Fungizid-Einsatz und Pilzwelt

Es gibt 5 Antworten in diesem Thema, welches 825 mal aufgerufen wurde. Der letzte Beitrag () ist von Oehrling.

  • Hallo Pilzfreunde!


    Ich möchte heute einmal eine Frage an euch richten, die mich schon seit einiger Zeit beschäftigt. Ihr, die ihr schon seit Jahren und Jahrzehnten die Funga in Wäldern und Wiesen kennt und beobachtet:

    Lässt sich - ähnlich wie zum Beispiel bei den

    Gliedertieren - auch bei den Pilzen ein Rückgang in der Individuen- und Artenzahl erkennen? Gab es früher mehr Pilze und mehr unterschiedliche am gleichen Standort?

    Ich befürchte, dass dem womöglich so ist.

    Gelesen habe ich bisher nichts darüber.


    Wenn man alt genug ist, erinnert man sich: Vor 40 Jahren waren noch die Windschutzscheiben der Autos nach einer kurzen Fahrt in den nächsten Ort voll zerschmetterter Insektenleichen. Heute kann man 100 km und weiter fahren, ohne dass auch nur ein Käfer sein Leben an der Frontscheibe verliert.

    Und vor 15 Jahren noch hat es im Garten an den Blüten gebrummt und gehummelt - auch hier wird es von Jahr zu Jahr weniger, eigentlich ist schon tote Hose. ==Gnolm6


    Diese Entwicklung ist vielen Leuten leider nicht bewusst und/oder egal: Eine Nachbarin wünscht (!) sich sogar einen insektenfreien Garten. Das muss man sich mal vorstellen! Solch ignorante Menschen keine Ahnung, was das in Konsequenz bedeutet...==Gnolm21


    Im Gegensatz zu den kleinen, bestäubenden Leuten im Garten leben die Pilze bewegungslos und versteckter und springen einem, wenn man sie nicht gerade sucht, nicht ins Auge. Auch machen sie keine Geräusche, was ihr Auffinden weiter erschwert. Das kann man ja an diversen Such- und Nichtfinde-Berichten gut erkennen.


    Reagiert auch die Pilzwelt auf die Anreicherung von Gift- und Schadstoffen in der Umwelt?

    Fungizide werden in der Landwirtschaft ja in nicht unerheblichen Mengen auf den Nutzflächen ausgebracht und verteilen sich anschließend weiter.


    Eure Erfahrung und Meinung hierzu würde mich und bestimmt viele andere auch interessieren.


    LG, Martin

  • Hi,


    entsprechende Untersuchungen gibt es schon. Durch die Pilzkartierung kann man ja sehr gut sehen, wie sich der Pilzbestand auf bestimmten Flächen verändert, sofern man die über Jahre hinweg beobachtet.


    Um es kurz zu machen. Pilze gehen auch zurück.


    1. Durch den überhöhten Nährstoffeintrag auf Ackerflächen/Eutrophierung. Durch Wind, Niederschläge etc. wird die Gülle in umliegende Wälder, in Seen und Flüsse gespült/getragen. Nährstoffreiche Böden mögen viele Pilze nicht.


    2. Klimawandel: Viele Pilze brauchen kühle Temperaturen um zu fruktifizieren. Schon jetzt ist zu sehen, dass Pilze in den Alpen von niedrigeren Höhenstufen sich in höhere verlagern. Im Flachland werden die Pilze aufgrund der steigenden Temperaturen irgendwann mal fehlen, bzw. nur noch in Kältepolen zu finden sein. Natürlich werden wärmeliebende Pilze zunehmen. Das sieht man jetzt schon beim versärkten Auftreten von Fransigen Wulstlingen etc.


    3. Baumsterben: Wenn die Mykorhizapartner sterben, sterben auch die Pilze, wenn diese nicht an andere Baumarten eine Mykorrhiza eingehen können. Insbesondere sind die Fichten und teilweise auch schon die Kiefern großflächig betroffen.


    So weit jetzt die Kurzversion. Man kann dazu noch sehr viel mehr schreiben.


    l.g.

    Stefan

    Risspilz: hui; Rissklettern: bisher pfui; ab nun: na ja mal sehen...


    Derzeit so pilzgeschädigt, das geht auf keine Huthaut. :D


    Meine Antworten hier stellen nur Bestimmungsvorschläge dar. Verzehrsfreigaben gibts nur vom PSV vor Ort.

  • Reagiert auch die Pilzwelt auf die Anreicherung von Gift- und Schadstoffen in der Umwelt?

    Fungizide werden in der Landwirtschaft ja in nicht unerheblichen Mengen auf den Nutzflächen ausgebracht und verteilen sich anschließend weiter.

    Ja, aber nicht nur auf diese.
    Alle Änderungen in der Umwelt und in den Biotopen wirken sich auf die eine oder andere Weise mehr oder weniger auf die Pilzwelt aus.
    Die Einträge von Spritzmitteln und Dünger aus der Landwirtschaft sind sicherlich ein Teil davon, aber m.M. leider nicht der einzige und größte.

    LG, Josef

  • Hallo Josef, hallo Stefan!


    danke für eure Stellungnahme. Es muss ja eigentlich so und wie könnte es auch anders sein!

    Josef, natürlich gibt es noch andere anthropogene Substanzen und Einbringpfade neben Spritzmitteln und Dünger aus der Landwirtschaft, die sich in den Böden und im Wasser anreichern und die Umwelt verändern. An was wichtigeres denkst du denn hier (Flächenverbrauch? Hormone/Medikamente? Aufräumwahn wie zB. Totholzentorgung?)


    LG, Martin

  • Hi,


    klar Liste beliebig verlängerbar. :) Insbesondere das Totholz, das liegen bleiben kann, ist ein interesanter Punkt. Arten, die lange liegendes Holz brauchen, wie z.B. Mosaikschichtpilz, würden auch häufiger gefunden werden, wenn das Eichenholz in Ruhe ein paar Jährchen vor sich hin verwittern kann.


    Dann noch ein Aspekt, der unlängst beim Dungpilzvortrag von Matthaeus und Irmgard Krisai-Greilhuber angesprochen wurde. Auch die Entwurmungsmittel, welche Rinder in Freilandhaltung bekommen, haben einen Einfluss auf die Dungpilze, welche auf dem Kuhfladen nun wuchsen oder nicht. Es gab deutlich mehr Insekten, Pilze und was weiß ich alles noch in den Kuhfladen als auf Rinderdung mit Entwurmungsmittel. Das geht sogar so weit, dass der Rinderfladen ohne Entwurmungsmittel in 30-60 Tagen komplett weg war, während Kuhfladen mit Entwurmungsmittel, eintrocknen und ewig liegen bleiben.


    Ebenso könnte es auch helfen, wenn Kadaver im Wald liegen bleiben würden. Das sind alles ökologische Betrachtungen, die bisher noch nicht wirklich untersucht wurden, jetzt aber in den Fokus der Forschung rücken...


    Wie bereits gesagt. Die Liste der Aspekte ist lang, welche hier aufgezählt werden können.


    l.g.

    Stefan

    Risspilz: hui; Rissklettern: bisher pfui; ab nun: na ja mal sehen...


    Derzeit so pilzgeschädigt, das geht auf keine Huthaut. :D


    Meine Antworten hier stellen nur Bestimmungsvorschläge dar. Verzehrsfreigaben gibts nur vom PSV vor Ort.

  • Hallo KaMaMa,

    meinen persönlichen Beobachtungen zufolge hat die Artenanzahl der Pilze in vitalen, "gesunden" Wäldern zumindest in den letzten Jahrzehnten nicht abgenommen. Ein Vergleich mit den Jahren vor den Weltkriegen vermag wohl niemand zu ziehen, da damals keinerlei Pilzinventarisierung oder -kartierung vorgenommen wurde.

    Was man aber auf jeden Fall konstatieren muss: es gibt von Jahr zu Jahr immer weniger dieser vitalen Wälder. Stattdessen verarmen viele Parzellen ökologisch oder sterben ganz ab. Läuft man durch einen Wald in warmer Gegend (etwa die Oberrheinebene), zieht es einem die Schuhe aus, wie es da mittlerweile aussieht. Oder auch in diesen bekannten Fichtenforsten der Mittelgebirge - da tun sich buchstäblich großflächige Lücken und Abgründe auf.

    Die Frage nach dem Artensterben trifft das eigentliche Problem nicht. Man sollte eher die Frage nach dem Biotopsterben bzw. nach der aktiven Biotopvernichtung durch Land- und Forstwirtschaft aus kommerziellen Gründen (z. B. Kalkdüngung der Forsten, Kahlschlag wegen Windräderbau, Anpassung der Landwirtschaft an Massenproduktion...) stellen, was aber in Zeiten der Rohstoffknappheit niemand macht.

    FG

    Oehrling

    PSVs dürfen weder über I-Net noch übers Telefon Pilze zum Essen freigeben - da musst du schon mit deinem Pilz zum lokalen PSV!