Hallo zusammen,
folgende Flechte erweist sich als nicht trivial zu bestimmen. Dennoch denke ich, eine passable bis gute Arbeitshypothese gefunden zu haben und würde mich über eine Beurteilung eurerseits freuen.
Oberhalb des Hochtors an der Großglockner Hochalpenstraße, zwischen 2500 und 2600 m üNN, ist die Vegetation sehr karg.
Einige wenige Pflanzen gedeihen zwischen dem Gesteinsschutt, dazwischen viele interessante Flechten.
Bild 0 Weg nach oben auf einem bereits seit der Antike benutzen Säumerpfad durch Gesteinsschutt
Bild 1 Lokale Vegetation - hier vermute ich eine Gegenblättigen Steinbrech (Saxifraga oppositifolia) mit verspäteten, letzten Blüten Ende August.
Ich erwähne die Pflanze, weil von dien Polstern viele zu finden sind, etliche jedoch abgestorben.
Die meisten der Pflanzen haben sich längst von den Blüten getrennt und überdauern bodennah.
Wo Pflanzen wachsen, sterben Pflanzen ab und werden von anderem überwachsen, z.B. von Flechten:
Bild 2a Abgestorbene Steinbrech mit weißlicher Kruste und zahlreichen schwärzlichen Apothecien
Bild 2b Ausschnitt aus Bild 2a mit einigen markierten Apothecien
Ein 2cm-Pröbchen wird mitgenommen.
Bild 3a Lupenbild der braunschwarzen, randlosen, halbkugeligen Apothecien
Bild 3b Apothecien in früherem Entwicklungszustand mit deutlich erhabenem, schwarzem Rand.
Der Thallus überzieht dünn die Pflanzenreste. Er ist trocken weißlich-hellgrau, krustig bis warzig/körnig.
Er reagiert R- (K-, P-, C-, KC-).
Bild 3c Es finden sich in trockenem Zustand auch Apothecien mit hellem, bräunlichem Rand.
Bild 3d Feucht werden die schwarzen Apothecien braun und transparent.
Die Apothecien sind klein, der Durchmesser in der mitgenommenen Probe übersteigt 0,6mm nicht.
Die Fruchtkörper sind zäh, die Paraphysen sind fest verklebt, lösen sich auch in verdünnter KOH schwer voneinander.
Ein ordentlicher Dünnschnitt ist mir bisher bei diesen kleine Apothecien nicht gelungen, dennoch muss ich ein schlechtes Foto eines Schnittbildes zeigen, auf dem der Farbverlauf erkennbar ist/sein soll:
Epihymenium schwärzlich braun tendentiell farblos (vgl. Beitrag #4 unten mit ordentlicherem Querschnitt, die dunkeln Stellen gehen auf überalterte Sporen zurück), Hymenium farblos bis schwach gelblich/bräunlich (Dicke um 75µm), Hypothecium dunkler als Hymenium, schwach bräunlich.
Bild 4 Querschnitt durch Apothecium, in Wasser, Auflicht
Die Sporen sind spindelförmig, farblos (überaltert braun), 23-28 x 4,3-5,5 µm groß; meist vierzellig, jedoch auch selten 5-zellig.
Perispor nicht erkennbar (nicht vorhanden).
Die Sporen liegen zu 8 in den Asci.
Bild 5 Freie Sporen und Sporen in Asci; Aufnahmen in Wasser und verd. KOH; in Bildmitte mit BWB gefärbt
Die Asci zeigen einen dicken, KJ+-blauen Tholus mit KJ- Wandung. Die Aufnahmen sind grenzwertig, aber die Probe war schlecht zu quetschen.
Das Hymenium reagiert in Lugol J+/- gelblich.
Bild 6 KJ-Reaktion der Ascusspitzen
Bild 7 Hymenium in BWB gefärbt
Ja, der Pilz ist lichenisiert! Nimmt man von der weißen Kruste etwas und quetscht, so sind die Grünalgen in körnigen Paketen deutlich erkennbar:
Bild 8 Quetschpräparat des Thallus
Ich bin jedesmal mit dem deutschen Schlüssel in einen Widerspruch mit den Beobachtungen gelangt.
Bei Verwendung des neuen Key-Generators auf Italic schränkt sich die Auswahl auf 27 Arten ein, die mir teils schon rein optisch sehr gut gefallen - insbesondere die bilimbia-artigen Flechten, woran man sich ja bei der Proben, den Sporen etc. gleich erinnert fühlt (verlangt aber J+blau im Wirthschen Schlüssel).
Der Italienische Schlüssel umschifft die Frage nach der J-Reaktion des Hymeniums und liefert Mycobilimbia tetramera als Ergebnis.
Bemühe ich den deutschen Bacidia-Schlüssel, der Bilimbia enthält, gelange ich zur gleichen Art:
Sporen spindelig, 4-zellig, farblos, 15-22(27) x (4)5-7 µm; Hym. farblos, 70-110 µm, jung oft mit blassem Rand, verengt aufsitzend, 0,5-1,2mm; Ap. zahlreich, braunschwarz, jung mit deutlichem Rand, bald gewölbt randlos; Thallus weißlich, warzig - das sind die Schlüsselbegriffe beim Schlüsseln und passen allesamt gut.
Die weitere Beschreibung zum Vorkommen stimmt auch gut mit den Fundumständen überein: hochmontane Art; unterhalb der Baumgrenze an Stammbasis vom alten Bäumen auf Moos; oberhlb der Baumgrenze auf totem Planzenmaterial, z.B. abgestorbenen Polsterpflanzen (!), auf Moos über Erde und Gestein, auf vermodertem Holz.
Wie ist eure Meinung hierzu? Über Rückmeldungen würde ich mich freuen.
LG, Martin