Hallo,
Ende Januar hatte ich diese hübsche, kleine Flechte entdeckt, deren Schönheit sich wie üblich erst unter der Lupe erschließt:
Placopyrenium fuscellum, die "Braune Zebraflechte" - Zebraflechte ist kein schlechte deutscher Name, wie ich finde.
Ich stelle den Fund vor:
Die gezeigte Flechte wächst auf einer sonnigen und staubgedüngten Kalksandsteinmauer im Weinberg gleich um die Ecke (Neckarbecken), zusammen mit Verrucarien und Lecanoren (Myriolecis cf. dipersa).
Bild 0 Die Weinbergsmauern sind immer wieder für Überraschungen gut!
Bild 1 Unspektakuläre grau-weiße Flechtenansammlung oder einfach nur Dreck?
Tritt man näher hinzu und verwendet die Lupe wird es interessant:
Eine dick wachsende Flechte, tief rissig gefledert mit fein zisselierten schwarzen Linien im Thallus.
Der Thallus ist bis zum Rand dick, seine Dicke fällt dort sehr schnell ab.
Ein Vorthallus ist nicht erkennbar.
Bild 2 Placopyrenium fuscellum: Die einzelne Areolen erreichen Millimetergröße.
Die Areolen zeigen hellgraue Felder, die von feinen, schwärzlichen Bändern getrennt sind:
Bild 3 P. fuscellum über dunkel brauner Verrucaria wachsend.
Ein Probe wandert in die Tasche und wird genauer untersucht.
Eine abgelöste Areole in Wasser schwimmend unter der Standlupe zeigt weitere Strukturen:
Dunkle Pünktchen im Zentrum der hellen Felder, die sich als die Öffnungen von Perithecien herausstellen.
Eine pyrenocarpe Flechte!
Bild 4 Eine einzelne Areole in Wasser: Die Areole ist durch dunkle Bänder in einzelne Felder getrennt. Es befinden sich mehrere dunkle Flecken (Perithecien-Ostiolen) pro Areolen-Untereinheit.
Ein Querschnitt durch die Areole zeigt den inneren Aufbau des etwa 0,3mm dicken Flechtenthallus.
Die Areole besteht aus kleineren senkrechten Thalluseinheiten, die durch schwärzlichen Vorthallus am Rand voneinander und nach unten (Basalschicht) abgetrennt sind.
Betrachtet man die Areole seitlich oder von unten, so ist die sichtbare Oberfläche schwarz.
Die Algen färben den Thallus im Schnittbild zur Oberfläche hin leuchtend grün, weiter unten ist der Thallus gelblich gefärbt.
Im Zentrum der grünen Thallusfächer sind weißliche, kugelige Strukturen erkennbar, die angeschnittenen Perithecien:
Bild 5 Thallusquerschnitt in Wasser. Die quergescnittene Areole hat eine Breite von etwa 2mm
Die Perithecien sind vollständig und sehr tief eingesenkt.
Beim Schnitt wurde die Areolen-Untereinheit ganz links wurde durch die Perithecienöffnung geschnitten.
Hierdurch wird die flaschenförmige Form der Perithecie und ihre Lage in der Tiefe des Thallus gut erkennbar.
Auf der Oberfläche ist eine pulvrig-weiße Schicht abgestorbener Zellen, die Epinekralschicht, zu erkennen.
Bild 6 Querschnitt durch Perithecien. Gut erkennbar die durch schwarze Linein getrennten Untereinheiten, die mittig sitzenden Perithecien, sowie die schwarze Basalschicht.
Unter dem Mikroskop ist die unberindete Thallusoberfläche mit aufliegender Epinekralschicht viel besser erkennbar. Darunter dichtgepackt Grünalgenzellen.
Bild 6 Epinekralschicht, darunter die Algenschicht
Die Sporen sind breitelliptisch, farblos, einzellig, die Größe von 12-19 x 5,5-7,5 µm, was gut zu Placopyrenium fuscellum passt.
Bild 7 Acus mit Sporenoktett
Bild 9 Ausgepresste, freie Sporen - mit oder ohne Perispor?
Hat man erst über das Substrat und die Sporen den passenden Schlüssel gefunden (=> Verrucaria => Unterschlüssel für parasitische Flechten), geht es in nur vier Schritten bis zur gesuchten Art.
Kurze Zweifel bei Schritt 2: haben die Sporen einen Perispor oder nicht (vgl. Bild 9)?
Die einzige Art mit Perispor (P. canellum) kommt auf Circinaria vor, hat im Normalfall größere Sporen und läuft am Thallusrend dünn und rissig aus.
Das passt hier nicht, insbesondere der Thallusrand ist beim Fund abrupt.
Circinaria ist nicht in der Nähe, sondern Verrucaria!
Da die Perithecien zu mehreren in der Fläche der Areolenuntereiheiten sitzen und nicht an deren Rändern, steht damit Placopyrenium fuscellum fest.
P. fuscellum kommt lt. Flechten Deutschlands auf Kalkstein oder kalkhaltigem Gestein vor, oft an Vertikalflächen von Felsen und Natursteinmauern, hier besonders in Weinbergen!
Die Flechte bevorzugt - so wie der Wein - lichtreiche Standorte.
Der Weinberg sorgt für die nötige (Staub-)Düngung, was die Flechte ebenfalls mag.
Jung wächst die Flechte parasitisch auf anderen Flechten, insbesondere auf Verrucaria nigrescens, wo sie sich u.a. mit den benötigten Algen versorgt.
Es lohnt sich halt genauer hinzusehen - dann kann sich vermeintlich grauer Dreck als etwas wunderschönes entpuppen.
LG, Martin