Placopyrenium fuscellum, die "Braune Zebraflechte"

Es gibt 9 Antworten in diesem Thema, welches 623 mal aufgerufen wurde. Der letzte Beitrag () ist von Christian J..

  • Hallo,


    Ende Januar hatte ich diese hübsche, kleine Flechte entdeckt, deren Schönheit sich wie üblich erst unter der Lupe erschließt:

    Placopyrenium fuscellum, die "Braune Zebraflechte" - Zebraflechte ist kein schlechte deutscher Name, wie ich finde.

    Ich stelle den Fund vor:


    Die gezeigte Flechte wächst auf einer sonnigen und staubgedüngten Kalksandsteinmauer im Weinberg gleich um die Ecke (Neckarbecken), zusammen mit Verrucarien und Lecanoren (Myriolecis cf. dipersa).

    Bild 0 Die Weinbergsmauern sind immer wieder für Überraschungen gut!


    Bild 1 Unspektakuläre grau-weiße Flechtenansammlung oder einfach nur Dreck?


    Tritt man näher hinzu und verwendet die Lupe wird es interessant:

    Eine dick wachsende Flechte, tief rissig gefledert mit fein zisselierten schwarzen Linien im Thallus.

    Der Thallus ist bis zum Rand dick, seine Dicke fällt dort sehr schnell ab.

    Ein Vorthallus ist nicht erkennbar.

    Bild 2 Placopyrenium fuscellum: Die einzelne Areolen erreichen Millimetergröße.


    Die Areolen zeigen hellgraue Felder, die von feinen, schwärzlichen Bändern getrennt sind:

    Bild 3 P. fuscellum über dunkel brauner Verrucaria wachsend.


    Ein Probe wandert in die Tasche und wird genauer untersucht.


    Eine abgelöste Areole in Wasser schwimmend unter der Standlupe zeigt weitere Strukturen:

    Dunkle Pünktchen im Zentrum der hellen Felder, die sich als die Öffnungen von Perithecien herausstellen.

    Eine pyrenocarpe Flechte!

    Bild 4 Eine einzelne Areole in Wasser: Die Areole ist durch dunkle Bänder in einzelne Felder getrennt. Es befinden sich mehrere dunkle Flecken (Perithecien-Ostiolen) pro Areolen-Untereinheit.


    Ein Querschnitt durch die Areole zeigt den inneren Aufbau des etwa 0,3mm dicken Flechtenthallus.

    Die Areole besteht aus kleineren senkrechten Thalluseinheiten, die durch schwärzlichen Vorthallus am Rand voneinander und nach unten (Basalschicht) abgetrennt sind.

    Betrachtet man die Areole seitlich oder von unten, so ist die sichtbare Oberfläche schwarz.

    Die Algen färben den Thallus im Schnittbild zur Oberfläche hin leuchtend grün, weiter unten ist der Thallus gelblich gefärbt.

    Im Zentrum der grünen Thallusfächer sind weißliche, kugelige Strukturen erkennbar, die angeschnittenen Perithecien:

    Bild 5 Thallusquerschnitt in Wasser. Die quergescnittene Areole hat eine Breite von etwa 2mm


    Die Perithecien sind vollständig und sehr tief eingesenkt.

    Beim Schnitt wurde die Areolen-Untereinheit ganz links wurde durch die Perithecienöffnung geschnitten.

    Hierdurch wird die flaschenförmige Form der Perithecie und ihre Lage in der Tiefe des Thallus gut erkennbar.

    Auf der Oberfläche ist eine pulvrig-weiße Schicht abgestorbener Zellen, die Epinekralschicht, zu erkennen.

    Bild 6 Querschnitt durch Perithecien. Gut erkennbar die durch schwarze Linein getrennten Untereinheiten, die mittig sitzenden Perithecien, sowie die schwarze Basalschicht.


    Unter dem Mikroskop ist die unberindete Thallusoberfläche mit aufliegender Epinekralschicht viel besser erkennbar. Darunter dichtgepackt Grünalgenzellen.

    Bild 6 Epinekralschicht, darunter die Algenschicht


    Die Sporen sind breitelliptisch, farblos, einzellig, die Größe von 12-19 x 5,5-7,5 µm, was gut zu Placopyrenium fuscellum passt.

    Bild 7 Acus mit Sporenoktett


    Bild 9 Ausgepresste, freie Sporen - mit oder ohne Perispor?


    Hat man erst über das Substrat und die Sporen den passenden Schlüssel gefunden (=> Verrucaria => Unterschlüssel für parasitische Flechten), geht es in nur vier Schritten bis zur gesuchten Art.

    Kurze Zweifel bei Schritt 2: haben die Sporen einen Perispor oder nicht (vgl. Bild 9)?

    Die einzige Art mit Perispor (P. canellum) kommt auf Circinaria vor, hat im Normalfall größere Sporen und läuft am Thallusrend dünn und rissig aus.

    Das passt hier nicht, insbesondere der Thallusrand ist beim Fund abrupt.

    Circinaria ist nicht in der Nähe, sondern Verrucaria!

    Da die Perithecien zu mehreren in der Fläche der Areolenuntereiheiten sitzen und nicht an deren Rändern, steht damit Placopyrenium fuscellum fest.


    P. fuscellum kommt lt. Flechten Deutschlands auf Kalkstein oder kalkhaltigem Gestein vor, oft an Vertikalflächen von Felsen und Natursteinmauern, hier besonders in Weinbergen!

    Die Flechte bevorzugt - so wie der Wein - lichtreiche Standorte.

    Der Weinberg sorgt für die nötige (Staub-)Düngung, was die Flechte ebenfalls mag.

    Jung wächst die Flechte parasitisch auf anderen Flechten, insbesondere auf Verrucaria nigrescens, wo sie sich u.a. mit den benötigten Algen versorgt.


    Es lohnt sich halt genauer hinzusehen - dann kann sich vermeintlich grauer Dreck als etwas wunderschönes entpuppen. :gnicken:


    LG, Martin

  • Hallo Martin,

    eine super Dokumentation hast du uns da präsentiert mit der schwierigen Sammelgattung Verrucaria .

    Ich habe mich da nie richtig rangetraut.


    Ich habe im Netz mal nach Sporen mit Perispor (zusätzliche Wandschicht) geschaut um den Unterschied zu sehen und leider nix gefunden. Die P.canellum-Sporen sollen ja ein Perispor haben. Wie stelle ich mir das vor?


    Nochmals vielen Dank für deine Mühen hier im Forum 👍🏻.


    Bis dann,

    Christian

  • Hallo Christian,


    ich schildere das mal, so wie ich es verstanden habe, bzw. was ich bislang dazu aufgeschnappt habe. Vielleicht meldet sich ja noch ein mykologisch versierter Forent zu Wort, dem gerade langweil ist, und hilft uns beiden zum Thema weiter? :gzwinkern:


    Ein Perispor meint eine zusätzliche, gallertige Außenhülle um die Spore.

    Sie ist bei den Sporen als schwache, zusätzliche, ggf. auch strukturierte Umrandung um die Sporenwand erkennbar.

    Ein Perispor ist wohl bei machen Ascosporen gerade bei jungen oder sogar unreifen Sporen beobachtbar. Es wird bei manchen Sporen im Laufe der Entwicklung offenbar wieder verloren, bzw. ist mit lichtmikroskopischen Mitteln nicht mehr erkennbar. Es kann sich z.B. in KOH auflösen, mit ein Grund, weshalb die erste Kontrolle immer in Wasser geschehen sollte.

    Ferner ist meines Wissens nach das Perispor in BWB anfärbbar, bzw.durch Zugabe von Tinte als heller Hof erkennbar. Die Anfärbbarkeit in BWB gemeinsam hat es mit div. Sporenornamenten, was wohl irgendwie zusammenhängen könnte / sollte... :gkopfkratz:


    Den Unterschied zwischen den Sporen beider Placopyrenium-Arten im direkten Vergleich kann ich leider nicht bieten.


    Von Verrucaria lasse ich normalerweise auch die Finger, das ist mir noch zu kniffelig und meist komme ich zu keinem Ergebnis, wenn ich es versuche.

    Beim P. fuscellum-Fund erschien mir die Flechte so eigentümlich, dass ich guter Hoffnung war, sie bestimmt zu bekommen. Außerdem ist es ja gar keine Verrucarie! g:D


    Die beiden gezeigten Sporenbilder sind nicht optimal und etwas unscharf, geben aber einen halbwegs guten Eindruck. Nach einem Perispor hatte ich ursprünglich nicht gesucht und wollte nicht nochmal eine weitere Probe herstellen, um das besser zu dokumentieren. Das ist bei den Pyrenos oft ein ziemliches Gefummel. Die Flechte ist sehr hart und man kann nur mit einer Nadel das Hymenium aus einem Perithecium herauspolken, wobei keine Thallusanteile mit unter das Deckglas gelangen sollten, sonst hat man Probleme beim Quetschen und bekommt die Strukturen nicht scharf hin. Optimal wäre ein sauberer Dünnschnitt, den ich bei diesem dicken Thallus nicht dünn genug hinbekommen habe, da ich immer Freihand arbeite.


    Das (vergängliche?) Perispor ist in diesem Fall neben dem Thallusrand, der Sporegröße und dem Wirt nur ein weiterer Hinweis bei der Bestimmung.


    LG, Martin

  • Hey Martin,

    danke dir sehr für deine Erklärung.

    Gestern Nacht um 23 Uhr habe ich deinen Beitrag im Bett gelesen und bin parallel dazu (zur großen Freude meiner Frau, wegen des Flutlichts😆) im WHS Flechten Deutschlands den Verrucariaschlüssel durchgegangen. Soweit passt doch alles ganz gut. Dafür, daß die Perithecienschnitte Freihandschnitte sind, sieht man ne ganze Menge und macht Lust sich mehr mit den Pyros zu beschäftigen.


    Selbst fertige ich auch nur einfache Freihandschnitte an. Ich breche eine Rasierklinge entzwei, lege die scharfen Seiten nebeneinander und ziehe dann durch die vorher mit Wasser angefeuchtete Apothecie. Komme damit prima klar.

    So ein Mikrotom finde ich aber auch nicht schlecht. Wenn dann mal ein günstiges über den Weg läuft.....


    Bis dann,

    Christian

  • Hallo Christian,


    oh je, deine Frau macht auch was mit! ==Gnolm6


    Die Technik der zwei Klingen wende ich häufig an. Das klappt mal besser, mal schlechter, ja nach Härte der Probe.

    Bläderweise hat man dann maist nur einen Schnittkörper zu Verfügung.


    Am besten funktioniert das Freihandschneiden, wie ich finde, wenn der FK noch auf dem Substrat (Ästchen, Borke oder kleiner flacher Stein) sitzt und dadurch gehalten wird.

    Dann kann man unter der Standlupe seitlich mit einer Fingerkuppe der einen Hand führen, und mit der anderen Hand die Klinge halten.

    So sind etliche Schnitte parallel durch den gleichen, angefeuchteten FK möglich.

    Der kleine Winkelfehler (Keil) fällt nicht weiter auf.

    Mit der Nadel kann man anschließend die Scheiben durch leichten seitlichen Druck herausheben.

    Das wird zwar nie superdünn, aber für meine Zwecke reicht es meistens.

    Das große Apothecium war in Schnittrichtung etwa 400µm breit, damit ist der Schnittabstand unter 100µm ,und dünner als ein Ascus (um 10-20µm) braucht es nicht werden.

    Das Passt schon, besonders, wenn man sich auf die dünnsten Schnitte konzentriert.


    Blöd sind halt alle FK mit hartem Gehäuse.

    Diese brechen gerne statt sich ordentlich schneiden zu lassen...

    Da müsste man besser einbetten und ein Mikrotom verwenden, aber der Aufwand soll ja auch nicht zu groß werden.


    LG, Martin

  • Hallo ihr Zwei,


    super spannend, eure Erklärungen!

    Das macht mir enorme Lust auch endlich tiefer in das Thema einzutauchen.

    im Bett gelesen und bin parallel dazu (zur großen Freude meiner Frau, wegen des Flutlichts😆) im WHS Flechten Deutschlands

    Was? DEN Wälzer, klar, dass Deine Frau genervt ist, sie musste bestimmt das Buch mit halten ;)


    Ich habe einige Flechtenbücher, traue mich aber gar nicht so recht ran...


    Danke für Eure tollen Beiträge.

    Es grüßt

    Hilmi

    Liebe Grüße aus dem Vogtland

    die Schwarzhex

    :gwinken: Sandra

    (PC 100 - 10 (fürs APR 2020) = 90 - 15 (APR 21) = 75-10 (APR22) = 65 + 7 (APR 22 Auflösung) - 5 (Rätsel-Gedicht)= 67 - 10 (APR 23) = 57 + 5 Gnanzierung = 62 - 10 (Ast-Wette gegen Björn) = 52 - 10 (APR 24)- 1 (legaler Bestechungsversuch im Vorfeld des APR zugunsten GI)= 41 + 21 (Thorwulf Spende)= 62 + 38 (Hannes2 Spende) = 100 PC :gbravo:

  • Hallo Hilmi,


    Ach, was! Einfach loslegen! Man hilft sich ja und tauscht sich hier aus, oder?

    An besten mit großen Blattflechten anfangen, das ist einfacher.


    LG, Martin

  • Hey Hilmi,

    wie Martin schon sagte: Einfach loslegen!


    Zur Literatur: Aktuell habe ich ein neues Exemplar von "Die Flechten Mitteleuropas" bei eBay- Kleinanzeigen für 28€ ergattern können.


    Dort trage ich meine eigenen Ergänzungen und Exkursionserfahrungen aus der 1. Auflage von 2013 in die neueste Ausgabe um.





    Das ist wie ein Auffrischungskurs für meine grauen Zellen und hilft mir sehr als kleines Nachschlagewerk für unterwegs.


    Der Vorteil von Flechten:

    Saison ist vom 1.Januar bis 31.Dezember


    Bis dann,

    Christian

  • Hallo Christian, Hallo Martin,


    das ist ja eine gute Idee !

    Dieses Buch besitze ich.

    Nun, morgen habe ich frei, dann schauen wir mal, was hier so wächst.

    Saison ist vom 1.Januar bis 31.Dezember

    Zum Glück, bei aktuell 0 Grad.


    Man hilft sich ja und tauscht sich hier aus, oder?

    Na dann stellt euch schon mal auf viele Fragen meinerseits ein :)


    Grüßle Hilmi

    Liebe Grüße aus dem Vogtland

    die Schwarzhex

    :gwinken: Sandra

    (PC 100 - 10 (fürs APR 2020) = 90 - 15 (APR 21) = 75-10 (APR22) = 65 + 7 (APR 22 Auflösung) - 5 (Rätsel-Gedicht)= 67 - 10 (APR 23) = 57 + 5 Gnanzierung = 62 - 10 (Ast-Wette gegen Björn) = 52 - 10 (APR 24)- 1 (legaler Bestechungsversuch im Vorfeld des APR zugunsten GI)= 41 + 21 (Thorwulf Spende)= 62 + 38 (Hannes2 Spende) = 100 PC :gbravo:

  • Hey Martin, liebe Flechtenfreunde,

    ich möchte gerne als Zusatz zu deiner Perispor- Information ein Bild zum besseren Verständnis nachliefern.

    Das Bild stammt aus dem Buch "British and other pyrenocarpous Lichens" vom britischen Lichonologen Alan Orange.


    Ich hoffe ihr könnt was damit anfangen.


    Bis dann,

    Christian