Krustenflechte auf Polsterpflanzenresten über Baumgrenze => Mycobilimbia tetramera

Es gibt 3 Antworten in diesem Thema, welches 255 mal aufgerufen wurde. Der letzte Beitrag () ist von KaMaMa.

  • Hallo zusammen,


    folgende Flechte erweist sich als nicht trivial zu bestimmen. Dennoch denke ich, eine passable bis gute Arbeitshypothese gefunden zu haben und würde mich über eine Beurteilung eurerseits freuen.


    Oberhalb des Hochtors an der Großglockner Hochalpenstraße, zwischen 2500 und 2600 m üNN, ist die Vegetation sehr karg.

    Einige wenige Pflanzen gedeihen zwischen dem Gesteinsschutt, dazwischen viele interessante Flechten.

    Bild 0 Weg nach oben auf einem bereits seit der Antike benutzen Säumerpfad durch Gesteinsschutt


    Bild 1 Lokale Vegetation - hier vermute ich eine Gegenblättigen Steinbrech (Saxifraga oppositifolia) mit verspäteten, letzten Blüten Ende August.


    Ich erwähne die Pflanze, weil von dien Polstern viele zu finden sind, etliche jedoch abgestorben.

    Die meisten der Pflanzen haben sich längst von den Blüten getrennt und überdauern bodennah.

    Wo Pflanzen wachsen, sterben Pflanzen ab und werden von anderem überwachsen, z.B. von Flechten:

    Bild 2a Abgestorbene Steinbrech mit weißlicher Kruste und zahlreichen schwärzlichen Apothecien


    Bild 2b Ausschnitt aus Bild 2a mit einigen markierten Apothecien


    Ein 2cm-Pröbchen wird mitgenommen.

    Bild 3a Lupenbild der braunschwarzen, randlosen, halbkugeligen Apothecien


    Bild 3b Apothecien in früherem Entwicklungszustand mit deutlich erhabenem, schwarzem Rand.

    Der Thallus überzieht dünn die Pflanzenreste. Er ist trocken weißlich-hellgrau, krustig bis warzig/körnig.

    Er reagiert R- (K-, P-, C-, KC-).


    Bild 3c Es finden sich in trockenem Zustand auch Apothecien mit hellem, bräunlichem Rand.


    Bild 3d Feucht werden die schwarzen Apothecien braun und transparent.


    Die Apothecien sind klein, der Durchmesser in der mitgenommenen Probe übersteigt 0,6mm nicht.

    Die Fruchtkörper sind zäh, die Paraphysen sind fest verklebt, lösen sich auch in verdünnter KOH schwer voneinander.


    Ein ordentlicher Dünnschnitt ist mir bisher bei diesen kleine Apothecien nicht gelungen, dennoch muss ich ein schlechtes Foto eines Schnittbildes zeigen, auf dem der Farbverlauf erkennbar ist/sein soll:

    Epihymenium schwärzlich braun tendentiell farblos (vgl. Beitrag #4 unten mit ordentlicherem Querschnitt, die dunkeln Stellen gehen auf überalterte Sporen zurück), Hymenium farblos bis schwach gelblich/bräunlich (Dicke um 75µm), Hypothecium dunkler als Hymenium, schwach bräunlich.

    Bild 4 Querschnitt durch Apothecium, in Wasser, Auflicht


    Die Sporen sind spindelförmig, farblos (überaltert braun), 23-28 x 4,3-5,5 µm groß; meist vierzellig, jedoch auch selten 5-zellig.

    Perispor nicht erkennbar (nicht vorhanden).

    Die Sporen liegen zu 8 in den Asci.

    Bild 5 Freie Sporen und Sporen in Asci; Aufnahmen in Wasser und verd. KOH; in Bildmitte mit BWB gefärbt


    Die Asci zeigen einen dicken, KJ+-blauen Tholus mit KJ- Wandung. Die Aufnahmen sind grenzwertig, aber die Probe war schlecht zu quetschen.

    Das Hymenium reagiert in Lugol J+/- gelblich.

    Bild 6 KJ-Reaktion der Ascusspitzen


    Bild 7 Hymenium in BWB gefärbt


    Ja, der Pilz ist lichenisiert! Nimmt man von der weißen Kruste etwas und quetscht, so sind die Grünalgen in körnigen Paketen deutlich erkennbar:

    Bild 8 Quetschpräparat des Thallus


    Ich bin jedesmal mit dem deutschen Schlüssel in einen Widerspruch mit den Beobachtungen gelangt.

    Bei Verwendung des neuen Key-Generators auf Italic schränkt sich die Auswahl auf 27 Arten ein, die mir teils schon rein optisch sehr gut gefallen - insbesondere die bilimbia-artigen Flechten, woran man sich ja bei der Proben, den Sporen etc. gleich erinnert fühlt (verlangt aber J+blau im Wirthschen Schlüssel).


    Der Italienische Schlüssel umschifft die Frage nach der J-Reaktion des Hymeniums und liefert Mycobilimbia tetramera als Ergebnis.


    Bemühe ich den deutschen Bacidia-Schlüssel, der Bilimbia enthält, gelange ich zur gleichen Art:

    Sporen spindelig, 4-zellig, farblos, 15-22(27) x (4)5-7 µm; Hym. farblos, 70-110 µm, jung oft mit blassem Rand, verengt aufsitzend, 0,5-1,2mm; Ap. zahlreich, braunschwarz, jung mit deutlichem Rand, bald gewölbt randlos; Thallus weißlich, warzig - das sind die Schlüsselbegriffe beim Schlüsseln und passen allesamt gut.

    Die weitere Beschreibung zum Vorkommen stimmt auch gut mit den Fundumständen überein: hochmontane Art; unterhalb der Baumgrenze an Stammbasis vom alten Bäumen auf Moos; oberhlb der Baumgrenze auf totem Planzenmaterial, z.B. abgestorbenen Polsterpflanzen (!), auf Moos über Erde und Gestein, auf vermodertem Holz.


    Wie ist eure Meinung hierzu? Über Rückmeldungen würde ich mich freuen. ==Gnolm23


    LG, Martin

  • KaMaMa

    Hat den Titel des Themas von „Kleine Kruste auf Polsterpflanzenresten über Baumgrenze“ zu „Kleine Kruste auf Polsterpflanzenresten über Baumgrenze = Mycobilimbia tetramera?“ geändert.
  • Hallo Martin,


    danke für die tolle Vorstellung. LGBI3 kennt die Art auch. Auf dem Weg dahin muss man bei 56 mal annehmen, dass sie auf Erde wächst. Soweit kam ich mit deinen Angaben.


    Dann wird dort noch UV abgefragt (sollte negativ sein) und dann noch das.



    Die Punkte sollten wahrscheinlich schon aus Deinen Beobachtungen erschließbar sein.


    Gruß

    Peter

  • Hallo Peter,

    vielen Dank für das Gegenlesen!

    Deine Zweitmeinung ist mir wichtig.


    Ja, in Grossbritannien ist die Flechte wohl in Schottland nachgewiesen.

    Die Vorgabe, dass die Flechte auf Erde wächst, schreckt mich nicht, denn Erde und Pflanzenreste sind als Substrat ähnlich, gehen auseinander hervor. Zudem wächst die Flechtenart laut Beschreibung zuweilen auf Erde. Ferner ist noch wichtig, was als Alternative in Schlüssel angegeben wird.


    Ohne jetzt die Dokumentation vor Augen zu haben, erinnere ich mich an keinerlei rechteckige Hyphen im Excipulum. Der Rest sollte auch passen.


    Was mich irritiert, ist die nur gelbe Reaktion in Lugol. Das muss ich wiederholen, mit schrittweise mehr Lugol.


    LG, Martin

  • Hallo,


    heute kann ich einige Details nachliefern, wodurch sich der Verdacht M. tetramera weiter erhärtet.


    1) Apothecien-Querschnitt

    Bild N1: Apothecienquerschnitt unter Mikroskop: Apothecium nicht durchweg farblos, sondern

    Epihymenium tendentiell farblos,

    Hymenium schwach bräunlich,

    Hypothecium oben deutlich braun, unten hell gelblich,

    Excipulum weißlich.

    Die dunklen, braunen Stellen im Hymenium gehen auf überalterte, braune Sporen in Asci zurück.


    2) Lugol-Reaktion des Hymeniums definitiv und sofort J+ tiefblau. Keine Ahnung, was beim ersten Mal nicht geklappt hat.

    Bild N2 Hymenium J+ blau - damit ist der Bacidia-Schlüssel für die Artbestimmung korrekt, dort die Artengruppe Bilimbia/Mycobilimbia


    3) Excipulum mit radial ausgerichteten Hyphen:

    Bild N3 Blaue Lugol-Reaktionsfront ins Hymenium vordringend, zwischen Hymenium und Excipulum rasch tief eingedrungen, das weißliche Excipulum durch einen blauen Balken vom Hymenium trennend. Aufbau des Excipulums aus radial orientierten Hyphen deutlich erkennbar.


    4) Nachkontrolle Sporen: Sporen 4-zellig

    Bild N4 Sporen vierzellig (hier in Lugol), damit sollte M. tetramera vorliegen.

    Die häufigeren Arten (auch alpin vorkommend) wie M. sabuletorum hätten 4-8(10)-zellige Sporen und scheiden aus.


    Ok, Paraphysendurchmesser habe ich vergessen zu messen - damit kann ich leben...


    LG, Martin

  • KaMaMa

    Hat den Titel des Themas von „Kleine Kruste auf Polsterpflanzenresten über Baumgrenze = Mycobilimbia tetramera?“ zu „Krustenflechte auf Polsterpflanzenresten über Baumgrenze => Mycobilimbia tetramera“ geändert.