„Alle Cortinarien sind essbar“ not

Es gibt 16 Antworten in diesem Thema, welches 2.043 mal aufgerufen wurde. Der letzte Beitrag () ist von Wolfgang P..

  • Hallo Zusammen,


    man hört immer wieder, dass bis in die 50er Jahre alle Cortinarien als essbar galten.

    Hat jemand Screenshots von Textstellen, wo das so explizit steht und weiß jemand, wie man seinerzeit überhaupt auf diese kühne These kam? Denn selbst wenn alle bekannten C. Essbar wären, kann man sowas doch von einem mykologisch-wissenschaftlichen Standpunkt aus doch nicht auf alle Unbekannten Arten ausweiten?


    Viele Grüße

  • Hallo King Stropharia,


    ganz offensichtlich sind nicht alle Cortinarien eßbar. Die Cortinarien mit Orellanin sind definitiv tödlich giftig. Aber betrifft wohl nur C. orellanus und C. rubellus. Zu allen anderen Schleierlingen meinte B. Oertel letztens bei einem APN-Treffen, daß die wohl mutmaßlich tatsächlich alle eßbar sind - zumindest kennt man dort bisher keine enthaltenen Giftstoffe. Das heißt jetzt natürlich nicht, daß man munter Selbsttests mit Cortinarien durchführen sollte...


    Björn

  • Hallo,


    auch in der neuen Gattung Calonarius gibt es Giftpilze, wie den Dottergelben und den Schöngelben Klumpfuß;Schwere Nierenschäden nach häufigen Genuss mit langer Latenzzeit.


    Beste Grüße

    Stefan F.

  • Hallo Stefan,


    gibt es da in der Literatur dokumentierte Vergiftungsfälle mit den von dir genannten Arten? Bernds Aussage war, daß er keine derartigen Fälle kennt. Sollte es sie geben, ist er daran sehr interessiert.


    Björn

  • Hallo Björn,


    da sollte man bei Gelegenheit mal frisch recherchieren. Im Moment fehlt mir dazu die Zeit.


    Aus Wikipedia:


    B. Schliessbach, S. Hasler, H. P. Friedli, U. Müller: Acute kidney failure following Cortinarius splendens (Fries) or „yellow clubbed foot“ mushroom poisoning (so-called orellanus syndrome). In: Schweizerische medizinische Wochenschrift. Band 113, Nr. 4, Januar 1983, ISSN 0036-7672, S. 151–153


    und die widersprüchlichen Angaben bei Flammer


    Orellanus-Syndrom aus Flammer, Rene - Giftpilze, 2014.pdf


    Beste Grüße

    Stefan F.

  • Interessant ist sicher auch diese Arbeit hier:


    Danel VC et al. (2001) Main features of Cortinarius spp. poisoning. a literature review. Toxicon 39(7),1053-1060

  • Also bei den im Michael - Führer für Pilzfreunde (1998-1905) aufgeführten Cortinarien gibt es nur ungenießbar, wertlos und unbekannt.

  • Interessante Diskussion, die sich hier entspinnt.
    Weiß jemand, ob irgendwer/irgend eine Institution Pilze unbekannten Speisewertes in irgend einer Form auf Verführbarkeit "testet", z.B. durch Versuch des Nachweises bekannter giftiger Verbindungen? Gibt es da regelhafte Grundlagenforschung zu?

  • Hallo,


    lapidar geantwortet: "Ja die PSV mit ihren tollen Kenntnissen". Es gibt Einrichtungen, die sich intensiv mit Inhaltsstoffen der Pilze beschäftigen. Da geht es aber insbesondere um die ökonomische oder medizinische Verwertung der Ergebnisse. Diese Forschung ist aufwendig genug und sinnvoller als mit einem Negativnachweis bekannter Pilzgifte die Anzahl der Speisepilze zu erhöhen. Was machst Du mit den vielen Pilzgiften, die ihre Struktur und den Wirkmechanismus noch nicht verraten haben, wie es bei den Magen- und Darmwirkenden Giftpilzen häufig ist. Auf welcher ökonomischen Grundlage sollte so ein Institut arbeiten, nur um zu sagen, diese und jene Pilzgifte sind in Psathyrella xyz nicht vorhanden. Wie lange hat es gedauert um den Zusammenhang von Erkrankungen mit Pilzen zu erkennen, die eine sehr lange Latenzzeit haben (Paxillus-Syndrom, Equestre-Syndrom, Orellanus-Syndrom)? Wer erinnert sich bei einem akuten Nierenversagen daran, vor 14 Tagen Pilze gegessen zu haben?


    Beste Grüße

    Stefan F.

  • Wer erinnert sich bei einem akuten Nierenversagen daran, vor 14 Tagen Pilze gegessen zu haben?

    Natürlich niemand, Stefan,. Einzig vielleicht der Schwiegersohn ;). Das macht das Orellanin ja so besonders. Davon gibts bei den tausenden Arten sicher noch andere auf lange Zeiträume ausgerichtete Gifte. Die findet niemand so ohne weiteres heraus, weil ja niemand weiß, nach welchemStoff er suchen soll.

    Lieben Gruß


    Claudia


    ...leben und leben lassen... ;)


    Hier im Forum gibt es grundsätzlich keine Verzehrfreigaben.

    Pilzsachverständige findest du hier.

  • Hallo,


    Die Antwort verstehe ich leider nicht so ganz - irgendwie erscheint die mir auch widersprüchlich?

    Was meinst du mit "Ja die PSV mit ihren tollen Kenntnissen"?

    Die Frage war ja, ob sich irgendwer systematisch mit der Giftigkeit von Pilzen unbekannten Speisewertes beschäftigt.

    Deiner Antwort nach tun das dann PSV? Ich denke eigentlich nicht, jedenfalls nicht in der Regel? Du erklärst ja dann auch im Anschluss ganz gut, warum es nicht so einfach ist (vor allem ohne Labor), in dem Bereich "Forschungen" anzustellen.

    Was meinst du denn mit deinem ersten Satz? Was tun PSV mit ihren tollen Kenntnissen?


    VIele Grüße

    Michael

  • Hallo Michael,


    damit ist gemeint, dass die PSV immer noch die beste Ansprechstelle zu Fragen des Speisewertes von Pilzes sind. Sie kennen die meisten verzehrbaren und auch schmackhaften Speisepilze und viele der Giftpilze. Das ist bei Mykologen im Forschungsbereich eher die Ausnahme. Es gibt keine systematische Forschung zum Speisewert von Pilzen in dem von euch erwarteten Sinne einer Forschung danach. Wirkstoffe in Pilzen geraten in der Forschung meist dann in den Fokus, wenn die Myzelien in der Petrischale ein interessantes Verhalten aufweisen, besonders in Bezug auf andere Organismen. Untersucht wird natürlich dann auch, ob der Wirkstoff vielleicht gattungsspezifisch ist.


    Noch mühsamer ist wohl die Suche nach ökonomisch verwertbaren Zuchtpilzen. Da gab es ab ca.1965 viele interessante Experimente und Versuche.


    Beste Grüße

    Stefan F.

  • So absurd wie hier dargestellte finde ich es nicht, dass sich irgendjemand um die weitere Aufklärung von Speisewerten bemüht, wenn auch nur im kleineren Maßstab. Es gibt so viele Vereine, die ohne Erwerbszweck agieren und für irgendwelche nicht-monetären Zwecke eintreten und das auch im botanisch-mykologischen Bereich (Pilzvereine, botanische Vereine etc.), dann gibt es noch Universitäten (studentische Projekte), begeisterte Hobbymykologen mit den verrücktesten Ideen und Interessen usw. usw. und das nicht nur in Deutschland, sondern weltweit.

  • Jeder kann irgendwo auf der Welt solch ein mykologisches Institut errichten und dies gern im Ehrenamt betreiben. Im Ergebnis der Untersuchungen werden in der Regel wieder die schon bekannten und auch weit verbreitetsten Speisepilze stehen. Kommt dann bei Speisewert unbekannt der Praxistest? Bei der Untersuchung unbekannter, exotischer Pilzarten kommt dann allerdings noch die große Hürde der internationalen Abkommen und Vereinbarungen hinzu.


    Was ist eigentlich der Hintergrundgedanke die Menge der bedenkenlos verzehrbaren Pilze zu erweitern, Eiweißmangel, Eiweißersatz oder nur die Erweiterung der Angebotsvielfalt bei kostenlosen Nahrungsmitteln?


    Beste Grüße

    Stefan F.

  • Hallo Stefan,
    also der Hintergrundgedanke dieses Threads war eigentlich, dass ich wissen wollte, wie man einst darauf kam, alle Cortinarien als essbar zu deklarieren, ohne alle Cortinarien zu kennen. Hinzu kam ein Interesse an historische Quellen und Literaturstellen, vielleicht ja sogar aus der akademischen Mykologie, an denen sich diese Behauptung findet.

    Das mit der Erforschung neuer essbarer Arten hat sich jetzt so als Nebenthema im Thread ergeben, weil es an sich ja eine interessante Frage ist, wie ich finde. Einen Hintergrundgedanken habe ich nicht, halte es aber weiterhin für möglich, dass es dazu Forschung gibt. Die Menschheit versucht doch überall ihr Wissen zu erweitern und es gibt so viele begeisterte Pilzfans. Warum eigentlich nicht?

  • Hallo King Stropharia,


    um zum Ausgangspunkt zurückzukommen, fällt mir ein, einmal vernommen zu haben, das die Cortinarien mit weißem Fruchtfleisch alle essbar sein sollen.


    Beste Grüße

    Stefan F.

  • Einen Hintergrundgedanken habe ich nicht, halte es aber weiterhin für möglich, dass es dazu Forschung gibt. Die Menschheit versucht doch überall ihr Wissen zu erweitern und es gibt so viele begeisterte Pilzfans. Warum eigentlich nicht?

    Hi King Stropharia,

    für Forscher ist es leicht, die Anwesenheit von einem bekannten Giftstoff in irgendeiner Probe nachzuweisen.

    Die umgekehrte Sachlage, die Abwesenheit von unendlich vielen unbekannten Giftstoffen nachzuweisen, ist schon rein wissenschaftstheoretisch gar nicht möglich. Man kann also nur ausprobieren. Das wird man - aus wissenschaftsethischen Gründen - bestenfalls an Mäusen tun, und dann bräuchte man einen besseren Grund als nur die reine Neugier, ob Pilz xy vielleicht ungiftig ist (und selbst dabei bleibt die ethische Frage, wieviele Mäuse dafür sterben sollten). Und danach bleibt immer noch die Frage offen, ob Mäuse in diesem Fall vielleicht anders reagieren als Menschen.


    Die Erkenntnisse über die Essbarkeit kommen also z.B. über ethnologische Studien - z.B. in China kann man neue Pilzarten entdecken, indem man sie auf dem Wochenmarkt kauft und sequenziert (das Beispiel war glaube ich Russula). Dann sind sie schon mit der Neubeschreibung als essbar qualifiziert. Man kann aber auch mit Analogieschlüssen arbeiten - mir wurde erzählt, dass deutsche Mykologen in Mittelamerika noch unbeschriebene Cantharellus-Arten gebraten und gegessen haben, einfach weil in der Gattung noch keine Giftstoffe bekannt sind.


    So ein Analogieschluss kann aber mächtig in die Hose gehen (oder Schlimmeres). Bei Cortinarius ist vielleicht genau sowas passiert.


    Beim Erdritterling wurden chemische Substanzen isoliert, die über einen Analogieschluss als vermutlich giftig eingestuft wurden. Das hat sich eher nicht bestätigt, aber ohne weitere Studien.

    Bei Champignons wurde Agaritin nachgewiesen (für Chemiker: ein Phenyl-Hydrazin-Derivat), das über einen Analogieschluss als vermutlich krebserregend eingestuft wurde. Im Tier-Experiment wurde das auch eher nicht bestätigt. Bei den Champignons gab es aber ausreichend wirtschaftliche Relevanz, um umfangreiche Tier-Experimente zu rechtfertigen (zumindest finanziell - ob ethisch gerechtfertigt will ich offen lassen).


    Grüße,


    Wolfgang