Ein Rötling aus dem corvinum/serrulatum-Komplex

Es gibt 12 Antworten in diesem Thema, welches 3.491 mal aufgerufen wurde. Der letzte Beitrag () ist von Wutzi.

  • Hallo zusammen,


    der Titel deutet es schon an, den folgenden Fund habe ich nicht mit Sicherheit bis zur Art bestimmen können.

    Die Pilze standen in geringer Zahl auf einer mageren Rasenfläche und erinnerten mich zunächst an Entoloma corvinum. Der gefaserte Stiel, die hellen, fast weißen Lamellen und der starke Kontrast zum dunklen Hut, das hätte makroskopisch gepasst, wenn der Hut noch etwas dunkler bzw. schwarz und nicht dunkelbraun (mit violetter Tönung) gewesen wäre.


    Entoloma spec.


    Das weitere Merkmale auch nicht passen, zeigte sich dann später bei genauerer Betrachtung und beim Mikroskopieren. Mitgenommen habe ich neben ganz jungen Exemplaren (wie auf dem obigen Foto) auch etwas ältere bzw. reifere Fruchtkörper und während die Lamellenschneiden bei den jungen Exemplaren noch gleichfarbig waren, hatten sie bei den wahrscheinlich nur ein bis zwei Tage älteren Fruchtkörpern eine braune Färbung angenommen und erinnerten an eine Lamellenschneide vom serrulatum-Typ.


    Entoloma spec., Lamellenschneide bei einem etwas älteren Fruchtkörper


    Auch mikroskopisch würde ich von einer serrulatum-Struktur sprechen:


    Die Schneiden sind auf jeden Fall mit dicht gelagerten Cheilozystiden besetzt und auf ganzer Länge steril.


    Entoloma spec., Hut und Stiel in der Nahaufnahme



    Die Hyphen der Hutdeckschicht sind zum Teil sehr lang (bis über 200 µm) und in den obersten Lagen auch auffällig breit (bis 30 µm). Dabei enden die Zellen vielfach in den zahlreichen, auf der ganzen Hutfläche zu findenden dunklen Schüppchen:


    Das braune Pigment liegt wohl nur intrazellulär vor und Schnallen fand ich in keinem Teil des untersuchten Fruchtkörpers. Die keuligen Basidien (30-35 x 9-11 µm) sind überwiegend viersporig und die Sporen sind auffallend klein (8-10,5 x 6,5-8,0 µm). Sie haben 5 bis 6 Ecken und eine recht einheitliche Form und Größe.


    Entoloma spec., Basidien


    Entoloma spec.. Sporenabwurf


    Natürlich habe ich versucht den Pilz zu schlüsseln (Fungi Europaei 5A, Funga Nordica und Gröger), dabei landet man zwar immer in der selben Ecke, findet aber keine Art, bei der absolut alles passt.


    Einiges deutet auf Entoloma violaceoserrulatum. Hierzu passen das Foto in der Fungi Europaei 5a und viele der dort genannten Makro- und Mikromerkmale. Allerdings ist dort von einer blauen Lamellenschneide die Rede, das passt nicht. Bei Gröger steht dagegen: „L-Schneide bald braun“, das wäre zutreffend. Im WWW findet sich zur Art nur sehr wenig, erwähnen möchte ich hier nur die folgende Publikation:


    SMT_2017-3.pdf


    Dort steht dann u.a.: „The serrulatum-type lamella edge is usually concolorous, but might develop violet-brownish spots with age (hence the name).“ Es gibt auch ein Foto, es zeigt nur leider keine allzu frischen Exemplare.


    Was meinen die Entoloma-Experten?


    LG Ingo

  • Hallo Ingo,

    ich habe gerade eine ganz ähnliche Kollektion hier liegen, die noch keinen Namen hat, und auch der letzthin diskutierte Fund von Wutzi hat ja Ähnlichkeiten.


    Ich bin nicht besonders überzeugt davon, dass eine serrulatum-Schneide immer eine taxonomischen Relevanz hat, denn fast alle Cyanula neigen dazu, dass die Huthaut aus der Lamellenschneide auswächst, so wie man das auch z.B. von Russula olivacea kennt. Bei manchen Arten wie serrulatum ist das ein recht konstantes Merkmal, bei anderen ist es variabel.


    Ich denke, diese Funde müssen dringend sequenziert werden, damit man erstmal herausfindet, um wieviele Arten es geht, und dann welche Merkmale konstant und welche variabel sind. M. E. gibt es im corvinum-Aggregat noch mindestens eine unbeschriebene Art (wobei Noordeloos die violaceoserrulatum ja in's serrulatum-Aggregat gesteckt hat).


    Grüße,


    Wolfgang

  • Hallo zusammen,


    von der Idee, es könnte Entoloma violaceoserrulatum sein, habe ich mich zwischenzeitlich verabschiedet, die Art kommt definitiv nicht in Frage. Die nur bei älteren Fruchtkörpern zu findende bräunliche Lamellenschneide samt Anklängen an eine serrulatum-Struktur ist im vorliegenden Fall wohl ohne taxonomische Bedeutung.


    Ich habe den Fundort zwei Tage später erneut aufgesucht, weitere Fruchtkörper gesammelt und bin nach einem Bestimmungs-Neustart schließlich bei Entoloma porphyrogriseum gelandet. Diese Art ist in Deutschland möglicherweise weit verbreitet, wurde bisher aber verkannt, weil man mit den üblichen Schlüsseln nicht zum Ziel gelangt und in der Literatur auch Merkmale angeführt werden, die wenig zutreffend sind (wie z.B. polierte Stiele und durchscheinend gestreifte Hüte).


    In Dänemark wird Entoloma porphyrogriseum dagegen schon länger beobachtet bzw. kartiert und es hat sich gezeigt, dass die Art vor allem farblich sehr variabel ist. Siehe hierzu die zahlreichen Fotos von Thomas Kehlet: Entoloma porphyrogriseum Porfyrgrå rødblad | Danske Svampe


    Exemplare mit sehr dunklen (nahezu schwarzen) Hüten wurden bisher wohl häufig als Entoloma corvinum bestimmt. Nach den neuesten Erkenntnissen von Machiel Noordeloos ist E. corvinum aber eine strikt alpine Art und im Tiefland kaum zu erwarten.


    Die Art kann aber auch etwas hellere und dann bräunliche (porphyrfarbene) Hüte aufweisen (wie bei meinem Fund) und kommt dann der Originalbeschreibung von E. porphyrogriseum schon deutlich näher. Die nicht polierten Stiele und die nicht durchscheinend gestreiften Hüte muss man allerdings (so wie es auch die Dänen tun) außer Acht lassen.


    Um die Bestimmung weiter abzusichern, habe ich meinen Fund auf Anregung von Karl dann in der Entoloma-Gruppe auf Facebook vorgestellt. Machiel Noordeloos hat zwar noch nicht darauf reagiert, dafür aber Olga Morozova und sie hat meinen Verdacht bestätigt und denkt auch, dass es Entoloma porphyrogriseum ist.


    Eine Sequenzierung wird aller Voraussicht nach in diesem Winter erfolgen, bis dahin möchte ich den Fund Entoloma cf. porphyrogriseum nennen.


    Anbei nochmal dieselbe Gruppe wie im Startbeitrag (nur zwei Tage älter und nach reichlich Regen mit etwas helleren Hüten) und zusätzlich noch ein Foto von „langstieligen“ Exemplaren aus etwas höherer Vegetation.


    Entoloma cf. porphyrogriseum



    LG Ingo

  • Hallo Ingo, das ist ja genial. Da hast du dem Pilz doch noch einen Namen geben können. Was meinst du, könnte der meinige, dem kein Name gegeben werden konnte, in diesen Formenkreis passen?

    Ich kapere mal deinen Beitrag und lade hier ein paar Bilder hoch. Ich lösche die natürlich gleich wieder, wenns dir nicht recht ist.

    1 ganz jung


    2


    3 älter


    4

  • Was meinst du, könnte der meinige, dem kein Name gegeben werden konnte, in diesen Formenkreis passen?

    Hallo Claudia,


    Dein Fund passt ganz sicher in diesen Formenkreis und höchstwahrscheinlich handelt es sich ebenfalls um Entoloma porphyrogriseum, denn wenn Du Deine Pilze mit den Pilzen auf den Fotos von Thomas Kehlet vergleichst, dann sind die praktisch identisch.

    Einen sehr, sehr ähnlichen Fund hatte auch Karl und der bekam in der Entoloma-Gruppe bei Facebook von Machiel Noordeloos die Antwort: "Sicher Entoloma porphyrogriseum, ..."


    LG Ingo

  • Ganz vielen Dank Ingo!

    Es ist doch ziemlich frustrierend, wenn man einem so auffälligen Pilz keinen Namen geben kann.


    Gerade habe ich der Mykis-Datenbank nachgeschaut. Da ist Der Pilz erst einmal in Sachsen 2005 kartiert. Offenbar, weil ihn niemand richtig benennen konnte, oder?

    Lieben Gruß


    Claudia


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    Einmal editiert, zuletzt von Wutzi ()

  • Offenbar, weil ihn niemand richtig benennen konnte, oder?

    Hallo Claudia,


    mit den bis jetzt verfügbaren Schlüsseln ist Entoloma porphyrogriseum kaum zu bestimmen und einige der in der Literatur genannten makroskopischen Merkmale entsprechen einfach nicht den tatsächlichen Gegebenheiten. Hinzu kommt, dass die Art, wenn sie mit schwarzen Hüten angetroffen wird, leicht für Entoloma corvinum gehalten werden kann.


    Die Hutfarbe scheint mir sehr stark von der jeweiligen Witterung abzuhängen. Meine braunhütigen (porphyrfarbenen) Exemplare habe ich Ende August inmitten einer sehr niederschlagsreichen Periode angetroffen. Letztes Wochenende (knapp drei Wochen später) konnte ich bei weitgehend trockener Witterung noch einige wenige Nachzügler sammeln. Diese hatten schwarze Hüte, waren ansonsten aber identisch (makroskopisch und mikroskopisch).


    Entoloma cf. porphyrogriseum mit schwarzer Hutfärbung, Oberseite


    wie oben, Unterseite


    LG Ingo

  • Danke Ingo. Kleine Chamäleons also, die sich nicht schlüsseln lassen. Hab vielen Dank für die Erklärung.

    Lieben Gruß


    Claudia


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  • Hallo Wolfgang,

    aus unerfindlichen Gründen finde ich bei der Recherche über diese Entoloma meine Antwort auf dein Angebot unversendet wieder. Leider hatte ich die Pilze nicht aufgehoben aber wenn ich sie im kommenden Jahr wiederfinde und dein Angebot noch steht, würde ich sie dir gerne schicken, damit du sie untersuchen lassen kannst.

    Lieben Gruß


    Claudia


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  • Hi Claudia,

    dieses Jahr soll von Noordeloos ein weiterer Band der Fungi Europaei erscheinen, mit vielen neuen Arten und einem neuen Schlüssel. Nach dem was man so hört, bleibt gerade bei den "Blauen" (Entoloma Sekt. Cyanula) aber auch für nachfolgende Mykologen-Generationen noch genug zu forschen übrig.


    Sehen wir mal, wie für Deinen Fund dann die Aktien stehen. Ingos Beobachtung, dass es mindestens eine Art gibt, die jung schwarz ist und bald porphyrbraun wird, kann ich aber aus eigener Beobachtung bestätigen.


    Grüße,

    Wolfgang

  • Danke Wolfgang,

    diese kleine Entoloma zeigt sehr anschaulich, wie spannend Pilze sein können. Wenn du als Anfängerin auf eine Entoloma triffst, die sich nirgends so richtig einordnen lässt, beißt du dir die Zähne aus. Da ist es schon ein Glücksfall, dass es im Pilzforum Profis gibt, die weiterhelfen können. Ich hoffe, dass ich die Entoloma in diesem Jahr wiederfinden werde. Und weil ich jetzt weiß, wie interessant der Pilz ist, werde ich darauf achten, dass sie mir nicht wieder von Maden zerfressen wird.


    Die Farbveränderung, die Ingo im Verlauf des Wachstums beobachtet hat, war mir auch aufgefallen. Es bleibt spannend.

    Lieben Gruß


    Claudia


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