Im Felsenmeer Wental

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  • Hallo zusammen!


    Letztes Wochenende ging's auf die Ostalb in die Nähe des Steinheimer Beckens.

    Am Rande des Wentals stehen alte Schwammriffe aus Dolomit, was ein idealer Untergrund für diverse Flechtenarten darstellt.

    Alleine landschaftlich ist der Ort einen Besuch wert.

    Bild 1 Schwammriffe am Wental - Das "Felsenmeer"


    Bild 2 Die Felsengruppen sind stark zerklüftet und zerfallen zu Dolomitsand


    Bild 3a Kleinflächige Flechtenmosaike


    Bild 3b Kleine Farne in Felsspalten


    In den regengeschützeten Nischen und Höhlungen im Dolomitgestein leuchtet eine sterile gelbe Flechte.

    Bild 4 Eventuell Psilolechia lucida (ungeprüft), da auf Dolomit und etwas grünstichig (?)


    Zwischen den Moosen wächst Caldonia pyxidata pocillum mit den dichtschließenden Grundschuppenrosetten und den kleinen, körnigen Bechern

    Bild 5 Cladonia pyxidata subsp. pocillum


    Die Felsen sind meist mit schwärzlichen Krusten überzogen.

    Aber hie und da sind leuchtende Schönflecke (Caloplaca s.lat.) eingestreut:

    Bild 6 Leproplaca cirrochroa - Zweifarbiger Schönfleck mit typisch absterbenden Zentrum, sich ringförmig ausbreitend


    Bild 7 Felsformation


    Besonders gefreut hat es mich, erstmals die "Sackflechte" zu finden und das gleich in üppigem Vorkommen.

    Bild 8 Solorina saccata mit Moosen vergesellschaftet an schattig-feuchten Stellen, oft auf Dolomit zu finden


    Aus der Ferne nur ein dunkler Fleck, aber genaueres Hinsehen wird belohnt

    Bild 9a Collema/Lathagrium auriforme kommt über basischem Gesteinen auf Moos vor.

    Auffallend sind die unzähligen kugelförmigen Isidien auf der Oberfläche.


    Bild 9b


    Auch Grubenflechten der Gattung Gyalecta lassen sich hier in größerer Zahl finden.

    Bild 10a Auf die Jenaer Grubenflechte (Gyalecta jenensis) mit den orangen Apothecien und dem weißlich gerieften Rand und mauerförmigen Sporen trifft man hier überall.

    Das Lager ist unauffällig, da von schwärzlichen Cyanobakterien überzogen.


    Bild 10b Diese Gyalecta jenensis ist mit orangen Trentepohlia-Algen bewachsen (wohl ausgebüxt?)

    Eine Trentepohlia-Art ist auch der Algenpartner dieser Flechte. Ob es die gleiche Art wie die hier frei wachsende ist, weiß ich allerdings nicht.


    Auch hellere rosa Flecken an den Wänden erweisen sich als Grubenflechten!

    Die langen, querseptieren Sporen dieser Flechte weisen auf Gyalecta hypoleuca hin.

    Die Apothecien dieser Art sind jung ins Lager eingesenkt und wachsen zu halbkugeligen Warzen heran, zeigen später eine orange Scheibe.

    Bild 11 Auch Gyalecta hypoleuca bevorzugt laut Literatur Dolomit als Substrat


    Zwischen dem Moos lässt sich allerhand finden, wie ein verstecktes Wespennest.

    Bild 12 Wespennest


    Immer wieder raschelt es leise in der Nähe...

    Bild 13 Da muss doch etwas sein?!


    Umringt von bizarren Formationen...

    Bild 14


    Bild 15 In mondlosen Nächten ist es hier bestimmt etwas unheimlich


    Häufig zu finden: Leprarien.

    Bild 16a Häutige Lepraria mit löchriger, sich vom Substrat lösender Thallusmitte.


    Bild 16b Ich würde die Art als L. nivalis ansprechen.


    Bild 17 Ein abwechsungsreicher Lebensraum


    Bild 18


    Bild 18 Verrucaria cf. hochstetteri, sie ist ebenfalls eine Flechte, die bevorzugt auf Dolomit zu finden ist


    Bild 20 Rostrote Algen (Trentepohlia)


    Bild 21 Ein weiteres Mosaik zwischen Kräutern und Gräsern


    Interessiert hätte mich die folgende Flechte mit den lirellenförmigen, schwarzen Apothecien.

    Leider erst zuhause zwischen den orangen Trentepohlia-Wuscheln entdeckt - schade!

    Bild 22 Unbekannte lirelloide Flechte auf Dolomit


    Ich hoffe, euch hat der Ausflug ein wenig Spaß gemacht oder ein wenig Interesse an Flechten geweckt.


    LG, Martin

  • Wow Martin,

    bei dir ist ja echt was los. So viel schönes Zeuch. Vielen Dank für's zeigen 😊


    Am Ende des Monats geht's für mich auch mal wieder in ein Flechten-el Dorado. Ein großer Familienbesuch über den großen Teich steht an.


    Ist die "lirellenförmige" eine Arthonia calcarea?


    Bis dann,

    Christian

  • Hallo Christian,


    na hoffentlich bekommst du in der neuen Welt auch etwas Zeit, um dich mit den kleinen Schätzchen zu beschäftigen.

    Ich frage mich, ob man überhaupt aus den USA Proben mitnehmen darf. Beim

    Einführen von Pflanzenmaterial sind sie in Kalifornien zumindest sehr streng und erlauben nichts. Ob das in allen Staaten so ist und ob es nur die Einfuhr betrifft, keine Ahnung...

    Ich hoffe, du wirst berichten.


    Ich kenne bisher leider keine steinbewohnende Arthonien aus eigener Anschauung. Da müsste man mal mit dem Mikroskop reinlinsen. Die Gattung Arthonia ist bekanntlich recht groß, und außerdem gibt es noch andere ähnlich aussehende Gattungen.

    Aber als Arbeitsname ist das vielleicht erstmal gat nicht schlecht.


    LG, Martin

  • Hey Martin,

    es geht nach Vancouver Island. Leider ohne Mikroskop und Chemie 😖


    Ich denke auch, dass es nur Foto- "Mitbringsel" geben wird und keine Flechten in Natura.

    Die Kanadier sind bei der Ausfuhr von "selbst gesammeltem Pflanzen/Tier-Zeug" wohl genauso streng wie die Amis. Bei ausgestopften Tieren soll es anscheinend keine Probleme geben 😜 (es gibt eine TV Serie "Border Patrol Canada", wo sie so einen Fall mal gezeigt haben).


    Würde mich aber trotzdem interessieren, auf welchem legalen Wege man Flechten für das eigene Herbar nach D einführen kann? Vielleicht könnte ich sie ja offiziell an boccaccio an die Uni schicken, oder so ähnlich?!


    Ich belasse die Flechten am besten an dem Ort, wo sie von Natur aus wachsen. Dort sehen sie allemal besser aus als Tod in meinem Herbar 👍🏻

    Eine 3m lange Dolichousnea (Usnea) longissima abzupflücken , die nur einen Zentimeter pro Jahr wächst könnte ich nicht übers Herz bringen 🥺


    Bestimmungsliteratur von der Insel gibt es sogar kostenlos im Netz unter:

    Lichens of BC/Goward


    Habe ja noch ca. 3½ Wochen Zeit um mich einzulesen...

    Bis dann,

    Christian

  • Hallo Christian


    Toll, Vancouver Island Island, das klingt ja wirklich großartig!

    Ich wünsche dir schon jetzt viel Freude beim Stöbern auf der Insel, aber die wirst du sicher auch so haben.


    Da du hier aber sowieso nur Fotos einstellen kannst, macht das für uns "Zurückgebliebene" keinen großen Unterschied. Ich freue mich jedenfalls schon sehr auf einen Fotobericht über V.I.


    LG, Martin


    Nimm die große Speicherkarte mit!

    Und Ersatz!

  • Hallo zusammen,


    da ich ja von Haus aus Physiker bin und kein Biologe, weiß ich leider auch nicht, wie das mit dem Verschicken von Material nach Deutschland grundsätzlich funktioniert. Ich weiß allerdings, daß ich Teloschistes chrysophthalmus in Santa Barbara einfach in den Tiefen meines Rucksacks versenkt habe und dann in Duisburg wieder aus eben jeden Tiefen zu Tage gefördert habe. Ob das jetzt Glück war oder ob bei Ausfuhr in den USA und Einfuhr in D niemand so genau hinschaut, weiß ich aber nicht.


    Björn

  • Hallo Christian J. ,


    wegen deines Vorschlags mit Arthonia calarea zur Flechte in Bild 22 habe ich weiter recherchiert.

    Dazu habe ich ein wenig im Arthoniaschlüssel im Wirth-Hauck-Schulz gespitzt, was vorliegen könnte und die Beschreibungen verglichen.

    A. calcarea passt meiner Meinung nicht, denn die Apothecien werden anders beschrieben nämlich als "langgestreckt, ..., einfach bis kurz verzweigt oder sternförmig."

    Vergleiche z.B. hier bei fungi.myspecies.info.


    Deshalb nochmals ein Fotodetail mit den Apothecien und dem Thallus - soweit erkennbar - der besagten Flechte:

    Bild 22B: Krustenflechte mit kurzen, schwarzen, knotigen Apothecien, selten verzeigt, nie sternförmig. Thallus etwas (braun)orange.


    Die Apothecien der fotografierten Flechte passen nicht gut zu der Beschreibung bei A. calcarea.

    Ferner liegt hier Dolomit als Substrat vor.

    Etwas weiter oben im Schlüssel stößt man auf eine Opegrapha dolomiticola, deren makroskopische Eigenschaften wie folgt beschrieben werden:

    "Apothecien rundlich bis gestreckt oder eckig, auch unregelmäßig knotig-faltig, selten angedeutet verzweigt, mit enger Scheibe. ... oft mit 2 Hym." (das muss ich mal sehen!)

    und: "...Thallus frisch +/- orange, rosa oder undeutlich."

    Ferner im Abschnitt Ökologie: "V.a. auf sandig-rauem, etwas bergfeuchtem Dolomitfels, ... , an regengeschützten Vertikal- und Überhangflächen, ökologisch ähnlich Gyalecta hypoleuca."


    Die Beschreibungen zu O. dolomiticola passen gut und auch die Fotos, dia man zur Art finden kann stimmen überein, wie z.B. hier auf der zugehörigen Seite auf www.flechten-deutschland.de.

    Das Vorkommen ist dort besonders in der Frankischen Alb in den dortigen Dolomitregionen kartiert.

    Insbesondere auch die Beschreibung als "ökologisch ähnlich wie G. hypoleuca" lässt mich aufhorchen. Ein oranger Thallus könnte auch vorliegen.


    Es würde mich also nicht wundern, wenn das die vierte dolomit-bewohnende Flechtenart wäre, mit der ich bei meinem Ausflug konfrontiert wurde.


    Sollte ich wieder einmal in eine Dolomitgegend kommen ( ogni volta ), werde ich versuchen, nach dieser Art die Augen offen zu halten.


    LG, Martin

  • Hey Martin,

    auf den zweiten Blick und nach deiner Recherche sieht es wohl doch eher nach Opegrapha spec. als nach Arthonia spec. aus.

    Ab in den Ordner:" Noch unbekannte lirelloide Flechten" damit.😉


    Bis dann,

    Christian

  • Hallo Martin,


    danke für Deinen tollen Bericht. Ich schaue auf Deinen Bildern die ganze Zeit neben die Flechten. Trentepohlia sehen ja sehr flauschig aus T. aurea? - Die will ich schon die ganze Zeit mal finden, aber hier in Hannover und in den anderen Lokalisationen in denen ich war ist es doch nur die körnige T. umbrina. Hast Du sie mal unters Mikroskop gelegt?


    Peter

  • Hallo Peter PBR ,


    tja - Algenbestimmung...

    Das ist schon was eigenes. Von den oben zu sehenden Algen habe ich keine Proben mitgenommen, mit den Flechten hatte ich genug zu tun.


    Ich habe mich aber tatsächlich vor einiger Zeit mit einer sehr ähnlich wirkenden Algenprobe mikroskopisch auseinandergesetzt, kam aber zu keinem endgültigem Ergebnis.

    Mir fehlt der Background, denn wenn man von so einem Wuschelchen etwas unter das Mikroskop legt ...


    Bild T1 Trentepohlia-Probe


    ... findet man zwar schöne orange Zellstränge. Hier mit einem Durchmesser von etwa 13 µm, also > 10 µm.

    Bild T2 Dickwandige Algenfäden mit zylindrischen Zellen


    Im Schlüssel (Wieder einmal Dank an Björn!) hüpfe ich also hopphopp über 1b-2b-4b-7b nach 8.

    Bild T3 Trentepohlia-Schlüsselchen


    Jetzt wird es kniffelig, und bei 8 setzte es bei mir aus. Ich finde zwar kugelige Zellen, die seitlich aus den Zellfäden wachsen; aber ob das die Zoosporangien sind - keine Ahnung. Sie kugeligen Zellen sitzen nämlich scheinbar direkt, also ohne wie auch immer geformter Hilfszelle, seitlich an den Zellfäden. Richtig gesehen habe ich das leider auch nicht, da die Algenwuschel gerne Dreck sammeln und nicht gut quetschbar sind (Sandkörner!). Ohne weitere mikroskopsiche Erkenntnis bleiben also (mindestens) drei Arten zur Wahl, T.aurea ist nur eine davon, T. abietina im Falle einer Fehlmessung noch in Reichweite.

    Wenn die Flechtenart makroskopisch einfach zu erkennen wäre, bräuchte es diese Art Schlüssel wohl nicht.

    Bild T4 Zoosporangien? Andere Trentepohlia-Art mit kugeligen Einzelzellen? Knospende Seitenzweige?


    Die Mikroskopbilder passen mMn ganz gut zu Bild 3 bei Phycokey. Dann wäre auch T. abietina möglich und ich hätte Zelldicken-Statistik betreiben sollen.


    Da T. aurea als eine sehr häufige Art beschrieben wird, mag es sich bei den Wuscheln um diese Art handeln, oder eben nicht.

    Wenn jemand dazu etwas weiß, gerne her damit!


    LG, Martin