Hallo!
Seit etwas mehr als zwei Jahren beschäftige ich mich jetzt mit Flechten und endlich (!) stoße ich eine der vermeintlich recht häufigen Flechten:
Die Vielköpfige Gelbflechte (Polycauliona polycarpon; Syn. Massjukiella polycarpa, Xanthoria polycarpa).
Sie ist in meinem ersten Flechtenbuch "Flechten einfach bestimmen" die dritte beschriebene Flechte überhaupt, gleich im ersten Kapitel "Flechten überall auf Laubbäumen".
Von wegen!
Wo habe ich nicht überal gesucht, sie vermeintlich entdeckt, um enttäuscht festzustellen, dass es sich bis dato immer um ihre Großcousine X. parietina, die Gelbe Wandflechte handelte.
Bisher hatte ich sie nirgends entdecken können.
Um sie zu finden, musste ich erst quer durch Deutschland bis nach Berlin reisen.
Und dort, mitten in Berlin, finde ich zahlreiche Exemplare an Ahornstämmen auf dem Unigelände.
Bild 1 Lindenbäumchen im Campus Adlershof / Berlin
Bild 2 Offenbar keine hohe Flechtendiversität am Baumstamm.
Trotzdem muss man genauer nachschauen, wenn man schon mal da ist!
Bild 3 Physcia tenella und Unmengen grünes Zeugs (unbestimmt; jedenfalls R-) - und, huch!, dazwischen ein kleines, oranges Apothecium!
Wenn man am Stamm weitersucht, finden sich viele dieser Apothecien in kleinen Gruppen!
Polycauliona polycarpon, die Vielköpfige Gelbflechte hatte sich lange erfolgreich vor mir verborgen.
Hier hat sie also gesteckt!
Bild 4 Die kleinen Thalli von Physcia tenella (Graue Blattflechte oben, rechts und unten am Bildrand, mit aufgebogenen Lippensoralen), wirken riesig gegenüber den winzigen, gelben Thalli von P. polycarpon.
In Schattenlage sind die Thalli der Flechte farbloser und gelblich grau.
Bild 5 Die Flechte reagiert K+ (purpur-rot), C-, KC-, P-.
Als Blattflechte besitzt sie eine weiße Unterseite mit kaum Rhizinien.
Bild 6 Sehr kleine (< 1 cm), meist etwas aufgewölbte Flechtenthalli
Bild 7 Die allseits vorkommende Xanthoria parietina, die Gelbe Wandflechte, hat vergleichsweise riesige und sterile Randlappen.
Die winzige Cousine P. polycarpon hingegen besteht oft fast nur aus Apothecien.
Wenn man ünerhaupt etwas von ihrem Thallus sieht, sind die Läppchen winzig!
Bild 8 Nochmals Xanthoria parietina und Polycauliona polycarpa im direkten Vergleich
Noch einige Eindrücke:
Bild 9 Ein größeres Exemplar
Bild 10 Schattenvariante mit grauem Thallus
Bild 11
Wo kommt die Flechte nun wirklich vor?
Die Literatur (u.a. Wirth et al.) sagt:
Auf nährstoffreicher Rinde an freistehenden, subneutralen, staubimprägnierten Laubbäumen und Holz (Weidezäune), in windoffener, feuchter und sonnenreicher Lage, oft in der Nähe von Landwirtschaftsbetrieben mit Tierhaltung (und Misthaufen, Stickstoffeintrag!).
Heutzutage kommt diese nitrophile Spezies wohl auch schwerpunktmäßig in Großstädten vor, oft gemeinsam mit X. parietina (vgl. Bilder 7f).
Sie soll schwerpunktmäßig an Ästchen, speziell in Astgabeln zu finden sein; aber wie hier, auch auf der Rinde am Stammbereich.
Sie gilt als nicht allzu konkurrenzstark (Flechten Baden-Württembergs).
Als Verbreitungsgebiet wird der Mittelmeerraum bis in die boreale Zone angegeben; im nördlichen Fennoskandien fehlt sie dann weiträumig.
Sie kommt bis in die (hoch)montane Stufe vor.
Auf der Verbreitungskarte von Baden-Württemberg, Stand 1987, besitzt P. polycarpa die höchste Nachweisdichte wohl auf der Schwäbischen Alb und im Hochschwarzwald.
In der Rheinebene und dem Einzugsgebiet des mittleren uind nördlichen Neckars ist sie deutlich seltener verzeichnet.
Da hatte ich in diesem Hinblick wohl Pech mit der Wahl meines Wohnortes, die Luft ist hier wohl einfach zu sauber!
Es würde mich mal interessieren, wer diese etwas unscheinbare Flechte schon beobachtet hat, und falls ja, wo?
Kommt sie tatsächlich vermehrt in den Großstädten vor?
Vielleicht möchtet ihr mir das mitteilen, es würde mich freuen.
LG, Martin