Saure Gurken und orange Becher

Es gibt 5 Antworten in diesem Thema, welches 1.420 mal aufgerufen wurde. Der letzte Beitrag () ist von Sebastian_RLP.

  • Servus zusammen,


    in dieser pilzärmeren Zeit kommt ja mancher Pilzfreund auf eigenartige Ideen. Einige kratzen an Ästchen, scharren im Laub oder wühlen in der S***. Eine nicht minder verrückte Idee: Moosbecher suchen. Ja klar, Moos gibt es überall, ist doch toll!

    Aber genau das ist der Sächsämter an der Discounterkasse. Überall lauert die Versuchung! Und Moose sind zwar häufig, aber die stecknadelkopfkleinen Edelsteinchen sind selten genug um immer wieder ein Lotteriegefühl zu verursachen- im nächsten Mooskissen sitzt bestimmt einer! Mist, wieder ne Niete. Nach gefühlt einigen abgescannten Fußballfeldern an Moosstoppeln, kurz vor der Erkenntnis, dass es vermutlich schönere Tätigkeiten gibt um sich Augen und Rücken zu ruinieren, dann doch ein Treffer. Grandios! Es gibt sie wirklich! Welch Glücksgefühl! Eigentlich war es doch gar nicht so schwer... und außerdem sonnenklar dass sie dort wachsen müssen in der kleinen Rinne im Beton! Man denkt, die Nächsten finde ich bestimmt schneller, jetzt wo ich das Habitat kenn... und so folgen die nächsten Fußballfelder an Waschbeton, U Bahnverschalungen, Mülltonnenunterständen...

    Und dann, die Beute im Döschen auf dem beschwingten Heimweg stellt man sich vor: die schmeiß ich jetzt unters Mikro, genieß die Sporen und bestimm sie.

    Haha. Denn man merkt schnell: ohne Moos nix los. Will heißen: erstmal Moos bestimmen, dann reden wir weiter. Wer nun denkt, ja mei, da schau ich halt mal in einem Moosführer nach...

    kein Problem: es gibt da zB das dreibändige Werk "Die Moose Baden Württembergs", Stück ca 1,5Kg. Lebermoose mitgezählt etwas mehr als 1000 Arten.

    Dazu kommt noch es wächst oft nicht nur ein Moos am Fundort, das in Frage kommt...und das Befallene ist möglicherweise auch noch das am schwächsten vertretene.

    Gut, man will ja beschäftigt sein in dieser sauren Gurkenzeit... (ich habe die Schinken nicht, ein nettes Forenmitglied half mir mit Literatur aus und ich hatte Glück, dass es häufige, gut kenntliche Moose waren) Und so kam schließlich der folgende Beitrag zustande. Gesammelt seit Winterbeginn im Nürnberger (Innen-)Stadtgebiet, bestimmt immer mal wieder.

    Einer ging mir durch die Lappen da im Kühlschrank verschimmelt bis ich Zeit hatte ihn anzuschaun. Wäre besser gewesen ihn einfach auf dem Balkon zu lagern, denn austrocknen oder durchfrieren können sie offensichtlich ab. Ich habe eine Kollektion bei Minusgraden und Schneefall entdeckt, mikroskopisch völlig in Ordnung.

    Nebenbei bemerkt habe ich leider keine einzige Lamprospora gefunden auf die ich es wegen der hübschen Sporen eigentlich abgesehen hatte, da muss ich euch gleich vorneweg enttäuschen. Auch das gehört zur Lotterie, die meisten Moosbecherarten gehören zu Octospora und haben "Allerwelts" Sporen wie eine beliebige Peziza.

    Spannende Sachen kann man trotzdem mit den Teilen anstellen wenn man versucht die Infektionen an den Rhizoiden der Wirtsmoose nachzuweisen. Und ein Bisschen Botanik ist auch mal ganz schick unter dem Vergrößerungsglas.

    So, was ist das nun wieder für ein Geschwafel geworden? Zeit für ein paar Bilder oder Heiderzack jetzt halt ich die Bapp.



    Der erste Fund: Octospora musci muralis an Grimmia pulvinata. Der Fundort war eine Sandsteinmauer der Nürnberger Kaiserburg. Ich hatte gezielt Areale mit bräunlich verfärbtem (aka hoffentlich geschwächtem) Moos abgesucht aber nichts gefunden. Schließlich fand ich sie auf dem Heimweg in einem wunderbar vitalen, leuchtend grünem Moospolster auf der Oberseite einer Mauer. Zum Glück leuchteten sie wie mit einem Textmarker markiert und waren mit 2-4mm relativ groß.




    Daneben lag eine mit Beauveria bassiana verpilzte Wanze. Mir fiel erst auf dem Bild auf, dass sie vermutlich im Todeskampf noch Eier herausgepresst hatte.


    Zu Hause gelangen zwar bessere Aufnahmen, aber ich hatte Probleme mit dem Weissabgleich



    Mikroskopisch charakterisiert durch gebogene, pigmentierte Paraphysenenden und biserate Asci:


    Rand"haare"


    Sporen glatt mit meist zwei großen Öltropfen


    (21.7) 23.2 - 26.7 (27.8) × (9.4) 9.9 - 10.5 (10.8) µm Q = 2.2 - 2.6 (2.9) ; N = 22


    Infektion: gelbbraun die Rhizoide des Mooses; in Baumwollblau/Milchsäure gefärbt die Hyphen welche sich zu einem spezialisierten Haftorgan dem sog. Appressorium ausbilden um in den Wirt eindringen zu können.

    Die Präparation verlangt oft mehrere Anläufe mit Vorwaschungen und führt dennoch zu einem exorbitanten Deckglasverbrauch, da die Rhizoiden aufgrund des Sandsteins hier viele Quarzkörnchen mitbringen.


    Bonus: dieses (scheinbar?) gliedmaßenlose Tierchen, dafür mit ordenlichen Kneifern wohnte im Moos- vielleicht kennt es ja einer von euch?





    Die zweiten Becher fand ich in großer Zahl in einem schattigen Gebüsch auf einem bemoosten Erdhaufen, der nach Bauarbeiten wohl nicht wieder abgetragen worden war.

    Es handelt sich um Octospora rustica an Ceratodon purpureus.




    Apothecien zwischen Birnmoos (Bryum spec.), dies ist jedoch nicht der Wirt


    sondern das geschwächte purpurstielige Hornzahnmoos (Ceratodon purpureus)






    Mikroskopisch unspektakulär, Asci uniserat, Paraphysen ohne sonderlich gefäbte Pigmentgranula oder Vakuolen


    Sporen glatt, breitelliptisch, ein großer Öltropfen

    (13.2) 14 - 15.1 (15.4) × (10.2) 11 - 11.8 (12.3) µm Q = (1.1) 1.2 - 1.37 (1.4) ; N = 19


    hier lässt sich die Binnenstruktur des Appressoriums gut erkennen





    Der dritte Fund, den ich vorstellen möchte ist Octospora orthotrichi an Orthotrichum diaphanum. Der Fundort war eine Betonmauer welche einen Kinderhort von einer vierspurigen vielbefahrenen Straße trennt. Ich musste den Kopf frei bekommen und fast schon gedankenlos (Suchtverhalten s.o.) überflog ich im Vorbeigehen die kleinen Moospolster, die sich darauf gebildet hatten. Diese waren wirklich klein, vielleicht bis 1cm im Durchmesser. Es begann zu Schneerieseln. Doch da waren tatsächlich winzige bis 1mm große Becher! und mein Tag war gerettet.


    Rechts Birkensame, Links Apothecium (<1mm)


    Ein paar Tage später war ich mittlerweile bei Dauerfrost nochmals dort und konnte noch einige weitere FK finden.




    Hier hatte ich zunächst das Moos fälschlicherweise als Schistidium spec. bestimmt.



    Mit den Sporenmaßen und der Ornamentation landet man dann bei Octospora pseudoampezzana. Passt auf den ersten Blick perfekt. Zum Glück traute ich meinen Moosbestimmungen erstmal nicht, denn ich hatte nur die "Blättchen", aber keine Sporenkapseln untersucht.


    Das holte ich bei meinem zweiten Besuch nach und siehe da, die Kapseln passten überhaupt nicht und ich konnte das Moos schliesslich als Orthotrichum cf diaphanum bestimmen.


    Mikroskopisch war er der schönste der Drei, mit feinwarzig ornamentierten Sporen uni- und biserat!





    die Sporen sind bei dieser Art typischerweise in der Seitansicht "brotförmig", sprich sie haben eine gerade und eine gekrümmte Seite.

    Färbung mit tpb um mögliche Schrumpfungsartefakte durch bwb auszuschließen


    Rand"haare"


    Übersichtsbild mit Moos und parasitierendem Fruchtkörper, Appressorium rechts unten


    Ausschnittsvergrößerung mit Appressorium


    fragliche gallenartige Infektion/ Hyphenknoten links


    Sphärisches Infektionsorgan/Appressorium


    So das wars erstmal, mir hat der Ausflug in die Bryologie Freude bereitet, aber jetzt ist auch mal wieder gut, ich werde den Entzug durchziehen.

    Ganz so zuversichtlich bin ich allerdings nicht, ich fürchte ich könnte einfach bei einer anderen Droge landen...

    Mal sehen.


    Viele Grüße

    Ingo



    Ps: Kommentare und Korrekturen wie immer herzlich willkommen, das war völliges Neuland für mich und es würde mich nicht wundern trotz sorgfältiger Prüfung nicht doch irgendwo falsch zu liegen

  • Ahoj, Ingo,


    Super-Dokumentation,

    jedes einzelne der brillianten Bilder hat Spaß gemacht!


    LG

    Malone

    Link zu Pilzlehrwanderungen: Pilzschule Rhein-Main

    Link: Verzehrfreigaben gibt es online nicht

    Galerie: Pilzfotos "zum Anfassen"/Stereobilder

    Der frühe Vogel fängt den Wurm. Soll er doch im Dunkeln tappen...ich fange lieber Pilze. Fossas sind auch nur aktiv, wenn es sich lohnt.

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  • Hallo Ingo,

    ein richtig spannender Beitrag. Danke für`s Zeigen. Die Appressorien habe ich noch nie beachtet (naja, genau wie Moosbecherchen eigentlich). Aber jetzt weiß ich, was ich heut nachmittag suchen werden - Pfeiff auf Haselkleie- jetzt gibt´s Moosbecherchen!

    LG und nochmal Danke für´s anfixen---

    Sandra ;)

    Liebe Grüße aus dem Vogtland

    die Schwarzhex

    :gwinken: Sandra

    (PC 100 - 10 (fürs APR 2020) = 90 - 15 (APR 21) = 75-10 (APR22) = 65 + 7 (APR 22 Auflösung) - 5 (Rätsel-Gedicht)= 67 - 10 (APR 23) = 57 + 5 Gnanzierung = 62 - 10 (Ast-Wette gegen Björn) = 52 )

  • Hallo Ingo,


    eine ganz tolle Dokumentation. Der Nachweis der Infektion ist mir noch nicht gelungen, da muss ich bei dir nochmal in die Lehre gehen. Irgendwie habe ich mir das mit dem Vorwaschen auch schon immer so vorgestellt, aber ich bekomme es einfach nicht hin, dann die Ansatzstelle zu finden oder diese gar noch anzufärben. Muss mir da nochmal schwer Gedanken machen, wie genau ich da vorgehen kann, dass es klappt. Vielleicht hast du noch ein paar Tipps für mich.


    LG Sebastian

  • Hallo Sebastian,

    Danke, deine Berichte waren/sind ihrerseits eine große Motivation für mich!

    Irgendwie habe ich mir das mit dem Vorwaschen auch schon immer so vorgestellt, aber ich bekomme es einfach nicht hin, dann die Ansatzstelle zu finden oder diese gar noch anzufärben.

    Vielleicht hast du noch ein paar Tipps für mich.

    Ich habe über die Präparation leider auch nirgends was gelesen, sondern einfach auf Versuch und Irrtum ausprobiert. Glücklicherweise hatte ich von O. rustica große Mengen FK, sodass ich Verschiedenes testen konnte. Das lässt sich sicher noch optimieren. Ein Problem ist dass die Rhizoide viel Fremdmaterial enthalten (Algen, Flechten, Detritus, Sand). Gleichzeitig sind die Strukturen sehr fein, sodass man nicht einfach mit der Wurzelbürste (Achtung Wortwitz) rangehen kann. Als probat hat sich für mich folgendes Vorgehen erwiesen:


    1) Wässern eines FK mit ein wenig umgebendem Moospolster (vll 2mm rundherum oder bei größeren Moosen einige direkt anliegende/anheftende Gametophyten aka Moospflänzchen) in einem kleinen Schälchen/ Schnapsglas.

    2) zugeben von einem kleinen Tropfen Spüli (übertrage ich mit Nadel ins Wasser, sonst ist’s zu viel)

    3) vorsichtig schwenken, herausnehmen und je nach Verschmutzugsgrad noch mal mit sehr feiner Pipette abspülen. Ich habe dazu mit einer feinen Nadel in den Balg meiner Plastik (Einweg) Pipette gestochen. Wenn ich sie nun komplett mit Wasser fülle und die eigentliche Spitze zuhalte kann ich einen sehr feinen Wasserstrahl produzieren und damit das Rhizoid nochmal spülen. Das war natürlich improvisiert, professioneller gehts mit einer Spritze und feiner Kanüle zb 25 oder 27G (grau) aus der Apotheke.

    4) falls du sehr kleine FK hast kannst du nun versuchen den FK komplett mit anheftendem kleinem Moos (bzw. falls es ein größeres ist das Rhizoid abschneiden) zu mikroskopieren (siehe viertletztes Bild).

    Wenn es ein großer FK ist trenne ich das Rhizoid mit einem Kanülenschliff von der Rückseite des FK ab und scheide danach das Rhizoid vom Rest des Gametophyten ab.

    Falls sich die Verbindung zum FK während der Prozedur gelöst hat kann auch ein Abkratzen der Rückfläche des FK noch erfolgreich sein, falls dort noch kleine Rhizoidbestandteile anheften.

    Von den gewaschenen nicht anheftenden/abgelösten Gametophyten den Rhizoidanteil unten abtrennen.

    5) übertragen auf den OT, dann ein Tröpfchen Bwb. Deckglas drauf und Wasser durchziehen um bwb auszuspülen. Kein Erhitzen notwendig!

    Wichtig: nicht zu viel Material unter das selbe Deckglas sonst ist die Gefahr doch ein Körnchen dabei zu haben zu groß.

    6) vorsichtig quetschen und hoffen dass nichts knirscht

    7) Du solltest nun blaue Hypen an gelbbraunen Rhizoiden finden, die du nach auffälligen Strukturen absuchst.


    Bemerkung: falls du nicht in einer sandigen Gegend wohnst kannst du möglicherweise auch viel schonender vorgehen und dir das Waschen vielleicht sogar ganz sparen! bei der obigen Prozedur habe ich das Problem, dass die Hyphen sehr oft von den Rhizoiden abreissen und nur noch das Appressorium daran anheftet.


    Ich hoffe das hilft ein wenig, melde dich gerne wenn du konkrete Fragen hast.

    Ingo



    PS: als Spielerei habe ich mal versucht Gegenfärbungen herzustellen, also Rhizoid und Hyphen unterschiedlich zu färben (in diesem Fall natürlich total unnötig da das Rhizoid ja bereits schön kräftig sichtbar ist. Wie gesagt nur weil ich in Experimentierlaune war und weil ich in meinem früheren Leben mal in der Histopathologie gearbeitet habe wo sowas gerne gemacht wird)
    Das hat am Besten geklappt mit Malachitgrün>Spülung H2O>bwb>H20 dann bekommt man sowas:


  • Hallo Ingo,


    Super, danke für die umfassende Darstellung. Das werde ich mir in einer ruhigen Minute nochmals intensiv zu Gemüte führen und unbedingt ausprobieren. Mal sehen, ob dann von Erfolg gekrönt...


    Ich werde berichten.


    LG Sebastian