Hallo!
Vor einer starken Woche war ich am Rande des Odenwaldes an einem alten, aufgelassenen Weinberg spazieren und entdeckte neben einer Sitzbank auf einem Kalkstein ein interessantes Objekt.
Direkt neben dem Sitzplatz an der Vertikalfläche (Süd-Ausrichtung, 1/2m über Boden), zwischen Moosen, eine Schwarze Schuppenflechte (Placynthium nigrum oder ein "Tintenfleck").
Bild 1 Flechte am Fundort: Schwarze Schuppenflechte - Placynthium nigrum
Die Schwarze Schuppenflechte ist durch ihren gefelderten, graubraun-isidiösen Thallus und den eigenartigen, schwarzblau bis blaugrün schimmernden Vorthallus gut erkennbar.
Gelegentlich finden sich bei ihr schwarze Apothecien.
Das eigentlich Interessante für mich ist der hellbraune Aus-/Aufwuchs darauf, den ich zuerst für eine andere Flechte hielt.
Bild 2 Blaugrüner Vorthallus der Schwarzen Schuppenflechte ist gut erkennbar - und hellbraune, buschig verzweigte Strukturen darauf. Der Bildeinsatz zeigt ein Apothecium.
Der thallöse Epiphyt erweist sich trocken als sehr spröde.
Unter dem Mikroskop zeigt sich, dass er keine Flechte ist. Aber was ist das:
Bild 3abc: Aufwuchs trocken und nass, sowie ein Thallusläppchen geplättet in Wasser
Unter dem Mikroskop erscheint die Oberfläche des Thallus von eckigen Pflanzenzellen gebildet zu sein.
Bild 4 Thallusoberfläche
Die Zellen wirken teilweise gelb, teilweise farb- und strukturlos, leer.
Der Thallus selbst wirkt hohl und mit ist mit Blaualgen gefüllt:
Aus einem Quetschpräparat treten die Blaualgen, die in kurzen Ketten vorliegen, in großer Zahl aus.
Pilzhyphen sind definitiv nicht zu finden.
Ich denke, es handelt sich um eine Pflanze, eventuell ein strukturloser Moos-Thallus.
Bild 5 Nostoc-artige Algenzellen in kurzen Ketten treten aus dem gequetschen Thallus aus (in Wasser)
Auf der Thallusoberfläche des Epiphyten lassen sich blasenartige Zellkomplexe in grün-gelben bis roten Farbtönen finden, gerne an geschützteren Stellen, wie in Achseln zwischen Thalluslappen.
Hier könnte es sich um andere Cyanobakterien handeln (wie Gloeocapsa) oder vielleicht wiederum um Nostoc-Zellen in Gallertkugeln - können die auch in bunt?
Bild 6 Rötliche Algenkugeln in Wasser
Die nämlichen, gelb-grünen bis roten Algenkugeln treten auch in und auf dem Flechtenthallus des Placynthiums auf.
Das Placynthium erweist sich mikroskopisch als eine erstaunlich bunte Flechte: derartig bunte Algen und blaue Hyphen (!) hatte ich bisher noch nicht gesehen, schon gar nicht in Kombination.
Diese Farbenpracht liese denken, die Probe wäre eingefärbt, was sie aber nicht ist.
Die Cyanoflechte Placynthium gilt als mit Nostoc assoziiert; in Nicht-Gallertflechten liegt Nostoc, wie ich lese, nicht in Kettenform vor, sondern geballt in kleinen Gallertkugeln, was hier passen könnte, wenn die Farbe nicht stört.
Bild 7 Die gleichen Algenkugeln finden sich bei der Placynthium-Flechte (in Wasser)
Bild 8 Blaue Flechtenhyphen im Flechtenthallus (1000x in Wasser), passend zum bekannten blauen Vorthallus von Placynthium.
Nun habe ich gelesen, dass Hornmoose, ähnlich wie lichenisierte Pilze, eine symbiontische Beziehung zu Cyanobakterien eingehen können.
Dabei dringen die Bakterien durch Spaltöffnungen in den gallerthaltigen, hohlen Inneraum der Hornmoose ein und vermehren sich im Hornmoos.
Die gefundene Pflanze ist hohl und mit Cynabakterien gefüllt!
Ähnliche Bakterien finden sich in und auf dem Flechtenthallus.
Mein Verdacht ist deshalb, dass sich hier ein Hornmoos auf der Oberfläche der Cyanoflechte niedergelassen hat, dort den Phycobionten der Flechte in sich aufnehmen konnte und auf der Flechte weiterwächst.
Hat jemand hier eine Idee, ob der Flechten-Epiphyt hier tatsächlich ein Hornmoos ist?
Über eure Vorschläge werde ich mich sehr freuen!
LG, Martin