Hallo Flechtenfreunde!
Beim Durcharbeiten meiner Proben aus dem Finistère, bin ich nun bei einigen Bartflechten-Exemplaren angekommen.
Die beiden Flechten wuchsen etwa 1 km von der Küste entfernt am Rand des Schlehengebüsch zwischen den Ortschaften Le Guilvinec und Penmarc'h.
Bei der einen Flechte handelt es sich um ein sehr sparriges, schwach verzeigtes, etwas hängendes Exemplar, das gerade so in den Handteller passt.
Die Bartflechte war mir durch ihrer ungewohnte Färbung der Hauptäste aufgefallen.
Sie war natürlich kein Einzelexemplar, der Baum war voll damit.
Bild A1 Bartflechte vor Ort zwischen vielen Parmotrema-Exemplaren, eher hängende Ausrichtung des Thallus
Bild A2 Größenvergleich. Die Flechte ist recht luftig, wenig verzweigt. Trotz des durch das Blätterdach grüngefilterten Lichtes erscheinen die Äste der Flechte orange (Vergößern!).
Auf weißem Papier im Sonnenlicht erkennt man die Färbung besser:
Bild A3 Usnea mit rötlich-orangenem Grundton
Bild A4 Anwachsstelle nicht schwärzend, sondern karottengleich gefärbt (auch Bild A5)
Will man Bartflechten / Usneen bestimmen, muss man sich mit ihrer Morphologie und der zugehörigen Terminologie auseinandersetzen.
Neben der Chemie spielt die Morphologie bei der Bestimmung die Hauptrolle.
Die Bezeichnungen der Morphologie der Useen (insbes. Fibrillen und Isidiomorphe) ist gewöhnungsbedürftig.
Ich hoffe das Folgende richtig verstanden zu haben:
Das Vorkommen des Zentralstrangs ist ein Hauptmerkmal der Usneen.
Zerreißt man einen Ast , so ragt meist auf einer Seite der Abrissstelle der Zentralstrang hervor.
Er ist zäh und reißt zuletzt. Bei Bartflechten stabilisiert er den Thallus gegen Bruch z.B. bei starken Wind.
Die Flechte sitzt mit einer kleinen Anwachsstelle auf dem Substrat auf.
Diese Anwachsstelle kann geschwärzt sein.
Von der Anwuchsstelle gehen ein kurzes Stielchen ab, das anschließen verzweigt oder mehrere Äste sitzen direkt auf dem Sustrat auf.
Von der Anwuschstelle, bzw. dem Stielchen gehen die Primäräste ab, von diesen zweigen Sekundäräste ab.
Primär- und Sekundäräste werden Hauptäste genannt.
An den Hauptästen zweigen Fibrillen senkrecht ab, die - wie die Hauptäste -- berindet sind und einen Zentralstrang besitzen.
Die Fibrillen lösen sich relativ leicht von den Ästen und entsprechen damit in ihrer Funktion in etwa Isidien, können aber zu Ästen auswachsen.
Die Basis der Äste und Fibrillen kann verjüngt sein.
Die Äste können ringförmige Risse (Annulationen) der Rinde aufweisen, die ev. dem Gasaustausch dienen (vgl. Pseudocyphellen).
Für die Bestimmung u.a. relevant ist der innere Aufbau der Äste: Dickenverhältnisse, Farbe und Dichte von Cortex, Medulla und Zentralstrang.
Manche Usea-Arten bildet Apothecien aus (eher selten), viele Arten bilden Sorale aus.
Eine weitere wichtige asexuelle Vermehrungsstrategie neben den Soredien sind Thallusbruchstücke (Fibrillen/Isidien).
In Soralen bilden sich bei manchen Arten längliche, stiftförmige Pseudoisidien, die mit den echten Isidien Isidiomorphe genannt werden.
Diese Pseudoisidien treten oft in kleinen Büscheln in den Soralen auf.
Wie die kugeligen Soredien sind auch die Pseudoisidien unberindet (häufig auch unpigmentiert), Isidien und Fibrillen hingegen berindent.
Beim Fundexemplar wirken die Hauptäste orange, die Fibrillen (Bild A3+A4) grünlich.
Die Hauptäste sind flächig orange bis an die Spitzen, oder zumindest stark orangestichig:
Bild A5 Anwachsstelle mit kurzem Stielchen ohne jegliche Schwärzung, dafür orange
Bild A6 Primärast (Hauptast) mit orange-grüner Färbung - die Fibrillen stehen dicht und sind grünlich
Bild A7 Auslaufendes, dünnes Ende eines deutlich orangen Primärastes mit vielen punktförmigen Soralen und farblosen Isidiomorphen an den Soralrändern.
Bild A8 Verzweigungsstelle eines Primärastes.
Die Hauptäste sind reich an hellen Soralen und Isidiomorphen.
Gelblich-orangene Papillen sind erkennbar.
Bild A9 Abgerissener Ast mit hervorstehendem, weißem Zentralstrang
Bild A10 Bei Zugabe von KOH reagiert die Flechte mit einer gelben Farbreaktion (Mark und ev. Zentralstrang)
Bild A11 Bei Zugabe von Paraphenylen-Diamin kommt es zu einer intensiveren, gelb-orangenen Reaktion
Bild A12 Auch feucht behält die Flechte einen rötliche Farbnote, wenngleich das Grün dominanter wird. Fibrillen (Isidien?) grünlich.
Bild A13 Längsschnitt durch Primärast mit dicker Rinde, kompaktem weißem Mark und dickem, weißlichem Zentralstrang.
Rotes Pigment ist im äußeren Teil der sehr dicken Rinde deutlich erkennbar (Probe durchfeuchtet)
Beim Schlüsseln lande ich bei der rötlichen Art Usnea rubicunda (flächig rötlich).
Die flächig rötliche Usnea rubicunda kommt an luftfeuchten, wintermilden und ozeanischen Standorten vor, die rotfleckige U. flavocardia in kühl bis kalten, nebelreichen Habitaten!
Entsprechend wird auf der bretonischen Flechtenseite U. rubicunda, nicht aber U. flavocardia als Teil der dortigen Flechtenfauna erwähnt.
Deshalb möchte ich davon ausgehen, dass in diesem Fall wahrscheinlich Usnea rubicunda (Rötliche Bartflechte) im Chemotyp 1 vorliegt.
Nicht nur die flächig rötliche Färbung der Rinde, insbesondere bei den Hauptästen, und die nicht schwärzende Basis, auch der Habitus der Flechte passt mit den Beschreibung und den Fotos auf der bretonischen Seite meines Erachten sehr gut zusammen und rundet das Ergebnis des Schlüsselns ab.
Rotfärbung ist nun kein Alleinstellungsmerkmal von U. rubicunda (oder U. flavocardia)!
Rote Farbtönung kann bei Bartflechten auch an alten, abgestorbenen (z.B. Fundstücke auf dem Boden nach Windbruch), ev. befallenen noder kranken Exemplaren vorkommen.
Das Problem zeigt ein weiterer Usnea-Fund, nur wenige Meter entfernt von U. rubicunda an der Astspitze eines Schwarzdorns:
Bild B1 Kleine, reich verweigte, buschig-aufrechte Bartflechte
Bild B2 Größenvergleich diseer sterilen Usnea
Bild B3 Einige Hauptäste wirken stellenweise rötlich
Auch hier ist die Anwachstelle nicht schwärzend:
Bild B4 Anwachstelle mit Stielchen, orange-braun - nicht schwärzend; rechts unten Rindenreste!
Bild B5 Rötliche Bereiche wechseln mit grünen Bereichen ab.
Die rote Färbung scheint also nicht Betandteil der gesunden Flechte zu sein, sondern ist eher auf Schädigung/Befall oder Alter zurückzuführen!
Bild B6 Die kleinen Zeige sind ohne jeglichen Rotton, reich an Soralen, die die kleinen Äste etwas umfassen.
Bild B7 Die Basis der Äste ist deutlich verjüngt!
Bild B8 Farbreaktion K+ gelb
Bild B9 Mark reagiert P+ orange
Bild B10 Längsschnitt durch Primärast: Mark weiß, spinnwebartig, Zentralstrang dünn und weißlich, Rinde ohne Rottöne!
Den Schlüssel für Flechten Deutschlands oder den Schlüssel von Randiane für die europäischen Usneen nutzend, gelange ich zu U. cornuta:
Sorale punktförmig(?), viele Sorale, Fibrillen zahlreich, wenig Isidiomorphe, Sorale nicht hervorragend, unberandet, Mark K+ gelb, P+ gelb bis orange (Chemotyp 2).
Thallus buschig. Rinde dünn, Medulla dick und locker.
Sie kommt auf saurer Rinde (und Silikat) an lichtreichen, luftfeuchten, wintermilden Standorten vor, was ganz gut passen könnte.
Was meint ihr denn zu alldem?
Kennt sich hier jemand mit der Gattung gut aus und könnte mich bitte korrigieren?
LG, Martin