Hallo, Flechtenfreude!
Pilze - so schön sie auch sein mögen - kommen meist nicht aus der Deckung, und falls sie sich zu ihrem primadonnahaften Auftritt herab lassen - schwupp, sind sie angefressen oder stinken.
Ganz anders die lieben Flechten: Diese kleinen, bunten Gesellen erfreuen unsere Augen immer, denn ihr Vorteil (= unser Nachteil) ist, dass sie klein bleiben und man sie nicht essen kann.
Auch viele Schnecken wissen dies und halten sich (zumeist) zurück, halten sich lieber an die Pilze.
Daraus ergibt sich, dass - egal ob sommers oder winters - auf die Flechten Verlass ist: Sie sind eben da!
Und - an manchen Orten gibt es mehr und schönere davon als andernorts.
Am verlängerten Wochenende habe ich mir einen lang gehegten Wunsch erfüllt und bin in die Hohen Tauern gefahren.
Dort durfte ich ein Gebirgsluft- und Flechtenbad geniessen:
Bild 1 Gut behütetes Willkommen am Taleingang: Großglockner im Hintergrund und Bäume voll grünem Lametta.
Bild 2 Auch die Birkenstämme sind hier voller Flechten.
Diese apothecientragende Usnea hat keine Sorale und stellt sich als Usnea intermedia heraus.
Bild 3 Totholz ist bekanntlich ein beliebtes Subtrat für Flechten: Solche Weidezäune lasse ich mir gefallen!.
Nicht wirklich ungewöhnliches, aber doch schön anzusehen!
Richtig schön wird es droben in der Höh', oberhalb der Waldgrenze.
Bild 4 Blick zum Großglockner; der Untergrund hier ist kalkfreies Silikat (Paragneis und Glimmerschiefer weiß mein geologischer Führer). Dementsprechend...
Bild 5 ...dementsprechend bunt sind Krustenflechten.
Die strauchige, dunkelbraune Pseudephebe minuscula kommt hier vor, natürlich dürfen diverse gelbe Landkartenflechtenarte nicht fehlen. Die Landkarten bestimmen über große Bereiche die Grundfarbe der Flechtenmosaike.
Auch graue Nabelflechten gibt es satt.
Bild 6 An diesem Geröllhaufen bin ich bestimmt 30min herumgelungert und habe ständig Neues entdeckt.
Bild 7 Zum Beispiel finden sich hier auf der noch schattig-feuchten Nordwestseite diese Schönheiten:
Darunter die filigrane, hellgelbe Strauchflechte Alectoria ochroleuca (Bildmitte), der gelblich-weißen, eingerollte Blattflechte Flavocetraria cucullata (linke Bildseite); aber auch schon die ersten schüchternen, knochenweißen Würmchen der Thamniola vermicularis (vorne und rechts). Zwischen allem die bräunliche Cetraria islandica, die hier fast allgegenwärtig in den Blaubeeren hockt.
Bild 8 Die Blutaugenflechte, Ophioparma ventosa, kommt in großer Zahl an den Vertikalflächen vor.
Die schwarzen Blattflechten, welche die Ophioparma links und unten so schön kontrastierend umrahmen, sind mit vor Ort gar nicht aufgefallen. Jetzt ist es natürlich etwas spät.
Bild 9 Krustemosaik
Bild 10 Keine Ahnung bisher, was das sein könnte - vielleicht fällt das noch unter Protoparmelia badia? Ich bin gespannt auf die Mikroskopie.
Bild 11 Huch, etwas gelbes Sorediöses! Das könnte Rusavskia sorediata sein.
Bild 12 Sehr schön ist auch diese glänzende, tief areolierte braune Flechte.
Es könnte vielleicht Miriquidica garovaglii sein. Eine echte Schönheit, wie ich finde.
Das muss noch genauer untersucht werden, ein paar Fruchkörperchen habe dafür ich eingesteckt.
Bild 13 Die Hohen Tauern sind geologisch sehr abwechslungsreich.
An manchen Stellen geht man ein paar Schritte um einen Felsen herum, und schon trifft man statt auf Silikat auf Kalk!
Bild 14 Neben pittoresker Alpenarchitektur sind in diesem Bild natürlich Flechten versteckt.
Richtig: Die Wolfsflechte, Letharia vulpina.
Bild 15 Letharia vulpina, etwas größer. Natürlich auf Lärchenborke!
Bild 16 Cetraria/Vulpicida pinastri (Kiefern-Tartschenflechte) kommt ebenfalls an den Lärchen vor, und ist ebenfalls durch die giftige Vulpinsäure gelb gefärbt.
Im Gegensatz zur sehr ähnlichen, aber auf Stein vorkommenden Vulpicida tubulosus (warum nicht tubulosa?) hat diese Flechte gelbe Bortensorale.
Vulpinsäure färbt offenbar auch einige Boleten gelb - das war mir neu!
Ich frage mich, ob die Vulpinsäure (giftig für Fleischfesser) überhaupt für Menschen giftig ist oder nur minder giftg / reizend: Als GHS-Gefahrzeichen kommt bei diesem Stoff nicht das Giftig-Symbol, sondern nur das Achtung-Symbol zur Anwendung...
Bild 17 Eine weitere, überaus schöne Flechte ist eine Ochrolechia. Ochrolechia upsaliensis, die ich hier auf einem Wurzelstock einer Lärche vermute.
Bild 17b Nach genauerer Betrachtung erweist sie sich als die montan lignicole Flechtenart Ochrolechia alboflavescens: Cortex C+gelb, P-, K-; Epihymenium KC+rot; mit runden, planen, später zusammenfließenden Sorale mit Kragen auf der Thallusoberfläche. Apothecien mit welligem Rand, bis 4mm groß; mit apricofarbenen, bereiften Scheiben; Hypothecium orange. Große einzellige, hyaline Sporen um 55 x 25 µm.
Bild 18 Könnte man für Dreck halten: Wenn man genau hinsieht, erkennt man aber unzählige dünn berandete, glänzend braune Apothecien und grünen, körnigen Thallus: Protopannaria pezizoides
Bild 19 Solorina - soviel ist gewiss. Beim Sporenzählen findet man 2 Spore pro Ascus, also Solorina bisporus.
Bild 20 Macht optisch erst mal nicht viel her, sollte aber eine weitere Solorina-Art sein: Tatsächlich handelt es sich um Solorina spongiosa. Ein dünner grüner Lagerrand wird umgeben von einem schwammig grauen Cyanothallus, der mit zur Flechte gehört.
Bild 21 Ist das ein Nabelschild oder nicht? Dann am ehesten Rhizoplaca chrysoleuca. Ich werde prüfen!
Mit Nabelschild lag ich deutlich daneben, genabelt ist hier nix: Ich schwanke zwischen Squamarina cartilaginea und Protoparmeliopsis muralis subcartilaginea: Sporenform und -größe, Färbetest helfen zur Unterscheidung hier nicht.Die Habitate, in welchen beide Flechten vorkommen, unterscheiden sich aber. Während Squamarina cartilaginea im Flachland bis in die montane Stufe auf kalkhaltigen Gesteinen (und Böden) vorkommt, ist die Protoparmeliopsis muralis subcartilaginea auf Silikaten in der montanen bis alpinen Stufe vorhanden.
Vom Substrat habe ich keine Probe mitgenommen. Im Fundterrain wechseln Marmore, Dolomite und Schiefer in schneller Folge ab. Der Fundort liegt im alpinen Terrain auf knapp 2600m und das dunkle Substrat mag durchaus silikatisch sein.
Der dicht anliegende rissig-schuppige Thallus entspricht deutlich mehr der Wuchsform der Protoparmeliopsis-Varietät. Auch die beständige lecanorine Berandung ohne Kristalle passt besser zur Protoparmeliopsis.
Sicher interessant, sieht man hier im Flachland nicht!
Bild 22 Weit oben auf windgespeitschen, nur dünn mit Humus überzogenen, kalkigen Rohböden finde ich tatsächlich Bunte Erdflechtengesellschaften.
Hier Protoblastenia terricola.
Bild 23 Winzig klein, aber oho - kräftig gelb leuchtend: Fulgensia bracteata
Bild 24 Dazwischen immer wieder kleine, niedliche Buscheln von Stereocaulon alpinum: ein Stereocaulon mit rosa niederliegenden Pseudopodetien mit rosa Filz und graugrünen Phyllocladien. Die Flechte reagiert P+gelb.
Da nach 25 Bildern Schluss ist und ich sonst noch ewig weitermachen könnte, wähle ich zum Abschied ein Landschaftsfoto:
Bild 25 Letzter Blick zum Großglocker (Ködnitztal)
Schön war's! Und viiiel zu kurz...
LG, Martin
Wen das Thema interessieren sollte, für den gibt es zwei tolle und sehr preiswerte Flechtenbücher zum Schmökern:
Reihe Nationalpark Hohe Tauern: "Flechten" (Roman Türk) und "Die Flechten Kärntens" (R. Türk et al.).