Ein Erlebnisbericht

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  • Hallo zusammen,


    aus:der Fliegenpilz
    von Wolfgang Bauer,Edzard Klapp,Alexandra Rosenbohm,
    ISBN 3-85502-664-5


    Um nicht den Eindruck zu erwecken, die Reisen in das Traumreich der Amanita böten wenig mehr als kalte Füße und guten Schlaf, möchte ich diesen Beitrag mit einem Erlebnisbericht schließen. Das nun folgende Erlebnis ereignete sich im Wohn-und Arbeitszimmer einer Mansardenwohnung. Das Zimmer war etwa 16 Quadratmeter groß und dunkel eingerichtet. Das Mobiliar bestand aus einer großen alten Eichenvitrine, einem mittig stehenden runden Tisch mit vier Stühlen, einem Schaukelstuhl und einem Diwan. Eine Wand des Zimmers war mit Bücherregalen bedeckt, zwei der Wände liefen schräg nach oben zu. Die Beleuchtung bestand aus einem dreiarmigen Kerzenhalter, der in der Mitte des Tisches stand.
    Der Versuch wurde von einem Freund beobachtet und protokolliert, der später berichtete, dass ihm nur meine völlige Bewegungslosigkeit aufgefallen sei. Die vorherigen Ereignisse und Erlebnisse bei der Einnahme waren immer von irgendwelchen Äußerungen begleitet gewesen oder aber durch jähes Aufstehen (Emesis!) unterbrochen worden. Das Pilzmaterial (ca. 160 g) war frisch, grob zerteilt und in einer fettfreien Pfanne kurz erhitzt worden.Nach der Einnahme der Pilze hatte ich mich auf dem Diwan ausgestreckt. Dieser war außerordentlich bequem, weich gepolstert und mit einem großen Kissen ausgestattet. Der Beginn des Erlebnisses gestaltete sich wie gewohnt. Einige kritische Bemerkungen von Seiten meines Magens wurden laut, konnten aber entkräftet werden. Optische oder akustische Sensationen sind mir nicht erinnerlich.
    Ein umfassendes Ruhegefühl erfüllte mich und ließ zunächst jeden Wunsch nach Bewegung, und sei es auch nur das Öffnen meiner Lider, vergessen sein. Dieses Bedürfnis war so intensiv, dass auch die sonst unbewusst stattfindenden Bewegungen (einen mimischen Muskel benutzen, sich ein wenig zurechtlegen, die Lippen befeuchten usw.) vermieden wurden. Die Fußkühle drängte sich, verbunden mit einem stärkeren Kribbeln, erneut in mein Empfindungsbewusstsein. Dann begann ein unfassliches Erleben, welches mich, widerführe es mir in einer Situation meines Grundbewusstseins, zutiefst erschrecken ließe.
    Die Haut an meinen Füßen straffte sich, als wüchsen die Muskeln darunter. Sie schienen sich auszudehnen, zu wachsen, drückten gegen das Leder meiner Schuhe, schoben die Sohle aus den Nähten, lösten Kleber und Senkel. All dies geschah langsam, ohne Gewalt, aber mit immenser Kraft. Irgendwann berührten sich die nackten Knöchel, die Hacken, dann die Innenseiten der Gewölbe. Mehr und mehr schwollen sie an, pressten sich aneinander und wurden eins; meine zwei Füße waren zu einem einzigen kugeligen Organ geworden. Ich spürte, wie dieser Prozess sich nach oben hin fortsetzte, Waden, Knie und Schenkel erfasste; eine verbliebene Öffnung an den Fesseln schloss sich.
    Mit dem Fesselschluss begann auch mein Kopf seine innere Struktur zu verlieren, sich zu verfestigen. Zu Beginn der Transformation gab es kein Bedürfnis nach Bewegung, nun konnte es keines mehr geben: kein Bedürfnis, die Lider zu öffnen, weil es keine Lider mehr gab, kein Bedürfnis zu sprechen, weil es keinen Mund, keine Zunge mehr gab. Die Form des' Kopfes begann sich zu verändern. Ein Fluss von Materie setzte ein; aus dem Bereich von Kinn und Hals schien mein Inneres aufwärts zu fließen und meinen Schädel nach oben seitlich hin auszustülpen. Meine Arme folgten dem Beispiel meiner Beine und vereinigten sich von unten her mit dem Rumpf. Mein Korpus dünnte aus, seine Massen strömten kopfwärts. Brustkorb, Bauch und Becken schwanden und flossen in den Materiestrom ein. Die Hauthülle entsprach der Wandlung, straffte sich, wurde fest und rau. Die ganze Metamorphose ängstigte mich nicht und war auch nicht unangenehm. Sie war eine Gegebenheit, die ich ganz akzeptierte: ich wurde Pilz !!
    Langsam kam der Prozess der Verwandlung zu Stillstand. Ich erinnere mich, wie die Haut meines Halses sich in Falten legt, dann wird es undeutlich. Ich glaube noch eine Idee von Rot gehabt zu haben, dann aber verliert es sich ganz. Keine Rückverwandlung, keine Verrottung, nicht einmal eine Erinnerung an den Sporenabwurf (was ich bedaure!). Nur noch däs Gefühl verstrichener Zeit nach dem Erwachen.


    Gruß Detlef

  • Hallo Detlef, hallo Julius,
    ich dachte zuerst an einen 'wahren' Erlebnisbericht, wunderte mich aber über die sehr Umfangreiche Erinnerung und den Ausdruck/Formulierung.


    Für mich ist der Text Bildlich gesehen, wie eine Person die 16 cm ² eines Fliegenpilzes ißt, selber zum Pilz wird. Vielleicht muss ich es mir aber noch 2-3 mal durchlesen. ;)


    bis dann,
    Nando

    Seit Ende 2009 bei der Naturfotografie. Aktuelle Kamera: Canon PowerShot SX40 HS, Marumi DHG Achromat +3 Nahlinse und Slik Sprint PRO II. --- Pilzfotos
    -> Bei Beiträgen mit vielen Bildern, hilft oft der Klick mit der mittlere Maustaste auf die Bilder zum Öffnen mehrerer Tabs im Browser.


  • Beim Lesen musste ich unweigerlich an Kafkas Verwandlung denken. Gregor Samsa als Pilz ... zumindest nicht so ekelig wie ein Käfer ;)


    Ja; Psilo, du hast recht, allerdings ist es der Teil, den Kafka ausgelassen hatte - nun endlich ist das Werk vollkommen... :thumbup:;)

  • Hallo,


    Vielen Dank für eure Beiträge.Ich fand interessant zu sehen
    wie sehr suggestiv die Wirkung des Halluzinogens ist.Kann den
    Vergleich mit einem Acidtrip leider nicht beurteilen.Sicher ist jedenfalls
    das bewußtseinverändernde Substanzen in der menschlichen Kulturgeschichte
    eine elementare Rolle gespielt haben.Und hier nimmt der Fliegenpilz die
    zentrale Position ein.Dieses Buch ist außerordentlich lehrreich und jedem
    der sich für die Entwicklung unserer Art interessiert nur zu empfehlen(jedem
    anderen auch).


    Gruß Detlef

  • Hallo,


    Das lustige ist ja, dass ich mir einen Tag bevor du den Bericht reingestellt hast, eine Doku namens "Magische Pilze" angesehen habe :) Was für ein Zufall.
    War ganz interessant.


    LG,
    Anna

  • Grüß dich Carsten,


    ich zweifle nicht an der Authentizitaet dieses Berichtes.Die Wirkungen
    können sehr verschieden sein.Habe schon über reichlich Selbstversuche
    gelesen,letztlich schafft sich jeder seine eigene Wahrnehmung.Das meinte
    ich auch mit der sehr suggestiven Wirkung.


    Gruß Detlef

  • Hallo Detlef,


    sicher, daß jeder sowas anders wahrnimmt, will ich nicht bestreiten. Mich wundert nur das Fehlen von starken körperlichen Nebenwirkungen, die bei halluzinogenen Naturdrogen eigentlich immer auftreten, nicht bloß ein leichtes Unwohlsein. Ich denke da an Hitzewallungen, Schweißausbrüche, Unruhe, der Kreislauf fährt Achterbahn und manch einer kotzt sich die Seele aus dem Leib. Aber womöglich war der Autor sehr beleibt, hart im Nehmen, hatte schwach wirkende Pilze gesammelt und wollte hauptsächlich die faszinierende Halluzination beschreiben. Nicht daß jetzt jeder vollschlanke Jugendliche denkt, er könnte mal eben 160g Fliegenpilze essen und hätte dann bloß ne lustige Hallu.


    Naja, wenigstens hat er am Ende nicht seinen Urin getrunken, um nochmal zum Pilz zu werden ...


    Grüße, Carsten

  • Hallo,
    der ganze Bericht ist doch eine Aufzählung und Beschreibung von Nebenwirkungen, die müssen ja nicht immer unangenehm oder ungewollt sein,
    ist halt eine Frage der Dosis, die sich bei Naturprodukten schlecht bestimmen lässt, und solche Versuche recht gefährlich macht.
    Sollte man nicht nachahmen.


    Gruß Dominik