Rätselhafter Miniatur-Seitling = Hohenbuehelia spec

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  • Hallo liebes Pilzforum,


    beim Spazieren durch den Laubwald stieß ich auf zwei umgekippte, sich gegenseitig stützende Kirschen.

    Darauf wuchsen selsame Wesen.

    Bild 1 umkippende Kirschen


    An der vorderen der beiden Kirschstämme lassen sich Erhebungen auf der Borke erkennen: Pilze natürlich.

    Bei genauerer Betrachtung erkennt man kleine Seitlinge mit etwa 5mm Durchmesser, die scheinbar aus den Lentizellen der Kirsche hervorquellen.

    Die Lamellen sind weiß und ungezähnt:

    Bild 2 Blick von unten


    Die Hüte dieser Lamellenträger sind dunkelbraun, zum Rand hin heller werdend.

    Weißliche Schuppen liegen darauf:

    Bild 3 Pilzgruppe


    Bild 4 Hüte


    Der Stiel, falls vorhanden, ist weiß und braun behaart:

    Bild 4 Pelziger Stiel


    Daneben lassen sich andere Strukturen erkennen, häufig schön aufgereiht, scheinbar durch die Lentizellen austretend:

    Bild 5 Verschiedene Pilze oder unterschiedliche Entwicklungsstadien?


    Die grauen Platten scheinen ein Vorstadium zu sein. Rechts unten in Bild 5 hebt sich eine der grauen Vorstadien an und erinnert stark an die Seitlinge oben.

    Und die gelben Stiftchen? Sie scheinen mit den grauen Platten zusammenzuhängen:

    in Bild 5 mittig am unteren Bildrand und in Bild 6 zentral knapp oberhalb der Bildmitte scheint eine graue Platte auf den gelben Stiftchen aufzuliegen:

    Bild 6


    Ich habe einige Seitlinge mitgenommen, von den anderen natürlich nichts, da ich den möglichen Zusammenhang erst zuhause zu vermuten begann.

    Bild 7 Stereolupe


    Ein Lammellenschnitt zeigt viele kristallbehaftete Zystidien

    Bild 8 100x


    Bild 9


    Schnallen scheinen vorhanden zu sein.

    Bild 10


    Basidien habe ich nach längerer Suche gefunden, mit nur zwei leeren Strigmen

    Bild 11 Basidie ohne Sporen (ev. erst in Reifung)


    Bild 12 Basidie mit sprossenden Sporen-Ansätzen


    Sporen konnte ich bisher leider keine finden.


    Vermutete Enticklungsfolge des Seitlings:

    Was ist denn das denn für ein Pilz?

    Und: Hängen die drei Formen wirklich so zusammen?


    LG, Martin

  • Hm,

    Vergleiche mal mit dem Klebrigen Schleierseitling

    Gruß

    Norbert

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    Pilzchips = 100 -5 APR 2015 +12 APR 2016 = 107 -7 Für APR 2017 = 100 + 5 APR 2018 =105 +5 APR 2019 =110+6 APR 2020=116+5+4 APR2021=125

    -15 für APR 2022 = 110

    Pilzbestimmung im Netz ist keine Essfreigabe

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  • Hi Martin,


    ich hab' mal kurz recherchiert, von den Mikros kommt Hohenbuehelia fluxilis (Zweisporiger Muscheling) in die Nähe. Dazu würde auch die 2-sporige Basidie passen, und die Cheilozystide mit nematodenfangendem Köpfchen in Bild 12.


    Aber weder in der Flora Neerlandica, noch im Pilzkompendium, oder in der British Fungus Flora 6 sind nur annähernd die bekannten 25-30 Arten aufgelistet.

    Mehr gibt's hier, aber da hab' ich nicht tief reingeguckt:

    Thorn&Barron (1986)

    (PDF) Nematoctonus and the tribe Resupinateae in Ontario, Canada


    Auf jeden Fall 'was Spannendes, besser mal ein Exsikkat machen!


    Glückwunsch!


    Wolfgang

  • Hallo Wolfgang,


    vielen Dank für deine Recherche.

    Das klingt ja mal richtig spannend.

    Ich werde mir morgen den Link zu Gemüte führen.


    Mit Exsikkat, meinst du die Probe zu trocknen, damit sie nicht vergammeln kann, oder?


    LG, Martin

  • Hallo zusammen


    ohne Blick auf die Sporen lässt es sich wohl nicht absichern.

    Ich würde mal noch Hohenbuehelia cyphelliformis in den Ring werfen.

    Bild und Beschreibung von H. fluxilis bei Consiglio/Setti passen nicht so richtig, vor allem sollte der heller sein und dichtere Lamellen.


    Gruss Raphael

  • Mit Exsikkat, meinst du die Probe zu trocknen, damit sie nicht vergammeln kann, oder?

    Hi Martin,


    genau, zumindest einen Teil der Kollektion auf einem Papierchen auf die Heizung legen. Davon kann man dann auch eine Gen-Sequenzierung machen, falls sich der Fund als etwas Außergewöhnliches oder gar Neues herausstellt.


    Reife Sporen wären für eine Bestimmung aber sehr wichtig. Hast Du auch einen der größeren Fruchtkörper eingesammelt, den Du über Nacht auf einen Objektträger legen könntest zum Aussporen? Natürlich gut abgedeckt, vielleicht sogar ein feuchtes Zewa dabeilegen, damit er nicht vorher wegtrocknet.


    Gruß,


    Wolfgang

  • Hallo Raphael,


    leider habe ich den Consiglio/Setti nicht, so dass ich da nicht mitreden kann.


    Hohenbuehelia cyphelliformis wird aber von verschiedenen Autoren unterschiedlich interpretiert - Jörg Albers (2005) hat sich damit länger in der ZfM beschäftigt, er nennt so eine Art ohne Metuloide (kristallbesetzte dickwandige Zystiden). Ich finde, das wird immer spannender...


    Artikelarchiv / DGfM


    Gruß,

    Wolfgang

  • Hallo Wolfgang!


    Vielleicht hilft jas auch die Masterarbeit "Species delimitation and phylogenetic analyses of the genus Hohenbuehelia in central Europe" von Sonia Mentrida aus Wien weiter?

    Ich versuche gerade etwas daraus zu herausziehen.


    Gruß, Martin

  • Hallo,


    ich habe heute nochmals nach Sporen gesucht, aber wieder nichts gefunden.

    Mittlerweile sind die Proben auch getrocknet und deutlich abgedunkelt.

    Ansonsten haben die sich durchs Trocknen kaum verändert.

    Exsikkat Bild 1

    Exsikkat Bild 2


    Im Mikroskop finde ich im getrockneten und wieder eingeweichten Zustand die gleichen Strukturen wie gestern an den frischen Proben:

    Die kristallbesetzten Zystidien (offenbar "Merulloide") und die Zystidien mit dem Schnörpsel an der Spitze, die, wenn ich Wolfgang oben richtig verstanden habe, zum Nematodenfang dienen könnten.

    Bild Exsikkat 3


    Ansonsten gibt es auch (gestern schon gefunden nunr nicht gezeigt) Bereiche mit Hyphen, die irgendwie ringweise ummantelt erscheinen:

    Bild Exsikkat 4


    Vielleicht hilft das weiter - mir sagt es leider nichts.

    LG, Marti

  • Hallo Martin,

    Auf dem letzten Bild zeigst Du dunkel inkrustierte Hyphen (also Farbstoff-tragende Auflagerungen auf den Zellen) - stammen die vom Stiel oder aus der Huthaut?

    Die Pigmentierung ist auf jeden Fall ein wichtiges Merkmal.


    Die Master-Arbeit ist eine hilfreiche Literaturstelle. Damit wäre man bei einer Genanalyse zumindest nicht ganz am Anfang.

    Auf meinen ersten Blick scheint Deine Art aber dort nicht enthalten zu sein.


    Auf dem Foto zeigst Du ja einige Fruchtkörper - wieviel Material hast Du mitgenommen? Kannst Du ggf. am Standort noch 'was einsammeln? Zumindest sollte man diesen Fund in einem Herbar hinterlegen, da sind ein paar Fruchtkörper mehr schon nützlich..


    Übrigens noch ein großes Lob für Deine erstklassigen Mikro- und Makrobilder!


    Grüße,


    Wolfgang

  • Hallo Martin,

    Das könnte die Dermea cerasi sein mit der Anamorphe.


    VG : Thorben

  • Hi.


    Problem ist wohl unter anderem, dass man nicht weiß ob die jung oder ausgewachsen sind.


    Du kannst auch mal noch schauen ob du in der Huthaut "Pileogloeosphlexe" findest, also solche Elemente mit einem klebrigen Überzug:

    400755-img-20210926-144015-jpg


    Das würde die Sache vereinfachen, aber ich glaub's eher nicht. Versuche daher lieber erstmal mit Consiglio zu schlüsseln. Da hatte ich bei meinen Funden aber trotzdem ein paar Probleme. Hier geht's schon los, ob die Dinger jetzt als gestielt oder ungestielt anzusehen sind und ob die nun ausgewachsen sind oder nicht.


    Den Schlüssel gibt's online wenn du dir Mycocle installierst.

    Alle verfügbaren Schlüssel gibt's hier. Von Consiglio gibt's einen von 2017 und einen von 2018. Kann man beide mal probieren. Ich habe mir sowieso alle Schlüssel runtergeladen, die nehmen keinen Speicherplatz weg. Edit: Ich habe den Schlüssel aus der Personia auch als pdf habe ich eben gesehen. Ich hänge den mal noch an, wer das Programm nicht installieren kann/will.


    LG.

  • Hallo Thorben,


    das klärt natürlich die kleinen grauen Schildchen.

    Ich vermute die gelben Stielchen sind dann die zugehörige Anamorphe, aus der sich im Laufe der Zeit die Teleomorphe entwickelt?

    Es handelt sich also doch zweierlei Pilze, die dicht besammen wachsen.

    Dermea cerasi und eine Hohenbuehelia spec.

    Da könnten tatsächlich kleine Apothecien sein, die teilweise aufgequollen sind:

    Sind die zugehörigen Anamorphen wirklich gelb, nicht schwarz?


    Hallo Wolfgang,


    ich gebe dein Lob ans Mikroskop weiter: Ist eigentlich nur ein billiges China-Konstrukt mit Smartphonehalterung d'rüber, aber das tut's für mich.

    Mitgenommen habe 5-6 oder 7 der Hütchen, wobei die alle etwa ähnlich klein waren, um 3mm Durchmesser.

    Die inkrustierten Hyphen habe ich im Huttrama im gelhaltigen Bereich gefunden, da sehen alle Hyphen so aus.


    Dem Schlüssel in Thorn/Barron folgend lande ich bei Hohenbuehelia approximans.

    Bei Hohenbuehelia approximans wird in Sonia Mentrida Arbeit als einzige ausdrücklich auf Prunus vorkommend erwähnt.


    Passt Hohenbuehelia approximans zu den Bildern?


    LG, Martin

  • Hi Martin,

    Passt Hohenbuehelia approximans zu den Bildern?

    naja, ich finde es passt nur so mittelmäßig, Dein Pilz hat anders geformte Metuloide, und wir wissen immer noch nicht, wie bei Deinem Pilz die Sporen aussehen.

    Außerdem zeigst Du eine 2-sporige Basidie, aber approximans soll 4-sporig sein.


    Man müsste dann doch mal genauer in die Monographie gucken, und/oder eine Gensequenz machen, denn immerhin wäre das ein Erstfund für Deutschland.


    Gruß,


    Wolfgang

  • Hallo Wolfgang,


    ich denke es ist am zielführensten, wenn ich nächstes Wochenende vor Ort gehe und mir die Sache nochmal im Detail ansehe, wenn du das möchtest.

    Vielleicht finde ich dann auch größere Fruchtkörper irgendwo am Stamm.

    Damit stiege auch die Chance, Sporen zu erhalten.

    Mittlerweile habe ich eine Ahnung, wie die gereiften Fruchtkörper aussehen könnten.


    An allzu exotische Funde glaube ich nicht, eher an eine Fehldeutung meinerseits.

    Vielleicht sind die Basidien nicht 2-sporig:

    Die eine, vermeintlich von mir gefundene 2-sporige Basidie (Bild 12) hat sich ja mittlerweile scheinbar als nematodenfangende Zystidie herausgestellt.

    Ich möchte an dieser Stelle allerdings darauf hinweisen, dass das zweite, unschärfere Schnörpselchen in Bild 12 links zur gleichen Zelle gehört wie das im Fokus liegende.

    Damit hätte die Cystidie entweder zwei Fangschnörpsel (gibt's das?) oder es ist doch eine Basidie, oder sonst was anderes.


    LG, Martin

  • Hallo Martin,

    in Bild 11 zeigst Du nicht nur 1 Basidie, sondern es ragen rechts oberhalb auch die beiden Sterigmen einer zweiten 2-sporigen Basidie in die Schärfenebene. Die Zweisporigkeit ist also wahrscheinlich, normalerweise hätte ich das Präparat aber gründlich nach 4-sporigen Basidien abgesucht. Rechts unten in Bild 11 könnte übrigens eine Spore sein.


    Dass Hohenbuehelien verzweigte Cheilos mit mehreren Köpfchen machen, ist normal und wohl kein Unterscheidungsmerkmal zwischen den in Frage kommenden Arten.


    Wenn Du nächste Woche nochmal reifere Exemplare nachsammelst und mir zusendest, würde ich mir den sehr gerne angucken.


    Grüße,


    Wolfgang

  • Servus beinand',

    Zur sicheren Unterscheidung anderer an Prunus wachsender Dermeaarten sollte man die Größe der Konidien der Anamorphe checken. Ich glaub aber auch an Dermea cerasi, die bei gezielter Suche an relativ frischem Totholz von Süßkirsche ned selten ist.

    Die Hohenbuehelia ist natürlich toll.

    An liabn Gruaß,

    Werner

  • Hallo Wolfgang,


    ich denke, es lässt sich durchaus einrichten, da nächstes WE nochmals hinzugehen.

    Das war schon eine interessante Ecke.

    Ich war noch nie dort und konnte einige Erstsichtungen machen - und es ist noch nicht mal weit weg.

    Da lohnt sich ein weiterer Besuch allemal! ==Gnolm7


    À propos:

    Es ist nicht so, dass ich nicht nach 4-sporigen Basidien gesucht hätte.

    Nach dem ersten Überblick suche ich nach Basidien und Sporen.

    Möglichst nach Sporen an Basidien, dann kann ich am ehesten davon ausgehen, dass sie zur Probe gehören; und habe zugleich eine Information über die Parallaxe der Sporen an der Basidie und damit über die Zuverlässigkeit der Messung dieser Sporen.

    Wenn Basidien gefunden werden, fahre ich vorsichtig den Schärfebereich durch, um möglichst alle Sterigmen zu erkennen.

    Die Sterigmen sind in unserem Fall ja recht prominent und kaum zu übersehen, da gibt's ja ganz andere Fälle...


    Nun, die vermeintliche Spore in Bild 11 setzt sich weit in der Tiefe fort und gehört wohl zu einer Paraphyse oder Basidiole oder was auch immer, das kann man noch jetzt an der Bildunschärfe erahnen.

    Ich habe, bevor ich ein Bild speichere, immer den Tiefenbereich durchgefahren und den Bildbereich nach Sporen abgesucht.

    Wäre da nur eine Spore gewesen, hätte ich in diesem Fall auch ein Bild gemacht, um Daten zu sammeln.


    Eine (!) frei schimmende Spore (rundum scharf umgrenzt), oder das, was ich dafür halten würde, habe ich tatsächlich gefunden.

    Den Fund habe ich oben nicht weiter erwähnt, da unklar ist

    - ob sie überhaupt zur Probe gehört (freischwimmend),

    - dass in Wasser wahrscheinlich durch eine Parallaxe die Messung verfälscht ist (Länge verkürzt, da im Wasser gedreht),

    - ob sie überhaupt reif und ausgewachsen ist,

    - man bei einer Spore keine statistische Verteilung erhält,

    Es gibt sicher noch mehr Punkte, mir fällt im Moment nichts weiter ein. ==Gnolm10

    Gemessen habe ich 3,5 x 5 µm², Messfehler bei < 0,5 µm, liegt also durchaus im Bereich der im Schlüssel erwähnten Sporenmaße.

    Aber wie gesagt, der Dickenmessung glaube ich erheblich mehr als der Längenmessung, das Maß ist ziemlich sicher größer.



    LG, Martin

    Sporenbild

  • KaMaMa

    Hat den Titel des Themas von „Rätselhafter Miniatur-Seitling“ zu „Rätselhafter Miniatur-Seitling = Hohenbuehelia spec“ geändert.
  • Hallo Wolfgang P.


    ich war heute vor Ort, um nach weiteren, eventuell größeren Fruchtkörpern von Hohenbuellia Ausschau zu halten.


    Leider:

    In der vergangenen Woche waren die Waldarbeiter fleißig und haben dort viele Bäume (vornehmlich große Eichen und Buchen, aber auch kleinere Stämmchen, die im Weg waren) gefällt, die jetzt dort durcheinander rumliegen und auf den Abtransport warten; auch die beiden ineinander verkeilten Kirschen, an denen ich die Hohenbuellia gefunden hatte, standen nicht mehr da, wo sie letzte Woche waren. Auch sie gingen zu Boden und wurden zerstückelt.


    Nach längerer Suche und Vergleich mit der Streckenaufzeichnung und den Fotos von letzter Woche, konnte ich den Baumstamm sicher ausfindig machen.

    Fruchtkörper konnte ich allerdings nur einen einzigen kleinen finden, in der gleichen Größe (2-3mm) wie letzte Woche.

    Alles Größere mit Hut an diesem und den benachbarten Kirschstämmen war nur Plicatura crispa.


    Was ich dir anbieten kann, wenn du möchtest, ist, dir die kleinen getrockneten Fruchtkörperchen in einem Brief zuzusenden.

    Vielleicht kannst du ja etwas damit anfangen, und vielleicht bekommst du heraus, um was es sich hier genau handelt.

    Ob sich das bei dieser geringen Menge lohnt, und ob du möchstest, musst natürlich Du wissen.

    Also melde dich, wenn du die Fruchtkörper haben möchtest.


    Andererseits konnte ich eine Menge der am gleichen Baumstamm benachbart wachsenden Dermea cf cerasi (Thorbens Vorschlag/Verdacht) und ihrer Anamorphe finden.

    Die werde ich nachher mikroskopieren - bin schon gespannt!


    LG, Martin