welche heterotypischen Synonyme zu akzeptieren sind, ist ein Irrglaube. Die Datenbanken geben an, welche Namen gültig oder ungültig sind, was der Typus ist, wo die Originaldiagnose zu finden ist etc. - die Angabe eines "current names" ist die Interpretation von Einzelpersonen, die mangels Mitarbeitern nie überall aktuell sein kann. Oft wird der letzten Publikation der Gattung gefolgt - und in anderen Gattungen wurde nicht aktualisiert (weil eben wenige Personen nicht alles weltweit im Griff haben, was an neuen Thesen in den Raum gestellt wird).


    Ich "darf" Prunulus verwenden - ich "darf" auch Mycena verwenden. Würden beide Namen auf demselben Typus beruhen, dann darf ich wirklich nur den ölteren nehmen. Oder den Sanktionierten oder den konservierten. Ich darf beispielsweise nicht Tubiporus statt Boletus nehmen (beide Typus: Steinpilz). Ich darf aber Suillellus verwenden, Neoboletus, Boletus usw. - alles nebeneinander.


    Wer Leccinellum als Gattung verwenden will, darf das. Wer das nicht will, kann genauso gut Leccinum auch für die Gelbporer nehmen. Kuo plädiert für Leccinum s.l. inklusive z. B. Chamonixia. Ich verwende Leccinum im engen Sinn, erkenne dafür Chamonixia und auch Leccinellum an.


    Manche akzeptieren Hemileccinum, andere stellen das zu Xerocomus. Letzteres ist wieder out - die Mode neigt dazu, Kleingruppen auf Gattungsebene anzuheben. Muss man nicht machen, kann man aber, solange die Gattungen, die man verwendet, Monophyla sind.


    Prunulus im jetzigen Sinn (Rettichhelminge) sind ein Monophylum - genetisch mehrfach gezeigt. Mycena s.l. zerfällt gerade. Deshalb habe ich für mich entschieden, hier ein Monophylum anzuerkennen.

    Ob man das später dann erweitert - z. B. um die beiden oben genannten Sektionen - wird sich zeigen.


    Wer sich dran stört, ignoriert das und verwendet weiterhin Mycena pura, Mycena pelianthina usw. Wer den Rettichhelmingen Eigenständigkeit gönnen will, verwendet Prunulus. Jeder wie er mag. Ich mag letzteres. Ist alles nicht schlimm.


    Geritten hat mich da m.E. nichts.


    Ich hoffe, ich konnte es ein bisserl erklären. Ihr könnt auch sagen: viel heiße Luft um nichts. Was es aber auf alle Fälle gebracht hat: es wird über Gattungsdefinitionen diskutiert. Diskussionen sind wertvoll, vor allem in einer Zeit, in der alles im Fluss ist und ständig Gattungen neu definiert werden.


    Liebe Grüße,

    Christoph

  • meines Wissens ist das Sache desjenigen, der die neue Gattung umgrenzt/beschreibt.

    100% sicher bin ich nicht, ob man auch dann frei ist in der Wahl der Typusart, wenn in der Gattung schon eine Art ist früher schon als eine Typusart einer Gattung definiert wurde. Aber ich meine ja. Ansonsten gäbe es ja auch ein Problem, wenn in einer neuen Gattung jetzt mehrere Arten wären die für verschiedene (synoynme) Gattungen als Typusart bereitständen.

    Übrigens muss jede systematische Einheit oberhalb der Art eine Typusart definiert bekommen, also auch Untergattungen und Sektionen.

    Servus beinand,


    es ist eigentlich relativ simpel. Wird eine neue Gattung definiert, dass geht es erstmal darum, welche Taxa der Gattung angehören sollen. Ist es nur eine Art, also eine monotypische Gattung, dann muss geprüft werden, ob diese Art bereits Typus eines anderen Gattungsnamens ist.


    Ich würde z. B. für Boletus edulis die Gattung Albocarneus beschreiben (und der Name sei noch frei). Darf ich nicht, denn Boletus edulis ist Typus der Gattung Boletus und die ist (viel) älter als die neue beschriebene Gattung. Die Neubeschfreibung ist illegitim und ungültig.


    Würde ich den Kiefernsteinpilz als eine monotypische Gattung beschreiben wollen (will ich nicht, nur ein Beispiel), dann müsste geprüft werden, ob Boletus pinophilus schon Typus einer Gattung ist. Ist er nicht, also ginge das.


    Ich würde nun die Gattung Veloalboboletus beschreiben und den Kiefernsteinpilz als Typus angeben.



    So, jetzt kommt einfache Mengenlehre. Was ist, wenn man weitere Arten in die Gattung stellen will?


    Beispiel: Zu Veloalboboletus soll nun auch Boletus aestivalis, B. aereus und B. edulis hinzukommen. Dann habe ich eine Menge von vier Taxa. Jetzt ist wieder zu prüfen, ob eines der vier Taxa Typus einer Gattung ist. Und ja, ist es, Boletus edulis (sogar von mehreren, die bis auf die älteste ungültig sind). Ich darf also diese Vierergruppe nicht als Veloalboboletus bezeichnen, sondern als Boletus, weil der Name dann Priorität hat (der älteste zählt, Copyright!).


    Beschreibt man gleich eine Gattung mit mehreren Arten, die hinzukommen sollen, dann muss man erst prüfen, ob eine der Arten bereits Typus eines Gattungsnamens ist. Wenn ja, muss der gewählt werden.


    Nur dann, wenn die Menge der Arten keinen Gattungstypus enthält, kann man einen neuen Namen dafür anwenden.


    Beispiel:

    Die Gattungen Hypholoma, Stropharia und Psilocybe wurden in der Flore Neerrlandica zu einer großen Gattung zusammengelegt. Jetzt muss man den Gattungsnamen nehmen, der der älteste ist und dessen Typus zur Menge der enthaltenen Arten liegt - das war Psilocybe.


    Heute ist diese "Gattung" auf zwei Familien aufgetrennt und in diverse kleinere aufgespalten worden. Für jede einzelne musste geprüft werden, ob sie neu zu beschreiben ist oder schon ein Name vorhanden ist, der aufgegriffen werden muss.


    Ist es aber wirklich so, dass alle Arten, die in die neu zu definierende Gattung gehören sollen, keine Typen für einen anderen, älteren Gattungsnamen sind, dann kann man frei wählen, welche Art man als Typus festlegt.


    Sinnvoll ist es, eine Art zu nehmen, zu der auch ein realer Typusbeleg existiert und nicht nur eine Farbtafel... Aber man ist frei.


    Als z. B. Mallocybe erzeugt wurde, hätte man auch einen anderen Gattungsnamen neu beschreiben können (Mallocybe war eine Sektion bzw. Untergattung in Inocybe). Dann hätte man als Typus einer neuen Gattung "Inocybe" terrigena wählen können. Wäre sinnvoll, da es einen Typusbeleg, Sequenz etc. gibt.

    Mallocybe als Sektion/Untergattung war aber mit "Inocybe" dulcamara typisiert. Da gibt es keinen Typusbeleg, keine sichere Sequenz (wenn nicht mittlerweile epitypisiert wurde). Die Typuswahl ist damit eigentlich ungünstig. Aber sie ist erlaubt.


    Wer die Gattung beschreibt, definiert frei den Typus - also die Typusart.


    Wer eine Art neu beschreibt, der wählt auch frei, welche seiner Aufsammlungen der Typusbeleg sein soll.


    Wer sollte da eingreifen dürfen? Natürlich kann man frei wählen.


    Wenn man aber die Gattung so typisiert, dass der Typus eben schon Typus einer älteren Gattung ist, der hat sofort einen ungültigen Namen erzeugt. Ist ja auch klar, denke ich.



    Wer nun die Steinpilze in zwei Gattungen aufspalten will - in trockenhütige und in schmierighütige, würde (gäbe es weltweit nur vier Arten) also für Boletus aestivalis und B. aereus eine Gattung, für B. edulis und B. pinophilus eine andere Gattung definieren. Er darf aber nur für die trockenhütigen eine neue Gattung beschreiben, denn für die beiden schmierighütigen gibt es schon einen Namen, der auf einer der beiden Arten beruht.

    Würde der Beschreiber das aber durchziehen und nun für die Schmierighütigen wie gesagt die Gattung Alboveloboletus und die andere "Siccoboletus" beschreiben und wählt er für dier erstere den Kiefernsteinpilz, für letztere den Sommersteinpilz, wären die Namen zwar gültig, aber erstere ist so nicht anwendbar. Erst wenn später zufällig rauskäme, dass es drei Gattungen sind:

    Sommer-/Schwarze Steinpilze als eine, Kiefernsteinpilze als zweite und Fichtensteinpilze als dritte, dann ginge es wieder. Boletsu edulis wäre Typus der Fichtensteinpilze, Boletus pinophilus Typus der Kiefernsteinpilze und Boletus aestivalis der trockenhütigen.


    Erkennt man das nicht an und schmeißt alle zusammen, muss man Boletus nehmen.

    Erkennt man nur die Spaltung in Trocken/Schmierig an, muss die Schmierighütige Gattung Boletus heißen und Veloalboboletus wäre ein Synonym.


    Heute sagt man, alle Steinpilze sind Boletus s. str. (und das ist sehr stabil).


    Also zusammenfassend:

    Mach eine Liste, welche Arten eine Gattung bilden sollen, such für alle Arten heraus, ob sie für einen Gattungsnamen der Typus sind und nimm dann den Gattungsnamen davon, der der älteste ist. Ist keine der Arten der geplanten Gattung ein Gattungstypus, muss man die Gattung neu beschreiben und kann dann den Typus frei wählen.


    Liebe Grüße,

    Christoph

  • Trennt man die Rettichhelmlinge nun ab, so könnte man Mycena pelianthina als Repärsentanten, also als Typusart wählen. Ein Synonym von Mycena pelianthina ist Prunulus denticulatus, die Typusart von Prunulus. Insofern müsste man dann Prunulus als Gattungsnamen für die abgegrenzte Rettichhelmlings-Clade wählen. Man könnte wohl aber auch z.B. Mycena rosea als neue Typusart dieses clades wählen, und da Mycena rosea noch von keiner Gattung die Typusart ist, kann man einen neue Gattung beschreiben - wie wäre mit Rapimycena gen. nov.? Und Rapimycena rosea (Gramberg) xy comb. nov. wäre dann die Typusart.

    Lieber Andreas,


    nein, eben nicht. Die Gattung Prunulus existiert bereits und ist sauber typisiert (Agaricus denticulatus). Es gilt als klar, dass das "Mycena peliathina" ist. Willst du nun eine Gattung definieren, die "Mycena" pelianthina enthält, dann ist eine Neubeschreibung falsch. Wählst du einen anderen Typus aus, z. B. "Mycena" rosea, ist die Gattungs rein formell zwar gültig beschrieben, wäre aber sofort per se ein späteres Synonym von Prunulus.


    Nur dann, wenn du der Auffassung wärst, dass Prunulus pelianthinus bzw. ganz korrekt Prunulus denticulatis nicht Teil deiner Gattung von Rettichhelmingen ist (weil du gefärbte Schneiden nicht als zugehörig anerkennen würdest), dann könntest du Rapimycena als Namen anwenden.


    Ich kann ja auch nicht just for fun die Gattung Cortinarius neu beschreiben, indem ich mir eine Gattung "Calocortinarius" definiere, da einen schönen Klumpfuß als Typus wähle und dann Cortinarius violaceus mit rein nehme. Das würde die Benamsungen von Pilzen zum willkürlichen Chaos machen.


    Du kannst die Gattung nur beschreiben, wenn du Cortinarius violaceus nicht mit rein nimmst. Und da wäre dann Phlegmacium im Weg, da auch älter auf Gattungsebene.


    Nein, man kann sich die Gattungsnamen nicht drehen, wie man will. Es gibt Nomenklaturregeln, die befolgt werden müssen. Man darf nie ältere Namen jüngeren zuordnen (nur ab Ordnung und oberhalb). Man darf ja auch nicht eine Art neu beschreiben und eine ältere als Varietät der jüngeren unterstellen, diese also einverleiben. Familieneben und drunter: strikte Prioritätsregel.


    Einzige Ausnahmen: Anträge auf Ausnahmen, also Konservierungen von Namen, um allgemeinen Gebrauch zu schützen.


    Liebe Grüße,

    Christoph

  • Prunulus hat Mycena pelianthina als Typusart. Ob gerade diese Art mit gefärbten Schneiden mit den anderen Rettich-Helmlingen zusammenfällt, weiß ich nicht. Falls nicht, wäre der Gattungsname Prunulus für die "echten" Rettichhelmlinge zu überdenken. Aber wahrscheinlich gibt es halt einen Rettich-Helmlings-Clade inklusive pelianthina. Allerdings führt der Index Fungorum die Rettich-Helmlinge noch allesamt unter Mycena, auch M. pelianthina.

    Servus Andreas,


    ganz genau, die Rettichhelmlinge inkl. dem Schwarzschneidigen sind eine sehr gut definierte Einheit, ein Monophylum. Und ja, der Name ist alt, also nicht neu (wie ich in meinem ersten Begründungsposting beschrieben habe).

    Welche Meinung Index Fungorum vertritt, ist irrelevant, denn das ist nur eine Meinung, ein Vorschlag (siehe auch mein langes Posting). In der Wissenschaft darf man Meinungen nicht als Dogma setzen (was Index Fungorum auch nicht macht!).


    Mittlerweile, was ich sehr gut finde, gibt z. B. MycoBank an:

    "Note that the taxonomic opinions listed here are not always up to date and may include errors. Please report them to our curator (Konstanze Bensch)".


    Das finde ich sehr gut und wichtig - welche heterotypischen Synonymisierungen anzuerkennen sind, ist Meinung, These, Theorie ("opinion"). Wieso sollte z. B. INdexFungorum oder MycoBank entscheiden dürfen, ob Leccinellum ein Synonym von Leccinum ist? Sie können die Meinung vertreten, dass es getrennte Gattungen sind (dann steht bei den Leccinellen eben als current name Leccinellum...) oder dass es eine Gattung ist (dann steht als current name da "Leccinum"). Du wirst Freunde beider Möglichkeiten finden. Wer entscheidet, wer recht hat?

    Das macht nur die Community, indem einer der beiden Namen nicht mehr verwendet würde oder doch beide. Und je besser man begründen kann, warum man eine der beiden Thesen bevorzugen soll, umso mehr Personen werden der These folgen.

    Das ist Wissenschaftlichkeit.


    Die Nomenklaturregeln sind etwas anderes - da sind gesetzte Axiome, auf die sich die Community geeinigt hat und die anerkannt werden. Man darf auch das ignorieren, nur wird dann kaum jemand dem folgen. Aber ob ein Name illegitim oder legitim ist, das lässt sich sauber entscheiden.


    Was aber mit wem Synonym ist, ist Meinung.


    Du glaubst doch sicher nicht, dass sehr wenige Einzelpersonen alle Publikationen weltweit, in der irgendwelche Pilze neu definiert werden, Synonyme postuliert werden oder Arten gespalten werden (oder Gattungen oder Familien), durchlesen, prüfen, diskutieren, sich austauschen, um dann eine wohlbedachte Entscheidung, was der beste current name ist, in die Datenbank zu übertragen. Und dass diese wenigen Personen das dann auch immer aktuell halten könnten? Allein bei den Omphalotaceae täten mir die BearbeiterInnen leid - jeder Publikation ergibt gefühlt andere Gattungsdefinitionen. Der Knopfstielige Rübling ist bei Marasmiellus angekommen. Finde ich morphologisch passend - muss man aber nicht aufgreifen. Es gibt alternative Thesen, wie die Familie in Gattungen aufgeteilt wird.


    Die Freiheit, der These zu folgen, die man als am sinnvollsten erachtet, ist die Freiheit der Wissenschaft. Würde man diese Freiheit nehmen, würde das freie Denken eingeschränkt werden. Man darf jede Theorie hinterfragen und Alternativen formulieren oder Alternativen folgen. Es sollte auf die Begründung der These ankommen, warum man ihr folgt, nicht einer Angabe im Internet oder in einem Buch.


    Ergo: niemand muss/soll einfach IndexFungorum beim current name folgen, weil die eine These aufstellen und niemand muss/soll mir folgen, weil ich eine These aufstelle. Bzw. nur weil ich einer These folge, muss das niemand anderes mitmachen. Ich habe, da ich die These nicht neu aufstelle, diese auch nicht begründet. Ich finde aber die Begründung der Gattung Prunulus sinnvoll - auch, wenn diejenigen, die das aufgebracht haben, jetzt nicht mehr verfolgen. Ich bin mir auch sicher, dass sich das auf Dauer durchsetzen wird, weil Mycena galericulata schon weit weg ist. Wie groß Prunulus aber mal werden wird, weiß ich nicht.


    Und wenn ich mich irre, ist das auch egal - dann habe ich einer These gefolgt, die sich später als in der Tat nicht haltbar herausstellt. Dann würde ich auch sofort von der These abgehen.


    @alle: ich hätte her gedacht, dass Rozites für Diskussion sorgt. Das ist der Argumentation von Prof. Dr. Agerer geschuldet, die ich noch nicht als ausreichend widerlegt ansehe. Deshalb verwende ich weiterhin Rozites caperata - und auch dem muss niemand folgen. Bei Interesse kann ich die Argumentation mal erklären - da geht es um Morphologie und Areal vs. Genetik (wobei die Genetik m.E. da eben noch nicht sicher genug ist).


    So, das war jetzt sehr viel - und auch das Posting bezieht sich auch nicht nur auf Andreas - ich versuche meine Sichtweise und Regeln der Wissenschaftallgemein darzulegen.


    Liebe Grüße,

    Christoph

  • Hallo Christoph,


    das meiste was Du schreibst ist mir klar, war teils auch nicht meine Frage. Ich hab leider im Code da nicht ganz konkret einen Paragraphen dafür gefunden, wie die Regeln zu Typifizierung sind. Was passiert denn deiner Kenntnis nach wenn ich einen Teil der Cortinarien als neue eigene Gattung abgrenzen möchte, nämlich alles was bisher in den Untergattungen Leprocybe und Dermocybe war. Dann habe ich (mindestens) zwei Arten die als Typusart für eine bereits beschriebene Gattung stehen. Wenn diese beiden jetzt (fiktiv, fürs Beispiel ....) jeweils auf eine von Schaeffer beschriebene und von Fries sanktionierte Art darstellen - wie muss dann meine neue Gattung heißen? Ich vermute mal es geht dann nach Seitenzahl, also welche Art früher im sanktionierenden Werk steht. Oder welche früher bei Schaeffer steht?

    Und du bist sicher, dass ich die neue Gattung dann entweder Leprocybe oder Dermocybe nennen MUSS, und nicht z.B. "Leprocortinarius" mit Cortinarius sommerfeltii als Typus? Ich habe das wie gesagt so explizit im Code nicht gefunden.

    Das müsste dann ja entsprechend auch für Untergattungen und Sektionen gelten? Eine neue Sektion von Tricholoma, die die Arten a, b, c und d enthält, kann ich doch nennen wie ich will, egal ob die Art d bereits mal Typusart der Gattung xy war - aber da gilt dann vermutlich dass es nicht dieselbe Rangstufe ist ..... Wenn die Art d aber mal Typusart einer Sektion gewesen ist, dann muss ich diese Sektion für meine Gruppe übernehmen, auch wenn die Definition und Artenzusammensetzung meiner Sektion ganz anders ist als die ursprüngliche?


    Ich denke gerade übrigens an Tapesia, wenn Mollisia aufgeteilt wird. Dann MUSS ich den clade mit Mollisia fusca zwingend Tapesia nennen, obwohl die damalige Umgrenzung der Gattung Tapesia außer fusca nur Arten enthielt die mit Mollisia nichts zu tun haben und teils sogar Basidiomyceten waren?! Das wäre total verwirrend, wenn plötzlich die Gattung Tapesia in völlig neuer Umgrenzung und Definition wieder auftauchen müsste. Ich würde da lieber eine andere Art aus diesem Clade zur Typusart bestimmen und einen anderen Gattungsnamen verwenden. Und ich bin auch noch nicht restlos überzeugt davon dass ich das nicht dürfte.


    beste Grüße,

    Andreas

  • Servus Andreas,


    wie gesagt, es gilt die Prioritätsregel. Damit sind die meisten deiner Fragen eigentlich beantwortet. ;)


    Der Sonderfall, dass die konkurrierenden Typusarten im selben Werk gleichzeitig beschrieben wurden, kann passieren, ist aber doch recht selten. Das wäre der Fall, wenn die Gattungen Dermocybe und Leprocybe im selben Werk beschrieben wurden. Dann sind beide Namen gleich alt. Dass die Seitenzahl dann gilt, hat man früher so gemacht - bei nachträglichen Typisierungen hat man auch automatisch den ersten Namen der Artenliste genommen. Das wurde dann "verboten" - der Typus muss bewusst gewählt werden, automatisches Verwenden der ersten Erwähnung ineinem Werk gilt nicht mehr.


    In Bezug auf Seitenzahl bei zwei Gattungsbeschreibungen (oder zwei Artbeschreibungen, die dann synonymisiert werden) im gleichen Artikel hatte ich selber wegen so einem Fall recherchiert. Im Code steht dazu nichts. Insofern müssten sie als zeitgleich gelten und sind nich per se prioritär sich selbst gegenüber. In so einem Fall würde ich einen der beiden Namen wählen, das begründen und dann direkt einen Antrag zur Konservierung des einen gegen den anderen stellen.


    Und du bist sicher, dass ich die neue Gattung dann entweder Leprocybe oder Dermocybe nennen MUSS, und nicht z.B. "Leprocortinarius" mit Cortinarius sommerfeltii als Typus? Ich habe das wie gesagt so explizit im Code nicht gefunden.

    Das müsste dann ja entsprechend auch für Untergattungen und Sektionen gelten? Eine neue Sektion von Tricholoma, die die Arten a, b, c und d enthält, kann ich doch nennen wie ich will, egal ob die Art d bereits mal Typusart der Gattung xy war - aber da gilt dann vermutlich dass es nicht dieselbe Rangstufe ist ..... Wenn die Art d aber mal Typusart einer Sektion gewesen ist, dann muss ich diese Sektion für meine Gruppe übernehmen, auch wenn die Definition und Artenzusammensetzung meiner Sektion ganz anders ist als die ursprüngliche?

    Was ist der Typus von Leprocybe? Hab ich nicht im Kopf - Cortinarius venetus? Wenn "deine Gattung", die du neu definieren willst, diese Art beinhaltet, dann gibt es bereits auf Gattungsebene den Namen Leprocybe.


    Nochmals: du könntest sonst alle(!) Gattungsnamen, ob gerade in Gebrauch oder nicht, willkürlich kippen. Ebenso, wie du alle Artnamen willkürlich kippen könntest.


    Du kannst Leprocortinarius dann beschreiben, wenn keine der in deiner Gattung enthaltenen Arten schon Typus einer legitim beschriebenen Gattung sind.


    Jetzt zu Sektionen - genau dasselbe. Auf der gleichen Rangstufe musst du die Prioritätsregel einhalten. Diese ist der Kerngedanke des Nomenklaturcodes. Willst du aber eine Gattung, die bisher nur aus Sektionen bestand, in Untergattungen aufteilen, es gab aber vorher keine Untergattungen, die definiert wurden, dann kannst du frei wählen, ob du neu beschreibst (und einen Typus wählst) oder ob du eine Sektion hochkombinierst oder eine Gattung - die jünger sein muss und deren Typusart zu deiner neuen Untergattung gehlört, runterkombinierst).


    Die Prioritätsregel gilt nur innerhalb derselben Rangstufe. Da gilt sie aber.


    Ich denke gerade übrigens an Tapesia, wenn Mollisia aufgeteilt wird. Dann MUSS ich den clade mit Mollisia fusca zwingend Tapesia nennen, obwohl die damalige Umgrenzung der Gattung Tapesia außer fusca nur Arten enthielt die mit Mollisia nichts zu tun haben und teils sogar Basidiomyceten waren?! Das wäre total verwirrend, wenn plötzlich die Gattung Tapesia in völlig neuer Umgrenzung und Definition wieder auftauchen müsste. Ich würde da lieber eine andere Art aus diesem Clade zur Typusart bestimmen und einen anderen Gattungsnamen verwenden. Und ich bin auch noch nicht restlos überzeugt davon dass ich das nicht dürfte.


    Du darfst alles, nur wäre es für die Tonne, wenn ungültig... Mollisia fusca ist der Typus der Gattung Tapesia. Der Gattungsname Tapesia ist aber ungültig - nomen rejiciendum. Insofern fällt das weg. Da wurde ein Antrag gestellt, wohl wegen gewisser Interpretationsproblemen, und der wurde angenommen.


    Ist Tapesia anwendbar, ja, dann musst du eine Gattung, die Mollisia fusca enthält, Tapesia nennen, wenn diese nicht gleichzeitig den Typus von Mollisia enthält (ich gehe mal davon aus, dass Mollisia älter ist), es sei denn, es gibt noch einen älteren Namen. Prioritätsregel.


    Übrigens: Die Gattung Phallus enthielt füher mehr Ascomyzeten als Basidiomyzeten (nämlich auch die Morcheln, man trennte nicht zwischen Stinkmorcheln und Morcheln). Der Typus war aber Phallus impudicus. Nur weil da auch Ascomyzeten früher subsummiert wurden, kann man nicht einfach mal für Phallus eine andere Gattung definieren. Nur per Antrag als Sonderregelung.


    Oder nimm Tuber - das war alles,was knollenförmig war.


    Nein, sorry, es gilt ganz einfach: wer einen Namen als erster auf einer Rangstufe der Ebene Familie oder darunter als erster beschreibt, der "hat Recht". Der Typus des Taxons, das mit dem Namen belegt wird, ist die Blaupause, nicht, was andere später da mit rein genommen haben. Phallus: Typus Phallus impudicus L., nicht Phallus esculentus. Wird nei aufgeteilt, schaut man auf den Typus, dafür ist er doch da. Wenn du es als unpraktisch ansiehst, dass Tapesia nur aus dem Typus (Ascomyzet) plus diversem (v. a. Basidiomyzeten) bestand, ist das irrelevant. Fakt ist, Tapesia fusca ist der Typus. Und wenn man die Gattung aufgreift, ist nur das die Blaupause. Und will man eine andere Gattung einführen, die Tapesia fusca enthält(!), dann muss sie Tapesia heißen, es sei denn, der Gattungsname, den man auspackt, ist älter.


    Hier aber egal (Detail), weil der Name nicht anwendbar ist.


    Und das ist die Stärke von MycoBank - denn da steht das... Typus von Tapesia ist Tapesia fusca.


    Mycobank schreiben:

    Taxon name: Tapesia


    Summary: Tapesia (Pers.) Fuckel, Jahrbücher des Nassauischen Vereins für Naturkunde 23-24: 300 (1870) [MB#5350]


    ...


    Rank gen.


    MycoBank # 5350


    Name type Combination


    Gender Feminine


    Authors (Persoon) Fuckel


    Year of effective publication 1870


    Name status Unavailable


    Comment on name status nomen rejiciendum


    Sanctioned by -


    Type name Tapesia fusca (Pers.) Fuckel, Jahrbücher des Nassauischen Vereins für Naturkunde 23-24: 302 (1870) [MB#247868]


    Synonymy
    Current name Tapesia (Pers.) Fuckel, Jahrbücher des Nassauischen Vereins für Naturkunde 23-24: 300 (1870) [MB#5350]


    Basionym Peziza tr. Tapesia Pers., Syst. Mycol.: 105 (1822) [MB#700380]


    Was ich nicht verstehe... als current name geben sie noch Tapesia fusca an. Der Name Tapesia ist aber unavailable und ein nomen rejicendum... Passt nicht zusammen. Current name wurde nicht aktualisiert.


    Update: siehe unten - Tapesia ist anwendbar und gültig, nur gegenüber Mollisia nicht.


    Da wäre es gut, wenn ein Gattungspezialist nochmal nachliest, wie, wo, wann, warum der Name als nicht anwednbar definiert wurde und dann dem Team das Update gibt, dass dann auch der current name nicht o.k. ist. Ich würde jetzt erstmal alles nachprüfen. Ich vermute aber, es wurde vergessen den current name zu korrigieren.


    Liebe Grüße,

    Christoph

  • P.S.: ich habe nochmal nachgesehen (im Code) und muss mich korrigieren.


    Nom. rej. bedeutet, dass er gegenüber einem jüngeren, aber konservierten Namen zurückgezogen wurde.


    Mollisia wurde 1871 beschrieben, Tapesia 1870. Also wäre Tapesia der gültige Gattungsname für die Mollisien.


    Mollisia wurde aber gegenüber Tapesia konserviert. Als Ausnahme wurde hier gegen die Prioritätsregel entschieden. Wenn aber Mollisia und Tapesia als getrennte Gattungen anerkannt werden, dann greift die Konservierung nicht mehr, da sie ja unterschiedliche Typen enthalten.


    Die Gattung, die Mollisia cinerea (Typus) enthält, bleibt Mollisia, die Gattung, die angetrennt wird und "Mollisia" fusca enthält, muss dann Tapesia heißen.


    Fall geklärt ;-).


    Liebe Grüße,

    Christoph

  • Hallo Christoph,


    ja, das war auch so mein Kenntnisstand, wollte mich nochmals versichern. In manchen Fällen bedauerlich meiner Meinung nach, weil dadurch die Möglichkeit genommen wird, so heterogene Alt-Gattungen wie Tapesia (oder Sclerotium z.B.) außen vor zu lassen.

    Tapesia ist tatsächlich nur zugunsten von Mollisia ein nom. rej., ansonsten ganz normal gültig. Und wird leider wieder auftauchen in neuer Definition, was ich halt verwirrend finde, da viele Mykologen noch Tapesia im alten Sinne im Kopf haben (Subikulum war Gattungsmerkmal), denn die Gattung wurde ja erst 1994 zum nom. rej. erklärt.

    Aber s is wies is, weil s is ja immer wies is, ne ....


    beste Grüße,

    Andreas

  • Hi.


    Ich bedanke mich auch für die ausführlichen Antworten. Ich finde es zwar auch anstrengend die liebgewonnenen Gattungsnamen aufzugeben, aber verstehe die Begründung dahinter. Und glücklicherweise reißt einem ja auch niemand den Kopf ab wenn man z.B. immer noch Psathyrella candolleana, Pholiota astragalina etc. sagt. Das versteht man ja weiterhin auch wenn's nicht mehr state of the art ist.


    LG.

    Bin lediglich fortgeschrittener Anfänger.
    Posts sind nicht als Essensfreigabe zu verstehen. :-]

  • Hallo Christoph,


    >>Und das ist die Stärke von MycoBank - denn da steht das... Typus von Tapesia ist Tapesia fusca.<<


    ja, da hast Du recht, aber diese Information bekomme ich im Regelfall auch anderswoher ohne großen Aufwand. Ich würde mir das vor allem andersrum wünschen, dass bei Mollisia fusca steht "ist Typusart von Tapesia" oder "xy ist Typusart von Russula sekt. Decolorantes" ....


    beste Grüße,

    Andreas

  • Servus Harald, servus Schupfnudel, sehr gerne! :)


    Servus Andreas,

    In manchen Fällen bedauerlich meiner Meinung nach, weil dadurch die Möglichkeit genommen wird, so heterogene Alt-Gattungen wie Tapesia (oder Sclerotium z.B.) außen vor zu lassen.

    Ja, aber was wäre die Alternative? Man könnte jede Gattung hundertmal neu beschreiben und dann wieder und wieder - reines Chaos. Sclerotium ist schon übel... aber bei sowas wird ja dann doch oft konserviert (z. B. Typhula über Sclerotium).


    Ich fand da z. B. Trichoderma vs. Hypocrea nerviger. Klar, Trichoderma ist älter und muss daher eben verwendet werden, seit anamorphe Taxa auch zählen.


    Hallo Christoph,


    >>Und das ist die Stärke von MycoBank - denn da steht das... Typus von Tapesia ist Tapesia fusca.<<


    ja, da hast Du recht, aber diese Information bekomme ich im Regelfall auch anderswoher ohne großen Aufwand. Ich würde mir das vor allem andersrum wünschen, dass bei Mollisia fusca steht "ist Typusart von Tapesia" oder "xy ist Typusart von Russula sekt. Decolorantes" ....

    Ja, umgekehrt wäre es praktisch - müsste eigentlich machbar sein, die Datenbankabfrage so zu gestalten. Du kannst ja mal den Vorschlag bei MykoBank machen - ihr habt da ja guten Kontakt, vermute ich. Wäre echt ne gute Idee.


    Auch wenn ich die Info zu Tapesia auch woanders her bekäme, finde ich es äußerst praktisch, weltweit über alle Gattungen immer sofort mit einer einfachen Suchmaschinenanfragew rauszubekommen, wo ein Taxon beschrieben wurde, was der Typus ist usw. Nur eben den current use nutze ich normalerweise nicht. Da nehme ich dann doch lieber eine Monographie oder aktuelle genetische Artikel ;-).


    Liebe Grüße,

    Christoph

  • Servus,

    ich hatte zur Rezension von Christophs Buch ("Die Pilze Deutschlands" Jürgen Guthmann/Christoph Hahn) mich auch an "Prunulus" gestört und recherchiert. Kirk hat die Umbenennung wohl 2008 wieder rückgängig gemacht und wieder zu Mycena umkombiniert (Mycenaceae - Wikipedia). Christoph hat sich mir gegenüber noch nicht zu der Rezension und zur Causa "Prunulus" geäußert.
    Liebe Grüße Schorsch

    Servus Schorsch,


    zur Rezension hatte ich mich nicht geäußert, weil ich da out of order war - krank, dann überarbeitet, eben hier nicht online. Ich hatte auch zu Dittes Geburtstag nicht reagiert (erst deutlich später). Auf alle Fälle vielen Dank für deine Rezension! (Sorry, dass das unterging) Es ist wichtig, die Meinungen über eigene Bücher mitzubekommen. Lob tut immer gut bzw. sehr gut, klar. Und du hast sehr ausführlich gelobt, was mich wirklich sehr freut (auch, dass du schon die Vorauflage so gut gefunden hast). Aber gerade die kritischen Anmerkungen sind wichtig, auch wenn man sowas natürlich erstmal nicht so gerne liest - wobei dann doch und später gerade das.


    Ich hatte dann deine Anmerkung auch gar nicht als so tragisch empfunden. Dass dich das gestört hatte, habe ich nicht rausgelesen. Es hatte dir Probleme gemacht, das nachzuvollziehen (so habe ich das gelesen gehabt), aber dass es dich wirklich stört, wusste ich nicht (Prunulus usw.).


    Zu Mycenaceae - ich war Favolaschiaceae von früher einfach gewohnt. Favolaschia ist ja eine Mycena s.l. mit Poren auf der Unterseite. Ich dachte, dass Favolaschiaceae älter als Mycenaceae ist. Falls Mycenaceae älter ist, dann müsste man/ich das in der Folgeauflage korrigieren. Oft sind aberrante Gattungen früher als eigene Familie definiert worden als die zugehörigen agaricoiden Pilze, da die - wie bei Mycena - sehr lange als Tricholomataceae geführt wurden. Wenn Mycenaceae aber älter sind, klar...


    Du hattest, glaube ich, noch was zu Sarcomyxa wegen Typhulaceae geschrieben gehabt. Das basiert auf genetischen Artikeln - auf Wikipedia habe ich unter Typhulaceae die Quellen drin.


    Prunulus habe ich, denke ich, ausführlich erläutert. Kirk kann aber nichts wieder zu Mycena umkombiniert haben, denn die Kombinationen wie z. B. Mycena pura bestehen ja. Er kann höchstens von der Idee, Prunulus abzutrennen, wieder Abstand halten und dann doch wieder Mycena verwenden. Eine "Causa" Prunulus sehe ich nicht ;-).


    Wer den alten Parexs hat, stört sich vermutlich auch nicht daran, dass dort die Birkenpilze als Krombholziella geführt werden (war in der Populärliteratur auch einzigartig, wenn ich mich recht erinnere). Man weiß ja, dass es Birkenpilze sind. Und wenn es dich stört, dass ich hier Prunulus verwende, dann mach einfach Mycena draus. ;) Falls aber nocj Fragen offen sein sollten, nur zu! Gerne auch kritische.


    Liebe Grüße,

    Christoph

  • Servus Christoph, servus Andreas,

    besten Dank für den ausführlichen Exkurs in die Welt der Nomenklatur.

    War superinteressant.

    Ich werd mir das aber noch ein, zwei mal durchlesen müssen....

    An liabn Gruaß,

    Werner

  • Hallo Christoph,

    Ich fand da z. B. Trichoderma vs. Hypocrea nerviger. Klar, Trichoderma ist älter und muss daher eben verwendet werden, seit anamorphe Taxa auch zählen.

    Bei der Zusammenführung von Anamorphen-Gattungen und Teleomorphen-Gattungen ist ausnahmsweise mal die Prioritätsregel ausgesetzt, und es sollen von den Spezialisten der jeweiligen Gruppen die Gattungen ausgewählt werden, die die größere Bedeutung haben. Ich glaube irgendwo beim IF gibts da sogar ne Diskussionsplattform dazu.

    Im Falle von Trichoderma/Hypocrea trifft beides zu, Trichoderma ist sowohl älter als auch wesentlich bedeutsamer vertreten in der wissenschaftlichen Landschaft als Hypocrea, insbesondere im Bereich biologische Schädlingsbekämpfung.


    beste Grüße,

    Andreas